1. Mose 28,10-22

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14. Sonntag nach Trinitatis | 21.09.2025 | 1. Mose 28,10-22 | Andreas Schwarz |

Lutherkirche Pforzheim

10     Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach   Haran 

11     und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu    seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 

12     Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit      der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf      und nieder. 

13     Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott          deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will     ich dir und deinen Nachkommen geben. 

14     Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst   ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und      durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden     gesegnet werden. 

15     Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will          dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen,         bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. 

16     Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der        HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 

17     Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 

18     Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu          seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und     goss Öl oben darauf 

19     und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus. 

20     Und Jakob tat ein Gelübde und sprach: Wird Gott mit mir sein und mich   behüten auf dem Wege, den ich reise, und mir Brot zu essen geben und          Kleider anzuziehen 

21     und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der    HERR mein Gott sein. 

22     Und dieser Stein, den ich aufgerichtet habe zu einem Steinmal, soll ein     Gotteshaus werden; und von allem, was du mir gibst, will ich dir den         Zehnten geben. 

Im Frühjahr 2021, noch mitten in den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, kam es in Wien am Stephansdom zu einer bemerkenswerten Installation. Die Künstlerin brachte eine Leiter an den Turm an, die bis an die Spitze reichte und die in jeder Nacht während der Darstellung leuchtete. Nach all den negativen Schlagzeiten während der Pandemie auch im Blick auf das Verhalten der Kirche sollte wieder eine Hoffnungsgeschichte erzählt werden.

Eine Leiter, die in den Himmel führt. Ihren Anfang nahm sie im Kirchraum, genauer: im Taufstein.

Ein starkes Symbol dafür, dass es klein und unscheinbar ganz unten beginnt und dann Schritt für Schritt nach oben zu Gott führt.

Eine Sehnsucht, besonders in unangenehmen Zeiten, in denen das Leben aus den gewohnten Bahnen herausgeführt wird, in denen die Orientierung abhanden kommt, wie es denn weitergehen soll, in denen völlig unklar ist, ob es noch eine Zukunft und eine Aussicht darauf gibt.

Im Grunde genommen ist es egal, ob es ein schicksalhaftes Ereignis wie eine Pandemie ist oder eine Lage, die ein Mensch durch eigenes Fehlverhalten selbst herbeigeführt hat.

Die Hoffnung ist immer das Leben, aber die Lage lässt das manchmal nicht wirklich zu, es ist eingeschränkt oder bedroht.

Menschen wünschen es anders – gut und frei, im Frieden mit sich und ihren Mitmenschen – und mit einer schönen Perspektive.

Das alles hätte Jakob auch gerne gehabt, aber er hat es selbst verspielt. Er hat seinen Bruder um das Erstgeburtsrecht betrogen, seinen alten blinden Vater hinters Licht geführt und sich den Segen erschlichen.

Jetzt ist er auf der Flucht vor der Rache seines Bruders und hat Angst um sein Leben. Ruhe und Frieden kennt er nicht mehr, unruhig ist er und getrieben.

Selbst schuld; das hat er jetzt davon, sowas kommt von sowas.

Was ihm auf seinem Fluchtweg dann geschieht, hat er nicht erwarten können. Das ist auch grundsätzlich nicht zu erwarten. Es ist eher wie ein Traum, ein Wunschtraum. Dabei ist es die unverdiente Erfüllung der Sehnsucht, die er in sich trägt.

Ihm, der seinen Bruder und seinen Vater betrogen hat, begegnet Gott. Und zwar nicht, indem er ihn zur Rechenschaft zieht und eine Strafe androht. Er wendet sich dem Schuldigen, dem Flüchtigen und Ängstlichen zu.

Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.

Das klingt richtig gut und schenkt tatsächlich einen Blick nach vorn. Es gibt Leben in der Zukunft, wo auch immer.

Aber es ist nicht einfach alles gut mit dieser Gottesbegegnung. Jakob fürchtet sich. Verständlicherweise, er hat sich falsch verhalten. Vor seinem Bruder und seinem Vater kann er vielleicht weglaufen. Aber nicht vor Gott. Der stellt sich ihm sozusagen in den Weg. In einer nächtlichen Begegnung, die Jakob als Traum wahrnimmt. Es ist ja auch nicht aus dieser Welt: eine Leiter, die vom Erdboden bis in den Himmel reicht. Das ist eine nette Idee, aber hat mit der Realität wenig zu tun.

Die Menschen hatten etwas Ähnliches früher schon mal versucht mit dem Turm in Babel, der bis zum Himmel reichen sollte. Wir sind gut, wir sind wichtig, wir können aus eigener Kraft zu Gott in den Himmel steigen. Das hat Gott scheitern lassen. Ein für alle Mal. Endgültig.  Die Botschaft war damals und ist heute klar: der Mensch kann keine Möglichkeit schaffen, zu Gott zu kommen, einen Weg in den Himmel zu bauen.

Nicht praktisch mit dem Bau eines Turms oder einer Himmelsleiter; und auch nicht geistlich mit besonders perfektem frommem Verhalten.

Die Lichtinstallation vor vier Jahren am Stephansdom in Wien war aber tatsächlich so gemeint. Die einzelnen Stufen der Himmelsleiter sind von der Künstlerin als Tugenden gedacht, als gute Eigenschaften, als gute Taten, auf denen der Mensch Stufe für Stufe nach oben steigen und schließlich in den Himmel gelangen kann.

Dabei war die Idee gut, diese Leiter am Taufstein beginnen zu lassen. Ganz unten, außerhalb menschlicher Taten, wo Gott sich dem Menschen zuwendet und ihm seine Nähe, seine Güte bedingungslos schenkt.

Aber dann endet die Kraft des Bildes. Der Mensch steigt nicht nach oben, er kann es nicht, er schafft es nicht, er scheitert immer wieder und fällt runter.

Was Jakob im Traum sehen kann, ist auch nicht sein ständiger erfolgreicher Aufstieg zu Gott, sondern er sieht, dass Gottes Boten auf dieser Himmelsleiter hoch und heruntersteigen. Sie sind der Kontakt zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und ihm. Dieser Kontakt wird ihm geschenkt, den tut und geht er nicht.

Darum ist seine Reaktion auch nicht Erschöpfung, weil er sich so anstrengen muss, die Leiter hochzuklettern, sondern er fürchtet sich vor dem, der aus dem Himmel Kontakt zu ihm aufnimmt.

Das hat er nicht verdient.

Das hat er verspielt.

Und er weiß das auch ganz genau.

Er erschrickt vor der großen Distanz zwischen Gott und ihm. Der ist heilig und ich bin es überhaupt nicht.

Mein Leben ist es nicht wert, dass Gott mir so freundlich begegnet und mir seine Nähe und seinen Schutz für alles zusagt, was ich noch erleben darf. Darum ist dieser Ort auch völlig außergewöhnlich, irgendwie nicht von dieser Welt. Hier ist geschehen, was es sonst so auf dieser Erde nicht gibt. Darum soll der Ort ausgesondert werden, besonders bezeichnet: Beth-El = Haus Gottes.

So ist es ja wirklich. An diesem Ort wird anders geredet als in der Welt. Da gilt das Recht des Stärkeren, da soll es so sein, dass jede und jeder bekommt, was sie / er verdient.

Hier wird die frohe Botschaft verkündigt, dass Sünden vergeben, Gescheiterte aufgerichtet werden. Hier gilt Gottes Barmherzigkeit und Liebe, damit nicht jeder bekommt, was er verdient, sondern was sie zum Leben braucht.

Darum sind Kirchen heilige Orte. Hier wohnt Gott, weil seine Botschaft verkündigt wird.

An sich könnte Jakob mit dieser Erfahrung erleichtert sein und vor allem zufrieden. Alles wieder gut – Gott hat mir vergeben und seinen Segen noch einmal wieder bestätigt. Ich habe es doch nicht verspielt.

Das stimmt alles – aber es ist nur die halbe Wahrheit.

Und das weiß Jakob ganz genau.

Er kann nämlich nicht nur vor Gott nicht weglaufen, er kann es auch nicht vor seinem Vater und seinem Bruder. Vielleicht kann er Kilometer an Abstand zu ihnen bringen, aber er wird sie nicht los. Er wird ihre Schuld an ihnen nicht los. Sie verfolgen ihn – sein Bruder ganz praktisch mit Hunderten von Männern, um ihn zu erwischen und umzubringen – aber auch in seinem Gewissen. Sein Fehlverhalten steht zwischen ihnen.

Auch wenn Gott ihm vergibt und ihn segnet, damit sein Leben zu Ruhe und Frieden kommen kann, muss er sich mit seinem Vater und seinem Bruder aussprechen und versöhnen. Die göttliche Vergebung ersetzt das nicht. Sie ist die gute Voraussetzung; sie schenkt eine wundervolle befreiende Erfahrung und hoffentlich die Kraft, den Weg zu seinen Mitmenschen zu gehen.

Die Reaktion Jakobs auf Gottes große Segenszusage wirkt darum auch eher zurückhaltend, jedenfalls nicht wirklich begeistert. Er hängt seine Freude und Dankbarkeit an die künftige Erfahrung, ob er wirklich auf seinen Wegen behütet wird und immer genügend Nahrung und Kleidung hat. Vor allem aber ist es für ihn unverzichtbar wichtig, dass Gott ihn mit Frieden wieder heimbringen wird zu seinem Vater.

Dann, und nur dann, soll Gott sein Gott sein.

So tief ist die unangenehme Erfahrung.

So wichtig ist nach und neben der göttlichen Vergebung die Klärung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Da ist nicht einfach wieder alles gut; sie müssen miteinander reden, Fehler benennen und hoffentlich bereit sein und die Kraft haben, zu verzeihen.

Am Ende kommt es so, dass Jakob und Esau sich wieder versöhnen, dass aller Hass in der persönlichen Begegnung beendet wird. Jakob muss nicht mehr fliehen, im Inneren hat er Frieden gefunden. Und Esau muss nicht mehr voller Hass auf Rache aus sein. Schließlich werden die beiden Brüder gemeinsam den Vater beerdigen.

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Diesen Satz könnte Jakob gesagt oder gesungen haben. Er beschreibt sein Leben, dankbar zu sein für das, was ihm alles geschenkt wurde. Er ist die bleibende Erinnerung, nicht zu vergessen, dass er nicht von seinem Tun und seinen Leistungen und seinem Besitz lebt, sondern von dem Guten, das Gott ihm schenkt. Wohnung, Kleidung, Nahrung, eine Familie. Die Erfahrung, schuldig zu werden, weil diese Dankbarkeit vernachlässigt wird, schuldig an seinen nächsten Menschen, Vater, Bruder. Vor allem aber die Erfahrung, sich wieder zu versöhnen, um neu und frei und dankbar leben zu können. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.  Amen.

Pfarrer in Ruhe Andreas Schwarz

Evangelisch-Lutherische Kirche in Baden

Bismarckstr. 1

76133 Karlsruhe