
1. Könige 19,1-8
Lebens-Geschichten: Krisen-Bilanz | 1. Könige 19,1-8 | Michael Schibilsky |
Markuskirche München
Universitätsgottesdienste der Universität München im Wintersemester 2001/2002
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der kommen wird. Unser Herr Jesus Christus. Amen.
Womit wir es in diesem Gottesdienst zu tun bekommen, haben Sie schon kommen sehen:
- Mit einem Propheten, der sich vom gewaltigen und gewalttätigen Kämpfer gewandelt hat zu einem verzagten, depressiven Mann, der in die Wüste flieht und sterben will.
- Mit einem Gottesmann, der sein Amt zurückgeben will.
- Mit einem Gottesboten, einem Engel, der nichts verkündet, sondern das Elementarste anbietet: „Iss‘ mal was!
- Und wir bekommen es zu tun mit einer Gotteserscheinung besonderer Art. Unglaublich.
Doch hören Sie selber – 1. Könige 19, 1-8: Elia am Horeb: Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder.
Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iß! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. 1. Könige 19, 1-8
Gott, segne unser Hören, unser Reden und Verstehen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Was für eine biblische Lebens-Bilanz! Mitten in der Lebensgeschichte dieses großen Propheten: Es ist genug! Ich bin nicht besser, als meine Väter. Was für ein Generationenvertrag: Wir sind nicht besser als unsere Väter. Manche Menschen fühlen sich dadurch anders, jünger, daß sie sich so vehement von ihren Eltern abgrenzen, die immer älter werden. Jeder bleibt so lange ein Kind, wie er noch Kind eines lebenden Menschen ist. Und jedes heranwachsende Kind weiß eines ganz genau: Ich mache alles ganz anders als meine Eltern! Auf jeden Fall anders. Sprich unausgesprochen: besser natürlich!
Denn das, was die Eltern gemacht haben, kennen wir ja, unausgesprochen: Das könnten wir längst! Zu jedem Generationswechsel gehört der Enthusiasmus, es besser machen zu wollen, als die Eltern. Damit ist jedenfalls in unserer Generation seit einigen Tagen Schluß. Endgültig Schluß. Das ist die Krisen-Bilanz derer, die augenblicklich politisch, gedanklich, theologisch Verantwortung tragen.
Besonders trostlos ist die Erfahrung einer Generation, die genau diese Chancen gehabt hat, sie genutzt hat, alles besser, immer besser gemacht hat, jedenfalls in ihren eigenen leicht gehaltenen Augen. Und denen genau dieser Erfolg jetzt zur Lebenstragödie wird. So einer ist Elia!
Er war zum Zukunftsgestalter geradezu prädestiniert. Keiner hatte so viel Mut, so viel Erkenntniskraft, so viel Gotteserkenntnis und Bekenntnismut wie dieser junge Elia. Und der Paradigmenwechsel von der vorzivilisatorischen Vielgötterei zum hochkulturellen Monotheismus war auch eine dogmatisch-philosophische Erkenntnisleistung ersten Ranges.
Elia beläßt es nicht bei seinem intellektuellen Vergnügen. Er provoziert, rivalisiert, destruiert, ruiniert, was altes Denken, unüberlegtes Glauben aus sich hervorzubringen vermocht hatte. Er schleift die Heiligtümer der Meinungs- und Marktmacher, legt die Ikonen der Moderne in Glut und Asche. Er wird der große Sieger: Seine Widersacherin, Isebel, Königin aller Götter, schön wie die legendäre Königen von Saba, schön wie Nofretete oder Claudia Schiffer – und kompetent. Sie hatte verloren und wird ihm das nie verzeihen.
Dein Gott oder meine Götter! Das ist hier die Frage. Viele Spezialistengötter für uns alle oder der eine Gott für jeden von uns! Auf in das große Finale! Mit Häme und Spott treibt Elia die Hohenpriester der Vielgötterei an. Der Gott der Prominenz, der Gott der Biologie, der Gott der Macht – zeigt, was ihr könnt!
So inszeniert Elia eine grandiose Götterdämmerung. Show down – die Götter der Herrscherin sind zahnlose Tiger. Elias Gott aber schmeißt Feuer vom Himmel. Es brennt selbst dort noch, wo eben noch die Tempeldiener vorsorglich einen Wasserteppich ausgebreitet hatte. Die Herrschaft der Geistesgötter ist geschleift, Elias Gott hat gesiegt.
Und dann? Elia liegt nun wenige Tage nach diesem größten Triumph seines Lebens tief deprimiert und kraftlos in der Ecke einer Höhle in der Wüste, in Gottesferne und Verlassenheit – von Gott und allen seinen guten Geistern verlassen. Wie das?
- Immerhin der Elia, der zuvor Tote zum Leben erweckt hatte, das Kind der Witwe in Zarbath,
- immerhin der Elia, der dieser Witwe in ihrer Lebens-Dürre einen nie versiegenden Ölkrug und ein allezeit wunderbar gefülltes Mehlgefäß hinterlassen hatte.
- Immerhin der Elia, der schließlich am Horeb Gott begegnen wird,
- der Elia, der nach jüdischer Tradition nicht sterben, sondern die Himmelfahrt leibhaftig erleben wird – wie der Messias persönlich – genau dieser Elia liegt jetzt schlaflos deprimiert in dieser Höhle.“
Wir sind nicht besser als unsere Väter. „Gott, nimm mein Leben, ich will nicht mehr!“ Auch wenn mein Gott gewonnen hat, verwandelt sich meine Welt nicht in Glückseligkeit. Im Gegenteil. Das ist der Schock des Elias, das ist die Lebenserfahrung gerade der Frommen im Lande: Wehe, wenn unser Glaube gesiegt hat!
„Ich bin ja nicht besser als meine Väter!“ Wenn meine Generation, wenn „wir“ (ich bin 1946 geboren) irgendetwas unter allen Umständen wollte, dann doch das:
- besser sein als die Väter.
- Nicht wie sie schweigen, gar mitmachen beim Nazi-Terror.
- Für Gerechtigkeit, für Menschenrechte, für die Selbstbestimmmung der Völker, gegen Rassismus, Unrecht und Unterdrückung mutig angehen, niemals mit den Wölfen heulen.
Und dann? Was sage ich auf die Frage, warum ich so wenig getan habe dagegen, dass Millionen von Menschen verhungern und auf andere Weise krepieren in einem Wirtschaftssystem, dessen vielfacher Nutznießer ich bin? Ich kann ja nicht einmal behaupten, davon hätte ich nichts gewusst. Ich müsste diese Selbstbezichtigung fortsetzen und viel differenzierter und zugleich genauer formulieren. Müsste ich? Wir wissen doch von den Bomben auf Afganistan, auch wenn uns die verbündete Kriegsmaschinerie die Bilder dieses Krieges vorenthält. Was für eine Lebens-Bilanz, welcher Scherbenhaufen.
Was ich jetzt sage, werden fromme Menschen leichter verstehen, als diejenigen, denen Glaube und Werte nicht sonderlich von Belang sind. Fromme Menschen schämen sich, daß ihnen trotz ihres Gottvertrauens so unglaublich abgründige niederdrückende Gedanken und Gefühle begegnen. Die Kirche ist zwar nicht mehr voll von Menschen, aber immer noch voll von Menschen, die genau diese Erfahrung kennen – und sich dessen schämen. Nur verkriechen wir uns nicht in die Wüstenhöhle des fernen Israels – dem Ort, in dem zu Elias Zeiten Menschen die Nähe Gottes suchten und seine Ferne erlitten, sondern in eines unserer Gotteshäuser. Die gleiche Topographie des Glücks und des Grauens: Der Ort der Gottesnähe und zugleich der Ort größter Gottesferne. „Mein Gott, nimm mein Leben! Ich will nicht mehr!
Du hattest uns alle Chancen unseres Lebens frei gegeben. Und du hast uns unseren Lebens- und Glaubenskampf mit jedem nur denkbaren Erfolg gekrönt – und jetzt sind wir am Ende!
So jedenfalls steht es jetzt um Elia. Und er legt sich schlafen – und hofft, nie wieder aufzuwachen. Wenn er die Wahl hätte und die Möglichkeiten – er hätte seinem Leben aktiv ein Ende gesetzt. Hat er aber nicht! Und so legt er sich also einfach schlafen.
Gott begleitet ihn an dieser Schwelle seines Lebens, läßt ihn einschlafen. Allerdings nicht für die Ewigkeit, sondern für die Gegenwart.
So ist das mit unserem Gott. Er erweckt uns nicht erst für das Jenseits, sondern für das Diesseits.
„Steh auf, komm, iß mal was!“ Keine Psychotherapie, keine beratende Seelsorge, sondern liebevoll pflegende Leibsorge, etwas zu brechen und zu beißen: „Komm, iß mal was!“ Etwas für den Leib und deshalb auch etwas für die Seele. Lebens-Bilanz – Krisen-Bilanz mitten im Schlaf.
Wie gut ich als Mann diesen Elia verstehe! Wenn ich schon nicht alles kann, will ich wenigstens an allem Schuld sein. Drunter tun wir’s nicht. Und wenn ich nicht so lebe, wie ich meine leben zu sollen, dann will ich lieber gar nicht leben. Allmacht oder Ohnmacht – bloß keine Zwischentöne, kein „Hinken auf beiden Seiten“.
Und Elia ißt – und legt sich erneut schlafen. Dann geht Elia einen weiten Weg. Am Ende dieses Weges begegnet er selber seinem Gott.
- Adonaj ist nicht im Sturm – und doch ist es der Gott, der im Sturm erscheinen kann.
- Adonaj erscheint nicht in Erdbeben und Feuer – und doch ist es der Gott, der selbst in Erdbeben und Feuer erscheinen kann.
- Dem verzagten Elia erscheint Gott so, wie der ihn in dieser Lage einzig wahr nehmen kann: als qol demama daqqa, als „Stimme eines dünnen Wehens“ (Luther: „ein still sanftes Sausen“).
Hier endet der Predigttext, die Geschichte jedoch geht weiter. Lebenserfahrungen nach einer schonungslosen Krisenbilanz. Wer nicht alles kann, kann noch lange nicht nichts.
Manchmal brauchen wir eine „Auszeit“ wie heute morgen, Krisenzeit, Lebensunterbrechung. Die Arbeit an der Gerechtigkeit bleibt – auch für müde Propheten. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Prof. Dr. Michael Schibilsky