
2. Korinther 3,2f
Lebens-Geschichten: Liebes-Brief | 2. Korinther 3,2f | Jan Rohls |
Markuskirche München
Universitätsgottesdienste der Universität München im Wintersemester 2001/2002
(Angelus Silesius)
Sie begehrt verwundet zu sein von
ihrem Geliebten
Jesu, du mächtiger Liebesgott,
Nah dich zu mir,
denn ich verschmachte fast bis in Tod
Vor Liebesbegier.
Ergreif die Waffen, und in Eil
Durchstich mein Herz mit deinem Pfeil,
Verwunde mich.
Komm, meine Sonne, mein Lebenslicht,
Mein Aufenthalt,
Komm und erwärme mich, daß ich nicht
Bleib ewig kalt.
Wirf deine Flammen in den Schrein
Meins halbgefrornen Herzens ein,
Entzünde mich.
O allersüßeste Seelenbrunst,
Druchglüh mich ganz
Und überform mich aus Gnad und Gunst
In deinen Glanz.
Blas an das Feuer ohn Verdruß,
Daß dir mein Herz mit schnellem Fluß
Vereinigt sei.
Dann will ich sagen, daß du mich hast
Erlöst vom Tod
Und als ein lieblicher Seelengast
Besucht in Not.
Dann will ich rühmen, daß du bist
Mein Bräutigam, der mich liebt und küßt
Und nicht verläßt.
2. Korinther 3, 2f
Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen!
Ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen.
G. W. F. Hegel, Der Geist des Christentums
Im Reiche Gottes ist das Gemeinschaftliche, daß alle in Gott lebendig sind, nicht das Gemeinschaftliche in einem Begriff, sondern Liebe, ein lebendiges Band, das die Glaubenden vereinigt, diese Empfindung der Einigkeit des Lebens, in der alle Entgegensetzungen, als solche Feindschaften, und auch die Vereinigungen der bestehenden Entgegensetzungen, – Rechte aufgehoben sind; ein neu Gebot gebe ich euch, sagt Jesus, daß ihr euch untereinander liebt, daran soll man erkennen, daß ihr meine Jünger seid. Diese Seelenfreundschaft als Wesen, als Geist für die Reflexion ausgesprochen ist der göttliche Geist, Gott, der die Gemeine regiert. … In der Liebe hat der Mensch sich selbst in einem anderen wiedergefunden; weil sie eine Vereinigung des Lebens ist, setzte sie Trennung, eine Entwicklung, gebildete Vielseitigkeit desselben voraus; und in je mehr Gestalten das Leben lebendig ist, in desto mehr Punkten kann es sich vereinigen und fühlen, desto inniger die Liebe sein; je ausgedehnter an Mannigfaltigkeit die Beziehungen und Gefühle der Liebenden sind, je inniger die Liebe sich konzentriert, desto ausschließender ist sie, desto gleichgültiger für andere Lebensformen;
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Christus!
„Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen! Ist doch offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln, nämlich eure Herzen“. Nun, ich gebe zu: die Worte sind nicht direkt auf Sie bezogen, liebe Besucher des heutigen Adventsgottesdienstes. Nein, so redet vielmehr der Apostel Paulus in einem Brief – es ist bereits der zweite – die Gemeindeglieder in der griechischen Hafenstadt Korinth an. Er spricht von der Gemeinde nicht, wie er es ansonsten wohl zu tun pflegt, als Leib Christi, auch nicht als Tempel Gottes, als Bau oder als Pflanzung. Er spricht von ihr stattdessen als Brief. Ein Brief – um das zu wissen muß man kein Medienexperte sein -, ein Brief hat einen Absender und einen Adressaten. Zum Schreiben bedarf es eines Schreibmaterials ebenso wie eines Schreibwerkzeugs, und schließlich darf der nicht fehlen, der den Brief überbringt. Mit dem Brief, von dem Paulus spricht, hat es nun aber eine besondere Bewandtnis. Zunächst scheint zumindest der Absender eindeutig. „Ihr seid unser Brief“ schreibt Paulus, und so handelt es sich offenbar um einen Brief aus der Hand des Apostels. Damals wie heute war es üblich, Personen Empfehlungsschreiben mit auf den Weg zu geben, wenn sie sich irgendwo vorstellten, bewarben oder um gastliche Aufnahme bemühten. Solche Schreiben stellten gewöhnlich die Tüchtigkeit und die Leistung des Überbringers heraus. Zugleich erinnerten sie an das Band der Freundschaft zwischen Absender und Adressat. Der Empfänger des Briefes wurde vom Autor um einen Freundschaftsdienst gebeten. Solche Empfehlungsbriefe waren in der antiken Welt verbreitet, und wir begegnen ihnen auch häufig im Neuen Testament.
Allerdings, hier handelt es sich um einen ganz besonderen Empfehlungsbrief. Die Gemeinde von Korinth soll ja dieser Brief sein. Und der Autor dieses Briefes steht keineswegs so klar fest, wie es zu Anfang scheinen mochte. Zwar sagt Paulus, die Gemeinde sei durch seinen Dienst zubereitet, so daß man den Eindruck gewinnen könnte, er, Paulus, sei der Verfasser. Doch wie so oft in der Bibel ist auch hier die Verfasserfrage nicht derart leicht zu beantworten. Die Gemeinde ist nämlich eigentlich gar nicht der Brief des Paulus, sie ist vielmehr der Brief Christi. Und damit ist sie ein Liebesbrief. Sie ist ein Dokument, ein Zeugnis der Liebe Christi. Natürlich setzt dieses Bild voraus, daß zwischen Christus und seiner Gemeinde ein Liebesverhältnis besteht, und zwar ein wechselseitiges Liebesverhältnis. Das Christentum ist, was die nähere Beschreibung dieses Verhältnisses angeht, alles andere als prüde gewesen. Es hat vielmehr alle Register der erotischen Liebeslyrik gezogen, um der Liebe zwischen der Gemeinde oder der einzelnen Seele und Christus vollendeten Ausdruck zu verleihen. Ich spreche vom sogenannten Hohenlied Salomos, einer der großartigsten Sammlungen orientalischer Liebesdichtung. Was hier von der Sehnsucht der Freundin nach ihrem Geliebten gesagt wird, das übertrugen die Schriftausleger in Antike und Mittelalter auf das Verhältnis der Gemeinde oder Seele zu Christus. „Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: ‚Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?‘ Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich ihn, da fand ich ihn, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus“.
Nehmen wir uns einmal wie unsere antiken und mittelalterlichen Vorfahren die Freiheit und deuten wir diese Verse allegorisch, in übertragenem Sinne. Klingen sie dann nicht ganz ähnlich wie die berühmten Eingangszeilen der „Bekenntnisse“ Augustins? „Herr, du hast uns die Richtung gegeben hin zu dir, und keine Ruhe hat unser Herz, bis es Ruhe findet in dir“? Wer kennt nicht die Unruhe des Herzens, die sehnsüchtige Liebe. Eros, so sagt es Platon im „Symposion“, ist das Kind einer armen und heimatlosen Mutter und eines reichen Vaters. Er ist rastlos, weil er nicht hat, wonach er strebt und sich sehnt, dem Schönen und Guten. Das Wesen des Eros ist die sehnsüchtige Unruhe. Die Unruhe seines Herzens aber verliert der Mensch erst, wenn er Ruhe findet in Gott. Augustin hat in seinen „Bekenntnissen“ den Weg beschrieben, wie er selbst die Ruhe seines Herzens fand. Er hatte die Platoniker seiner Zeit gelesen. Er war bei ihnen in die Schule gegangen. Er kannte die philosophisch-theologischen Diskussionen über das höchste Gut, das Wahre, das Gute und das Schöne. Er hatte gelernt zwischen scheinbaren Gütern und dem wahren Gut zu unterscheiden. Und wer wollte bestreiten, daß wir nur dann zu einer inneren Ruhe finden, wenn wir zwischen beidem zu unterscheiden gelernt und erkannt haben, was wirklich gut ist? Wer fragt denn nicht nach dem Sinn des Lebens? Wer sehnte sich denn nicht nach dem wahren Leben hinter dem scheinbaren? Ich tue mich schwer, die Fragen nach dem Sinn des Leben, dem sinnvollen und guten Leben als metaphysischen Sperrmüll vor die Haustür zu stellen. Augustin hat wohlgemerkt all diese Fragen gestellt, und es war nicht die Lektüre der platonischen Philosophen allein, die ihm seine Fragen beantwortete. Vielmehr bekennt er, dort zwar vieles über Gott und sein ewiges Wort gelesen zu haben, nicht aber darüber, daß dieses Gott in Christus Mensch geworden ist. Er las dort nichts von der Liebe Gottes zu den Menschen, nichts davon, daß Gott zu den Menschen kam, damit ihre Herzen Ruhe fänden in ihm.
Im Advent ist ja von dieser Liebe Gottes in besonderer Weise die Rede, von der Ankunft Gottes bei den Menschen. Die christliche Lieddichtung hat unterschiedliche Bilder dafür gefunden. Das Bild vom Schiff, das mit der kostbaren Fracht des Wortes Gottes beladen den Anker auf die Erde wirft. Und was ist der Grund für diese Menschwerdung Gottes? Bei Paul Gerhardt, dem bedeutendsten evangelischen Liederdichter des Barock, heißt es: „Nichts, nichts hat dich getrieben/ zu mir vom Himmelszelt/ als das geliebte Lieben,/ damit du alle Welt/ in ihren tausend Plagen/ und großen Jammerlast,/ die kein Mund kann aussagen,/ so fest umfangen hast“. Die Liebe Gottes zu den Menschen, seine Ankunft bei ihnen, das ist aber nur die eine Seite. Denn Paul Gerhardts Adventslied beginnt ja mit einer Frage: „Wie soll ich dich empfangen/ und wie begegn ich dir,/ o aller Welt Verlangen,/ o meiner Seelen Zier?“ Und es endet mit einem Ausblick auf das Gericht: „Er kommt zum Weltgerichte:/ zum Fluch dem, der ihm flucht,/ mit Gnad und süßem Lichte/ dem, der ihn liebt und sucht.“ Antwort auf die Frage, wie man der Ankunft der Liebe Gottes begegnen soll, lautet also: mit Liebe. Der Liebe Gottes zu den Menschen entspricht die Liebe des Menschen zu Gott. Wen wundert angesichts des Wechselspiels von göttlicher Menschen- und menschlicher Gottesliebe, von dem das Neue Testament spricht, noch die Liebes- und Brautmystik des Barockzeitalters? Der größte religiöse Dichter des Barock, Johannes Scheffler, der sich nach seiner Konversion zum Katholizismus Angelus Silesius nannte, verfaßte eine Gedichtsammlung mit dem Titel „Heilige Seelen-Lust/ Oder Geistliche Hirten-Lieder Der in jhren Jesum verliebten Psyche“. Ein Lied der verliebten Seele werden wir jetzt hören. (Lesung: Angelus Silesius, Sie begehret verwundet zu seyn von jhrem Geliebten, 1657).
Es könnte so scheinen, als hätten wir uns inzwischen von unserem Predigttext weit weg bewegt. Das ist aber mitnichten der Fall. In diesem Text wird die Gemeinde als Brief Christi bezeichnet, als ein Empfehlungsschreiben, das alle lesen und verstehen können als ein Dokument und Zeugnis der Liebe Christi. Der Verfasser des Briefes steht fest: Christus, das menschgewordene Wort Gottes. Die Adressaten stehen gleichfalls fest. Es handelt sich bei der Gemeinde ja um ein Empfehlungsschreiben, einen werbenden Liebesbrief an die ganze Menschheit, den Paulus, der Apostel der Menschheit, im Herzen trägt und übermittelt. Ein gewöhnlicher Brief wurde zur Zeit des Paulus mit schwarzer Tinte auf Papyrus geschrieben. Doch der Liebesbrief, als den Paulus die Gemeinde bezeichnet, ist nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes geschrieben. Aber dann ist statt vom Papyrus von steinernen Tafeln die Rede, daß nämlich die Gemeinde ein Brief sei, geschrieben nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf Herzen von Fleisch. Mit den steinernen Tafeln sind die Gesetzestafeln gemeint, die Mose auf dem Berg Sinai empfangen hat und von denen es heißt, daß Gott sie eigenhändig beschrieben habe. Gott hat seine Liebe mit seinem Geist in die Herzen der Menschen seiner Gemeinde eingeschrieben. Den Menschen stehen nicht mehr die äußeren Tafeln des Gesetzes gegenüber, nicht mehr eine fremde Autorität, die Gehorsam verlangt, sondern der Geist der Liebe Gottes ist in ihre Herzen eingraviert. Aus steinernen Herzen sind lebendige Herzen geworden, an die Stelle des tötenden Buchstabens ist der lebendig machende Geist getreten. Es ist der Geist der Liebe, der die Gemeinde zu einem Liebesbrief Christi und damit Gottes macht. In diesem Geist der Liebe erblickte Hegel den Geist des Christentums. (Lesung: G.W.F. Hegel, Der Geist des Christentums und sein Schicksal, in: G.W.F. Hegel, Werke, ed, Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Bd.1, Frankfurt/M. 1971, 394f.).
Der Liebesbrief, der die Gemeinde ist, läßt einen Schluß auf seinen Verfasser zu. Der Autor des ersten Johannesbriefs hat diesen Schluß gezogen, indem er sagt: „Gott ist die Liebe“. Es handelt sich daher um einen besonderen Liebesbrief. Denn er ist nicht von irgendeiner liebenden und geliebten Person verfaßt, sondern von der Liebe selbst. Die christliche Theologie hat im Laufe ihrer langen Geschichte diesen Gedanken, daß Gott die Liebe ist, mit dem Gedanken der Dreieinigkeit, der Trinität verknüpft. Ja, man hat sogar gemeint, die Dreieinigkeit daraus ableiten zu können, daß Gott die Liebe ist. Bedarf es denn zur Liebe nicht immer dreier Größen: des Liebenden, des Geliebten und schließlich der gegenseitigen Liebe zwischen beiden? Angelus Silesius übrigens hat sich nicht gescheut, auch diese gegenseitige Liebe in Gott selbst in die Worte der Liebesmystik zu kleiden: „Gott küßt sich in sich selbst/ sein Kuß der ist sein Geist/ Der Sohn ist den er küst/ der Vater ders geleist“. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß Gott, gerade weil er sich offenbar selbst liebt, gar nichts anderes außer sich lieben müßte. Doch wäre Gott dann noch wahrhafte Liebe, wenn er nur sich selbst liebte? Ist die ausschließliche Selbstliebe nicht das krasse Gegenteil von wahrer Liebe? Gehört es nicht zum Wesen der Liebe hinzu, daß sie sich anderem schenkt und mitteilt? Daß sie sich nach anderem sehnt? Daß sie Kontakt zu anderem sucht? Daß sie dem anderen Briefe schreibt, Liebesbriefe, die die Menschen ermuntern, mit Liebe zu antworten? Jetzt, wo Weihnachten vor der Tür steht, wollen wir uns auf diese Liebe Gottes zu anderem, nämlich zum Menschen, besinnen und ihr mit unserer Liebe zu anderen, nämlich zu Gott und den Mitmenschen, begegnen. Denn: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Oder mit Angelus Silesius zu sprechen: „Die Braut des ewgen Gotts kan jede Seele werden:/ Wo sie nur seinem Geist sich unterwirfft auf Erden“. Amen.
GEMEINDE EG 400, 1-3.7 Ich will dich lieben, meine Stärke
Prof. Dr. Jan Rohls