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Zürich, 28.9. 15 (kath.ch) Spiritual Care wird das Schweizer Gesundheitswesen massiv beeinflussen, sagt Simon Peng-Keller, ausserordentlicher Professor für Spiritual Care an der Universität Zürich. Peng ist überzeugt, dass künftig die Ärzte den spirituellen Aspekt einer Krankheit nicht mehr ausklammern können. Dass die beiden Zürcher Landeskirchen die Professur finanzieren, die am 1. Oktober startet, bezeichnet Peng als sehr ermutigendes Zeichen auf dem Weg der Ökumene. Es sei zudem nicht auszuschliessen, dass Spiritual Care kostensenkend auf das Gesundheitswesen wirkt.
Wird die neue Professur für Spiritual Care an der Universität Zürich die Medizin für Menschen am Lebensende revolutionieren?
Simon Peng-Keller: Das wäre eine übertriebene Erwartung an eine 50-Prozent Professur. Das neue Fachgebiet muss sich zunächst in dem komplexen Gebilde der Medizin etablieren. Das wird Geduld und Ausdauer brauchen. Global gesehen gehört das Aufkommen dieses Fachgebiets jedoch zu einem meines Erachtens tiefgreifenden Wandel im Gesundheitswesen. Spiritual Care bedeutet das durch klinische Praxis und empirische Forschung bewirkte Bewusstwerden, dass es zu einem professionellen ärztlichen und pflegerischen Handeln in Lebensendsituationen oder bei schwerer Erkrankung gehört, auch spirituelle Aspekte wahrzunehmen und anzusprechen. Hinter diese Einsicht wird die Medizin nicht mehr zurückkönnen.
Was ist der Unterschied zwischen Palliativmedizin und Spiritual Care?
Peng-Keller: Die Begriffe sind derzeit noch im Fluss. Palliative Care ergänzt die kurative Behandlung einer Krankheit und kann parallel zu therapeutischen Massnahmen verlaufen. Dazu tragen Palliativmedizin und Palliativpflege besonders, aber nicht ausschliesslich durch eine gute Schmerztherapie bei. Spiritual Care in einem engeren Sinne ist jener Teilaspekt von Palliative Care, der auf die spirituellen Nöte und Ressourcen fokussiert ist.
Gibt es einen Unterschied zwischen «psychisch» leiden und «seelisch» leiden?
Peng-Keller: Die englische Ärztin Cicely Saunders, Pionierin der modernen Hospizbewegung, machte auf die Komplexität von Schmerz aufmerksam und unterschied das spirituelle vom körperlichen, seelischen/psychischen und sozialen Leiden . Sie beobachtete, dass ungelöste Lebensprobleme, seien sie sozialer, psychischer oder spiritueller Natur, den körperlichen Schmerz verstärken, und dass durch die Lösung dieser Probleme auch der körperliche Schmerz reduziert wird. Das konnte inzwischen breit empirisch belegt werden. Ich betrachte das Wissen um die Vieldimensionalität von Schmerzen und Leid als die Schlüsselerkenntnis von Palliative Care.
Was bedeutet es für Sie, dass die beiden Zürcher Landeskirchen, die katholische und die reformierte, diese Professur geschaffen haben und finanzieren?
Peng-Keller: Die beiden Landeskirchen zeigen hier Pioniergeist und leisten damit meines Erachtens einen substanziellen Beitrag zur Verbesserung des Schweizerischen Gesundheitswesens. Ich erachte es auch als ein ermutigendes ökumenisches Zeichen, dass man dieses Anliegen mit vereinten Kräften unterstützt. Auch das ist zukunftsweisend.
Bei den Muslimen treffen Sie auf Menschen, denen die christliche Ethik im Zusammenhang mit dem Tod fremd ist. Wie werden Sie die Idee von Spiritual Care in die Gemeinschaft der Muslime einbringen?
Peng-Keller: Ich habe nicht den Eindruck, ich müsse die Spiritual Care-Idee in die muslimische Gemeinschaft einbringen. Sie hat die muslimischen Länder längst erreicht. Es gibt inzwischen auch eine muslimisch geprägte Spiritual Care-Praxis und -Forschung, etwa im Iran. Die wachsende kulturelle und religiöse Vielfalt in unseren Gesundheitsinstitutionen macht das Anliegen von Spiritual Care besonders herausfordernd und dringlich.
Viele Ärzte setzen auf die medizinische Hilfe bei der Pflege von Menschen und haben für Spiritualität wenig übrig. Wie gehen Sie mit diesem Widerstand um?
Peng-Keller: Nach meiner Wahrnehmung herrscht bei Ärzten diesbezüglich ein grosser Pluralismus, der vielleicht dadurch etwas verdeckt wird, dass sie im Allgemeinen wenig über dieses Thema sprechen. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, dass es einen generellen Widerstand gibt. Viele Ärzte sind von einem hohen Berufsethos geleitet, in dem sich mehr Ansatzpunkte für Spiritual Care finden, als sie sich vielleicht selbst bewusst sind.
Die Neurotheologie will Naturwissenschaft und Theologie miteinander versöhnen. Ist die Neurotheologie auch ein Forschungsansatz für Sie?
Peng-Keller: Was ich bisher über Neurotheologie gelesen habe, schien mir in methodischer Hinsicht derart abwegig, dass sie mich nicht weiter interessierte. Es gibt hingegen interessante neurowissenschaftliche Studien zu meditativer Praxis. Allerdings behandeln diese nur die psychologische Seite dieser Praxis und nicht die spirituelle.
Bundesrat Berset hat für nächstes Jahr eine weitere Erhöhung der Krankenkassenprämien angekündigt. Kann Spiritual Care zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen beitragen?
Peng-Keller: Das sollte nicht das primäre Ziel von Spiritual Care sein. Ich halte es für problematisch, wenn Spiritualität und spirituelle Begleitung ökonomischen Zwecken dienen soll. Wie empirische Studien zeigen, hat eine gute spirituelle und psychosoziale Begleitung am Lebensende jedoch tatsächlich eine Kostensenkung zur Folge. Wer in Lebensendgesprächen gut beraten und begleitet wird, entscheidet sich oft gegen invasive Therapien, die unser Lebensende gegenwärtig auch in ökonomischer Hinsicht so teuer machen. (gs)