1. Timotheus 1, 12-17

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Einladung in die Paulusschule | 3. So. n. Trinitatis | 06.07.2025 | 1. Tim. 1, 12-17 | verfasst von Rudolf Rengstorf

Liebe Leserin, lieber Leser!

Seit Mittwoch ist bei uns in Niedersachsen die Schule aus, die großen Ferien haben begonnen. Und die eine oder der andere von uns hat in der Familie etwas mitbekommen von der Erleichterung eines Schulkindes. Für uns aber heißt es heute morgen: Wieder in die Schule gehen. Der Text, der für die Predigt dieses Sonntags vorgesehen ist, kommt aus einer Schule und ist darauf angelegt, seine Leser und Hörer in diese Schule einzubeziehen. Es ist die Schule, die sich nach dem Apostel Paulus nennt. Der hat mit seinem Leben und Wirken Schüler gefunden. Und diese Männer und hier und da auch Frauen haben seine Lehre auch nach seinem Tod weiterverbreitetet. Sie haben die Leitung der von ihm gegründeten Gemeinden übernommen. Inmitten einer Welt, die voll war von religiösen Strömungen aller Art, haben sie dafür gesorgt, dass die christlichen Gemeinden auf Kurs blieben. Sie haben den Gemeinden feste Ordnungen gegeben, haben die Amtsträger geschult und Katechismen verfasst, damit auch den nachwachsenden Generationen klar war, was christlich ist und was nicht.

Wie der Apostel selbst haben auch seine Schüler Briefe geschrieben. Drei von diesen Briefen sind in Neuen Testament erhalten. Sie sind nicht an Gemeinden gerichtet, sondern an die Leiter der Gemeinden einer ganzen Region, also an frühe Regionalbischöfe. Diese Briefe werden nach den Adressaten Timotheus und Titus benannt. Als Autor dieser Briefe haben die Verfasser den Apostel Paulus selbst benannt, obwohl der, wie die Empfänger ja auch wussten, schon längst nicht mehr am Leben war. Der Stil, in dem diese Briefe verfasst sind, die Worte, die gebraucht werden, die Zeitumstände, die erkennbar werden haben sich gegenüber den echten Paulusbriefen auch deutlich verändert. Wenn der Apostel trotzdem als Absender bezeichnet wird, dann ist das – anders, als man lange Zeit gemeint hat – keine bewusste Fälschung. Nein, das entspricht der Art, die auch in anderen philosophischen und religiösen Schulen der damaligen Zeit gang und gebe war. Die Verfasser wollten von Anfang an deutlich machen, in wessen Geist sie schrieben, von wem sie ihre Lehre hatten. Vergleichbares kennen wir auch heute. Da wird jeder Brief, den ein Angestellter der Stadtverwaltung schreibt – ganz gleich aus welcher Abteilung – immer überschrieben mit: „Der Oberbürgermeister“. Oder denken wir an unsere Landeskirche. Ganz gleich, wer da Bischof oder Bischöfin ist, immer nennt sie sich immer noch „lutherisch“. Also nicht mit Fälschungen haben wir es bei diesen drei nachpaulinischen Briefen zu tun, sondern mit Dokumenten, die sich dem Geist und der Autorität des Heidenapostels unterordnen.

Nach dieser langen Vorrede nun zu dem Text aus der Paulusschule, er steht im ersten Kapitel des ersten Briefes an Timotheus. Sehen Sie mal, worum es in dieser Schule geht:

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt: mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war. Aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist.

Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.

 Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.

 Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

 Nein, Amen kann ich erst sagen, wenn ich entfaltet habe, was typisch ist für diese Schule und was wir hier lernen können.

Zum ersten fällt ja auf, dass die Bekehrung des Apostel Paulus eine zentrale Rolle spielt. Also die spektakuläre Kehre vom Christen verfolgenden Saulus zum Christusapostel Paulus. Der Verfasser dieses Briefes schlüpft selbst in diese Rolle und macht den Apostel mit seiner besonderen Geschichte und Bekehrung zum ersten und maßgebenden Vorbild für das, was an allen Christen geschieht. Das erscheint uns, die wir in der Regel in den christlichen Glauben hineingewachsen sind, als ganz fremd. Wer von uns könnte schon so ein einmaliges Bekehrungserlebnis vorweisen? Und sind die, die das von sich behaupten, die besseren Christen?

Unter dem Druck an eine besondere Begegnung mit Christus zu denken, vergessen wir zu leicht: Ja doch, die Kehre kennen wir nur allzu gut. Zwar nicht einmalig und spektakulär, aber immer wiederkehrend, meist schleichend. Ich meine: Die Zeiten, in denen Gott und der Glaube in weite Ferne rücken – bis dahin, dass uns das offene Bekenntnis peinlich ist. Und dann wieder die unvergesslichen Momente, in denen in allen Zweifeln ein inneres Licht aufgeht und wir uns von Herzen gern als Kinder Gottes und Schwestern und Brüder Jesu Christi annehmen. Also damit, dass wir wie Paulus zwei Welten kennen, die Welt des Unglaubens und die Welt, in der wir von Christus ergriffen sind – damit passen wir gut in seine Schule.

Das zweite, was an der Paulusschule auffällt: Sie ist von Gegensätzen gekennzeichnet. Es ist nicht nur der Gegensatz der Kehre vom Verfolger zum Anhänger, es ist ebenso der Gegensatz von Sünde und Seligkeit, von gnadenloser Rechthaberei und Barmherzigkeit, vom großen Sünder zum großen Vorbild. Und natürlich in allem der Gegensatz von Leben und Tod und alle dem, was das in uns auslöst.

In unseren öffentlichen Schulen kommen diese Gegensätze so nicht vor. Da baut eines auf dem andern auf. Und alles kommt darauf an, Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, was sie für ein selbstbestimmtes und aussichtsreiches Leben brauchen. So wichtig das ist, nicht weniger wichtig ist, dass wir lernen, was uns in Krisen, in Versagen, in Lebens- und Todesängsten hält und trägt. Nach oben hin kommt von solchen Krisen und inneren Abgründen nur wenig ans Licht in einer Gesellschaft, in der unaufhörlich versichert wird: „Alles gut!“ Nein, da hatte unsere frühere Landesbischöfin recht: Es ist nicht alles gut – nicht nur im Blick auf Afghanistan damals, auch nicht im Blick auf unser eigenes Leben: Wer von uns hat nicht darunter zu leiden, dass im Leben oft das Gegenteil von dem herauskommt, was wir uns vorgestellt und gewünscht haben. Dass Beziehungen, die wichtig waren für uns und für die wir viel getan haben, zerbrochen sind und es keine Aussicht auf Heilung gibt. Dass uns an vielen Stellen ein Nein begegnet, gegen das wir nicht ankönnen. Weil gesundheitliche Mängel einen Strich durch die Rechnung machen. Weil wir hilflos sind gegenüber dem, was uns an unheilbaren Krankheiten in unserem unmittelbaren Umfeld begegnet, ganz zu schweigen von dem, was uns im Blick auf die Lage unserer Welt und die Hilflosigkeit unserer Politiker belastet.

Viel stärker aber – so lernen wir in der Paulusschule – ist Gottes Barmherzigkeit. In einer schon damals von Gewalt und Terror beherrschten Welt beruft er Menschen, die an sich alles andere als Vorbilder sind, dazu, allem Unheil die Liebe Christi entgegenzusetzen und die unbändige Hoffnung darauf, dass nicht Sünde und Gottesferne das letzte Wort behalten, sondern Seligkeit und Gemeinschaft mit ihm, der allein machen kann, dass alles gut wird. In dieser Schule nehmen wir wahr, dass wir unser Leben von Anfang an der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken haben und denen, die sich von seiner Barmherzigkeit haben anstiften lassen, ohne dass sie groß damit herausgekommen wären.

Wie viele Menschen wissen gar nicht, worin sie mir geholfen, mich geprägt und getröstet haben! Und was wäre ich, wenn mir nichts zugetraut worden wäre, wenn mir nicht Aufgaben anvertraut worden wären, die ich noch gar nicht konnte, die ich erst lernen musste, beziehungsweise durfte. So beruht mein – unser – Leben auf Barmherzigkeit. Und wir – Sie und ich – sind noch da, weil Gott uns zutraut, von seiner Barmherzigkeit zu lernen! Amen.