5. Mose 6,4-9

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Gott hören und lieb haben? | Reformationstag | 31.10.2025 | 5. Mose 6,4-9 | Andreas Pawlas |

Liebe Gemeinde!

Wen interessiert heute noch die „Reformation“? Wir haben doch alle mit unserem Alltag genug zu tun. Und deshalb können wir uns nicht noch zusätzlich mit irgendwelchen verstaubten kirchlichen oder historischen Begriffen und Vorgängen befassen!

Nun gut, in der Schule oder im Konfirmandenunterricht da mag man ja noch ein paar Worte über solche Altertümer verlieren können. Aber was sollten wir normale Leute, ob jung oder alt, wohl heute noch damit zu tun haben? Es bleibt dabei: Wir haben in dieser schlimmen und verwirrten Zeit wahrhaft andere Sorgen.

Aber vielleicht macht jetzt eine Entdeckung neugierig: Denn in den zur Predigt vorgeschriebenen Textzusammenhängen ist nirgendwo etwas von den sonst zum Reformationstag üblichen Erinnerungstexten darüber zu finden, wie etwa der junge Martin Luther seine 95 Thesen kraftvoll an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlägt. Dabei würde ich sogar vermuten, dass das diesem Reformator auch vollkommen recht wäre! Denn nein, Personenkult oder Erinnerungstümelei, das wäre nichts für ihn. Denn es ging ihm doch um ganz Anderes, um sehr viel Radikaleres, um etwas, das weit über die damaligen strittigen Ablassfragen hinausging. Denn immerhin beginnt er seinen ganzen Aufruf in der ersten seiner 95 Thesen mit dem Satz: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“

Völlig verwirrend wäre jetzt natürlich, nun an so etwas wie eine Geldbuße nach der Straßenverkehrsordnung zu denken. Nein, Luther verwendet hier den Begriff Buße in seiner eigentlichen Bedeutung nämlich als ein radikales Umdenken.

Und um ein radikales Umdenken in diesem Sinne, nämlich über das ganze menschliche Leben, geht es auch genau in diesem Bibelwort, das für den heutigen Reformationstag vorgesehen ist. Denn das ist das berühmte „Höre, Israel“ aus dem 5. Buch Mose, wo es heißt:

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore. (5. Mose 6,4-9)

Jedoch: weshalb sollte nochmal dieser einleitende Aufruf zum Hören mit radikalem Umdenken zu tun haben? Oder sollte etwa in der heutigen Zeit für jeden Nachdenklichen offenkundig sein, wie verwirrend es gegenwärtig sein muss, was sich da alles über unser Gehör ungefiltert in uns hineindrängen will: Gerede und Geschnatter, Musik aus Radio, Handy, dazu Straßenlärm, Gezanke und Hundegebell. Denn wie sollte man dabei das Richtige und Lebenswichtige zu hören bekommen? Ja, was müsste man jetzt eigentlich dazu für umfangreiche Überlegungen anstellen! Doch das ist für jetzt alles viel zu viel.

Aber vielleicht könnte es jetzt abkürzend hilfreich sein, einmal eine alte Redewendung zu bedenken. Denn was meint man denn eigentlich, wenn man von Kindern oder Jugendlichen sagt: „sie mögen nicht hören“? Das heißt im Klartext doch „sie mögen nicht gehorchen“.

Und könnte es nicht wirklich sein, dass wir damit auf den Kern stoßen, warum Alt und Jung so häufig für alles mögliche Andere ein Ohr haben und es befolgen – oft zu eigenen Schaden -, jedoch bestimmt nicht dieses „der HERR ist unser Gott, der HERR allein!“

Aber wieso soll das denn so sein? Etwa weil wir als moderne Menschen doch lieber unserer eigener Herr sind und machen, was wir wollen, als das, was wir wohl ganz tief in unserem Herzen als das Richtige, als das Gottgewollte ahnen?

Immerhin schien man vor 2 ½ tausend Jahren, doch davon bereits eine Menge zu wissen, wie das so mit unserem Hören und Gehorchen bestellt ist. Sicherlich wird das auch der Grund sein, weshalb dieser Auftrag zum Hören, dieses „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein“, konsequent begleitet wird mit der Weisung, diese Worte mit einem Zeichen zu verbinden, mit einem Zeichen, das uns mahnen soll, mit einem Zeichen an Hand, Stirn oder Tür.

Allerdings dürfte das für uns heutzutage nicht gerade originell klingen. Denn werden wir heutzutage nicht von Zeichen fast überflutet? Opel oder VW, Shell oder Lufthansa, HSV oder Langnese-Eiskrem, alle haben und pflegen ihre Markenzeichen. Und wer schaut da schon etwa auf das christliche Zeichen des Kreuzes? Oder wer lässt es etwa in die Pfosten seines Hauses eingraben, oder wer schreibt die Worte „Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein“ über die Tür seines neu gebauten Hauses? –

Manchmal kann man in Israel fromme Juden sehen, die sich diese Bibelpassage auf einem Zettel zum Zeichen auf Hand binden, oder wie sie sich in einem kleinen Kästchen dieses Bibelwort beim Beten zum Merkzeichen zwischen die Augen binden. Und ich bin mir sicher, dass bei frommen Juden zu Hause auch von diesem Bibelwort geredet wird und den Kindern eingeschärft wird, egal ob man nun zu Hause sitzt oder unterwegs ist, egal ob man sich nun niederlegt oder aufsteht.

Und sollte das nicht auch berechtigt sein? Denn müsste nicht in unserem Lande so viel anders werden, wenn man sich und der ganzen Familie derart täglich und stündlich mit einem Zeichen – und für Christen wäre es ja das Kreuz – also mit einem Kreuz an Tür, Hand und Stirn vor Augen hielte, dass es nur den einen lebendigen Gott gibt und keinen anderen. Und vor allem, dass dieser Gott einen hält und tröstet?

Müsste nicht unter unseren jungen Menschen vieles anders werden, wenn man sich so in der Schule täglich, stündlich mit einem Kreuz an Tür, Hand und Stirn vor Augen hielte, dass es nur den einen Gott gibt und keinen anderen. Und dass man geborgen ist in dessen Liebe?

Aber müsste nicht auch unter uns älteren vieles anders werden, wenn es in den Betrieben und Verwaltungen nicht einzig darum ginge, der Größte, Stärkste und Reichste zu sein, sondern wenn ein Kreuz an Tür, Hand und Stirn daran erinnerte, dass es nur den einen Gott gibt und keinen anderen, der ja Grund für die Liebe zum Nächsten ist?

Oder würde das alles vielleicht gar nichts nützen? Denn wie sollte man es eigentlich durch noch so augenfällige Zeichen und noch so feste Gewohnheiten erzwingen können, jemanden von ganzem Herzen liebzuhaben und dann noch sogar den HERRN, unseren Gott, liebzuhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all unserer Kraft?

Wir erleben es doch in so vielen Häusern in unserer Gemeinde, wie sich Menschen es so sehr vornehmen, sich mit aller Kraft zu lieben und sich noch so viele blumenverzierte Schildchen in der Wohnung aufhängen beschriftet mit den Worten „Ich liebe dich“, aber dann knallt und kracht es trotzdem, Missverständnisse türmen sich und mit einem Male ist alle Liebe verschwunden und man geht und lässt sich scheiden. Und wie sieht es in der Erziehung aus? Können wir auch nur irgendwie erzwingen, dass Eltern Kinder und Kinder Eltern von ganzem Herzen lieb haben? Wie viele Zeichen setzen hier Eltern, was mühen sie sich, die Liebe ihrer heranwachsenden Kinder zu gewinnen. Und was ist vielfach das Einzige, was die Kinder machen? Sie versuchen, sich aller übergestülpten Liebe zu entwinden. Sie verletzen ihre Eltern damit, dass sie deren Zeichen missachten und missverstehen und ziehen dann, sobald sie es können, im Streit aus dem Haus aus.

Und nun sollen wir uns hier diese Worte, die uns Gott heute gebietet, zu Herzen nehmen? Und nun sollen wir von Gott her mit Zwang und drohenden Zeichen überall gefordert werden, ihn zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all unserer Kraft?

Liebe Gemeinde, ich kann mir nicht vorstellen, dass uns diese Willensleistung gelingt! Und wenn uns diese Willensleistung gelingen sollte, würden wir sicherlich nur irgendwie vollkommen verbogene oder unehrliche Menschen werden, die eigentlich nur noch Zwang, Gebote und Formeln kennen und die gar nicht mehr wissen, was es eigentlich bedeutet, zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft.

Ich kann mir nun vorstellen, dass die Welt in solcher Erstarrung gefangen war, bevor Jesus Christus geboren wurde! Und sicherlich ist die Welt heute genauso in Zwängen, Geboten und Formeln erstarrt, wenn sie sich nicht Jesus Christus öffnet. Denn Jesus Christus legt uns doch gerade nicht neue Regeln, Maßnahmen und Gesetze auf, sondern in ihm erreicht uns unvermittelt die herzliche Liebe des lebendigen Gottes, die wir dann auch gern weitergeben. In Christus dürfen wir uns ganz sicher sein und verspüren, dass Gott uns so liebt wie wir sind, dass Gott uns unsere Lebensfehler und -schuld vergibt und zum Guten wendet! Im Glauben an Jesus Christus dürfen wir uns doch ganz gewiss werden, dass wir unser Lebensziel schon erreicht haben, ja, dass wir in das gelobte Land unseres Lebens und dieser ganzen Welt bereits haben einen Fuß setzen dürfen – denn durch die Taufe haben wir doch schon das Bürgerrecht in Gottes ewigem Reich! Durch die Taufe haben wir doch schon jetzt Anteil an Gottes ganz anderen Welt, in der alle Not gelöst, alle Schuld getilgt und alle Sehnsucht gestillt wird!

Es ist eben nicht mehr so, wie beim alten halsstarrigen Gottesvolk, welches nur Gehorsam begreifen konnte und dem darum verordnet werden musste: Wenn du das ferne gelobte und verheißene Land erreichen willst, dann musst du alle diese Gebote lernen, dann musst du alle Regeln, Vorschriften und Weisungen einhalten. Und ein solches Gehorsamssystem hatte sich ja auch in der mittelalterlichen Welt unter päpstlicher Leitung festgesetzt: Folglich sollte nur der erlöst werden, der den päpstlichen Weisungen folgte.

Dabei ist es doch für das neue Gottesvolk, für uns Christen so – und genau das hatte Martin Luther in der Reformation im Kern ja wieder entdeckt -, dass wir eben bereits einen Fuß in das gelobte Land unseres Lebens haben setzen dürfen. Also: Was für eine befreiende Wiederentdeckung durch die Reformation, die wir doch niemals niemals preisgeben würden!

Und wer das alles so voller Staunen und Dankbarkeit fühlen darf, dem würde doch eine andere Übersetzungsmöglichkeit unseres Bibelwortes ganz selbstverständlich erscheinen. Denn man kann mit gleichem Recht dieses Bibelwort aus dem Hebräischen folgendermaßen übersetzen: Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du wirst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, wirst du zu Herzen nehmen und wirst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.

 Allerdings, alle die Zeichen auf Hand, Augen und Tür – so hilfreich und anregend sie auch verschiedentlich sein mögen -, die braucht man dann eigentlich nicht mehr. Das ist die Wiederentdeckung der Reformation. Denn wenn einem durch den Glauben an Christus die Liebe zu unserem himmlischen Vater, im Herzen anrührt und wenn man so umdenkt und sich darum geheilt und geborgen fühlt und man ganz von selbst andere mit einbeziehen möchte in dieses Leben, aus einer neuen Lebensgewissheit, dann hat man doch alles, was es zu hören, zu sagen und zu tun gibt.

Und nun genau das im Namen Jesu Christi erfahren zu dürfen, das schenke unser Gott uns allen, heute am Reformationstag und ewig Amen.


Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas
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Andreas.Pawlas@web.de