1. Timotheus 6,12

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‚Narren um Christi willen‘ | Konfirmation | 1. Tim 6,12 | Jochen Riepe |

‚Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen‘.

I

‚Alles ist Kampf‘, sagte die Mutter vorwurfsvoll. ‚Nichts machst du von selbst… immer muß ich dich erinnern‘.  Die Sportlehrerin erzählt: ‚Jungen lieben den Zweikampf… Mädchen aber auch‘. ‚Kommt‘, ruft Jesus, ‚laufen wir um die Wette. Wer hat mehr von Gott verstanden?‘

II

Bundesjugendspiele. Dreikampf. Vierkampf. Für Dieter ein Fest. Vor dem Start: Dieter macht Witze und bringt die anderen zum Lachen. ‚Achtung… Puste… los‘. Mitten beim 100-Meter-Lauf: Dieter schreit ‚Au!‘ und hinkt und humpelt ins Ziel. Am schönsten aber in meiner Erinnerung: Sein Abgang beim Bodenturnen. Rolle rückwärts. Radwende. Stand und dann ein – Knicks. Unser Klassenkasper. Beifall auf allen Rängen für den Aktionskünstler.

III

Alles ist Kampf. Kräftespiel. Kräftemessen. Wettkampf. Glaubenskampf. Der Lehrer war sauer, oder tat er nur so? Das Ideal lautet ja: Im Wettkampf soll die Persönlichkeit sich zeigen oder besser: sich entwickeln und reifen. Im Messen der Kräfte, im vollen Einsatz für ein Ziel wirken Körper und Geist zusammen und werden gesund.

Dieter ließ sich in dieses Programm nicht hineinnehmen. Uns Mitschülern tat das gut oder zumindest halbgut. Im Lachen und Feixen kamen die Anspannung, die Ängste, zu versagen, die Schamgefühle wegen einer unsportlichen Figur heraus. Bundesjugendspiele sind ja nicht ohne… gerade wenn man nicht zu den ‚Sportskanonen‘ gehört. Dieter, der Narr, signalisierte: Was macht ihr da eigentlich? Ein Knicks nach der Bodenübung – das war eine Art Kampferklärung an den Kampfgedanken. Im allgemeinen Getümmel sagte jemand, was Sache ist.

IV

Kämpfe den guten Kampf des Glaubens.‘ Ja, die Bibel spricht vom Agon, vom Kampf Jesu und den Kampf um Jesu Willen. Ich sage einmal: Vom Wettlaufen in den Spuren Jesu. Auch dann, wenn es schwierig wird und ich angefeindet werde. Mir wurde erzählt, daß der Ruf des Apostels früher, bei euren Groß- oder Urgroßeltern, ein beliebter Konfirmationsspruch war, besonders natürlich in der Nazizeit. Kirchenkampf – Ermutigung zum Widerstand und zur Glaubenstreue.

Für euch Konfirmanden jedoch war es zunächst rätselhaft. Glaube und Kampf, Streit oder sogar Aggression? Wie soll das zusammengehen? Jesus war ja kein verbissener Glaubenskämpfer. Er hat auch keinen Heiligen Krieg gegen Ungläubige ausgerufen. Im Gegenteil: ‚Liebet eure Feinde‘, hat er gesagt. Aber wer die Evangelien genau liest, der lernt: Jesus hatte schon Lust zur Nähe, zum Dialog, zum Streit und auch zur Provokation. Man muß die Menschen aufrütteln und sich zu denen setzen, bei denen keiner sitzen will. Man muß den Weltlauf herausfordern, unterbrechen und einen anderen Blick wagen. Viele waren begeistert, aber viele haben sich auch an ihm gerieben. Kommt, laufen wir um die Wette! Wer hat mehr von Gott verstanden?

V

‚Nichts machst du von selbst‘, seufzt die Mutter, ‚ich bin das Kämpfen so leid‘. ‚Jungen lieben den Zweikampf, Mädchen aber auch…‘  Wir haben darüber gesprochen: ‚Alles ist Kampf‘, ja, das Leben gleicht einem Kräftespiel, einem Kräftemessen, und oft ist das auch gut so. Jedenfalls im Sport. Im Vergleich mit einem Konkurrenten kann ich motiviert werden, meine Fähigkeiten einschätzen und mich verbessern. Erst die Herausforderung durch dich macht mich lebendig. Dieses ‚Ich-darf-nicht-kneifen‘, dieses ‚Ich-muß-mich-stellen-Gefühl‘ fordert Körper und Geist heraus. Ob man dies, wie manche meinen, als ‚Schwarze Pädagogik‘ bezeichnen kann und eine Abschaffung der Bundesjugendspiele an der Zeit ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

Wir haben allerdings, realistisch wie Ihr jungen Leute nun einmal seid, auch die Gegenrechnung aufgemacht. Zum Sieger gehört der Verlierer, zum Jubel die Trauer, zum Höhenflug der Absturz. Erschöpfung, Schamgefühle. Die Erfahrenen, die Erwachsenen, eure Eltern besonders, werden dies aus ihrem Lebenslauf erinnern. Sie mußten sich stellen und denken vielleicht heute: Es gab Menschen, Ziele, die meines vollen Einsatzes wert waren – euch zu erziehen zum Beispiel. Ich habe meine Kraft investiert, sie verausgabt und manchmal auch vergeudet. Ich kenne Siege, die Tränen des Glücks und die Tränen der Niederlage, und die Älteren werden sich auch fragen: In welchen Läufen und Kämpfen, in welchen Agonien werde ich noch antreten müssen? Was steht mir und uns noch bevor?

VI

Kämpfe den guten Kampf des Glaubens…‘ Kann man von einem Klassenclown etwas lernen? Einen Knicks nach dem Radschlagen? Ich glaube, darum ist mir Dieter bei meiner Predigtvorbereitung buchstäblich zugefallen. Jeder Wettkampf braucht eine Prise (oder auch etwas mehr!) Humor, Parodie oder Selbstverulkung. Und jetzt sage ich auch: eine Prise Glauben! Denn unser Glaube ist ja diejenige Macht Gottes in uns, die uns aus dem Alltäglichen und Selbstverständlichen ein Stück weit ‚ent-rückt‘ und uns die Welt anders sehen läßt. Wer also den Kampf des Glaubens führt, der geht einen Schritt zur Seite, soz. an den Spielfeldrand.

Wie arm ist der dran, der im allgemeinen Kräftespiel nicht mehr die Kraft zum Abstand, zum Innehalten, ja, zum Ausstieg aufbringt – auch mitten im 100-Meter-Lauf… Der nicht mehr die Lust zum Provozieren in sich spürt und darin dem Kampfgeschehen selbst den Kampf ansagt. Nicht nur wir in Dortmund wissen es ja. Wettkämpfe, weite Bereiche des Sports, sind gefährdet, von Geld, Neid und Gier beherrscht zu werden. Auch der Lebenskampf, Schule, Beruf, Politik, Kirche ist letztlich ein blindes Geschehen, ein Kampf um Prestige, Macht und Einfluß, ein Kampf aller gegen alle. Unser Bestes, Kraft, Wille, Einsatzfreude kann darin völlig verdorben werden und Seele und Körper nehmen bleibenden Schaden.

VII

‚Kommt, laufen wir um die Wette‘, sagt Jesus, ‚wer hat mehr von Gott verstanden?‘ Ja, Jesus suchte die Nähe zu den Menschen, auch zu denen, die ihn ablehnten, er suchte das Kräftespiel und das Kräftemessen. Er stritt um Gott, um den Gott Israels, den er ‚Vater‘ nannte, und der mit seinem Liebeswort, seiner Verheißung, seinem Gebot den Lauf dieser Welt unterbricht und ihr den Spiegel vorhält. Pause. Abpfiff. Um den Gott, der uns Recken und Kämpfern, Siegern und Verlierern die Frage stellt: Was macht ihr da eigentlich? Ist es gut, was ihr macht, und könnt ihr das Gute vom Bösen unterscheiden, das, was dem Leben dient und der Gemeinschaft, und das, was deinem Leben schadet oder es gar gefährdet?

Wer hat mehr von Gott verstanden? Im Wettkampf des Glaubens geht es sozusagen um einen Mitspieler, der immer etwas nervt, der stört. Den man lange Zeit ignorieren oder vergessen kann, verdrängen und zerstören, und dann plötzlich springt er mitten im allgemeinen Kampfgetümmel auf’s Spielfeld und der Schiedsrichter bricht ab. ‚They cut me down, but I leapt on high‘, heißt es im ‚Lord of the Dance‘.

Jungen mögen den Zweikampf. Mädchen auch. Menschlich und gut wird unser Kampf dann, wenn ich dem anderen in die Augen sehe und erkenne: Ein geliebter Mensch wie ich. Ein Mensch mit Gefühlen, die ich nicht beschämen oder lächerlich machen will. Ein Mensch, der meine Anerkennung sucht.

VIII

Die Lehrer und Lehrerinnen wissen es und klagen auch darüber: Klassenkasper sind gewiß nicht unproblematisch. Oft sind sie hier drinnen trauriger als man von außen denkt – der große Kasper ist gar kein Kasper und man erschrickt. Denkt an die Tränen, die einem Clown ins Gesicht geschminkt werden. Jemand hat Jesus den ‚Narren Gottes‘ genannt und auch der Apostel Paulus (1. Kor. 4,10) spricht von den Christen als ‚Narren um Christi Willen‘ und hält einmal sogar eine Narrenrede (2.Kor. 10-13). Clowns im Lebenskampf.

Ich wünsche euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, den Mut, die Freude, den Schalk, ab und an den Spuren der beiden zu folgen: Was mache ich da eigentlich? Was macht ihr da eigentlich? Ist es gut? Ist es böse?

(Gebet nach der Predigt: ) Herr Jesus Christus, du bist vom Tode zum Leben erstanden. Wir bitten dich: Nimm uns mit auf den Weg des Glaubens, überwinde Angst und Feigheit und gib uns den Mut, aus den Reihen zu treten und uns zu dir zu bekennen.

Lieder: Wir wollen aufstehn (Cl. Bittlinger) / Auf, auf mein Herz mit Freuden (P. Gerhardt eg 112) / Lord of the Dance /Ich tanzte an dem Morgen (S. Carter)


Jochen Riepe

Lit.: H. Cox , Das Fest der Narren Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, 1970, S. 139ff ( Christus als Harlekin)  /  https://taz.de/Bundesjugendspiele-gehoeren-abgeschafft/!5931115/