
1. Petrus 2,1–10
Milch, Steine, Licht | 6. Sonntag nach Trinitatis | 27.07.2025 | Predigt zu 1. Petrus 2,1–10 | verfasst von Christoph Kock |
- Wie neugeborene Kinder
Jonas spielt in seinem Zimmer. Aus der Küche ertönt lautes Geschrei. Mia, seine Schwester. Jonas weiß, was gerade passiert. Papa hat Mia auf dem Arm. Mit der freien Hand ist er dabei, ein Fläschchen für sie anzurühren. Das Wasser darf nicht zu heiß sein. Plötzlich wird es schlagartig still. Jonas läuft in die Küche. Mia schreit nicht mehr, denn sie trinkt. In null Komma nichts ist die Flasche leer. An Papas Schulter gelehnt gibt Mia einen Rülpser von sich. Papa schaut zufrieden zu Jonas. „So hört es sich an, wenn jemand groß und stark wird.“ Jonas nickt und grinst.
Im ersten Petrusbrief steht:
2 Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien,
sollt ihr nach dem echten Wort verlangen.
Dadurch wachst ihr im Glauben heran,
sodass ihr gerettet werdet.
3 Denn ihr habt ja bereits schmecken dürfen,
wie gut der Herr ist.
Jetzt brauchen Sie Fantasie. Stellen Sie sich das einmal vor. Mia, etwas älter. Sie sitzt im Kinderzimmer auf dem Boden. Sie schreit und schreit. Ihre Mutter sucht und sucht. Endlich kommt sie mit der Kinderbibel angelaufen. Sie hat die WortMilch gefunden. Sofort wird es in der Wohnung wieder ruhig. „Vorlesen!“ fordert Mia und betrachtet aufmerksam die Bilder. Jonas hat sich ins Zimmer geschlichen und hört aufmerksam zu.
2. WortMilch
Das ist doch wohl eher unwahrscheinlich. Und doch, sagt der Briefschreiber, so sollt ihr nach Gottes Wort verlangen. Je mehr, desto besser. Nicht ein Stück weit, sondern volle Pulle. Nicht nur ein Vers hier und da, sondern Geschichte um Geschichte. Wie Gott mit Abraham und Sara unterwegs war. Wie Gott sein Volk Israel aus der Sklaverei befreit und ihm die Zehn Gebote mit auf den Weg gegeben hat. Wie Gott mit Jesus in die Welt gekommen ist und in einer Futterkrippe geschlafen hat. Wie Jesus gestorben ist und Gott ihn aus dem Tod auferweckt hat. Solche Geschichten sind Nahrung für die Seele, die Menschen im Glauben wachsen lässt. Damit Glaube groß und stark wird, braucht es WortMilch. Stärkung für das, was kommt:
„In den Streit der Welt hast du uns gestellt, deinen Frieden zu verkünden, der nur dort beginnt, wo man, wie ein Kind, deinem Wort Vertrauen schenkt.“ (EG 607,3)
Um Gottes Wort vertrauen zu können, muss ich es kennen. Meinen Erfahrungen ausgesetzt und mit meinen Zweifeln durchgeschüttelt haben. Um Gottes Wort vertrauen zu können, muss ich satt geworden sein. Mit ihm erfüllte Momente erlebt haben, von denen ich zehren kann.
„Irmgard, fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Gott segne und behüte dich. Friede sei mir.“ Während ich diese Worte spreche, zeichne ich vorsichtig mit Wasser aus der Taufschale ein Kreuz auf Irmgards Handrücken. „Amen“, sagt sie klar und deutlich. Ihre Augen leuchten. Tauferinnerung im Pflegeheim.
III. Verworfen, erwählt, lebendig: Petrologie (1)
Im Gottesdienst wird WortMilch in Gemeinschaft verabreicht. Sie bringt Menschen zusammen. Wie tragfähig diese Verbindung ist und warum, kommt jetzt in den Blick:
4 Kommt her zu ihm!
Er ist der lebendige Stein,
der von den Menschen verworfen wurde.
Aber bei Gott ist er erwählt und kostbar.
5 Lasst euch auch selbst als lebendige Steine
zur Gemeinde aufbauen.
Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist.
So werdet ihr zu einer heiligen Priesterschaft
und bringt Opfer dar, in denen sein Geist wirkt.
Das sind Opfer, die Gott gefallen,
denn sie sind durch Jesus Christus vermittelt.
6 Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift:
»Seht, ich lege auf dem Berg Zion
einen ausgewählten, kostbaren Grundstein.
Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.«
7 Für euch ist er kostbar, weil ihr an ihn glaubt.
Aber für diejenigen, die nicht an ihn glauben, gilt:
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Grundstein geworden.
- Er ist ein Stein, an dem man Anstoß nimmt,
und ein Fels, über den man stolpert.
Sie stoßen sich an ihm,
weil sie dem Wort keinen Glauben schenken.
Doch genau dazu sind sie bestimmt.
Der Blick richtet sich auf Jesus. Wie vom dem erzählen, was ihn mit Gott verbindet? Wie bezeugen, was ihn besonders macht? Von seinem Tod wird zu sprechen sein, und von dem, was danach passiert ist.
Das wird nicht einfach. Aber die jüdische Bibel bietet reichlich Material, bei dem sich der Briefschreiber wie in einem Steinbruch bedient. Bei den Psalmen ebenso wie bei den Propheten. Evangelium erzählen mit jüdischen Traditionen. Im ersten Petrusbrief hört sich das so an:
Jesus starb am Kreuz. Von Menschen verraten, gefoltert, getötet. Aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Das ist so, als ob ein Stein von den Bauleuten verworfen wurde und sich dennoch als Grundlage entpuppt. Das ist ein von Gott gewirktes Wunder. Ein Stein des Anstoßes bekommt Tragkraft. Die Rede vom gekreuzigten Messias bekommt Sinn. Was unverstellbar ist, Bedeutung. Darauf baut alles auf. Dieser Stein ist quicklebendig.
- Gottes Haus ist keine Immobile: Petrologie (2)
Ein lebendiger Stein bleibt nicht allein. Obwohl aussortiert und weggeworfen, wird er zu einem Grundstein für ein großes Haus. Andere Steine, ebenso lebendig, kommen dazu. Gemeinde entsteht. In diesem Haus, so glaubt der Briefschreiber, ist Gottes Geist gegenwärtig. Die Kraft, mit der Gott Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander verbindet. Dass sie miteinander lachen und weinen, füreinander da sind, gemeinsam am Tisch sitzen. Dass sie sich gegenseitig helfen, ihre Lasten zu tragen.
Jesus – ein Stein, der weitere Steine nötig und sie zugleich lebendig macht. Ein Haus, das aus Menschen gebaut wird. „Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen. Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist.“
Gottes Haus besteht aus Menschen. Es ist also keine Immobilie, sondern bleibt beweglich. Das fällt heute kaum auf, weil dieses Haus meistens in Gebäuden errichtet wird. Dort treffen sich die lebendigen Steine, um zu singen, zu feiern, zu beten und an Gottes Wort satt zu werden. Stein in Stein, sozusagen. Das ist praktisch, vor allem, wenn es regnet oder draußen kalt wird. Nötig ist es aber nicht. Vor einem Jahr stand ein Haus aus lebendigen Steinen an einem Sonntag am Auesee. Für ein Tauffest unter freiem Himmel. 30 Menschen aus allen Gemeindebezirken waren früh aufgestanden, um mitzuhelfen beim Aufbau: Bänke, Bühne, Stände. In einer Stunde verwandelten sie das Ufer in Gottes Haus. Und bekamen ein Wir-Gefühl geschenkt: Das haben wir zusammen geschafft. Platz für über 500 Menschen, die 35 Taufen feiern. Platz für einen bewegenden Gottesdienst und ein schönes Fest. Das Wir zieht Kreise, viele sind beteiligt, noch viel mehr gekommen. Gottes Haus ist immer so groß wie gerade nötig.
Gottes Haus ist keine Immobile, weil es aus Menschen besteht. Auch wenn Gebäude praktisch sind, nötig sind sie nicht.
- Dem Licht entgegen
Gottes Haus der lebendigen Steine. Ein Haus mit Leuchtkraft. Wieder bedient sich der Briefschreiber in der jüdischen Bibel.
9 Aber ihr seid das erwählte Volk:
eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk,
eine Gemeinschaft, die in besonderer Weise zu Gott gehört.
Denn ihr sollt die großen Taten Gottes verkünden.
Er hat euch nämlich aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen.
10 Ihr, die ihr früher nicht sein Volk wart,
seid jetzt Gottes eigenes Volk.
Ihr, die ihr früher kein Erbarmen fandet,
erfahrt jetzt seine Barmherzigkeit.
Wer auf Gott vertraut, hofft auf Licht im Dunklen. Ein Wagnis angesichts der Dunkelheit, die sich in der Welt ausbreitet. In den Nachrichten ist davon zu hören, wie meisterhaft Menschen darin sind, es dunkel werden zu lassen. Fanatismus und Hass, Gier und Gleichgültigkeit sorgen dafür, dass vielerorts die Lichter ausgehen. Zu den politischen Katastrophen im Gefolge von Diktatur und Populismus, Krieg und Klimawandel kommen die persönlichen jenseits öffentlicher Aufmerksamkeit. Wenn die Kräfte so sehr schwinden, dass die eigene Selbständigkeit bedroht ist. Wenn sich bei einer Diagnose abzeichnet, dass es keine Heilung mehr geben und das Leben bald zu Ende sein wird. Wenn ein Abschied viel zu früh kommt und an einem Sarg entscheidende Fragen offenbleiben. Dann ist es dunkel, selbst am helllichten Tag.
Dennoch: Wer auf Gott vertraut, hofft auf Licht im Dunkeln. Das Dunkle bleibt da, aber es bekommt nicht, es behält nicht das letzte Wort. Gott „hat euch nämlich aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen.“ Dort geht die Reise hin. Was unterwegs zu tun ist? Mehr als nur aus dem Fenster zu schauen: „In das Leid der Welt hast du uns gestellt, deine Liebe zu bezeugen. Lass uns Gutes tun und nicht eher ruhn, bis wir dich im Lichte sehn.“ (EG 607,4).
Amen.
—
Lieder:
EG.RWL 607: „Herr, wir bitten, komm und segne uns“
WortLaute 65: „Du bist da“
EG 165,1.6–8: „Gott ist gegenwärtig“
Begrüßung:
Herzlich willkommen zum Gottesdienst.
Kommen Sie sich gelegentlich vor wie neu geboren? Nach einer Nacht mit ausreichend Schlaf. Nach einem Wellness-Wochenende. Nach der Taufe.
Nach der Taufe? Martin Luther hat gemeint, „man soll jeden Tag in die Taufe hineinkriechen, damit man frisch belebt wieder daraus hervorkommt.“ Ein biblischer Impuls: Sich daran erinnern. Gott hat mich mit Namen gerufen. Gottes Wort macht mich lebendig. Ein Anfang. Mitten in der Zeit ein Funken Ewigkeit. In mir.
Sündenbekenntnis und Gnadenzusage:
Großer Gott,
uns nah und doch fern;
uns zugewandt,
und doch ungreifbar.
Unruhe und Lärm
drohen uns zu ersticken.
Angst vor dem Krieg
und dem, was kommt.
Hilf uns,
dass wir in Kontakt bleiben.
Mit dir und miteinander.
Wir tasten uns nach dir,
komm uns entgegen.
Großer Gott,
uns nah und doch fern,
wende uns zur dir,
dass wir erreichbar sind für dich.
Herr, erbarme dich.
Gott spricht zu Israel und wir hören zu:
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
Du bist mein“ (Jesaja 43,1)
Ehre sei Gott in der Höhe.
Kollektengebet:
Gott,
du hast dich längst entschieden.
Kein Mensch soll verloren gehen.
Du machst dich für Rettung stark,
wenn andere längst aufgegeben haben.
Jedes Leben zählt für dich.
Du drängst auf Umkehr,
wo wir in einer Sackgasse feststecken
und uns nur leidtun.
Du suchst, was verloren ging.
Das Gefühl,
selbst etwas verändern können,
selbst einmalig und liebeswert zu sein.
Du freust dich, wenn wir es wiederfinden.
Steck uns an mit deiner Freude
und stimm uns ein auf dein Fest.
—
Pfarrer Dr. Christoph Kock
Wesel
E-Mail: christoph.kock@ekir.de
Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.