1 Johannes 4,7-12

· by predigten · in 13. So. n. Trinitatis, 23) 1. Johannes / 1 John, Archiv, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 04 / Chapter 04, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons, Reinhard Weber

13. S. nach Trinitatis | 6.9.1998 | 1 Joh 4,7-12 | Reinhard Weber |

„Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.“

Liebe Gemeinde!

Der für diesen Sonntag vorgesehene Text verlangt vom Prediger, daß er über die Liebe rede. Das scheint in Zeiten, in denen das Leben nur mehr wenig von einem Dasein, dafür aber um so mehr von einem Geschäft an sich hat, wie schon Jakob Burckhardt vor gut 100 Jahren geahnt hat, ein ebenso unsinniges Unterfangen wie die Forderung, die gleich im ersten Satz dieses Textes erhoben wird: Laßt uns einander lieben! Als ob man Liebe befehlen könnte!

Jeder Mann, jede Frau, die sich gegen eine solche Anmutung sträubt und mindestens insgeheim zur Wehr setzt, ist zu verstehen. Dahinter, hinter einer solchen Weigerung, steht das natürliche Empfinden: Liebe kann man nicht erzwingen, kann man nicht fordern. Wie wäre sie sonst das, was sie ihrem Wesen nach ist, nämlich ein freies Geschenk – und eben doch nur als solches von ihrer einmalig beglückenden Qualität?! Man würde ihr wohl doch nichts weniger als alles nehmen, wollte man auch sie noch in die Kategorie des „Müssens“, in der wir eh den meisten Teil unseres Erdenwandels verbringen, einordnen.

Also ein erstes „Nein, so nicht“!

Jedoch, unser Text läßt uns so nicht gehen. Er hat ja eine Fortsetzung: Er begründet die Aufforderung mit einem „denn“, „Denn die Liebe ist von Gott“. Also keine falsche Assoziation! Es geht hier demnach nicht um einen menschlichen Gefühlsaufschwung, es geht nicht um emotionale

Enthusiasmiertheit, es geht nicht die leidenschaftlichen Besessenheiten von neuneinhalb Wochen, es geht nicht um die Nachtseiten des mann-weiblichen Trieblebens, es geht nicht um die sublimen Regungen erster Verliebtheit, es geht nicht um das, was wir uns so gewöhnlich unter Liebe vorstellen, es geht überhaupt nicht um uns in unseren menschlichen Möglichkeiten und Befindlichkeiten, Wünschen und Sehnsüchten, Höhen und Tiefen, Abgründigkeiten und Erhobenheiten. Es geht – jedenfalls zunächst – nicht einmal um die Liebe zu Gott, um die Erhebung des religiösen Menschen, des Frommen, zum Unendlichen. Nein, von all dem ist keine Rede.

Es geht vielmehr nur und schlechterdings um die Liebe, die von Gott kommt, die aus ihm herausgeht, die in ihm ihren Ursprung hat, die aus ihm herausströmt. Spontan, ungefordert. Von ihr ist die Rede. Und mit ihr hat es eine eigenartige Bewandtnis. Welche, das wird in den folgenden Versen 9 und 10 näher erläutert, die man zunächst zu hören hat, bevor etwas über unsere Liebe gesagt werden kann: „Darin ist die Liebe Gottes unter uns offenkundig geworden, daß Gott seinen eigenen, einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben sollten. Darin besteht die Liebe, nicht daß wir Gott geliebt hätten, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat, um uns von unseren Sünden frei zu machen“ (Übersetzung: U. Wilckens).

Die Liebe Gottes, von der hier geredet wird, ist also kein Gefühl, kein seliges Verschwimmen, kein diffuses, schwelgerisches Entzündetsein, auch kein unaussagbares, unaussprechliches Einheitswesen, sondern ein geschichtlich-konkretes Ereignis. Man kann von ihr nun in der Tat erzählen, von ihr kann man wirklich reden: Und dann ist dieser Nazarener, dieser galiläische Mann da und da gewesen und hat das und das getan, und dann ist das und das mit ihm passiert, und dann war es mit ihm aus und doch nicht aus.

Wer von der Liebe Gottes sprechen will, der muß diese Geschichte erzählen. Gottes Liebe ist also ein Handeln und ein Erleiden, und vor allem wohl letzteres, denn wenn man sich diese Geschichte, an der sich Gott als der Liebende dargestellt und erwiesen, an der er seine Gottheit definiert hat, näher anschaut, dann sieht man schnell, daß sie tödlich ist. Die Liebe ist tödlich, unter den Bedingungen der Sünde und d.h. unter den Bedingungen des Menschen und seines gottfernen Daseins ist sie und wird sie tödlich, weil sie in den Tod führt. Aus der Knechtschaft unter der Sünde kann man nämlich nur durch den Tod frei werden. Das ist ja in diesen Versen vorausgesetzt, das muß man immer mithören, wenn hier von der Liebe geredet wird. Dieser Jesus, an dem Gott seine Liebe zu Welt und Mensch dargestellt hat, der endet – weltlich gesehen – im Tod, in einem ziemlich schrecklichen zumal. Also das ist gemeint, wenn hier von der Liebe die Rede ist, das ist alles andere als das, was man sich so gewöhnlich unter Liebe vorstellt. Gottes Liebe ist kein süßlich-weichliches Verfließen. Sie ist vielmehr ein hartes, geschichtliches Geschick. Ihre Eröffnung von Leben geht durch den stellvertretenden Tod hindurch. An dem geschichtlichen Schicksal Jesu kann man das anschauen, da steht es vor Augen, was es um die Liebe Gottes ist. Und erst, wenn man das so anschaut, dann kann man recht die anderen Verse unseres Predigttextes hören und verstehen, dann erst lassen sie sich in den Horizont einstellen, in dem sie das Wort sagen können, was sie sagen wollen: „Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann sind auch wir es schuldig, einander zu lieben.“

In der Tat, diese Liebe kann man befehlen, denn sie ist keine Forderung! Das klingt paradox, ist es aber nicht, denn es läßt sich erläutern: daß Gott sich den Menschen in Liebe zuwendet, hat der sich auf keine Weise und durch keine Tat verdient, denn Gott hat uns ja schon geliebt, als wir noch Sünder waren (Röm. 5,6.8.10), im Gegenteil, in seiner Tendenz zur Selbstrechtfertigung ist der Mensch immer schon dabei und damit befaßt, sie abzuweisen und sich von ihr zu emanzipieren. Was da vor zweitausend Jahren in Palästina passiert ist, ist gegen die innere Tendenz des Menschendaseins geschehen. Wir lieben eben nicht so, auch nicht in den leidenschaftlichen Aufschwüngen, in den sog. großen Passionen, auch nicht in den freundschaftlichen Zuwendungen, auch nicht in den Ehen und Partnerschaften. Wir können das auch gar nicht. Wir sind eben nicht so. Wir müssen uns selbst zum Zentrum haben. Darum kann man es auch nicht von uns fordern, so wie Gott zu lieben. Aber wo diese göttliche Liebe sich ereignet, da befreit sie den Menschen nicht nur von sich und seiner Selbstbezogenheit, seinem irdischen Wesen, sondern sie gewährt ihm ein Neues Sein. Und innerhalb des Raumes dieses neuen Seins kann man Liebe befehlen, denn hier hat der Befehl: „Laßt uns einander lieben“ eine ganz neue und andere Qualität. Er fordert nicht mehr etwas von uns, was wir nicht können, sondern eröffnet uns die Möglichkeit der Freiheit von uns selbst, mehr und anders zu sein als wir von uns her je immer schon sind. Diese befohlene Liebe verliert mit ihrem Befohlensein nicht ihre Eigenart als Geschenk, sondern im Befehl und dessen Befolgung wird sie als solches aktualisiert. Wir machen diese Liebe nicht, wir schöpfen sie auch nicht aus unseren inneren Möglichkeiten, wir erzeugen sie nicht aus den Potenzen unserer Seele, nein, sie ist uns fremd, ein ganz fremdes Werk, reines Gegebensein, geschichtlich geschehenes Ereignis, dessen Wirksamkeit in der Welt wir nur fortsetzen, dessen Spur wir nur nachfolgen. Und das kann man eben in der Tat befehlen! Raum geben dem, was schon da ist, weil es sich ereignet hat, ihm im eigenen Leben zur Wirkung verhelfen; nein, schon das ist zuviel gesagt, besser heißt es: Es an sich sich auswirken lassen. Diese tödliche göttliche Liebe sich zum Schicksal werden zu lassen – und so leben, das Leben finden, zum Leben kommen, zum wahren Leben, welches nicht mehr tödlich enden muß. Das ist alles andere als eine sentimentale Schnulze, als ein geschäftstüchtig-banales „Piep, Piep, Piep“, das ist eine harte Schule, an der man ein Leben lang zu lernen und zu arbeiten hat. Wer so liebt, der stammt wirklich von Gott und weiß, was es um ihn und seine Gottheit ist, der ist sein Werk, an dem Gott als diese Liebe zur Erscheinung kommt. Von sich selbst leer und Gottes voll sein, so hat es Hegel gesagt.

„Niemand hat Gott je gesehen“! Aber an solcher Liebe wird er sichtbar und erkannt, das ist das Kriterium, was durch Jesus in die Geschichte getreten ist und aus ihr nicht mehr verschwinden kann, es sei denn, dieser Gott selbst verschwände aus seiner Welt. Dies jedoch wird so lange nicht der Fall sein, wie ein Christ Zeuge dieser Liebe ist. Auf diese Zeugenschaft kommt alles an! Sie ist uns aufgetragen, nicht weil wir so prächtige und liebesfähige Kerle, so zauberhafte Frauenspersonen sind, sondern allein deshalb, weil wir „Gegenstand“ der göttlichen Liebe sind. Das genügt, nein, das ist mehr als genug.

Amen.


Priv.-Doz. Pfr. Dr. Reinhard Weber, Reichensachsen

Blaue-Kuppe-Straße 37

37287 Wehretal