1. Könige 8,22-24.26-28

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„Die Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen!“ | Christi Himmelfahrt | 29.5.2025 | 1. Könige 8,22-24.26-28 | verfasst von Dr. Rainer Stahl, Erlangen |

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,

die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

sei mit Euch allen!“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Liebe Schwestern und Brüder!

An den Anfang stelle ich eine eigene Übersetzung unseres heutigen Predigttextes:

  1. 22a „Und es trat Salomo vor den Altar Jahwes im Angesicht der ganzen Gemeinde Israels
  2. 22b und breitete seine Hände zum Himmel aus
  3. 23aα und sprach: »Jahwe, Gott Israels, nicht wie dich gibt es einen Gott
  4. 23aβ im Himmel oben
  5. 23aγ und auf Erden unten,
  6. 23bα der bewahrt den Bund und die Gnade
  7. 23bβ deinen Knechten, die vor dir mit ganzem Herzen gehen,
  8. 24aα der du bewahrt hast deinem Knecht David, meinem Vater,
  9. 24aβ wie du ihm gesagt hast.[i]
  10. 24b Was du gesagt hast mit deinem Mund und mit deiner Hand erfüllt hast – wie es

                   an diesem Tag [offensichtlich] ist.

[…]

  1. 26a Jetzt aber, Jahwe[ii], Gott Israels,
  2. 26bα lass doch wahr werden dein Wort / deine Worte
  3. 26bβ das / die du geredet hast
  4. 26bγ zu deinem Knecht David, meinem Vater.
  5. 27aα Denn sollte wirklich
  6. 27aβ Gott [mit Menschen[iii]] auf der Erde wohnen?
  7. 27bα Siehe, die Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen.
  8. 27bβ Umso mehr dieses Haus, das ich gebaut habe.
  9. 28a So wende dich dem Gebet deines Knechtes uns seinem Flehen zu,

                   Jahwe, mein Gott,

  1. 28bα indem du hörst auf das Rufen und Beten[iv],
  2. 28bβ das dein Knecht heute vor dir betet.«“[v]

2018 hatte ich mir die Übersicht über die biblischen Predigttexte der Predigtjahrgänge I – VI ausgedruckt. Ab dem 1. Advent wurde damals mit dem Jahrgang I begonnen. Im Kirchenjahr 2024/2025 sind wir ja wieder in Jahrgang I. Der Predigttext für das Fest der Himmelfahrt Christi ist in diesem ersten Jahrgang 1. Könige 8,22-24.26-28. Zum Beispiel zeigt mein Pfarrer- und Pfarrerinnenkalender von 1999, dass damals zu Himmelfahrt Christi (13. Mai) auch schon 1. Könige 8,22-24.26-28 zu den Predigttexten, nämlich dem des Jahrgangs I, gehörte. Jetzt habe ich von einem Amtsbruder gelernt, dass es 1978 eine Revision der Predigttexte gab und wohl damals 1. Könige 8,22ff als Predigttext für Himmelfahrt Christi festgelegt worden war. Diese Zusammenhänge weiß ich nicht. Hinzu kommt: Je länger ich zu einer Predigt zu Himmelfahrt Christi über diesen Text meditiere, desto mehr drängt sich mir folgende Frage auf: Was hat dieser biblische Text mit der Himmelfahrt Christi zu tun? Was haben sich die Verantwortlichen für die Predigtjahrgänge gedacht, diesen Text für den Jahrgang I zu Himmelfahrt Christi vorzusehen?

Erstmals wirklich gearbeitet hatte ich zu diesem Bibeltext im Rahmen meiner Habilitationsschrift, in der DDR hieß das damals: „Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wissenschaften“, dessen Verfahren im April 1982 abgeschlossen werden konnte. Meine damals selbstgewählte Aufgabe war die Erhebung von „Aspekten der Geschichte der deuteronomistischen Theologie“. Bei meiner Arbeit war mir bewusst geworden, dass der heute vorliegende Text von 1. Könige 8 in einer jahrzehntelangen theologischen Arbeit im Exil in Babylonien komponiert worden war: unsere Verse als Ergebnis einer ersten gesetzlichen Redaktion – zu ihr gehören die Verse 22-24.26.28 – und einer vierten theologischen Redaktion – zu ihr gehört der Vers 27 –.[vi] Jeweils einen zentralen Satz beider Stimmen lasse ich jetzt aufklingen:

„[…] »Jahwe, Gott Israels, nicht wie dich gibt es einen Gott

im Himmel oben

und auf Erden unten […]«“ (Vers 23a).

„»Denn sollte wirklich

Gott auf der Erde wohnen?

Siehe, die Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen«“ (Vers 27a-bα).

Eine Erklärung sei mir noch erlaubt: Mit dem Begriff „deuteronomistische Theologie“ wird eine über viele Jahre tätig gewesene theologische Schule bezeichnet, die hauptsächlich in der Gemeinschaft der im Exil in Babylonien lebenden judäischen Theologen verwirklicht wurde und ihre Maßstäbe von den Bestimmungen des 5. Buches Mose, des Deuteronomiums – wie es in griechischer und lateinischer Sprache heißt – abgeleitet hatte.[vii]

Da erst wird mir bewusst, welchen Sinn der Rückgriff auf diese Worte in 1. Könige 8 hat: Die Himmelfahrt Christi hat nämlich gar nichts mit einem Kosmos-Flug zu tun. Sondern diese Himmelfahrt Christi ist das Bild für seinen Wechsel von einer irdischen Existenz, wie sie für uns alle gilt, hin in die alle irdische Seins-Formen, alle irdische Wirklichkeiten umfassende und durchwaltende Seins-Form – hin in die sie durchwaltende Wirklichkeit Gottes. Der Begriff „Himmelfahrt Christi“ ist eine menschliche Ausdrucksweise, um auszudrücken, was wir eigentlich nicht ausdrücken können, wofür uns jede Erfahrung fehlt. Er ist ein Begriff, der uns stotternd befähigt anzudeuten, was wir sagen wollen, was wir zu sagen versuchen.

Als Gegenpol muss ich ein besonderes Erlebnis erinnern: Im Oktober 1963 machte der erste Kosmonaut der Welt, Jurij Gagarin, einen Besuch in der DDR und kam am 18. Oktober auch nach Südthüringen, fuhr durch meine Heimatstadt Meiningen hindurch. Meine Schulklasse musste sich oben an der Rohrer Straße aufstellen. An uns war dann die Autokolonne vorbeigefahren. Ich sehe immer noch den offenen Wagen vor mir, in dem Jurij Gagarin schon stand und uns als Schülerinnen und Schüler beim Vorbeifahren grüßte! Jurij Gagarin war am 12. April 1961 mit einer Rakete und einem Raumflieger, mit „Wostok 1“, zu Deutsch: „Osten 1“, zu einer kosmischen Erdumlaufbahn aufgestiegen und einmal um die Erde herumgeflogen.

Diesen erfolgreichen Kosmosflug nutzten damals sowjetische Propagandisten und solche in der DDR, um ironisch darzustellen, dass Jurij Gagarin Gott gar nicht entdeckt habe – so als würden wir Christen glauben, dass Gott – dass Christus – irgendwo in dem Himmel über uns zu entdecken wäre. Das habe ich nie geglaubt.

Aber noch einen weiteren Kosmosflug, den ich bei einer Andacht am 29. Mai 2019 in der Gemeinde in Brašov / Brassó / Kronstadt in Rumänien in Erinnerung gerufen hatte, muss ich auch hier benennen: Es gab ein Plakat in der Sowjetunion, das einen Popen zeigte, der auf der Erde saß und ein Telefon mit einer langen Leitung bis hinauf zu einer Wolke hatte, auf der Gott saß. Aber der Sputnik von 1957 hatte diese Telefonleitung gekappt. Der Pope hatte keine Verbindung mehr zu Gott. Solch einen Gott habe ich nie geglaubt.

Die judäischen Theologen des 6. bis 4. Jahrhunderts vor Christus hatten eine Sprachform zur Verfügung, die sie hier bewusst einsetzten: „Die Himmel und die Himmel der Himmel“. Um sich die originale Lautmalung einmal bewusst zu machen, gebe ich die Begriffe in Umschrift: «Haschschamajim uschemē Haschschamajim». Damit wurde versucht, entsprechend dem damaligen Wissensstand zum Kosmos sich als Menschen zu verorten: auf einer Erde, die als Mittelpunkt der Welt, als Scheibe in den Fluten des Meeres gedeutet wurde, über der mehrere „käseglockengleiche“ Himmelsfirmamente vorgestellt wurden, auf denen die Sonne, der Mond und alle Sterne ihre Bahnen ziehen würden.

Im Zusammenhang unseres modernen Wissens über den Kosmos ist ein solches Bild unmöglich: Einen «Schemē Haschschamajim», einen „Himmel der Himmel“ gibt es gar nicht: Die Planeten und ihre Monde, die zu unserer Sonne – also: zu unserem Stern – gehören, werden durch die Anziehungskraft der immensen Masse unserer Sonne auf ihren Bahnen zusammengehalten. Dabei werden die Monde durch die Masse des je eigenen Planeten auf ihren Bahnen um diesen Planeten gehalten: Also: Unser Mond ist festgehalten durch die Masse unserer Erde zu seinem Flug um sie herum. Diese Einheit von Erde und ihrem Mond ist dann gehalten durch die Masse der Sonne – unseres Sterns – zum Flug um sie herum. Dabei beeindruckt mich immer wieder von Neuem, wenn ich die Sonne sehe, wie sie jetzt, da ich an dieser Predigt arbeite, durch das Fenster auf mich scheint (!), dass ich mir bewusst machen muss, dass sie – also: unser Stern – in Wahrheit ein Drittel größer ist als die Umlaufbahn des Mondes um unsere Erde! Zusätzlich gilt: Das gesamte Sonnensystem unserer Sonne – also: unseres Sterns – fliegt auf einer durch Anziehungskräfte geprägten Tour innerhalb unserer Galaxis – innerhalb unserer Milchstraße – von Tausenden von Sonnen – von Tausenden von Sternen – um den Mittelpunkt unserer Galaxis – unserer Milchstraße – herum. Und diese Galaxis – unser Milchstraßensystem – bewegt sich im „Tanz“ mit vielen anderen Galaxien – mit vielen anderen Milchstraßensystemen – durch den Kosmos, durch die Schöpfung…

Wohin sollte da Christus „in den Himmel“, „in den Himmel der Himmel“ gefahren sein? Natürlich gar nicht durch die von uns feststellbaren Distanzen! Sondern: Christus ist gewechselt in die Wirklichkeit Gottes, eine Wirklichkeit, die durch unsere erfahrbare Wirklichkeit hindurch und sie weit übersteigend auch jenseits von ihr »ist«! So, wie die judäischen Theologen des 6. bis 4. Jahrhunderts vor Christus erkannt hatten:

„[…] »Denn sollte wirklich Gott auf der Erde wohnen?

Siehe, die Himmel und die Himmel der Himmel können dich nicht fassen«“ (Vers 27a.bα).

„Himmel“ heißt also: eine andere Dimension, die quer zu unseren Dimensionen besteht. Eine Dimension, die uns ganz nah ist. Manche Theologen sagen: Die uns näher ist als wir selbst es uns sind. Da ist Christus. Da ist Gott. Ihn erreichen unsere Gebete mit Gewissheit.

In diese Wirklichkeit ist Christus bei seiner Himmelfahrt gewechselt.[viii] Deshalb können wir glauben, dass er wirklich ganz nah bei uns ist. Dass er dort sein wird, wohin ich kommen kann – egal wohin.

An dieser Stelle wage ich, die schwierigste „Reise“ anzusprechen, die jede und jeder vor sich haben wird, eine „Reise“, die ich nur persönlich ansprechen kann: Wenn es an mein Sterben gehen wird, wird mich auch Christus halten und empfangen. Das ist mein Glaube!

Amen.

„Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“

Liedvorschläge:

EG 123: „Jesus Christus herrscht als König…“ Strophen 1, 8 und 9.

EG 331: „Großer Gott, wir loben dich…“ Strophen 1, 6 und 7.

Anmerkungen:

[i]   Diese Passage fehlt in der Septuaginta.

[ii]   Mit hebräischen Handschriften und mit Übersetzungen kann „Jahwe“ eingefügt werden.

[iii]  So zusätzlich in der Septuaginta.

[iv]  „und Beten“ fehlt in der Septuaginta. Die Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart 22010, S. 398, bietet: „Und du mögest auf meine Bitte achten, Herr, Gott Israels […].“

[v]  Die Verse sind entsprechend von Atnach und Klein-Zakef, aufgteilt. Zurate gezogen wurden die Lutherbibel, revidiert 2017, und die Septuaginta Deutsch. Ich verweise auch auf Hans Werner Hoffmann: Alttestamentliche Texte der Predigtreihe I philologisch erschlossen, München 2024, S. 42-43.

[vi]  Meine damalige Arbeit hatte den Titel: Aspekte der Geschichte deuteronomistischer Theologie. Zur Traditionsgeschichte der Terminologie und zur Redaktionsgeschichte der Redekompositionen, Jena 1982, zu 1. Kön 8,14-61 vgl. dort: S. 65-106 und S. 179. Vers 25 gehörte zu der ersten gesetzlichen Redaktion (vgl. dort auch S. 179). Warum wird dieser Vers jetzt ausgespart?

[vii] Als moderne Publikationen nenne ich: Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten, hrg. von Markus Witte, Konrad Schmid, Doris Prechel und Jan Christian Gertz unter Mitarbeit von Johannes F. Diehl, Beiheft zur Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (BZAW), Band 365, Berlin, New York 2006.

Vgl. auch Marcek Friesen: Die Tempelweiherzählung. Ein Modell ihrer Genese ausgehend von 1 Kön 8,1–9,9, 3 Kgtm 8.1–9,9 und 2 Chr 5–7, Beiheft zur Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (BZAW), Band 554, Berlin, New York 2024. Dazu verweise ich auf die Rezension dieses Buches durch Michael Pietsch, Theologische Literaturzeitung (ThLZ), Band 150, 2025, Sp. 165-168. Für die Verse des Predigttextes ist festzuhalten: Die Bearbeitungsstufen sind aus der Zeit des Zweiten Tempels, also ab 520 v.Chr. (Zeit von Dareios I.) oder ab 430 v.Chr. (Zeit von Dareios II.). Zur ältesten Bearbeitungsstufe gehört das Bittgebet in den VV. 23.27-30.37-40.52-53. In der letzten Bearbeitungsstufe wurde auf der Grundlage des Davidbildes der Chronik eingefügt: VV. 15-21.24-26.

[viii] Allerdings muss ich mein Verständnis der „Himmelfahrt Christi“ angesichts der diesbezüglichen Aussagen im Neuen Testament bewähren: Mk 16,19b; Lk 24,51b; Apg 1,9-10a. Auch diese Aussagen verstehe ich nicht als journalistische Dokumentationen eines neutral zu verfolgenden naturwissenschaftlich nachvollziehbaren Ereignisses, sondern ich verstehe sie als Bildreden, mit deren Hilfe der Wechsel Christi in die Wirklichkeit Gottes zum Ausdruck gebracht wird. Deshalb beteten die Jünger auch Christus an (Lk 24,52a).