Jakobus 2,14-26

· by predigten · in 18. So. n. Trinitatis, 20) Jakobus / James, Aktuelle (de), Altes Testament, Archiv, Barbara Signer, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 02/ Chapter 02, Kasus, Predigten / Sermons

Bunt und vielfältig | 18. So. n. Trinitatis | 19.10.2025 | Jak 2,14-26 | Barbara Signer |

Bunt und vielfältig

Predigt
Vor gut 30 Jahren drehte ich mit unserem Familienhund an einem dunklen Winterabend die letzte Abendrunde. Ein kalter Wind wehte schwere, nasse Schneeflocken quer über den holprigen Wanderweg. Während unser Hund noch die neusten Nachrichten seiner Artgenossen am Wegrand erschnüffelte, hing ich einem Gespräch nach, das mich in den letzten Tagen beschäftigt hatte. Es war ein Gespräch mit einer Kollegin über den christlichen Glauben. Ich hatte mit zunehmendem Alter das Gefühl, christlicher Glaube sei ein Krampf. Ich fühlte mich überfordert und hatte den Eindruck, dass ich immer mehr Schuld vor mir herschob. Fast so wie ein Schneepflug im Winter immer grössere Berge von Schnee bewegen muss. Meine Kollegin versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich das alles loslassen könne, Christus sei doch für meine Sünden gestorben. Die Aussage entsprach so gar nicht dem protestantischen Ethos, das man mir auf meinen Lebensweg mitgegeben hatte. „Tue recht und scheu niemand“ war da das Motto, dem zu folgen ich bei mehr als einer Gelegenheit herausfordernd fand. Die Lösung meiner Kollegin schien mir da zu billig zu sein. Kurz vor dem Spaziergang war ich auf einer Teletextseite auf die Tageslosung gestossen, die in der Übersetzung der Guten Nachricht lautete: Freuen dürfen sich alle, die nur noch von Gott etwas erwarten mit Gott werden sie leben in seiner neuen Welt. (Mt 5,1) „So, ein Quatsch“, dachte ich damals, „das steht ganz bestimmt nicht in der Bibel“ und schaute in meiner Zürcher Bibel nach – und staunte. Mir war nicht bewusst, dass man die erste Seligpreisung auch so in Wort fassen konnte. Auf meinem Spaziergang überlegte ich hin und her und schliesslich wurde mich klar, dass ich immer das Gefühl hatte, etwas leisten zu müssen, dabei durfte ich doch alles von Gott erwarten. Damals auf diesem Spaziergang habe ich beschlossen, das zu glauben. Ich weiss noch, unter welcher Strassenlaterne ich mit unserem Hund stand – und wie leicht mein Herz war, als wir zuhause durch die Haustür kamen.

Sola Fide! Nur durch Glauben werden wir erlöst. Ein wichtiger Grundsatz der Reformation. Und dann kommt Jakobus daher und behauptet, dass Glaube ohne Werke tot sei. Kein Wunder hatten die Reformatoren keine Freude an ihm. Luther nannte diesen Brief die Strohepistel und der Begriff mag verdeutlichen, dass er nicht eben viel von seinem Inhalt hielt. Bedenken wir die Stossrichtung dieses Abschnitts, ist das auch nicht weiter erstaunlich, hat es doch den Anschein, dass er Luthers Rechtfertigungslehre diametral entgegenläuft. Barth ging in seinen jungen Jahren als Vikar sogar so weit, dass er von Luthers Kritik angeregt statt einer Predigt über diesen Abschnitt, eine dagegen hielt und ihn mithilfe der paulinischen Theologie zu widerlegen suchte.[1] Es ist heute allerdings umstritten, ob sich Jakobus auf die paulinische Lehre bezieht oder ob sich beide Auffassungen parallel entwickelt haben. Letztendlich ist es auch nicht so wichtig. Beide Standpunkte sind nun einmal im Neuen Testament überliefert und wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Schon wenn wir den ersten Vers unserer Perikope lesen, erkennen wir, wie scharf der Gegensatz zu Paulus ist: Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber keine Werke vorzuweisen hat? Vermag der Glaube ihn etwa zu retten? Ich bin beim ersten Lesen dabei innerlich zusammengezuckt. Ganz in Übereinstimmung mit Paulus fühlte ich mich genötigt zu rufen: Natürlich, allein der Glaube rettet! Ich denke, wichtig ist hier, sich zu überlegen, was Jakobus mit Glauben meint. Das griechische Wort Pistis bedeutet nicht nur Glaube. Tatsächlich ist es so, dass das Wort erst im Neuen Testament in der Bedeutung Glauben verwendet wird, zuvor bedeutet es Vertrauen oder Vertrauenswürdigkeit beispielsweise auch beim Abschluss von Geschäften.[2] Wir könnten die Frage also umformulieren: Was nützt es also, wenn jemand auf Gott vertraut, aber quasi keinen Vertrauensbeweis antreten kann? Wie dieser Vertrauensbeweis, diese Werke aussehen sollen, erklärt uns der Verfasser des Jakobus-Briefes mit einem klaren Beispiel: Jemandem, dem es am Allernötigsten mangelte, zu empfehlen, er solle sich’s gutgehen lassen, ist schierer Zynismus, wenn man ihm nicht auch die Mittel dafür gibt. Es nützt nichts! Der Jakobus-Brief führt hier klar vor Augen: Es gibt Situationen, in denen muss gehandelt und nicht geredet werden. Glaube ohne Werke ist tot, bewirkt nichts, nützt nichts, ja, verletzt sogar.

Im Folgenden hören wir ein fiktives Streitgespräch: Sagt nun einer: Du hast Glauben, ich aber kann Werke vorweisen. – Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich werde dir an meinen Werken den Glauben zeigen! Der Verfasser des Jakobus-Briefes unterstellt dem Christen ohne Werke nicht, dass er keinen Glauben habe, nur dass er ohne Werke den Beweis dafür nicht zeigen kann, während der andere etwas vorzuweisen hat. Hier wird es heikel, denn durch den zynischen Vergleich mit den Dämonen wird postuliert, dass Glaube ohne Werke ein reines Lippenbekenntnis sei. Du glaubst, dass es einen einzigen Gott gibt? Da tust du recht – auch die Dämonen glauben das und schaudern! Ein:e Christ:in jedoch soll sich von Dämonen unterscheiden, indem sein oder ihr Glaube eben Früchte trägt und sich in Werken äussert. Der Glaube, das Vertrauen zu Gott soll frei machen für das Wirken Gottes im Glaubenden selbst, was sich letztendlich in realen Werken äussern wird.

Der Verfasser des Jakobus-Briefs gibt uns zwei Beispiele für Glaube mit Werken. Zum einen haben wir Abraham, der ja auch von Paulus als Vorbild im Glauben angeführt wird. Im Jakobus-Brief hingegen erfährt diese Geschichte einen anderen Akzent: Weil Abraham Gott glaubte, konnte er im Vertrauen auf Gott das Werk vollbringen, welches das schwierigste war, das man sich überhaupt vorstellen kann, nämlich die Opferung des einzigen, langersehnten Kindes. Jakobus interpretiert hier das Werk Abrahams als Ausdruck seines Glaubens. Umgekehrt erwies sich die Prostituierte Rahab, deren Geschichte Predigtthema des vergangenen Sonntags war, als Gott-Gläubige, indem sie den israelitischen Kundschaftern half und den Israeliten so ermöglichte, die Stadt Jericho zu erobern, obwohl sie selbst keine Jüdin war. Später schaffte sie es deshalb sogar in die Ahnentafel Jesu. Augenfällig ist, dass beide, Abraham und Rahab, etwas aus Glauben tun, was streng genommen moralisch verwerflich ist, Kindsmord und Hochverrat. Ich denke, dass hier diese Extreme illustrieren sollen, wie gross der Glaube und wie tief das Vertrauen zu Gott der beiden war, dass er sie das Richtige tun lässt.

Als Schlussfolgerung aus diesen beiden Beispielen wiederholt der Verfasser noch einmal eindringlich und warnend, was ihm so am Herzen liegt: Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot. Ein sehr eingängiges Bild: Unser Handeln verhält sich zu unserem Glauben, wie der Geist zum Körper. Wie der Geist sich im Körper manifestiert, so auch unser Glaube in unserem Handeln. Ich habe das an mir selbst gesehen. Als ich mich damals an diesem Winterabend für ein Leben im Glauben entschieden hatte, war mir der Gedanke, dass ich allein durch meinen Glauben gerettet sei, genug, ja, er hat mich sogar entlastet. Erst mit der Zeit habe ich auch ein Gespür dafür entwickelt, dass mein Handeln eben auch ein Ausdruck meines Glaubens ist, und zwar in allen Bereichen des Lebens. Und als Pfarrerin muss ich mich ja erst recht an der Nase nehmen, und das leben, was ich sonntags predige. Mit der Zeit kann das auch richtig anstrengend werden, weil die Ethik-Kirschen manchmal doch recht hoch hängen oder man bei gewissen Fragen nicht mehr weiss, was nun eigentlich das Richtige wäre. In solchen Momenten komme ich in Versuchung, wieder alles selbst machen zu wollen. Dann ist es wiederum hilfreich, sich der Lehre des Paulus zu erinnern und sich klar zu machen, dass der Glaube zuerst kommt und alles andere daraus folgen wird.

Ich glaube, an dieser Stelle öffnet sich nun der Blick auf die ganze Weite der christlichen Weltanschauung. Natürlich können wir auf den Gegensätzen beharren: Entweder Erlösung aus Glauben oder Werkgerechtigkeit. Wir können auch noch lange und heftig darüber streiten. In der jetzigen Weltsituation ist Polemik und Verteufelung ja sowieso angesagt. Jeder glaubt zu wissen, was Recht und was Unrecht ist. Schwarzweiss Denken ist in. Aber jeder, der mich kennt, weiss, dass ich Farben liebe und alles Bunte in dieser Welt zu schätzen weiss. Als ich noch in der Schule war, drängte mich meine Mutter immer, mich mit den Töchtern der guten Familien in unserer Stadt anzufreunden. Ich fand diese Mädchen, freundlich formuliert, fade und gab mich lieber mit der Tochter des Quartierpolizisten ab, und später dann mit Mädchen mit Migrationshintergund. Damals bedeutet das, dass ihre Eltern aus europäischen Nachbarstaaten in die Schweiz gekommen waren. Für mich war das viel spannender: Da wurde anders gegessen, die Gerüche waren anders, man redetet anders, folgte anderen Traditionen und ging in der Familie anders miteinander um. Ich fand das faszinierend. Warum können wir diese Vielfalt nicht auch im Glauben leben und uns über die Möglichkeiten freuen, die sich uns da eröffnen. Es sind das einerseits Möglichkeiten auf unserem eigenen Lebensweg. Manchmal brauchen wir mehr Glauben, manchmal ist es Zeit, etwas zu tun. Andererseits gibt es ja auch in der Gemeinde selbst so viele Möglichkeiten das gemeinschaftliche Leben so zu gestalten, dass sich eine Vielfalt von Möglichkeiten auftut, für jene, die mehr nach Spiritualität und Gebet dürsten, und jene, denen tätige Nächstenliebe in der eigenen Gemeinde und in der Welt näher am Herzen ist. Wir sind alle Glieder am Leib Christi, die ihre ganz besonderen Begabungen und Aufgaben haben.

Denn dem Jakobus-Brief geht es gar nicht darum, die Werkgerechtigkeit zu postulieren, wie Luther vermutete, er fordert viel mehr, dass das Geistliche sich auch im Handeln zeigen muss. Barth hat in späteren Jahren angeregt, dass man Paulus und Jakobus eben zusammen hören müsse, in Ergänzung und Korrektur zu einander.[3] Denn falsch verstandene paulinische Lehre hatte und hat teilweise auch heute noch die Folge, dass Christen sich rein auf ihren Glauben an Jesus Christus berufen und alles andere um sich herum für unwichtig halten. Sie postulieren, dass alles erlaubt sei, wenn man nur glaube. Ein Christ könne leben, wie er wolle, er habe ja die Gnade. Bonhoeffer sprach in diesem Zusammenhang von der billigen Gnade.[4] Ich habe in meiner Funktion als Armeeseelsorgerin tatsächlich Menschen getroffen, welche diese Haltung an den Tag legten. Es gibt diesen sogenannten Libertinismus also noch in der heutigen Schweiz, nicht nur im antiken Korinth. Er ist eben gar reizvoll. Auch Augustinus hat ja gesagt: Liebe und tu was du willst. Die meisten hören hier nur tu, was du willst, und vergessen dabei, dass das Fundament in der Liebe gelegt ist, in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen, so wie es eben auch das Schema Israel, das höchste Gebot fordert. Deshalb habe ich mir vor Jahren schon das Motto des Augustin zu eigen gemacht und möchte es Ihnen auch mit auf den Weg geben: Dilige et quod vis fac. Liebe und tu was du willst. In dieser Reihenfolge.

Amen.

Eingangsgebet
Himmlischer Vater
Alle kommen wir heute aus unserem Alltag heraus vor Dich:
Einige von uns fühlen sich stark und erfolgreich,
Sie glauben alles im Griff zu haben.
Andere sind überfordert von ihrer Arbeit, den Bedürfnissen der Familie
und all den vielen Ansprüchen, die an sie gestellt werden.
Sie sind müde und resignieren langsam.
Woher soll ihnen Hilfe kommen?

Jesus Christus, unser Bruder
Du bist der wahre Weinstock und wir sind die Reben.
Von Dir kommt die Kraft, die uns Frucht tragen lässt.
Du weisst, welche Lasten auf uns liegen.
Du siehst, wie wir Jahr um Jahr
seelischen und materiellen Ballast anhäufen.
Du hast uns gelehrt, wie wir leben können,
damit es einen Platz für alle in unserer Gesellschaft gibt,
damit alle ein gutes und erfülltes Leben führen können.

Gott, Heiliger Geist
Wie eine Mutter tröstest und begleitest Du uns durch unser Leben.
Wir bitten Dich, teile hier und heute Deine Gemeinschaft mit uns.
Öffne unsere Herzen für Gottes Liebe.
Öffne unsere Ohren für Jesu Wort.
Lass alles auf guten Boden fallen, wachsen und Frucht tragen.

Amen.

 

Fürbittgebet (Betruf RG 63)

Guter Gott

Wir bitten Dich für alle, welche die Erfüllung ihres Lebens darin sehen, Reichtümer anzuhäufen und sich mit schönen Dingen zu umgeben.
Wir bitten Dich für jene, die versuchen verantwortungsvoll mit unserer Umwelt und unseren Ressourcen umzugehen.
Wir bitten Dich für diejenigen, die trotz aller Bemühungen nicht genug zum Leben haben und auf die Grosszügigkeit anderer angewiesen sind.
Wir rufen zu DIR: Sende aus deinen Geist nach RG 63

Jesus Christus, unser Bruder
Wir bitten Dich für jene, die nicht loslassen können, was sie davon abhält, deinem Wort zu folgen.
Wir bitten Dich für alle, die ihre Gaben und Talente auch zugunsten Anderer einsetzen.
Wir bitten dich für jene, die Leib und Leben aufs Spiel setzen, um Dein Wort in alle Welt zu tragen.
Wir rufen zu DIR: Sende aus deinen Geist nach RG 63

Heiliger Geist, unser mütterlicher Begleiter und Tröster
Wir bitten Dich für alle, die im Alltag immer übergangen und nicht wahrgenommen werden, weil sie nicht unseren Vorstellungen von Schönheit, Intelligenz und guter Herkunft entsprechen.
Wir bitten Dich für jene, die sich immer wieder blenden lassen von Leuten, die gut reden können und mit Reichtum, Macht und Einfluss prahlen.
Wir bitten Dich für uns selbst, dass wir im Vertrauen auf dich, unseren Mitmenschen mit Achtsamkeit und tätiger Liebe zu begegnen.
Wir rufen zu DIR: Sende aus deinen Geist nach RG 63

Dreieiniger Gott
Wir bitten dich für die Opfer von Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Wir bitten dich für jene, die im Grossen und Kleinen immer wieder versuchen, Gräben zu überwinden und Brücken zu schlagen.
Wir bitten dich für auch alle, die uns mit Missgunst begegnen und uns das Leben schwermachen wollen.
Wir rufen zu DIR: Sende aus deinen Geist nach RG 63


Barbara Signer, geb. 1963, Pfarrerin zu je 50% in der Kirchgemeinde Walzenhausen, Kanton Appenzell Ausserrhoden, und der Kirchgemeinde Unteres Rheintal Standort Rheineck, Kanton St. Gallen.

Fussnoten:

[1] Bath, Erklärung des Epheser- und Jakobusbriefes, 472.
[2] Middle Liddell, pistis
[3] Barth, Epheser- und Jakobusbrief, 477-79.
[4] Nachfolge, DBW 4, S. 29-40.