1. Samuel 24,1-20

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Leg das Zepter aus der Hand! | 4. So. nach Trinitatis | 23. 6. 2024 | 1. Sam. 24, 1 – 20 | Fritz Neubacher |

Als unsere Mädels noch klein waren, kam eines Tages die Frage auf, wer denn bei uns in der Familie „der Bestimmer“ ist. Natürlich haben wir alle fünf miteinander geredet und gemeinsame Entscheidungen gesucht, aber wenn es drauf ankam? Unsere Töchter haben damals die männliche Form verwendet, aber: Wer hatte das Zepter wirklich in der Hand?

Das Zepter ist ein Stab aus wertvollem Metall, meist reich verziert mit Edelsteinen. Als königlicher Herrscherstab symbolisiert es die Macht. Es  wurde ursprünglich von Kaisern und Königen, später auch von Fürsten getragen, und schließlich auch von Familienoberhäuptern.

Das Zepter des Kaisertums Österreich z.B. hat die Besonderheit, dass es aus Narwalzahn besteht. Der Narwal ist ein Wal mit einem ca. 2m langen, spießähnlichen Zahn. Sieht bedrohlich aus.

Das Zepter steht für die Macht – und die Frage ist: Dort in der Höhle von En-Gedi: Wer hatte da die Macht in seiner Hand?

David! Obwohl der amtierende König Saul war. Aber der „musste mal Groß“ – und schon war’s um seine Macht geschehen.

David hatte ihn in der Hand.

David hatte schon vieles in seinen Händen, was ihn sieg- und erfolgreich sein ließ: Begonnen hat er seine Karriere mit dem Hirtenstab in der Hand. Dann kam seine wundersame Berufung an den Hof des Königs Saul. Der litt unter depressiven Attacken, und David konnte ihn – die Harfe in der Hand – mit seiner Musik beruhigen. Dann kam der Zweikampf mit dem Riesen-Soldaten Goliath. Dafür nahm David eine Schleuder und Kieselsteine in die Hand, und tötete Goliath.

Und jetzt – in der Höhle von En-Gedi – hat er einen Dolch oder ein Schwert in der Hand, und: verzichtet darauf, seine Macht auszuspielen! Er schneidet nur einen Zipfel des Gewandes von Saul ab, um beweisen zu können, dass er ihn in seiner Gewalt hatte, ihn aber verschont hat.

Warum tut er das? Warum lässt er den Mann, der ihn verfolgt, und ihm nach dem Leben trachtet, am Leben?

Man muss wissen: die beiden waren einmal ein Herz und eine Seele! In der Bibel steht wörtlich, dass Saul den David über alles liebte. Aber dann kamen diese dunklen Schatten über Sauls Leben, Eifersucht wegen der Erfolge im Krieg und wegen der Beliebtheit bei der Bevölkerung waren im Spiel, schließlich musste David vom Hof fliehen – sie wurden Todfeinde.

Und jetzt sind sie sich so nah wie nie, und David hat die Chance seines Lebens, Saul für immer loszuwerden. Seine Soldaten raten ihm auch dazu. Aber David nimmt nur den Rockzipfel. Schenkt Saul das Leben.

Warum?

Was für uns das Zepter ist, war für David und Saul die Salbung: Das Zeichen der Macht.

Und tatsächlich waren beide gesalbt, von ein und derselben Person: Von Samuel. Der tat das im Auftrag Gottes! Für beide war also klar: Ich habe Macht übertragen bekommen – von Gott! Sie gehört mir nicht, sie ist verliehen!

Das sieht übrigens sogar Charles III. heute noch so! Bei seiner Krönung im vorigen Jahr wurde er ebenfalls gesalbt. Allerdings ist das ein so heiliger Akt, dass eigens ein Schirm konstruiert wurde, damit die Fernsehkameras das nicht einfangen konnten…

David weiß: Ich bin ein Gesalbter, ich habe mir die Macht nicht selber genommen, ich habe sie von Gott übertragen bekommen! Ich bin also auch Gott verantwortlich für das, was ich mit seiner mir verliehenen Macht anstelle. Also werde ich Saul, ebenfalls Gottes Gesalbter, nicht töten!

Wo sich der Gesalbte dessen erinnert, woher er seine Macht hat, wer ihm das Zepter in die Hand gegeben hat, dort regiert letztlich nicht der Gesalbte – dort regiert durch ihn Gott selber.

Dort herrschen dann nicht Gewalt und Gegengewalt, Angriff und Abwehr, Verletzung und Vergeltung; dort herrschen Freundschaft, Menschlichkeit, Verzeihung, Barmherzigkeit und Liebe!

1000 Jahre später wird einer auftreten, der ein direkter Nachfahre Davids ist. Er trägt den Beinamen „Christus“, was nichts anderes heißt als: „der Gesalbte“!

Er wird den Machtverzicht, den sein Vorfahre immerhin einmal geübt hatte, zum Prinzip erheben!

Einmal zieht er mit seinen Jüngern durch Samarien. Die Bewohner dort sind unfreundlich zu ihnen, gewähren keine Gastfreundschaft. Und die Jünger sagen zu Jesus: Herr, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und sie verzehre! Lukas erzählt uns die Reaktion Jesu: „Er wandte sich um und bedrohte sie!“ In einer nachträglichen Erweiterung des Textes heißt es, dass er sagt: „Wisst ihr nicht, wessen Geistes Kinder ihr seid?“

Kinder des Machtverzichts.

Jesus lebt das – ganz und gar: in Samarien, gegenüber Pilatus, schließlich gegenüber seinem ärgsten Feind, dem Tod – den er hätte besiegen können wie David den Saul. Jesus übt Machtverzicht am Kreuz, wo ihn die Leute auffordern, er solle heruntersteigen und beweisen, dass er Gottes Gesalbter ist. Und er beweist es – in dem er nicht heruntersteigt!

Schließlich gibt sich Jesus uns in die Hände! Im Heiligen Abendmahl empfangen wir ihn. Wir bekommen Macht, Gottes Kinder zu sein, zu Handeln wie er gehandelt hat: Durch Machtverzicht das Reich Gottes zu bauen!

Ihr Lieben,

es ist vollkommen klar, dass das keine Regel für alle Fälle ist! David hat ja das Zepter von Gott in die Hand bekommen, um Macht auszuüben. Er hat es auch oft genug getan – manchmal weise, manchmal eigennützig. Und Jesus hat Macht ausgeübt: Er hat Dämonen ausgetrieben und Pharisäer in die Schranken gewiesen. Und selbst Dietrich Bonhoeffer hat nicht für Machtverzicht gegenüber Hitler plädiert, sondern am Stauffenberg-Attentat aktiv mitgeplant.

Macht ist nicht an sich Böse. Ein Feuerwehrhauptmann hat die Befehlsmacht, damit der Brand effektiv gelöscht werden kann.

Dennoch: Häufig ist es weise und richtig, dem Beispiel Davids in der Höhle von En-Gedi zu folgen. Ein paar Überlegungen dazu:

(1) Fangen wir bei einer kleinen Geste an, beim Händedruck zur Begrüßung:

Für uns in der westlichen Welt ist ein fester Händedruck ein Ausdruck des Selbstbewusstseins und der persönlichen Stärke: „Du hast es hier mit einem Kerl zu tun!“ Ist die Botschaft. Machtdemonstration! Im Judentum, im Islam und auch im Hinduismus ist es ein Zeichen von Höflichkeit und von Gastfreundschaft, dass man die Hand des Gegenübers sehr sanft drückt.

Naja – vielleicht gibt es auch etwas dazwischen…

(2) Was wir oft in Händen halten, sind Schlüssel. Ich habe das gespürt, als ich anlässlich meiner Pensionierung die Büroschlüssel abgegeben habe. Machtverlust. Wir könnten es einüben, Macht zu teilen und abzugeben, in dem wir Schlüssel aus der Hand geben, Autoschlüssel zum Beispiel; indem wir Türen öffnen und Menschen einlassen: In unsere Häuser und in unsere Herzen.

(3) Machen wir einen Blick in die Politik:

Was wäre möglich, wenn Netanjahu sich daran erinnern würde, was David getan hat? Wenn er das Zepter aus der Hand legen würde?

Oder nehmen wir den Patriarchen von Moskau, Kyrill der Erste: Kyrill bedeutet: Zu Gott, dem Herrn gehörig! Was, wenn der Patriarch einmal seinem wahren Herrn dienen würde, nach dem er benannt ist, und seinem Freund und Gönner Putin ein Zipfel seines Mantels abschneiden würde?

(4) Wenn es um die Frage geht, was wir in Händen halten, dann darf das Handy nicht fehlen!

Eigentlich ist es ja beim Handy umgekehrt: Es ist nicht in erster Linie ein Machtinstrument, es übt Macht über uns aus. In jedem Fall lohnt es sich, das Weglegen zu üben!

(5) Schließlich hat man – früher zumindest – bei den Eltern der Braut um deren Hand angehalten:

Damit sind wir wieder am Anfang, bei den Beziehungen in der Familie – und darüber hinaus, im Freundeskreis und in der Gemeinde. Diese Beziehungen so zu gestalten, dass das Zepter – im Normalfall – im Schrank liegt, und der Hirtenstab und die Harfe in unseren Händen regieren – das ist im Sinne des heutigen Gotteswortes!

Amen.

Rektor i.R. Fritz Neubacher

St. Georgen im Attergau, Ö

Email: Fritz.neubacher@aon.at

Fritz Neubacher, Jahrgang 1958, Pfarrer der Evang. Kirche A. B. i. Ö.; bis 8/23 Rektor des Werks für Evangelisation und Gemeindeaufbau, seither im Ruhestand.