2 Korinther 13,11-13

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„Alles fließt“| Trinitatis | 15.06.25 | 2 Kor 13,11-13 | Martina Janßen |

  1. Der Schluss will gut überlegt sein – bei Büchern, Filmen, Reden. Auch bei Briefen ist das so. Der Schluss ist der Schlüssel, er verrät viel über Anlässe, Hierarchien, Vertrautheiten, Beziehungen. Beende ich einen Brief lässig, liebevoll oder formal? Mit „herzlichen“, „vielen“ oder mit „freundlichen“ Grüßen? Oder einfach nur „Gruß“? Vielleicht sogar nur abgekürzt „LG“, weil man miteinander vertraut ist und sich Freundlichkeit und Herzlichkeit gegenseitig nicht versichern muss? Wenn es passt auch XOXO „kisses and hughes“? Wie auch immer – der Schluss muss stimmen. Stimmt der Schluss nicht, ist es keine runde Sache.

Lesung 2 Kor 13,11-13: „11 Zuletzt, Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. 12 Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. 13 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Es ist ein schwieriger Brief, den Paulus hier beendet. Vieles bleibt unausgesprochen, schwingt aber zwischen den Zeilen mit. Eine Mischung aus klaren Worten und versteckten Untertönen. Das passt, das ist stimmig. Das Verhältnis zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth ist kompliziert. Paulus schreibt seinen Brief in eine Krise hinein, seine Autorität steht auf dem Spiel. Gegner werden in der Gemeinde laut und üben Kritik an Paulus. „Seine Briefe, sagen sie, wiegen schwer und sind stark; aber wenn er selbst anwesend ist, ist er schwach und seine Rede kläglich.“ (2 Kor 10,10) Kein gutes Zeugnis, ein lausiger Redner soll Paulus also sein. Das hört niemand gerne, ein Weltapostel allemal schon nicht. So ist es nun ein Tränenbrief geworden: „Denn ich schrieb euch aus großer Bedrängnis und Angst des Herzens unter vielen Tränen; nicht damit ihr betrübt werdet, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich habe, besonders zu euch.“ (2 Kor 2,4). Paulus und die Gemeinde haben – um es positiv zu formulieren – eine dynamische, eine komplizierte Beziehung. Schwierigkeiten mit der Kollektensammlung für Jerusalem, Auseinandersetzungen mit Gegnern und abweichenden Meinungen, misslungene Besuche und Vermittlungsversuche durch neutrale Dritte (Titus) und doch immer wieder neue Hoffnung, Neuanfänge, Versöhnung. All diese gemischten Gefühle merkt man Paulus im Schluss seines Briefes an.

Zuletzt, Brüder und Schwestern, freut euch. Das Ende beginnt freudig, freundlich, geschwisterlich. Doch Paulus bringt auch die Autorität des „großen Bruders“ ins Spiel. Auf die Ermunterung folgt die Ermahnung: Lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen. Seid friedlich, dann wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Und was wenn nicht? Wenn es nicht friedlich zugeht? Ist Gott dann nicht mehr da? Das könnte auch als verdeckte Drohung gelesen werden. Doch dann wieder: XOXO „kisses and hughes“. Grüßt einander mit dem heiligen Kuss, dem alten, geschwisterlichen Friedenskuss (vgl. 1 Kor 16,20; 1 Petr 5,14), der für Versöhnung steht und der in sich den Wunsch trägt, dass „Gerechtigkeit und Friede sich küssen.“ (Ps 85,11). Grüßt einander in diesem Sinne, seid von uns in diesem Sinne gegrüßt. Es grüßen euch alle Heiligen. Paulus inszeniert Gemeinschaft, nimmt andere in die Beziehung hinein, alle Heiligen grüßen und küssen. Wie viel Dynamik ist da zwischen Paulus und der Gemeinde in Korinth! Allein der Schluss seines Briefes verrät es.  Paulus setzt einen Punkt und nimmt das Gespräch doch wieder neu auf, bricht das Gespräch nicht ab, lässt nicht ab von der Gemeinde, lässt sich immer wieder neu auf sie ein, verhärtet sich nicht, verharrt nicht in seiner Blase, macht nicht Schluss am Schluss, sondern bleibt in Beziehung. Der Schluss spiegelt alles wieder: Zuckerbrot und Peitsche. Kuss und Kritik. Tränen und Tadel. Erhobener Zeigefinger, ausgestreckte Hand und geschwisterlicher Kuss. Alles fließt, alles fließt ineinander, alles ist Leben, Lieben, Leiden, alles ist im Fluss.

  1. Das Beste kommt zum Schluss, auch am Schluss. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Mit diesen Worten endet der Brief des Paulus, mit einem Segenswunsch, Gott selbst wird in die Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde hineingenommen. Beim erstem Hinhören klingen diese Segensworte vielen von uns vertraut, doch zwischen den Zeilen ist es kompliziert, da ist Dynamik drin. Gnade, Liebe, Gemeinschaft. Aller guten Dinge sind drei. Hier beginnt ein Denken über Gott, das sich später zu einem theologisch komplexen Gedankengebäude entwickelt hat. Vater, Sohn, Heiliger Geist. Ein Gott mit drei Seiten, drei Rollen, drei Personen: der Vater, den ich loben und danken, dem ich klagen und vertrauen kann; der Sohn, den ich als Menschen an und auf meiner Seite weiß; der Heilige Geist, der tief in mir wirkt, mich stärkt und tröstet. Diesen unseren einen, dreieinigen Gott feiern wir heute und im Glaubensbekenntnis bekennen wir ihn. Dreieinigkeit – auf Latein heißt das trinitas, daher hat dieser Sonntag Trinitatis seinen Namen. Das mit der Trinität Gottes ist komplex und paradox, eine komplizierte Beziehungsgeschichte: Ist Gott nun einer oder drei? Oder beides? 1+1+1+= 1? Das wäre eine sehr gewagte metaphysische Arithmetik, denn ganz so stimmig ist das mathematisch nicht. Die Vorstellung des dreieinigen und dreifaltigen Gottes geht auf theologische Denkmodelle in den ersten christlichen Jahrhunderten zurück – alte Zeiten, ferne Welten, fremd anmutende Gedankenspiele, bei denen einiges unklar und anderes umstritten bleibt.

Was abstrakt und theoretisch anmutet, ist aber genau das Gegenteil. Der Grundgedanke ist unfassbar gut: Gott ist aktiv, kreativ, progressiv. Er bleibt nicht in seiner Blase, bleibt nicht bei sich, ist kein erstarrtes Beharren in sich selbst, kein entrückter Weltmonarch auf seinem himmlischen Thron hoch über den Wolken. Gott ist anders: Gnade, Liebe, Gemeinschaft. Gott ist kein weltfremdes Wesen, keine starre Statue oder absolut stehende Weltformel, sondern einer, der sich anrühren lässt und der uns anrührt. Gott ist in Bewegung, ist offen für Begegnung, ist mit sich selbst in Beziehung, nimmt uns hinein in seine Beziehung, ist schöpferische Dynamik, fließendes Leben, liebender Über-Fluß: „Im Pfingstgeschehen schäumte die dreieinige Gottheit, wenn man so sagen darf, über. Sie teilte, verteilte sich. …lieber als einsamer Herr zu sein fließt sie über in Menschen hinein“ (Kurt Marti, Zärtlichkeit und Schmerz, 1981, 118). Alles fließt, alles ist in Bewegung, alles ist Leben, Lieben, Leiden, in Gott selbst und bei uns Menschen: Denn „nach seinem Bilde schuf er uns.“ (vgl. Gen 1,27). Menschliches Leben ist Beziehung mit allem, was dazu gehört: gemischte Gefühle, Tränen und Trost, Krisen und Küsse, Brüche und Brücken und immer wieder: „Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei“ (1 Kor 13,13).

III. Ein unfassbar guter Gedanke, für den Paulus ganz am Schluss seines Briefes den Grundstein legt, auf den andere aufbauen und den wieder andere zu einem komplexen Gedankengebäude ausbauen: Gott ist Beziehung, lebt und will Beziehung mit sich und zu uns, ein lebendiger Gott, im Fließen der wechselnden Formen bleibt er eins, unnahbar und doch zum Greifen nah. So kann ich die alten Gedanken heute denken – als ein Strömen von Liebe in allen Facetten und Gegensätzen, ein Ineinanderfließen der Allmacht des Schöpfers, der Ohnmacht des Gekreuzigten und der Wirkmacht des Geistes. All das ist Gott: schöpferisch und streng, solidarisch und sanft, Schöpfer und Richter, Mensch und Tröster. „Was ist Gottes Eigenschaft? Sich ins Geschöpf ergießen, allezeit derselbe sein.“ (Angelus Silesius). Die „gesellige Gottheit“ (Kurt Marti) fließt über sich hinaus, fließt in die dunkelsten Winkel und wieder zurück in die lichtesten Höhen; ist oben, ist unten, ist in allem, ist strömende Sehnsucht und „spielende Minneflut“ (Mechthild von Magdeburg). Wir sind in das Fließen des lebendigen Gottes hineingenommen, in den „divine flow“ der Trinität: „Du musst ihren Fluss in deinem Leben auf verschiedenen Ebenen erfahren: Du musst Momente haben, in denen du weißt, dass ein großes Leben in dir (Heiliger Geist), aber auch jenseits von dir (Vater) und auch als du (Christus) geschieht! […] Du bist ein Teil des Flusses („You must experience its flow in your life on different levels: You must have moments where you know that a big life is happening in you [Holy Spirit], yet beyond you [Father], and also as you [Christ]! […] You are a part of the flow.“ (Richard Rohr, OFM; https://cac.org/daily-meditations/living-in-the-flow-2023-06-07/). Alles fließt ineinander, bei uns und in Gott selbst, Leben, Lieben, Leiden, alles ist im Fluss immer wieder neu, in alles ist seine überschießende Gnade gewebt, alles wird durch seine Liebe belebt, über allem schwebt sein Geist (vgl. Gen 1,1). Das sei heute gefeiert: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Amen

PD Dr. Martina Janßen

Hildesheim

dr.martina.janssen@evlka.de

Martina Janßen, geb. 1971, Privatdozentin für Neues Testament (Universität Göttingen), Pastorin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers