Markus 7,31-37

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12.Sonntag nach Trinitatis | 27.08.23 | Mk 7,31-37 (dänische Perikopenordnung) | Poul Joachim Stender |

Hefata! Öffne dich!

Jedes Mal, wenn man in der Volkskirche etwas Neues versucht hat, ist da immer ein Pastor gewesen, der sich hingestellt und gerufen hat: „Unsere Seele ist taub und stumm / für das Evangelium“.[1] Die Devise war die, dass das Evangelium verkündigt werden soll, aber die Leute wollen es nicht hören. So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein. Und wenn man glaubt, daran etwas ändern zu können durch smarte Einfälle, dann „tivolisiert“, d.h. popularisiert bzw. banalisiert man das Wort Gottes. Eigentlich merkwürdig, dass der Kopenhagener Tivoli, der ansonsten für schöne Unterhaltung steht, in gewissen kirchlichen Kreisen zu einem Schimpfwort geworden ist. Darf das Evangelium – neben vielen anderen Dingen, nicht auch unterhaltsam und lustig sein?

Es ist nicht schwer, das Gefühl zu bekommen, dass unsere Seele „taub und stumm“ ist für das Evangelium. Man kann nur sehen, wie es in einem Land wie Dänemark ist, wo die Bevölkerung fast 1100 Jahre lang christlich war. Sind wir liebevoller zueinander als nichtchristliche Völker? Leben wir stärker und tiefer als Völker, die das Evangelium von Jesus Christus nie gehört haben? Sind wir froh und zufrieden mit unserem Leben? Nein! Auf dieser Kanzel hier haben meine Kollegen hunderte Jahre lang gestanden, sie hießen Franck, Aagaard, Saxtorph, Heiberg, Walter, Jensen, Lund, Brisson, Mølgaard. Haben wir Kirke Saaby und Kisserup mit dem Evangelium verändert? Wird nicht weiter geklatscht und betrogen? Haben die Leute nicht noch immer an sich selbst genug? Es scheint so, als hätten die Pastoren Recht, die sogleich rufen, wenn die Kirche neue Wege geht: „Unsere Seele ist taub und stumm / für das Evangelium“.

Alle wissen, dass es in Dänemark etwas gibt, was wir das „Jante-Gesetz“ nennen, wo eines der Gebote ist: „Du sollst nicht glauben, dass du etwas taugst“. Keiner darf meinen, besser als andere zu sein.[2] Aber da ist auch ein anderes Gesetz, das genauso große Bedeutung hat. Das Gesetz der Gewohnheit.[3] Wenn etwas in einer bestimmten Weise ist oder getan wird, soll man das nicht ändern. Nirgends wird dieses Gesetz so sehr praktiziert wie in der Kirche. Wir haben uns gewöhnt an Musik aus dem 17. Jahrhundert, und dabei bleiben wir. Der Gottesdienst wird fast gleich gehalten seit der Reformation. Und dabei bleiben wir. Die heutige Erzählung vom Sohn Gottes, der einen Taubstummen heilt, ist aber eine phantastische Kritik an diesem Gesetzt der Gewohnheit. Der taube Mann aus Dekapolis ist sicher seit seiner Geburt taubstumm gewesen. Sowohl der Taubstumme als auch seine Umgebung haben sich sicher an sein Handikap gewöhnt. Und dennoch waren da Leute, die nicht an all dieses Gerede von dem glaubten, woran wir uns gewöhnt haben, sie waren davon überzeugt, dass Gott den Taubstummen heilen konnte. „Hefata“, sagt Jesus. Das bedeutet auf Aramäisch, der Sprache Jesu: Öffne dich. Und der Mann bekommt sein Gehör wieder und kann reden. Wenn es eine Haltung gibt, die uns prägen sollte, dann so eine Haltung des Hefata. Eine Haltung des Sich öffnen Lassens. Etwas ist möglich, auch wenn es vor kurzem nicht möglich war. Das sollte die Überschrift sein, die wir u.a. der Volkskirche geben sollten. Hefata. Lasst uns die Kirche öffnen. Eine neue Zeit hat begonnen, in der wir mit dem Gesetz der Gewohnheit brechen müssen, um das Evangelium zu verkündigen. Unsere Seelen sind bestimmt nicht taub und stumm für das Evangelium Gottes. Das Wort Gottes kann jederzeit, mit Hilfe des Heiligen Geistes und kirchlichem Wagemut in uns strömen wie eine brausende Flut, die Felsen stürzen und Eisberge schmelzen lässt.

Die Dänen bauen Küchen wie nie zuvor. Große schöne Küchen mit der modernsten Ausstattung. Aber leider haben wir keine Zeit, sie zu gebrauchen. Wir kaufen fertiges Essen, das nur schnell im Ofen aufgewärmt werden muss. Das ist lächerlich. Aber das Gesetz der Gewohnheit bewirkt, dass wir in unserem täglichen Leben immer in derselben Spur bleiben. Ohne weiter darüber nachzudenken, stehen wir auf, fahren zur Arbeit, schuften und arbeiten und kommen spät nach Hause. Keine Zeit für Vertiefung. Keine Zeit für die Liebsten. Keine Zeit für Jesus Christus. So ist es eben, sagen wir zu uns selbst. Aber das stimmt nicht. Hefata. Öffne dich. Weil wir blind loslaufen, als sei das Leben ewig, brauchen wir damit ja nicht so weitermachen. Gottes Wort kann öffnen für etwas, was ganz neu ist.

Es ist bizarr, dass man taub sein und dennoch hören kann. Aber ist es nicht eine Form für Taubheit, wenn man nichts anderes hören kann als phonetische Laute, die aus dem Munde eines Menschen kommen. Da sind in einem Klang tiefere Schichten. Wenn mein Geliebter bzw. meine Geliebte redet, wenn sich mein Sohn an mich wendet, um etwas zu sagen, sind die Stimmen ein Echo der Ewigkeit. Etwas unfassbar Kostbares im Leben, das sich als seine Sehnsüchte und Hoffnungen erweist. Und ist es nicht auch bizarr, reden zu können und dennoch stumm zu sein. Denn wenn man von nichts anderem reden kann als Geld, Gesundheit und Arbeit, aber nicht von Gott und Liebe, dann kann man nicht reden. Es geht einfach um das Hefata. Sowohl sich öffnen für Gottes als auch geöffnet werden vom Wort Gottes. Wir sind nicht taub und stumm für das Evangelium.

Wenn der Pastor früher ein Kind taufte, berührte er Augen und Mund des Kindes und wiederholte Jesu Wort: Hefata. Damit war gemeint: Öffne dich für Gott, für andere Menschen, für die Zukunft. Die Welt besteht nicht nur aus Computern und Fernsehern und Handys und Gehaltsabrechnungen. Für den, der sich öffnet für das Himmlische, sind da auch Engel und eine Jungfrauengeburt und ein Leben nach dem Tod und ein Gott, der Hefata sagt, wenn Krankheit und Leid und Probleme einem alle Türen verschlossen zu haben scheinen. Selbst nach unserem Tod erklingt über unserem Grab ein Hefata, und das Grab öffnet sich und das Reich Gottes umschließt uns. Und was mit dem Verhältnis zu unseren Mitmenschen? Geht es da nicht auch um die Einstellung des Hefata? Dem Mitmenschen erlauben, uns mit Worten, mit Zeichen der Liebe zu öffnen. Aber auch sich öffnen für den Mitmenschen. Im Märchen Ali Baba und die vierzig Räuber öffnet sich eine Höhle voller Schätze durch den Ruf: Sesam, öffne dich. Jesu Wort Hefata ist keine Zauberformel wie der Ruf Sesam. Aber für den, der sich öffnen lässt von Gott, von der Liebe, von seinem Nächsten wird das Leben zu einer Schatzkammer voll von Gottes Gaben.

Gott befohlen. Amen.

Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
pjs(at)km.dk

[1] Aus einem dänischen Kirchenlied zu diesem Text von Grundtvig, Dänisches Gesangbuch Nr. 443,3

[2] Nach einem Roman des dänischen Autors Aksel Sandemose, Jante ist ein fiktiver Ort, nach dem dieses Gesetz benannt ist, nach dem man nicht glauben soll, besser als andere zu sein.

[3] Dänisch ”Vante”. Vom Grundgesetz, der Verfassung in Schleswig-Holstein sagt man scherzhaft, sie bestehe nur aus einem Satz: „Alles bleibt so, wie es immer gewesen ist“.