
Matthäus 21,1-9 (dänische Perikopenordnung)
1.Sonntag im Advent | 01.12.24 | Matthäus 21,1-9 (dänische Perikopenordnung) | Von Thomas Reinholdt Rasmussen |
Erlauben Sie mir heute, etwas anders zu beginnen, in der Welt der Märchen, wo Hans Christian Andersen das Märchen vom „Tölpel-Hans“ erzählt.[1]
Viele werden die Geschichte kennen von dem tölpelhaften kleinen Bruder, der die klugen und wichtigen Leute überlistet, die Weisen dieser Welt, die die Zeitung von vorne bis hinten lesen können. Und er gewinnt zudem die Prinzessin und das ganze Königreich.
Und das tut er, indem er mit einer freimütigen Hoffnung hinaus in die Welt reitet. Da ist nichts, was ihn aus der Bahn werfen kann. Auch wenn die Prinzessin schlagfertig ist und alle Nebenbuhler abweist, bringt das Tölpel-Hans nicht zum Schweigen, er wird auch nicht zum Schweigen gebracht. Schlagfertig gibt er Antwort und kann die ganze Welt auf andere Gedanken bringen.
Er reitet hinaus in die Welt auf seiner Ziege, und er reitet auf einer Hoffnung.
Es besteht kein Zweifel daran, dass H.C. Andersen mit dem Märchen vom Tölpel-Hans in seiner Weise das Evangelium vom Einzug in Jerusalem nacherzählen wollte, das wir gerade gehört haben.
Hier reitet Jesus auch. Wenn auch nicht auf einer Ziege, sondern auf einem Esel. Aber die Verwandtschaft ist in jeder Hinsicht deutlich, und man kann dauernd wunderbare Parallelen zwischen dem Märchen und dem Evangelium finden. H.C. Andersen erzählt es einfach neu in seiner Weise. Das Märchen von Tölpel-Hans ist die Weise, wie er das heutige Evangelium erzählt.
Eine Erzählung von Hoffnung
Andersen nimmt sich das Evangelium und macht daraus eine neue Geschichte. Die hat dieselbe Tendenz und will dasselbe sagen.
Sie will nämlich davon erzählen, dass wir von der Hoffnung leben. Der lebendigen Hoffnung. Denn eine Hoffnung gründet nämlich nicht so wie viele andere in der Vergangenheit. Sie ist in der Zukunft verankert.
Wir haben so viel, was uns an die Vergangenheit bindet und was bewirkt, dass wir nicht von der Stelle kommen oder ordentlich leben können. Wir können so viel im Gepäck des Lebens mit uns tragen, dass die Verankerung in der Vergangenheit bewirkt, dass wir in der Gegenwart gefangen sind.
Die Verankerung in der Vergangenheit nennen wir Schuld. Den Anker der Zukunft nennen wir Hoffnung.
Denn Hoffnung ist ein Anker, den wir nach vorn werfen und der uns durch das Leben zieht.
Und das ist es, was Tölpel-Hans hat: eine Hoffnung. Unbefangenheit.
Und davon hat er gelebt, und das ist auch Jesus: eine lebendige Hoffnung.
Ohne Hoffnung ist die Vergangenheit stets lebendig und voller Schuld. Dann sind wir von der Vergangenheit bestimmt, die wahrlich gute und schöne Dinge enthalten kann, aber auch schwere und traurige Dinge. Und ohne die Hoffnung kann die Schuld nicht in Vergangenheit verwandelt werden, sie muss vielmehr stets in der Gegenwart anwesend sein, die die unsere ist und die uns deshalb beschwert, so dass wir nicht frei reiten können – sei es nun auf einem Esel oder einer Ziege – und es wagen, hinaus in die Welt zu gehen.
Die Hoffnung verändert Vergangenheit und Zukunft
Die Hoffnung bewirkt, dass man etwas wagt. Das ist es, was Tölpel-Hans tut. Das ist es, was Jesus tut. Denn Jesus weiß sehr wohl, wie das in Jerusalem enden wird, aber er reitet sanftmütig in die Stadt hinein, denn er ist die lebendige Hoffnung, die alle Schuld mit seinem Leben uns seiner Vergebung tilgt. Das verwandelt Schuld in Hoffnung.
Ich glaube, dass wir vor allem in dieser Zeit von Hoffnung sprechen müssen. Es ist wichtig, dass von Hoffnung gesprochen wird in dem Leben, das wir gemeinsam haben und das zur Zeit von vielen Seiten bedroht ist von Krisen und sogar Kriegen in unserer Nachbarschaft.
Wir sollen von der Hoffnung reden. Denn die Hoffnung verweist auf eine Zukunft, die es wert ist, dass wir in ihr sind und ihr begegnen. Die Hoffnung besteht ja darin, dass wir an einen Gott glauben, der alles neu macht.
Das ist die Fülle der Adventszeit, in die wir nun gemeinsam gehen: Eine Hoffnung, dass Gott alles neu macht, auch neu für uns, die wir im Finsteren und Schatten des Todes leben. Denn Advent ist das Wort davon, dass er kommt. Jesus Christus reitet wieder hinein zu uns mit seinem Wort von Hoffnung und Fülle. Das ist Advent.
Tölpel-Hans ritt in die Welt mit Freude und mit Hoffnung. Da ist bei Tölpel-Hans wohl auch eine Naivität, die wir nicht bei Jesus finden, wie ich meine. Jesus weiß sehr wohl, wie das in Jerusalem endet, dass die jubelnden Scharen ihn kreuzigen werden. Das ist auch die Geschichte, die über der Krippe zur Weihnacht steht und die Krippe und Kreuz zusammenstellt.
Aber Tölpel-Hans spiegelt die Hoffnung wider, von der die Weihnacht voll ist, und wir waten darauf, dass sie uns in einige Wochen erneut verkündigt wird: Dass uns ein Heiland geboren ist in der Stadt Davids. Er ist Christus, der Herr.
Er ist die Hoffnung, die all das, was uns beschwert, und all das, was uns ärgert, in reine Vergangenheit verwandelt, die du nicht mehr in der Gegenwart mit dir herumschleppst. Denn hier sollen wir von der Hoffnung leben, die er uns geschenkt hat. Die lebendige Hoffnung auf die Vergebung und Gnade Gottes.
Das ist Advent. Das erste Licht im Adventskranz wird angezündet. Das ist ein einzelnes Licht, das im Finsteren leuchtet. Ein Licht, das davon erzählt, dass die Hoffnung zwar gering und schwach sein kann, aber es kommen mehr Lichter. Es kommen mehr. Es kommen mehr Lichter.
Die Hoffnung leuchtet. Der Herr kommt. Der Glaube harrt auf ihn. Amen.
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Bischof Thomas Reinholdt Rasmussen
Thulebakken 1, DK-9000 Aalborg
Tlf. +45 98188088, E-mail: kmaal(at)km.dk
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[1] Das Märchen von Andersen findet man im Internet unter https://www.andersenstories.com/de/andersen_maerchen/tolpel_hans#google_vignette