Psalm 98,1

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Singet dem Herrn ein neues Lied! – Luther und die Musik | Reformationsfest | 31.10.2025 | Ps 98,1 | Peter Schuchardt |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Wer von euch, liebe Schwestern und Brüder, singt gerne? Hebt einfach die Hand. Danke! Und wer spielt ein Instrument? Sehr schön! Und wie schön, dass unser Flötenkreis, die Bläser und Chorsänger und -sängerinnen heute gemeinsam mit der Orgel unseren Gottesdienst musikalisch bereichern. Und wie gut, dass ihr da seid, liebe Schwestern und Brüder, und mit eurem Gesang, mit euren Stimmen, die Kirche erfüllt. Ich feiere regelmäßig Gottesdienste in der Klinik, und da höre ich von vielen: „Ich kann ja gar nicht singen!“ Denen sage ich dann: „Es gibt nur ganz wenige Menschen, die nicht singen können – und du hörst gewiss nicht dazu. Man braucht nur eine Sache, um singen zu können – und das ist Vertrauen.“ Vertrauen, dass es klingen, dass es gut werden wird. Ich kann euch sagen: Gott wartet auf den Klang eurer Stimmen, und er freut sich, wenn er sie hört. Darum: Habt Vertrauen zu euch und eurer Stimme.

Ihr alle gemeinsam zeigt, wie vielfältig die Musik in unserer Kirche ist. „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Dieses Wort aus dem Psalm 98 steht heute über meiner Predigt zum Reformationsfest. Es ermuntert uns zum Singen. Denn Singen ist Ausdruck von Freude, von Glück, von Dankbarkeit und Hoffnung. Darum singen wir zum Geburtstag eines Menschen, sei es nun „Happy birthday to you!“ oder „Viel Glück und viel Segen“. Wir singen, weil wir uns freuen, dass dieser Mensch da ist. Rolf Zuckowski hat das ja wunderbar in Worte gefasst: „Wie schön, dass du geboren bist!“ Im Singen verbinden sich Worte mit der Melodie.

Musik prägt ganz oft unser Leben. Es gibt Lieder und Melodie, die wir mit bestimmten Situationen verbinden. Manche Paare sagen: „Hörst du, sie spielen unser Lied im Radio!“ und erinnern sich an die zauberhafte Zeit, als sie sich kennengelernt haben. Andere werden traurig, weil sie an ihren verstorbenen Vater oder die Freundin denken müssen, wenn das Lieblingslied erklingt. Heute erklingt Musik, erklingen Lieder aus dem Radio, von der CD, übers Handy per Spotify. Der Zugang zur Musik ist in unserer Zeit ganz einfach möglich. Früher, vor 100, 200 Jahren, da war das anders. Radio, Fernsehen, Spotify, Handy: alles das gab es nicht. Man hatte nicht immer sein Instrument dabei. Also hat man gesungen: bei der Arbeit in der Küche, auf den Feldern bei der Ernte, beim Zubettbringen der Kinder oder einfach für sich alleine beim Spazierengehen. Es gab noch keine Scheu beim Singen, es war alltäglich. Volkslieder wurden gesungen, Kinderlieder und natürlich auch Kirchenlieder, Choräle. Wunderbar begabte Menschen haben ja in großartiger Weise Texte und Melodien zusammengebracht, Johann Sebastian Bach, Paul Gerhardt, Fritz Baltruweit und so viele Frauen und Männer mehr.

Und natürlich auch Martin Luther. Heute, am Reformationstag, erinnern wir an den berühmten Thesenanschlag am 31. Oktober 1517. Luther wollte damit seine Kirche reformieren, erneuern. Und das von Grund auf! Darum hat er die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit alle das Wort Gottes lesen und verstehen könne. Und er hat den Gottesdienst völlig verändert. Heute gehören Lieder untrennbar zu unserem evangelischen Gottesdienst dazu. Damals waren Lieder auf Deutsch eine Sensation, ja eine Revolution. Bis dahin kam die Gemeinde zum Gottesdienst, war in der Kirche anwesend. Doch sie war nicht wirklich beteiligt. Gesungen hat der Priester oder ein Chor der Nonnen oder Mönche, und das auf Latein. Das konnte natürlich kaum einer verstehen. Darum hat Martin Luther Kirchenlieder auf Deutsch geschrieben. Heute würde man Singer-Songwriter sagen. Luther war sehr musikalisch, er konnte gut singen, er spielte die Laute, eine Vorgängerin der Gitarre. Er hat die Musik immer sehr hoch geschätzt, sie war ihm nach der Theologie das Wichtigste. Musik war für ihn immer eine Gabe, ein Geschenk Gottes. Denn sie erreicht das Herz, macht fröhlich und schenkt Zuversicht. Und er erkannte: Mit den Liedern auf Deutsch kommt die Gute Nachricht Gottes, das Evangelium, in ganz besonderer Weise zu den Menschen. Zu Luthers bekanntesten Liedern gehören „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Das singen wir oft zu Weihnachten. Mir ist das ganz wichtig: Die Reformation war immer auch eine Singebewegung. Teilweise standen die Menschen, die Luther und seinen Ideen zustimmten, im Gottesdienst auf, wenn ihnen die Predigt nicht gefiel, und begannen zu singen – auf Deutsch! Grundlage der Lieder war immer die Bibel und ihre Botschaft. Und die Bibel ist selber ein Buch voller Lieder. Das bekannteste Buch der Bibel, die Psalmen, heißt auch „das Gesangbuch der Bibel“. Denn es enthält 150 Lieder (psalmos heißt übersetzt Lied). Meinen Konfirmanden sage ich immer: Die Psalmen stehen in der Mitte der Bibel. Das ist natürlich faktisch so gemeint, aber es gilt auch im übertragenen Sinn. Denn die Lieder, die Psalmen enthalten oft eigene Glaubenserfahrungen, Erfahrungen, wie Gott Menschen bewahrt und sicher durch das finstere Tal geführt hat.

Die Menschen in der Bibel haben von Anfang an gesungen. Das älteste Stück der Bibelüberlieferung ist ein Lied: Das Miriamlied, das die Schwester Mose singt, nachdem Gott die Truppen des Pharaos im Meer vernichtet hatte[1]. „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Das ist die tiefe Erfahrung, die Miriam mit den Israeliten macht. Und auch Martin Luther hat am eigenen Leib und im eigenen Herzen dieses Wunder erfahren: Gott macht mich frei! Der Gott, den er von Kindesbeinen an verehrt und an den er geglaubt hat, war ein furchterregender Gott, vor dem er Angst hatte. Er erzählt eindrücklich: Je mehr er sich bemühte, von Gott geliebt zu werden, umso stärker spürte er: Das schaffe ich nicht. Dann aber las er in der Bibel: Wer auf Gott vertraut, wer sich ganz und gar in Gottes gütige Hand gibt, den spricht Gott gerecht, den macht Gottes Liebe richtig und gut[2]. Gott schenkt uns Freiheit. Gott stellt uns richtig ins Licht seiner Liebe. Wir dürfen leben, trotz aller Fehler, allem Versagen, aller Lieblosigkeit. Das nennt die Bibel Gnade. Gnade meint immer das, was Gott uns schenkt, liebe Schwestern und Brüder. Das will Luther den Menschen sagen, mit seiner Bibelübersetzung, mit seinen Liedern. Und so zieht sich diese Gnade Gottes, seine Liebe, seine Barmherzigkeit durch die Lieder unseres Gesangbuchs.

Luther sagte einmal, was ein evangelischer Gottesdienst ist: „Unser Herr Jesus Christus redet mit uns durch sein heiliges Wort, und wir reden mit ihm durch Gebet und Lobgesang.“[3] Das Singen, der Gesang der Gemeinde, euer Gesang, liebe Schwestern und Brüder, ist für ihn immer die Antwort auf Gottes Wort, das uns tröstet, aufrichtet und heilt. Luther wusste aus der Bibel, wie heilsam Musik und Gesang wirken können. Am bekanntesten ist der Hirtenjunge und spätere König David, der die Depressionen und die Schwermut von König Saul mit seinem Harfenspiel lindert[4]. Luther und viele andere vor und nach ihm haben erlebt: Die Musik hat die große Kraft, die Anfechtungen, böse Gedanken, Traurigkeit und vieles mehr zu vertreiben. Für Luther war das Alles das Tun des Teufels. In einem Brief schreibt Luther einmal: „Kommt der Teufel wieder und gibt euch Sorge oder traurige Gedanken ein, so wehrt euch frisch und sprecht: Weg, Teufel, ich muss jetzt meinem Herrn Christus singen und spielen.“[5] Wenn Luther rät, für Christus Lieder zu singen, dann ist das das neue Lied, von dem der Ps 98 erzählt: „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Zu den Wundern, die Gott uns schenkt, gehören auch der Trost und die Hilfe in schweren Zeiten der Trauer und Angst. Und zu dem Wunder gehört auch, dass Gott durch die Musik und das gemeinsame Singen Menschen zu einer Gemeinschaft verbindet. Das erleben wir heute beim gemeinsamen Singen, das erfahren meine Konfirmanden, wenn wir im Unterricht Lieder miteinander einüben, das erfahrt ihr, liebe Chorsängerinnen und –sänger, liebe Flötistinnen, Bläserinnen und Bläser bei jeder Probe, bei jedem Gottesdienst, in dem ihr mitwirkt. Diese Gemeinschaft ist das große Kennzeichen und Merkmal unseres Glaubens. Du bist zusammen mit anderen, da sind Menschen um dich, die dich sehen, dir helfen und dich begleiten möchten. So leben wir miteinander die Botschaft, die in allem anklingt, was Christus sagt und tut. Eure Stimmen erfüllen heute damit den Kirchraum. Dieses gemeinsame Singen kann ich natürlich auch im Fußballstadion erleben – doch das sind andere Lieder. Es sind Siegeslieder für die eigene Mannschaft – und Schmähgesänge für den Gegner. Die Quelle dieser Lieder ist der Wettstreit um Sieg und Niederlage. Die Lieder in unserem Gesangbuch, die Melodien, die ihr, liebe Musiker, für uns spielt, die kommen aus einer anderen Quelle. Christus selbst die Quelle, das Licht der Welt, der gute Hirte, und so erzählen die Lieder und Melodien uns immer von der Liebe, Barmherzigkeit und Gnade unseres Gottes. Lasst uns fröhlich in diese Lieder einstimmen, lasst uns mitsingen und damit Gott unseren Dank sagen für alles Wunderbare, das er uns schenkt. „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“: auch heute, auch an uns.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen


Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Liedvorschläge:
EG 324, 1-4.7.13 „Ich singe dir mit Herz und Mund“
EG 362 „Ein feste Burg ist unser Gott“
HELM (Beiheft der Nordkirche Himmel, Erde, Luft und Meer) 90 „Ja, ich will singen“ (Kanon)
„Mein Herz ist voll“: ein neuer Text von Christoph Zehendner zur Melodie von EG 341 „Nun freut euch, lieben Christen g´mein“

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

Fussnoten:
[1] 2 Mose 15,21
[2] Rö 3,28
[3] WA 49, 588, 16f.
[4] 1Sam16, 14-23
[5] WA Br VII, 105, 26ff.