Lukas 19,1-10

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”Wenn …” | 7. So. n. Trinitatis | 03.08.2025 | Lk 19,1-10 | Von Anne-Marie Nybo Mehlsen |

 

”Wenn …”

An diesem Tag zollte man Zachäus Respekt, was er sonst nicht gewohnt war. Er war mehr daran gewohnt übersehen zu werden, schlecht angesehen – und kritisch auf Distanz gehalten. Es ist demütigend, so „angesehen“ zu werden, von oben bis unten oder besser von Fuß bis Kopf kritisch. Darauf reagieren wir instinktiv und werden unsicher, verlegen oder nur ärgerlich angesichts dieser Arroganz. Sicher ist aber, dass dies etwas mit uns macht.

Wir ziehen es vor, dass wir in Augenhöhe gesehen werden, etwa auch gleicher Höhe, von Angesicht zu Angesicht. Die Erinnerungen der Kindheit zeugen davon, wie wir auf Kniehöhe umherliefen und auf alles hinaufsahen, Stühle, Tische, Türgriffe, Ladentische – und nicht zuletzt Menschen. Die meisten Kinder lernen, hinaufzuklettern und werden das aus diesem Grunde versuchen. Wir, die wir erwachsen sind, müssen uns herabbücken oder das Kind emporheben, wenn wir in Augenhöhe sein wollen – und wenn wir dem Kind Aussicht verschaffen wollen.

Zachäus ist kein Kind. Er ist Oberzöllner in einem besetzten Land, und das ist keine ehrwürdige Beschäftigung. Die Römer zogen Zoll und Steuern ein als Besatzungsmacht und ernannten gerne die eigenen Landsleute der besetzten Bevölkerung dazu, dieses schmutzige Geschäft wahrzunehmen. Schmutzig war es, denn mit Drohungen und Machtanwendung konnten die Zöllner Zoll einziehen und mehr als das, nämlich Bezahlung für ihre Arbeit. Römische Soldaten übten keine Nachsicht mit denen, die nicht bezahlten.

Das sind leider aktuelle Bilder, die vor uns stehen von Zöllen und Machtanwendung nach Belieben …

Wir nehmen schon Anstoß wie damals die Menge.

Das passiert immer wieder, wenn die Menschen, die bei uns angesehen sein sollten und für ihre Arbeit unseren Respekt verdient haben sollten, sich als korrupt erweisen, unehrlich und kriminell. Ein sündiger Mann!

Zachäus hat wenigstens Format. Die Versprechen, die er gibt, als er von Jesus gesehen wird, haben das Format eines großen Betrügers. Zachäus muss steinreich sein, wenn er, nachdem er die Hälfte seines Besitzes den Armen gegeben hat, vierfach zurückgeben will, wenn er jemanden um Geld betrogen hat, wenn da etwas an der Bilanz auszusetzen ist. Schwindel mit der Mehrwertsteuer, mit der Einkommenssteuer, Konkursbetrug, Schwarzarbeit, Menschenschmuggel und Menschenhandel – die Liste über Schwindel und Betrug in dieser Welt ist lang.

Wenn ich mich schuldig gemacht habe in Unregelmäßigkeiten oder in etwas, was Anlass gibt zu Missverständnissen …“. So formulieren die heutigen großen und kleinen Schwindler gerne in den Medien, wenn sie zu ihren Affären befragt werden.

Wenn …

Wenn da irgendeine Ähnlichkeit besteht, wenn wir in irgendeiner Weise eine Ähnlichkeit mit Zachäus sehen. Wenn …?

… Nein, wohl kaum, unwahrscheinlich, wir sind trotz allem ehrliche Leute.

Dies soll am liebsten nicht zu einer Geschichte darüber werden, wie Jesus indirekt den Betrüger belohnt, indem er letztlich alle fünf gerade sein lässt und sich mit jedem zu Tisch setzt. Genau das war es ja, was die Leute ärgerte. Es muss eine Grenze geben, ein Abstand zwischen der guten und der mehr berüchtigten Gesellschaft? Oder wie?

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“, sagt Jesus und setzt sich mit dem zu Tische, mit dem niemand etwas zu tun haben will. Jesus setzt sich zu Tische mit uns und all unseren Vorbehalten, unseren „Wenn‘s“ – all die vielen Ausflüchte und Entschuldigungen, die wir anwenden, um Schwächen und Untaten zu verbergen. Denn wir wissen es ja sehr wohl, wenn wir schuldig werden an unserem Nächsten und der geforderten Liebe.

Jesus sieht einen Menschen, der die Arme ausstreckt, um aufgehoben zu werden. Den Menschen, der wie ein Kind auf einen Baum geklettert ist, um zu sehen. Ihn zu sehen, von dem gesagt wird, dass er Kranke gesund macht, Tote auferweckt und Sündern vergibt; ihn, der auf Augenhöhe sieht und geradeheraus redet, ihn, in dessen liebenden Blick die Quelle zu allem neuen Anfang hervorbricht. Jesus setzt sich zu Tische mit sündigen Menschen – mit uns, um etwas Neues zu beginnen, um Altes hinter uns zu lassen. Schäden können vielleicht repariert werden, vielleicht erinnern wir uns nur allzu gut und haben keinen Anlass, wenn zu sagen …, sondern nur den Wunsch eines Herzens, das zu heilen, was zerbrochen ist.

Glückspilze sind wir, wenn wir imstande sind, wenn da etwas zu tun ist, was dem abhilft, was wir verbrochen haben. Dann gilt es nur, sich an die Arbeit zu machen! Was aber ist mit all dem, was nicht zu retten ist, trotz allem guten Willen? Neuer Anfang, ganz im Gegensatz zu schwarzer Hoffnungslosigkeit. Neue Aufgabe. Gabe. Dein Leben, dein Nächster dir zurückgegeben. Von ihm, der zu Tische sitzt, sich auf Augenhöhe begibt, uns aufnimmt wie Kinder.

All das neue ist Ernst, dass wahrlich Aufbruch ist in dem, was unumgänglich ist. Das kommt davon, bei Christus zu sein. Steige herab von deinem Baum, Zachäus, komm hervor. Da ist einer, der deine Gesellschaft will, einer, der dich gerne aufmerksam sehen und dein Brot und dein Leben teilen will. Das verändert dich wirklich, wenn es geschieht. Du wirst auf lange Sicht ein anderer durch die Bewegungen des Gottesdienstes. Amen.


Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK 4930 Maribo
Email: amnm(at)km.dk