1. Johannes 5,11–13

· by predigten · in 2. So. n. Christfest, 23) 1. Johannes / 1 John, Aktuelle (de), Antje Roggenkamp, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 05 / Chapter 05, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons

2. Sonntag nach dem Christfest | 05.01.2025 | 1. Joh 5,11–13 | Antje Roggenkamp |

1. Joh, 5:11a Und dies ist das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat. Und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, hat (auch) das Leben. Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. 13 Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, denen, die glauben an den Namen des Sohnes Gottes.

Liebe Gemeinde, der Text, den ich gerade verlesen habe, hat etwas Abschließendes, ja fast Testamentarisches. Und damit passt er ganz gut in das Ende vom Anfang des Kirchenjahres hinein. Am zweiten Sonntag nach dem Christfest – wie der offizielle Name des heutigen Sonntags lautet – spricht er in ganz gewichtigen Worten zu uns. Fast hört es sich an als würde uns hier eine Art Vermächtnis übereignet. Manche Exegeten haben auch gemeint, dass sich der Text ursprünglich ganz am Ende des Briefes befunden haben könnte. Aber, eignet sich der Text, um den inneren Weihnachtsfestkreis abzuschließen?

Weihnachtserinnerungen: Hohe Tannenbäume, rote Schleifen an den Bänken, der noch festlich geschmückte Raum erinnert uns daran, wie wir an Heilig Abend hier in der Kirche gesessen, gemeinsam Lieder gesunden, die Gemeinschaft genossen haben. Wir hängen unseren Gedanken nach. Dabei kommt uns vermutlich auch in den Sinn, das wir uns an Heiligabend auf das anschließende Weihnachtsessen und das gemütliche Zusammensein zu Hause oder andernorts gefreut haben. Gedanklich sind wir noch lange nicht beim Zeugnis angekommen, von dem der anonyme Verfasser des ersten Johannesbriefes seiner Gemeinde berichtet. Nein, Ephesus, wohin er den Brief zu Beginn des zweiten Jahrhunderts vermutlich schickte, ist uns noch ganz fern. Und auch die weiteren Stationen, die auf die Geburt des Christkindes im Weihnachtsfestkreis folgen, haben wir noch nicht erreicht. Das vorläufige Ende des Aufbruchs der drei Weisen aus dem Morgenland, feiern wir erst am nächsten Tag, die aus ihrem Besuch bei Herodes folgenden Bedrängnisse – wie die Flucht nach Ägypten – sind für uns noch nicht in Sicht. Wir sind noch mitten im ersten Weihnachtsfestkreis drin.

Zeugnisse, Zeugnis oder Zeugenschaft: Am Ende dieses Monats beginnen wiederum kurze Schulferien. Nicht wenige unserer Konfirmandinnen, aber auch Eltern, Großeltern, Onkels und Tanten werden dem Beginn der Ferien mit etwas gemischten Gefühlen entgegensehen. Denn: vor den Ferien stehen die Halbjahreszeugnisse. Werde ich wirklich die Note bekommen, die mir meine Mathematiklehrerin versprochen hat? Benotet mein Spanischlehrer so cool wie er unterrichtet? Oder habe ich mir falsche Hoffnungen gemacht? Zeugnisse sind ambivalent, das wissen alle Beteiligten, nicht nur, weil die in ihnen befindlichen Noten nur selten objektiv genannt werden können. Schulnoten legen Zeugnis über momentane Leistungen ab, die im Guten wie im Schlechten für die betroffenen Personen langfristige Folgen haben können. Und auch unser Briefschreiber scheint sich so ganz sicher nicht zu sein, wenn er das, was er seinen Adressaten zuspricht, eine konkrete, fast objektive Zeugenschaft zugleich mit einer Art nachgeschobener Bedingung verbindet: „13 Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt, denen, die glauben an den Namen des Sohnes Gottes.“ Am Wissen um das ewige Leben haben nicht alle teil, nur die, die bereits an den Namen des Sohnes Gottes glauben, die also eine bestimmte Bedingung bereits erfüllen. Das richtige Bekenntnis, der richtige Glaube, wird zur Voraussetzung für eine spezifische Zeugenschaft, ohne dass der Inhalt selbst zunächst irgendeine Rolle spielt. Richtet sich der Verfasser an verschiedene Gruppen – an die, die bekennen und an die, die nicht glauben, – geht es ihm nur um einen Teil seiner Hörerschaft oder will er doch die gesamte Gemeinde (in Ephesus) erreichen? Wir kommen nicht umhin, uns ein wenig durch den Brief „hindurch“ zu arbeiten. Dies geschieht am besten von hinten nach vorne, um zu verstehen, wie wir diese doppelte Adressierung für uns auffassen können. Sind wir doch mindestens in zweifacher Weise angesprochen, als solche, die haben, und als solche, die nicht haben. Oder, um es mit unserem Predigttext zu formulieren: Wer den Sohn hat, hat das Leben und wer den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht.

Wer den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht: Erinnern wir uns an die zurückliegenden Festtage. Weihnachten ist nicht nur das Fest der Geburt Christi, Weihnachten ist auch das Fest, an dem die Familie einmal im Jahr als Klein- und vor allem als erweiterte Großfamilie zusammenkommt. Sieht man dies so, begreift man, dass das Fest emotional hoch aufgeladen ist und dass sich manche Familienmitglieder den damit verbundenen hohen Erwartungen gerne auch einmal entziehen. Dort, wo sich Familien auf engem Raum arrangieren müssen, fallen die Macken der lieben Verwandten nach ein, zwei oder gar mehreren Tagen deutlich auf. Und manch einer der lieben Verwandten hält die traute, oft selbst verordnete Harmonie nur unter großen Anstrengungen aus. Der Umgang mit den anderen wird zu einem Balanceakt.

Einige Beispiele: Der eine Bruder weiß, dass er die Schwester mit seiner bevormundenden Art zur Weißglut treiben kann: Frauen können nicht einparken, Mädchen können keine Reifen flicken und über Finanzielles sollte man mit ihnen am besten gar nicht reden. Die Schwester ihrerseits teilt gerne mit Sprüchen über die ach so wohl versorgten Beamten aus, sie haben das Arbeiten nicht erfunden, im Vergleich zur freien Wirtschaft sind deren Urlaubszeiten und Pensionsansprüche unanständig hoch. Und die veganen Nichten halten dem Onkel einen Spiegel vor, unter Verweis auf den Missbrauch bei Tiertransporten wird ihm und der Tante der Weihnachtsbraten vermiest. Das Geschenk der Schwiegermutter lässt mich eine Bemerkung über ihren nicht vorhandenen Einfallsreichtum nur mühsam unterdrücken: Schon wieder gestrickte Wollsocken – wie im letzten und im vorletzten Jahr…. Sollte ich ihr nicht doch langsam einmal mitteilen, dass mir keine Geschenke lieber sind als diese kratzenden Wollungeheuer? Kann die Schwester nicht endlich aufhören zu sticheln, der Bruder auf seine stereotypen Meinungen verzichten, die Nichten Onkel und Tante in Ruhe lassen? Ganz schwierig wird es, wenn Bruder oder Schwester, Nichten oder Onkel aus den selbst gewählten Rollen nicht mehr heraus kommen können. Ja, manche Menschen schließen sich in ihrer Bubble regelrecht ein. Und auch ich selbst erschrecke gelegentlich darüber, wie schnell ich Meinungen über Verhaltensweisen in Bilder von Personen überführe, die ich anschließend im Guten wie im Schlechten nicht mehr verändern will. Im Allgemeinen genügt es, sich später – im Anschluss an derartige Situationen – mit anderen Personen auszutauschen, die Ähnliches beobachtet haben. Ein Realitäts-Check wirkt Wunder: Manche Verhaltensweisen der lieben Verwandten sind einfach nur unabsichtlich verquast. Aber manchmal können sie einfach nicht anders, ihr Charakter ist eben so und dann wir das Zusammensein auf engem Raum mit ihnen richtig schwierig. Summa summarum: Aus diesen, an Weihnachten verdichteten Erfahrungen geht das Leben, von dem der Verfasser des 1. Johannes spricht, nicht oder nur unter größten Anstrengungen hervor: Wer den Sohn nicht hat – und das meint dann, die Bereitschaft, sich oder zumindest die eigene Wahrnehmung verändern zu lassen –, hat das Leben nicht. Aber gilt dies auch umgekehrt? Wer den Sohn hat, hat das Leben? Was also ist mit dem dieser Gegenrede Vorangehenden?

Wer den Sohn hat, hat das Leben: Es wäre nun sehr einfach, diesen Satz einfach auf die gegenteilige Erfahrung zu beziehen. Auf Menschen, die trotz engem, manchmal beschwerlichem, familialen Zusammenleben, ihr Urteil oder zumindest ihre Wahrnehmung anderer Personen verändern lassen. Gerade, wenn wir versuchen, den Johannesbrief im Lichte des Christfestes zu lesen, sollte es mehr werden als nur der Versuch, die eigene Wirklichkeit neu zu deuten. Arbeiten wir uns noch ein wenig weiter in dem Brief nach vorne, dann stoßen wir auf eine Formulierung, die uns eine Ahnung davon vermittelt, was gemeint sein könnte. Im vierten Kapitel heißt es: Wir haben gesehen und können bezeugen, dass Gott seinen Sohn als Retter der Welt zu uns gesandt hat; und wenn sich jemand zu Jesus als dem Sohn Gottes bekennt, lebt Gott in ihm und er lebt in Gott (1. Joh 4,14–15). Der Verfasser des ersten Johannesbrief lädt dazu ein, sich auf eine Wirklichkeit einzulassen, die die eigene Wahrnehmung durchbricht. Dies ist – gerade, wenn wir Weihnachten auf beengtem Raum in der Familie feiern – nicht immer einfach, aber es ist im Rückblick auf Weihnachten das, was in der Christnacht seinen Anfang nimmt. Wir sind eingeladen, uns selbst von Grund auf, als veränderte Personen wahr- und vor allem anzunehmen. Wenn jemand bekennt, dass in diesem hilflosen Kind Gott selbst in die Welt gekommen ist, lebt Gott in ihm und er lebt in Gott. Was kann das nun aber für das Leben bedeuten? Wer den Sohn hat, hat das Leben. Und wer das Leben hat, kann auch dem beengten Zusammenleben im familialen Raum einen spezifischen Sinn abgewinnen. Nicht so, dass die eigenen Wahrnehmungen nichts mehr gelten sollten – es gibt kein richtiges Leben im falschen –, aber so, dass das Störende gegenüber dem veränderten Leben in den Hintergrund tritt. In diesem Sinne darf dann gelten: Wer den Sohn hat, hat das Leben.

Das ewige Leben: ein Glaubensgeschenk: Und warum ist sich der Verfasser des 1. Johannesbriefs am Ende so sicher, seine Adressaten als solche anzusprechen, die wissen, welchen Weg sie gehen sollen? Nun, gerade dann, wenn wir versuchen, die Weihnachtsbotschaft in die Gegenwart zu überführen, nehmen wir wahr, wie schwierig es ist, das Weihnachtszeugnis hinter all den Erwartungen, die mit dem Christfest verbunden sind, frei zu legen. Gott hat seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt, um uns durch ihn das Ewige Leben zu geben. Ja, aber das wissen wir doch, werden wir ihm vielleicht antworten, aber was bringt es uns gerade jetzt zu wissen, dass Gott uns zusagt, uns in einer noch fernen Zukunft durch seinen Sohn zu retten? Nicht, dass mir nicht auch manchmal danach am liebsten zumute wäre, vor der Wirklichkeit die Augen zu verschließen, um mich an einen anderen Ort zu träumen. Aber das wäre nicht die Antwort, die das Weihnachtszeugnis geben will.

Um uns eine wahrhaftige Antwort auf die Frage nach der Weihnachtsbotschaft zu geben, ruft der Verfasser des ersten Johannesbriefs eine Reihe von Bildern auf: So verweist er uns auf die lichtvoll nachklingende Erinnerung vom Anfang seines Briefes: „Gott ist Licht“ (1. Joh 1,5). Und auch der Beginn des Johannesevangeliums kommt für ihn in Frage: Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit (Joh 1,1). Und schließlich thematisiert der anonyme Verfasser auch die für ihn – nicht zuletzt der Form nach – ganz und gar typische Einsicht, dass Gott die Liebe ist: Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe (1. Joh 4).

Gott ist einer von uns geworden, er hat sich in die Niedrigkeit der menschlichen Wirklichkeit hineinbegeben. Gott ist Mensch geworden, auf dass er nachfühlen kann, was wir als Menschen schon jetzt benötigen. Das Licht nämlich, von dem sein Wort zeugt, erhellt nicht nur die menschliche Wirklichkeit, sondern es beginnt die menschliche Wirklichkeit in ihrer Erbärmlichkeit durch Liebe zu verwandeln: Mit und in dem Wort hat uns Gott den größten Liebesbeweis erbracht. Er ist einer von uns geworden, damit er uns schon jetzt wärmen, trösten und beistehen kann. Dadurch dass wir die Wirklichkeit vom Wort, das an Weihnachten Mensch geworden ist und Licht in die Dunkelheit gebracht hat, zulassen, wird es zunehmend die Nacht und den Tag für uns erhellen: das Zeugnis vom ewigen Leben wird so auch für uns wahr. Hier in dieser Kirche, aber auch draußen in der noch trüben Morgenstimmung. Und so könnten wir die Herrlichkeit des Lichts dessen, den wir an Weihnachten gesehen haben, und den wir bezeugen, mit hinein nehmen in das neue Jahr.


Antje Roggenkamp

Predigt über 1. Joh 5,11–13 am zweiten Sonntag nach dem Christfest in St. Albani, Göttingen