
Lukas 18, 9-14
11. Sonntag nach Trinitatis | 31.08.2025 | Lukas 18,9-14 | Von Marianne Frank Larsen |
Ein glückbringendes Schiff, gefüllt mit Bach
”Ich stand an Deck und hörte den Regen und Bach, und manchmal war es, als sei die Musik größer als der Regen“. Es ist der Junge in dem isländischen Buch mit dem Titel „Das Herz des Menschen“, der so spricht, als er von einer ganz besonderen Schiffsreise erzählt. Manchmal war die Musik größer als der Regen. Zusammen mit dem lokalen Musiker war der Junge mit dem Schiff auf Fahrt nach Süden in einem fernen Fischereihafen, um eine Orgel für das Hotel des Ortes zu holen. Sie hatten das Glück, dass sie mit dem Fischereischiff „Håbet“ (Hoffnung) zurück zum Ort fahren können. Die Orgel wird sorgfältig unten in der Last zwischen den Fischen festgespannt, und auf der ganzen langen Reise, während das Schiff „Hoffnung“ von einem isländischen Fjord zum nächsten fährt, sitzt der Musiker unten in der Last und spielt, „füllt das glückbringende Schiff mit Bach“, wie dort steht. Der Junge steht an Deck und hört den Regen und die Musik, die durch das Deck strömt, die Fischer sitzen oder liegen in den feuchten Kojen und sehen vor sich hin; die Musik „lässt sie erinnern, sie füllt sie mit einer Sehnsucht, die sie nicht verstehen, macht sie glücklich und zugleich unglücklich“, schreibt der Dichter. „Sie kann das Gewissen wecken und Träume aufwirbeln von einem schöneren Leben“.
So kann uns die Begegnung mit etwas, was größer ist als wir selbst, demütig werden lassen. Denn das werden sie, der Junge auf dem Deck und die Männer in den feuchten Kojen, demütig im Sinne von weich, empfänglich für etwas anderes als das, was sie selbst können und zu bieten haben. Die Musik öffnet ihren Sinn für die Erinnerung, für die Sehnsucht und den Traum von etwas Schönerem. Das dänische Wort für Demut, „ymyghed“, hat etwas zu tun mit dem Wort „myg“, weich. Wenn man das von einem Mädchen sagt, meint man, dass es weich ist nicht nur in den Wangen, sondern auch in seinem Wesen. Empfänglich. Leicht zu bewegen. Ich glaube, es ist gut, diese Bedeutung mit in das heutige Evangelium einzubeziehen. Dann bedeutet Demut also nicht, dass man seine eigene Ungenügsamkeit zu einer Tugend macht. Demütig sein bedeutet weich sein im Herzen, empfänglich im Sinn, so weich, dass man merkt, was von außen auf einen zukommt, von einem anderen oder etwas anderem als man selbst. Und so weich, dass man merkt, wo man nicht selbst zurechtkommt. Das ist es, was die Männer an Bord des glückbringenden Fischkutters voll von Bach erfahren.
Und das ist es, was der Pharisäer im heutigen Evangelium nicht entdeckt hat. Nicht weil er ein schlechter Mensch ist. Er ist zweifellos ein Mensch, mit dem man rechnen kann, der stets seine Pflicht tut. Aber er ist nicht demütig im Sinne von weich, empfänglich für etwas anderes als sich selbst. Ich danke dir, weil ich nicht bin wie die anderen, ich faste, ich gebe den Zehnten. Ich, ich, ich. Es mag wohl sein, rein sprachlich wendet sich der Pharisäer an den guten Gott, aber in seinem Gebet hat er nur Blick für sich selbst und seine eigene Vortrefflichkeit, die umso mehr in die Augen fällt, wenn er sich mit anderen Menschen vergleicht, die nicht denselben hohen moralischen Standard aufweisen wie er selbst. Es mag auch sehr wohl sein, dass das Gebet rein sprachlich die Form eines Dankes hat, aber es enthält keine Einsicht darin, was der Pharisäer empfangen hat, was er sich nicht selbst verdankt. Und es enthält keine Bitte. Der Pharisäer braucht nicht etwas oder jemanden. Er hat in Wirklichkeit an sich selbst genug.
Ihm steht der Zöllner gegenüber. Er ist das Gegenstück zum Pharisäer, nicht weil er gut ist, so wenig wie der Pharisäer böse ist. Nichts deutet darauf hin, dass der Zöllner ein Herz aus Gold hat. Aber er ist das Gegenstück zum Pharisäer, weil er sich ganz klar darüber ist, dass er selbst keinen Ansprüchen genügt, im Gegenteil. Er ist völlig offen, sehnsuchtsvoll, empfänglich für etwas anderes, was größer ist als er selbst – und in dem Sinne demütig. Im selben Atemzug steht er zu seiner eigenen Sünde und bittet um die Gnade und Vergebung, derer er bedarf – und die er im selben Atemzug empfängt! Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft selbst heute: Dass der Zöllner gerechtfertigt davongeht. Dass Jesus nicht allein das Gleichnis von den beiden Männern im Tempel als eine Ermahnung erzählt, sondern so gesehen selbst in das Gleichnis eintritt, als ein Richter, der in seinem guten Recht ist, über die beiden ein Urteil zu fällen. Und welch ein Urteil! „Ich sage euch, es war der Zöllner, der gerechtfertigt in sein Haus ging!“ Mit diesen Worten schenkt Jesus dem Zöllner die Gnade, um die er bittet. Völlig ohne Bedingungen, ohne danach zu fragen, an welche Sünden der Zöllner denkt, ohne sich zu versichern, dass er sich nun auch bessert, ohne jeglichen Vorbehalt. Ohne weiteres gießt er einfach Gottes Gnade aus über den Mann und schickt ihn als gerechtfertigt nach Hause.
Das ist das Evangelium. Sobald wir um die Gnade Gottes bitten, empfangen wir sie. Ohne Vorbehalt. Sie ist für alle da. Oder: Er ist für uns alle da, für Zöllner und Pharisäer, in dem Mann, der das Gleichnis erzählt. Er ist in unser Leben eingetreten mit der unbedingten Gnade Gottes. Der einzige Grund, warum der Pharisäer nicht auch gerechtfertigt nach Hause ging, war der, dass die Gnade ihn nicht erreichen konnte, weil er selbst das ganze Bild füllte. Und damit einher hält das Evangelium neben der frohen Botschaft von der Gnade Gottes eine klare Ermahnung an uns, uns nicht selbst zu erhöhen wie der Pharisäer, so dass die Gnade ihr Ziel nicht erreicht, sondern uns selbst demütigen wie der Zöllner, der sogleich die Gnade empfing. Diese Ermahnung enthält freilich eine eingebaute Gefahr. Denn was heißt es, sich selbst zu demütigen? Seine eigenen Mängel ausbreiten? Sich in all das vertiefen, was man nicht vermag? Den Blick nach innen wenden und sich auf das eigene Elend konzentrieren? Diese Form von Demut kann schnell in ihr Gegenteil umschlagen. Denn sobald man sich bewusst macht, wie demütig man ist, ist man es ja nicht mehr. Schon in dem Augenblick, wo man bewusst daran zu arbeiten beginnt, hat man so gesehen die Demut aufgegeben.
Deshalb denke ich nunmehr, dass Demut nicht in erster Linie etwas ist, um das man sich bemühen kann. Sie ist vielmehr etwas, das einem widerfährt, wenn man den Blick nach außen wendet und Augen und Ohren hat für etwas Anderes und Größeres als man selbst. Für die Liebe und ihre feinen Früchte. Für die goldenen Felder und die roten Äpfel auf den Bäumen gerade jetzt. Für die Kunst. Für die Musik. Wie die Männer an Bord des Fischkutters, die demütig wurden, als sie die Töne unten im Lastenraum hörten. So weich, dass Platz war in ihrem Sinn für Erinnerung und Sehnsucht, für die Fragen des Gewissens und dafür, dass etwas Größeres als ihre Tatkraft zur Geltung kommt. Gottesdienst halten wir, um uns selbst den Worten auszusetzen, die größer sind als unsere eigenen – und der Musik, die größer ist als wir selbst. In Wort und Tönen tritt die schwindelnde Gnade Gottes in unser Dasein, auch heute. Vielleicht werden wir demütig, so empfänglich, dass die Gnade uns erreicht. So weich, dass wir sehen können, wie groß das ist, was wir empfangen haben und was wir empfangen, und schlichtweg genötigt sind, dem guten Gott in Worten und Tönen zu danken. Und dann kann es geschehen, dass auch unsere Kirche ein glückbringendes Schiff wird, gefüllt mit Bach. Amen.
Pastorin Marianne Frank Larsen
DK 8000 Aarhus C
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