
1. Petrus (2-) 4-10
Ehrenbezeichnungen | 6. Sonntag nach Trinitatis | 1. Petrus (2-) 4-10 (Basisbibel) | Berthold W. Haerter |
Liebe Gemeinde
- Ehrentitel
Dr. h.c. – Doktor honoris causa.
Das ist einen Ehrendoktor.
Man erhält ihn für besonders herausragende Leistungen.
Keiner von uns hat ihn bisher von einer Universität verliehen bekommen.
Gymnasiallehrpersonen bekamen früher im Kanton Zürich nach so und so viel Jahren aktiver Arbeit den Ehrentitel «Professor*in».
Der Kanton drückte so seine Wertschätzung und den Dank für die Lehrtätigkeit aus.
Herrscher liessen sich gern den Ehrentitel «Soter» also «Retter» verliehen.
Ich kenne zwei Staats-Präsidenten, die diesen gerne hätten, aber nicht verdienen.
Auch der Friedensnobelpreis ist so eine Ehrenbezeichnung.
In der DDR konnte man «Held der Arbeit» oder «Sozialistisches Arbeitskollektiv» werden.
Vielleicht ist der eine oder der andere von Ihren «Ehrenmitglied» eines Vereins, Clubs oder einer Organisation?
Solche Ehrenbezeichnungen drücken Anerkennung, Wertschätzung, Würdigung für Geleistetes aus.
Ich habe mir überlegt: Wir sollten vielen unter Ihnen den Ehrentitel «Held/Heldin der Kirchgemeinde Oberrieden» verleihen.
Im eben gehörten Bibelabschnitt werden eine grosse Anzahl von Ehrentiteln erwähnt.
Sie werden aber nicht an Einzelne, sondern an eine Gruppe verliehen.
Sie werden an uns, an die Gemeinschaft der Gläubigen, verliehen, an uns, als christliche Gemeinde, an uns, die wir hier versammelt sind.
Wir Christinnen und Christen sind, so erklärt der 1. Petrusbrief, eine besondere, von Gott auserwählte Gruppe Menschen.
Wir sind, wie damals die kleinen Christengruppen,
wir sind eine heilige ja, königliche Priesterschaft,
ein auserwähltes, ein heiliges, ausgewähltes Volk,
eine Gemeinschaft die in besonderer Weise zu Gott gehört,
gemeinsam sind wir Priesterinnen und Priester.
Da staunen Sie!?
Vielleicht fragen Sie sich auch: Was bedeuten denn diese Titel nun genau?
Die Schreibenden des 1. Petrusbriefes, damals am Ende des 100. Jahrhunderts, sie benutzen Begriffe aus dem Alten Testament.
Sie zitieren, gut ausgewählt, sie kannten also «ihre Bibel.»
Und sie definieren, wie so oft bei Ehrenbezeichnungen, sie definieren nicht genau, was das heisst.
Es klingt gut und es soll ehren und vor allem Mut machen.
Sie sollen Mut machen in einer nichtchristlichen Umgebung weiterhin authentisch als Christinnen und Christen zu leben.
Der Journalist Tobias Haberl hat in seinem Buch «Unter Heiden», das letztes Jahr erschien, es so formuliert:
«Wenn ich ehrlich bin, gelingt mir kein Tag ohne Sünde, und viele Atheisten dürften bessere Menschen sein als ich, trotzdem versuche ich jeden Tag mit großer Ernsthaftigkeit, Gott zu gefallen-Es klappt halt nicht immer.“ (Tobias Haberl, Unter Heiden, 4. Auflage, München 2024, p17)
Wir sind Gottes ausgewähltes Volk, seine königliche Priesterschaft, wir gehören zu ihm, in ganz besonderer Weise, wenn wir versuchen, unser Christsein authentisch zu leben, „mit großer Ernsthaftigkeit, Gott zu gefallen-Es klappt halt nicht immer.“.
- Was ist unser Job
Nun ist es so, Ehrenbezeichnungen wollen anregen, noch besseres zu tun, sich noch mehr zu engagieren.
Sie sind Zuspruch.
So auch im 1. Petrusbrief.
Die Schreibenden erklären uns hier, was wir weiterhin gut oder noch besser tun sollten.
Wir sollen «geistliche Opfer» bringen, betonen sie.
Opfer, in denen Gottes guter Geist wirkt.
Opfer ist für uns ein schwieriges Wort.
Aber die Schreibenden haben ein anderes Bild von Opfer als wir.
Sie erinnern sich, wie bis ca. 20 Jahre vorher, bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n. Chr.), dort Gott geopfert wurde, reine Tiere, ihr Fett.
Sie wurden nach genauen Vorschriften verbrannt.
Wir lesen davon im Alten Testament.
Das erwarten die Schreibenden nun von den ersten Christengemeinden nicht und auch nicht von uns.
Ja keine Tieropfer, sondern geistliche Opfer, im Sinne wie Jesus Christus sie lebte.
Was sind diese geistlichen Opfer nun genauer?
Martin Luther hat es ganz einfach formuliert.
Er meinte, lebt das «Priestertum aller Gläubigen».
Alles was ihr sagt, denkt, tut, macht es im Wissen:
Gott bemerkt es und freut sich daran.
Der Text sagt es noch genauer.
Seid lebendige Bausteine, die sich auf den einen Grundstein aufbauen.
Euer Grundstein ist Jesus Christus.
Lebt in seinem Sinne.
Also betet, lest Bibel, singt, preist Gott.
Sucht Gott bewusst im Alltag, freut Euch daran.
Haberl schreibt:
« Es gibt Tage, an denen wird mir alles zum Gottesbeweis: das unverhoffte Lächeln eines Fremden auf der Straße, ein Schwalbenschwarm, der wie aus dem nichts die Richtung wechselt, ein Kind, das lachend einer Seifenblase hinterherjagt.
Dann meine ich ihn zu spüren, als auch oder sanftes Zittern, wenn beim Waldspaziergang ein Reh aus dem Dickicht bricht und mir für zwei Sekunden in die Augen schaut, oder wenn der letzte Ton einer großen Symphonie verklingt, der Saal den Atem anhält und sich für einen Moment ein Spalt zu einer anderen, unsichtbaren Dimension auftut. … manchmal sehe ich einen blühenden Apfelbaum – und glaube.“ (Ebenda, p112f)
Und dann macht uns der 1. Petrusbrief Mut.
Erzählt anderen davon.
Scheut Euch nicht, jemanden von Eurem Glauben, Eurem Erleben zu erzählen.
Wir hatten diese Woche Besuch.
Das Ehepaar in unserem Alter erzählte uns, dass sie sich so sehr wünschen, dass ihr Enkelkind getauft werde.
Aber man sage nichts, da man zusammenwohne, nicht drängen wolle und den Frieden im Hause sehr schätze.
Der 1. Petrusbrief ruft uns aber in wunderschöner Sprache zu: Verkündet von dem Licht, aus dem ihr lebt.
(Ich weiss, es ist einfach gesagt als getan.)
Natürlich werden wir auch hier wieder aufgefordert «Nächstenliebe» zu üben.
Darauf wollen uns Aussenstehenden als Christinnen und Christen gern reduzieren.
‘Tut Gutes aber sonst haltet die Klappe.’
Jesus Christus ist für sie ein Stein des Anstosses.
Sie wollen nichts von ihm erfahren, so beschreibt es der 1. Petrusbrief.
Sie stolpern über ihn.
Er irritiert, auch weil sie kein Wissen, keine Ahnung mehr von uns Christinnen und Christen haben.
Aber wir haben einen Grund, warum wir den Mittagstisch anbieten, warum wir Menschen besuchen, warum wir Einladen zu Apéros und zur Fischbeiz.
Wir sammeln da nicht Geld für einen Verein.
Sondern wir wollen auf unseren Verein «Kirche» hinweisen.
Wir zeigen so, wir sind da für Menschen.
Ja, seht, wir sind ein cooler Verein.
Der Journalist Haberl schreibt es sehr einfach so:
«Glaube beflügelt mich, wenn ich niedergeschlagen bin, und er bremst mich, wenn ich übermütig bin.
Immer gibt er mir das unvergleichliche Gefühl, wahrgenommen zu werden, ohne auf mich aufmerksam machen zu müssen,…“ … (Ebenda, p143)
Der 1. Petrusbrief ermuntert uns, macht es genauso.
Glaubt und handelt
- Warum wir sie erhalten
Wenn wir nun aber meinen, wenn wir das alle zusammen besonders gut machen, wenn wir die perfekte christliche Gemeinde Oberrieden werden, katholisch und reformiert vereint, wie heute im Gottesdienst, wenn wir Spiritualität und Barmherzigkeit perfekt leben, dann bekommen wir noch mehr oder noch grossartigere Ehrentitel, dann täuschen wir uns.
Diese Ehrentitel, als besonders von Gott ausgewählte Gemeinschaft, haben wir bereits erhalten.
Wir haben sie erhalten, weil Gott uns suchte und wir Jesus Christus als Gottes Sohn für uns entdeckt haben.
Weil wir ihn als Botschafter und Soter, also als Retter Gottes für uns entdeckt haben.
Der 1. Petrusbrief meint.
Jesus Christus ist unser Grund- oder Eckstein.
«Lasst euch auch selbst als lebendige Steine
zur Gemeinde aufbauen.
Sie/die Gemeinde ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist.»
Wir sind eine Gemeinde.
Wir sind Suchende, Fragende, Liebende.
Wir versuchen Gottes Geist wirken zu lassen und in Gottes Geist zu handeln.
Und wir versuchen Glaubende zu sein.
Wir sind von Gott erwählt.
Und wir versuchen ihm zu antworten, ihm zu vertrauen und daraus zu handeln.
Das wertschätzt Gott, das bemerkt er und er sagt uns:
‘Ihr, hier, Ihr die Ihr heute hier in der Kirche seid:
Ihr seid eigentlich ganz coole, tolle Menschen.
Danke und macht weiter so und ihr werdet «nicht zugrunde gehen.»
In biblischen Worten:
«(Aber) ihr seid das erwählte Volk:
eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk,
eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört.
Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden.
Er hat euch nämlich aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen.»
AMEN
—
Berthold W. Haerter
Pfarrer der Reformierten Landeskirche Zürich seit 1993
Oberrieden / Schweiz
Berthold.haerter@bluewin.ch