1.Mose 28,10-19a

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Gott ist immer schon voraus | 14. So. n. Trinitatis | 21.09.2025 | 1. Mose 28, 10-19a | Michael Plathow |

Lied: Mir ist Erbarmung widerfahren … EG 355, 1, 3 4

1. Liebe Gemeinde, aus der alttestamentlichen Vätergeschichte von „Jakobs Traum von der Himmelsleiter“ sprechen zwei Sätze besonders zu mir: Gottes Verheißung im nächtlichen Traum „Ich bin mit dir“ und Jakobs Sinnieren am Morgen „Ich wusste es nicht“.
Jakob ist ein Schuft, Betrüger mit List und Tücke, schuldig an seinem Bruder und gegen Gottes Gebot. Die Beziehung zum Bruder und auch zu Gott ist zerrissen, kaputt. Die Schuld treibt ihn zur Flucht vor Esaus Rache. Eskalation von Schuld und Rache führt in Zerstörung und Tod, wie die Geschichte von Familien und Völkern zeigt.
Allein, umgetrieben von der Last der verwerflichen Tat, erschöpft, legt Jakob sich nieder, um im Schlaf Kraft für den weiteren Weg zu finden. Er träumt. Ein Traum kann Unbewusstes bewusst machen.
Jakob erlebt nun gerade keinen angstbesetzten Albtraum mit schuldbeladenen Traumata. Ganz anders. Er träumt eine Vision und eine Audition. Im Traum schaut er eine Himmelsleiter, wie eine Aufschüttung zwischen Erde und Himmel. Keine „Scala sancta“ ist es, die auf Knien erklommen wird. Er sieht, im Licht des offenen Himmels die Boten Gottes ab- und aufsteigen. Und dann spricht Gott: „Ich bin der Herr“. Und es folgt keine Abrechnung, kein Gerichtswort. Vielmehr: Gott wendet sich ihm zu, vertrauensvoll, und spricht wie zu Abraham das Verheißungs- und Segenswort. Jakob hat mit diesem Traum ein religiöses Erlebnis. Als Traumerlebnis bleibt es noch unklar, uneindeutig.

2. Für Jakob bleibt dieser Traum unklar. Als er erwacht, spürt er wohl etwas von dem Nicht-Alltäglichen der Vision und Audition. Das Außerordentliche des Erlebnisses bereitet ihm Furcht, und er gesteht: „Ich wusste es nicht“. Im Gefühl bleibt alles verschwommen und nicht eindeutig, wie es häufig bei religiösem Erleben der Fall ist. „Wissen“ – wie es in der Übersetzung heißt – meint hier aber mehr als verstandesmäßiges Erklären. Das Wort im Hebräischen bringt zum Ausdruck: erkennendes Verstehen, vertraut werden miteinander, liebende Zuwendung, widerfahrenes Vertrauen und erfahrenen Glauben. Da ist Gott immer schon voraus – was unser Leben vor Gott betrifft und unser Leben im Alltag mit Gott. Es geht um die passiv-aktiv gelebte Existenz der Glaubenden in der Welt: das Erkennen, weil schon von Gott erkannt, und nicht unerkannt bleibt; das Vertrauen, weil von Gott zugetraut, das nicht Misstrauen wird; die Liebe, weil immer schon von Gott geliebt, die nicht zu liebloser Selbstsucht pervertiert.

Gott ist immer schon voraus. Und da öffnet sich eine Wirklichkeit, die nicht unwirklich bleibt, ein Vertraut-sein mit Gott, das nicht unklar und uneindeutig bleibt, der Glaube an Gott bei unserer Gottesfinsternis und unserer Gottvergessenheit, Glaube, der nicht ungewiss bleibt. Gottes Wort „Ich bin der Herr“ und seine Verheißung – für Jakob nur ein Traum – trifft auf das hörende Herz und beruft zum Glauben. Glauben – das Grund legende, Leben bestimmende Vertrauen auf den, der uns vorausgehend gut ist. Ja, Gott ist immer schon voraus. Gott hat das erste Wort. Seine Verheißung gilt allen, so eben auch uns. Und doch sagen wir oft wie Jakob „Ich wusste es nicht“. Ich lasse sein Wort nicht an mich heran. Ich glaube nicht, skeptisch und unsicher, wie ich bin.

3. Gottes im Traum verheißendes Wort nimmt Jakob hinein in die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk, ihn, den Betrüger, den Schuldigen – dennoch. Gott entschuldigt Jakobs verwerfliche Tat nicht; er duldet sie nicht. Gott ermöglicht mit der Vergebung des Schuldners ein Leben mit der Schuld, ohne dass Jakob auf die Schuld festgelegt und reduziert wird. Es geht um Gottes Vorsehen selbst bei menschlicher Konfusion, „providentia Dei et confusione hominum“. Gott geht auch auf krummen Straßen seinen Weg, auch „mit unseren Fehlern und Irrtümern…fertig zu werden“ vermag er.

Gott schenkt Erbarmen, hebt Jakob heraus aus seinem Morast, bedeckt, was uns schuldig macht, gibt neues Leben in seinem Geleit.

Das religiöse Traumerlebnis bleibt für Jakob unklar; es bleibt aber ein Meilenstein auf dem Weg. Darum macht er eine Ankündigung. Ich lese sie mehr als einen Wunsch denn als eine Verpflichtung: Gott möge ihn schützend geleiten, mit ihm sein; so wird Gott den heilsgeschichtlichen Weg seines Volkes mit Jakob weiter leiten und begleiten. Und dann „soll der Herr mein Gott sein“, verspricht Jakob, mir persönlich, wie das Hebräische besonders betont. Nicht ein allgemein Göttliches als „alles bestimmende Wirklichkeit“, nicht ein Unverfügbares, ein Heiliges ist angesprochen. Vielmehr wird bekannt: „mein“ sich im Wort vertraut machender, persönlich erfahrener Gott, „dessen ich mich versehen in allem Gutem und bei dem ich Zuflucht habe in allem Schweren“. Und das Versprechen hat Folgen.

Dazu erinnere ich mich an eine Begegnung. Ich wunderte mich, nahm den Mann zugleich mit Dank wahr: bei meinen Vertretungsgottesdiensten im Seniorenheim kam der noch nicht 70jährige eine gute halbe Stunde vorher von außerhalb. Ein kräftiger Mann war er mit sehnigen Händen. Er legte die drei Farbbänder in die Seiten der angezeigten Gesangbuchlieder. So fanden die z. T. sehr alten Heimbewohner schneller die im Gottesdienst gesungenen Lieder. Einmal fragte ich ihn. Er erzählte kurz, in knappen Worten: Es war etwa ein Jahr, bevor er in Rente gehen sollte. Auf dem Bau erlitt er einen schweren Unfall. Er tat ein Versprechen: „Wenn er sich wieder erholen sollte, wolle er etwas Nützliches und Gutes für Andere tun“. Durch einen Nachbarn, dessen Mutter hier im Seniorenheim gut versorgt wurde, kam er auf diese Hilfe beim Gottesdienst. Ein wichtiger Dienst, den er treu über eine lange Zeit in Stille tat.

4. Gott in seiner Geduld begegnet Jakob noch ein zweites Mal – dort am Fluß Jabbok, als Jakob weiter in Angst vor der Rache Esaus auf der Flucht ist. In der Nacht begegnet Gott ihm; wieder erkennt Jakob ihn zunächst nicht. Es kommt zur nächtlichen Auseinandersetzung, ein kraftvolles Ringen, ein Ringen um den Segen. Es ist ein Kampf mit Gott, der Jakob existentiell angeht und zu dem er sich persönlich bekennen wird als „mein Gott“. Auch in diesem Streit spricht Gott; er sagt das Verheißungswort zu Jakob: „Du sollst hinfort ‚Israel‘, Gottesstreiter, heißen (Gen 32, 29). Und Jakob vertraut dem Wort; es kommt zur geheilten Beziehung mit Gott und zur Versöhnung mit seinem Bruder Esau. Der Prophet Jesaja ist es später, der dem Volk im Babylonischen Exil die Verheißung von Gottes Heilsgeschichte bestätigt mit der Gottesrede „So spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein“ (Jes 43, 1). „Ich habe dich erlöst…Du bist mein“, „Jakob habe ich lieb“ (Mal 1, 2f; Röm 9, 13).

Jakob errichtete nach der Traumvision mit Gottes Verheißung: „Ich bin der Herr“ – alles damals war noch unklar – einen Stein an diesem Ort „Bethel“, Haus des Brotes. Und jetzt nach Gottes Zusage: „Jakob, du sollst hinfort ‚Israel‘, Gottesstreiter, heißen“ ist alles eindeutig: das unklare „ich wusste es nicht“, der Ort „Bethel“, Gottes Heilsgeschichte – trotz Schuld und allen Unzulässigkeiten. Jetzt gilt allein Gottes Erbarmen. Auch Gottes Vertrauen zu Jakob und Jakobs Vertrauen zu Gott wird klar.

Gott ist immer schon voraus. Gott hat das erste Wort: „Ich bin der Herr, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Hirte Israels, Immanuel, Gott ist da, bei uns“. Er ist „mein Gott“. Und das wird im Leben sichtbar.

5. Für uns, liebe Gemeinde, offenbart sich „Immanuel“ in Jesus Christus. Er ist da in „Bethel“; er ist da, der Eckstein von uns lebendigen Steinen. In ihm wird offenkundig die Verheißung Gottes, „meines“ Gottes: seine rechtfertigende Gnade zum neuen Leben aus dem Glauben, der sichtbar wird in der Liebe. So leben wir als Volk Gottes aus dem verheißenen Heil in Jesus Christus, verbunden mit der Heilsgeschichte Jakobs und „Israels“. Darum: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dir alle deine Sünden vergibt und heilt alle deine Gebrechen, der dein Leben von Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“ (Ps 103).

Lied: Lobe den Herrn, meine Seele … NL 68, 1 – 4


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