1. Thessalonicher 5,21

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Jahreslosung 2025 – ein Wunschtraum? | Neujahr | 01.01.2025 | 1Thess 5,21 | Klaus Wollenweber |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Ich lese die Jahreslosung für dieses Jahr 2025 aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki (1.Thess. 5, 21):

„Prüft alles und behaltet das Gute!“

Liebe Gemeinde,

ja, die biblische Losung für das neue und von Gott geschenkte Jahr klingt wie eine Lebensweisheit und ein Ratschlag für alle möglichen Entscheidungen an jedem Tag. Das ist so eindeutig, und es gilt einfach in seiner Klarheit: alles prüfen und das Gute behalten! Wenn das doch nur so leicht ginge, wie es geraten wird. Es klingt wie ein Wunschtraum in der Realität des Alltags.

Ich will mit der Skepsis bei mir anfangen: Ich habe gar nicht immer die Möglichkeit, die Ruhe und Zeit, alles zu prüfen, was auf mich zukommt. Ich bin vor Entscheidungen gestellt, die keine Prüfung, keine Reflexion, zulassen. Zum Beispiel: Ich bin in einen Verkehrsunfall verwickelt; ich muss handeln. Wo bleibt Zeit zur Prüfung? Was kann ich dabei Gutes behalten? Wichtiger sind eventuell Entscheidungen der „Ersten Hilfe“!

Oder: Ich bin gestürzt und habe mir Knochen gebrochen. Der Notarzt bringt mich schwer verletzt ins Krankenhaus; die Operation geschieht umgehend. Alles prüfen, was zur Bereicherung meines Lebens dient, und das Gute behalten? Wie soll das geschehen? Wichtiger ist, dass Ärzte und Pflegefachkräfte das Richtige an mir tun!

Oder: ein Elternteil ist plötzlich gestorben. Ich finde keine Unterlagen für das Beerdigungsinstitut und die Anmeldung bei der Stadtverwaltung. Nichts ist für den Todesfall vorbereitet. Suchen muss ich in der ganzen Wohnung, bis ich einige nötige Papiere gefunden habe. Zum nachdenklichen Prüfen ist jetzt wirklich keine Zeit. Und was soll ich Gutes behalten? Wichtiger sind jetzt die Bürokratie und die Planung der Trauerfeier.

Ich frage nun zunächst: Was ist eigentlich das Gute, das ich behalten soll? Gibt es dafür Kriterien? Ist das dem Individualismus des einzelnen Menschen freigestellt? Der Apostel Paulus, der diesen Brief geschrieben hat und die christliche Gemeinde dort sehr schätzte, versteht unter „das Gute“ ein lebendiges Vertrauen auf Gott, auf seinen Schutz und auf die Geborgenheit bei ihm. Er bringt damit das friedliche Zusammenleben zum Ausdruck, das hilfreiche Beieinandersein, das fürsorgliche Miteinander. Sein ganzer Brief ist durchzogen von der Botschaft der Liebe Gottes zu den Menschen in Thessaloniki und von der Weitergabe dieser Liebe untereinander. Er weist darauf hin, wie gut dieses Leben mit Gott und den anderen Menschen sein kann; und er mahnt dazu, dass es so weitergehen soll. Wie ein Wunschtraum klingt dies in unseren Ohren heute.

Ich sehe dann heute auf das gesellschaftliche Umfeld unseres Lebens in Deutschland; auf einiges von dem, was auf uns in den 12 Monaten des neuen Jahres zukommen wird. Gesellschaftspolitisch stecken wir zu Beginn des Jahres 2025 in einem vorgezogenen Wahlkampf. Schwierig wird es, ihn zu prüfen, zumal der Wahltag auf den Höhepunkt des rheinischen Karnevals fällt! Die Wahl ist ja kein Karnevals-Scherz: Prüft alles und behaltet das Gute! Was ist, wenn ich prüfe und prüfe und prüfe und finde in dieser Zeit nichts, was ich als Gutes behalten kann? Wenn eine christliche Partei u.a. auf „Kriegstüchtigkeit“ plädiert, und wenn etwa eine antichristliche und rechtsradikale Partei von ca. einem Drittel der wahlfähigen Bürgerinnen und Bürgern ihre Stimme bekommt, – was für eine Koalition wird es wohl in unserem Land geben? Steht uns Gutes bevor? Das klingt alles andere als eine uns Mut machende Botschaft der biblischen Jahreslosung. Ist und bleibt sie also Wunschtraum in der alltäglichen Realität unseres gesellschaftspolitischen Umfelds?

Ich bringe noch einen dritten Aspekt. Denn die biblische Jahreslosung gilt nicht nur mir persönlich in meinem Lebensalltag oder uns allen in Deutschland, sondern sie ist in über 190 Sprachen und Dialekte übersetzt und gilt somit für Menschen in allen Kontinenten als mahnende Herausforderung. Die Jahreslosung ist mehr als nur ein guter Vorsatz zu Beginn des Jahres: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Da gibt es z.B. bei der Problematik Klimawandel noch vieles zukunftweisend zu prüfen. Da ist doch so vieles beängstigend klar: Wir spüren und erleben Überflutungen und Trockenheit, Erwärmung der Meere und verheerende Zerstörung durch Stürme, entsprechend Flucht und Hungersnöte, und vieles mehr. Was bleibt noch an Gutem?

Was kann jede und jeder von uns eigentlich noch prüfen, wenn kriegerische Auseinandersetzungen in Europa, in Nahost, im Sudan, in Asien, in Afrika und in amerikanischen Staaten an der Tagesordnung sind, wenn Angst und Schrecken vorherrschen und sich verbreiten? Von dem Guten, das wir behalten sollen, keine Spur! Gar nichts können wir prüfen und gar nichts als Gutes behalten!

Doch eine solch resignierte Feststellung kann der Apostel Paulus nicht unterstützen. Sein Bild von der Liebe Gottes und der Gnade dem Menschen gegenüber fordert uns zur Prüfung auf. Wenn wir in diesen Jahren Grenzen gegenüber Flüchtlingen schließen, die bei uns Schutz und ein Zuhause suchen, dann wird unser christlich-prüfendes Handeln zum Politikum. Dabei sind wir herausgefordert, einmal das christliche Leben im Miteinander in den Mittelpunkt unserer nachdenklichen Überlegungen zu stellen und zu prüfen, ob wir auf positive Lichtblicke stoßen. Dann beginnt diese biblische Herausforderung am besten wieder bei mir selbst und nicht zuerst mit dem Hinweis auf andere Menschen. Ich habe mit der Jahres-Losung ein ganzes Jahr lang die Chance, alles kritisch zu prüfen, damit mein Alltag sinnvoll abläuft und damit es mir im Vertrauen auf Gott gut geht.

Erinnern wir uns doch einmal an Ermahnungen aus der Erziehung von Kindern und in der Fürsorge des Miteinanders von Erwachsenen. Weil wir es gut mit dem anderen Menschen meinen, ermahnen wir häufiger zur Prüfung, bevor man einen schnellen Schritt tut, der sich dann als falsch erweist. Das ist für uns keine Moralpredigt, sondern ein Zeichen von Nächstenliebe, weil wir wollen, dass das Leben des anderen Menschen gelingen möge, dass es sinnvoll und gut im Sinne von wertvoll sei. Wir können zum Beispiel prüfend darüber nachdenken, wie man dem ängstlichen Menschen Mut machen kann. Wir können prüfen, wie man dem depressiven oder dementen oder behinderten Menschen helfen kann, so dass diese am alltäglichen Leben noch freudig Teil haben können. Da können wir auch über den Tellerrand des privaten Glücks hinaus auf die Flüchtlings- und Weltpolitik schauen und Gutes in vielfältiger Weise bewirken. Ich weiß, dass Zeichen der Fürsorge und der Hoffnung, des Mitdenkens und Mitfühlens, oftmals schwer zu vermitteln sind, und wir dabei häufiger hilflos und ratlos agieren. Aber können wir unser Verhalten nicht nochmals überprüfen, die Vielfalt von Lösungen entdecken und das Gute behalten?

Der Apostel Paulus sieht unsere Prüfung als ein Zeichen der Liebe Gottes, die wir empfangen haben und nun weitergeben. So ist das Gute, das wir behalten, ein von Gott gewolltes Leben im liebevollen und verantwortungsvollen Miteinander und Füreinander. Wir sind in unserem christlichen Glauben immer auf dem Weg und in dem Prozess, das Gute zu suchen und zu finden – und das Böse zu lassen. Die Unterscheidung ist nicht immer leicht auf manchen Gebieten. Wie ist es z.B. mit unserem Hören der Nachrichten auf den medialen Kanälen: Hören wir und glauben wir nur das, was unserer vorgefassten Meinung entspricht? Prüfen wir noch die Gerüchte, oder erzählen wir sie gleich sensationell als Wahrheiten weiter? Ich denke an Fake News und Verschwörungserzählungen.

Wenn Paulus die Gemeindeglieder in Thessaloniki so eindringlich ermahnt, dann hat er wohl selbst schon negative Erfahrungen gemacht. Gegen die alltägliche Realität pocht er auf Prüfung, weil ihm aufgrund der Liebe Gottes zu uns das gute, friedvolle Miteinander wesentlicher ist als das Leben im Nebeneinander und Gegeneinander. Aus der Lebensweise von Jesus Christus hat er für seine Botschaft entscheidend mitgenommen: Jesus hatte sich trotz seiner eigenen Erfahrung mit Unverständnis und Unfrieden, mit Hass und Neid, den Randsiedlern, den Kranken und Ungläubigen zugewandt. Ihnen hat er Gottes Liebe vorgelebt, indem er niemand ausgrenzte. Jesus hat nicht Gleiches mit Gleichem zurückgezahlt, sondern er hat Böses geprüft und benannt und dieses mit Gutem überwunden. Seine Lebensweise war keine Anpassung an bestehende Verhältnisse und an friedloses Miteinander. Nein! Er hat sich nicht die Anerkennung der Mächtigen und Herrschenden erkauft. Jesu Haltung und Worte spiegeln seine Vertrautheit und Geborgenheit bei Gott wider. Was können ihm böse handelnde und denkende Menschen schon antun? Gottes Liebe und Treue ist stärker als die Bosheit von Machthabern.

Diese Gewissheit, die aus der biblischen Jahreslosung spricht, kann uns täglich helfen, froh, dankbar und zuversichtlich in das neue Jahr zu gehen und jeden Tag als ein Geschenk der Liebe Gottes anzunehmen. Ich kann mir vorstellen, dass auf diese Weise unsere Ängstlichkeit und Verbissenheit vor all dem, was auf uns im neuen Jahr zukommt, weniger Gewicht bekommen. Ganz praktisch deute ich an: Erinnern wir uns doch an das Gute, das wir in unserem Leben trotz Krieg, Flucht und Krankheit schon erfahren haben. Wir haben in manchen Situationen, die wirklich zum Verzweifeln waren, Gottes Schutz und Geborgenheit erlebt; wir haben mit Gelassenheit und Mut das Prüfen gelernt. So können wir im Rückblick prüfend unseren Erlebnissen nachgehen und miteinander über das erfahrene Gute sprechen, uns darüber austauschen und vieles behalten. Mit unseren guten Erinnerungen wird das Leben im Jahr 2025 auf jeden Fall reicher werden. Wir leben mit der Prüfung unserer Vergangenheit zuversichtlich heute in der Gegenwart und hoffen auf viele gute Augenblicke in der Zukunft. So behalten wir das uns geschenkte Gute im Auge und sind nicht nur fasziniert von dem Bösen. So wünsche ich Ihnen und mir, dass wir bei allem kritischen Beäugen auch viel Gutes im neuen Jahr entdecken: „Prüft alles und behaltet das Gute!“

Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied EG Nr. 428            „Komm in unsre stolze Welt, Herr, …“

Lied EG Nr. 432            „Gott, gab uns Atem, damit wir leben …“


Bischof em. Klaus Wollenweber

53129 Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.