
Johannes 14,16-25
Die Verheißung des Heiligen Geistes | Pfingstsonntag | 19. Mai 2024 | Joh 14,16–25 | Ulrich Nembach |
Liebe Gemeinde,
wir feiern heute Pfingsten, das Kommen des Heiligen Geistes. Jesus hat ihn vor seinem Fortgang, seiner Auffahrt in den Himmel, verheißen. Um was geht es da? – Es geht darum, dass der Heilige Geist uns hilft, nachdem Jesus nicht mehr da ist.
Hören Sie Jesu Wort (Joh. 14, 16 ff.):
Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. […] Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Ich habe es zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
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Es geht uns als Kirche dieser Tage nicht gut. Viele treten aus der Kirche aus. Viele sind schon ausgetreten, weitere werden es ihnen gleichtun. Augenscheinlich ist das eine sich kontinuierlich fortsetzende Entwicklung. Das „Wachsen gegen den Trend“, 2006 von der Evangelischen Kirche in Deutschland als Parole und Leitidee für die Reform der Kirche ausgegeben, erwies sich als Illusion. Das groß angelegte, programmatische Impulspapier der EKD hielt nicht, was es versprach.
Es fehlt uns an Pfarrern und Pfarrerinnen. Es fehlt uns an Geld. Allein in dem Kirchenkreis, in dem ich wohne in Göttingen – er umfasst im wesentlichen das südliche Niedersachsen –, sind 60 Kirchen gefährdet, weil kein Geld dafür da ist, sie zu renovieren. Sie werden wohl früher oder später verfallen.
Trost brauchen wir. Und ich glaube, Pfingsten, Gottes Heiliger Geist, kann uns trösten. Er hilft uns. Ich möchte es an drei Beispielen zeigen.
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Das erste spielt in der Reformationszeit: Luther war in Worms vor Kaiser und Fürsten einbestellt worden und sollte widerrufen; er hatte nicht widerrufen; sein Landesfürst hatte ihn von der Landstraße weg, ja, man könnte schlicht sagen, entführen lassen auf die Wartburg. Dort lebte er ziemlich einsam. Und da kam Luther auf die Idee, die Bibel, das Neue Testament zunächst, ins Deutsche zu übersetzen. Sogleich stand er vor einem großen Problem, der Frage nämlich, was das denn sei, das Deutsche.
Wenn wir heute ins Lexikon gucken, dann lesen wir von west- und indogermanischen Sprachen, dem Zusammenhang von Sprachfamilien untereinander, Ausdifferenzierungen, unterschiedlichen Sprachstufen in historischer Abfolge usw. usf. Aber damals, da ging es konkret um etwas anderes. Die Leute verstanden einander einfach nicht. Es gab kein Idiom, das über die engste Umgebung hinaus verständlich gewesen wäre. Oft verstanden sich nicht einmal die Bewohnerinnen und Bewohner benachbarter Dörfer.
Auch heute kennen wir Sprachbarrieren. Nicht jeder gesprochene Dialekt erschließt sich uns auf Anhieb, sei es das Bayerische, sei es das Schwäbische oder Alemannische, sei es im Norden das Niederdeutsche oder gar das Friesische. Aber damals, da schienen die mit der Sprache gegebenen Barrieren letztendlich nicht überwindbar zu sein. Die Menschen konnten miteinander reden, verstanden haben sie einander, wenn überhaupt, im besten Fall halbwegs.
Luther war deshalb daran gelegen, eine Ausgangssprache zu finden, die in der Landessprache leistete, was in den Sprachen der Bibel, dem Griechischen und dem Hebräischen, dem Lateinischen, Standard war. Er suchte also nach einer Gemeinsprache, die Regionales miteinander in Einklang zu bringen vermochte und überregional akzeptiert werden konnte.
Und so knüpfte er ganz pragmatisch zunächst an die sächsische Kanzleisprache an, die bereits den Weg zu einer gewissen Standardisierung eingeschlagen hatte, ohne dass sie als solche schon ein hinreichendes Instrumentarium bereitgestellt hätte. Die Sprache der Kanzlei ist auf bestimmte Bereiche und Vorgänge des Lebens begrenzt. Sie redet nicht von Frauen, Kindern, Alten, Sterbenden. Ihr fehlen Wörter und Begriffe für die Zusammenhänge und Themen, von denen in der Bibel die Rede ist und für die diese auch die Worte hat. Immer wieder hat Luther darum nach entsprechenden Wörtern suchen müssen Er musste sie sich erarbeiten, sie imaginieren und bedenken, eventuell gar eigens kreieren, um den Bibeltext in ein plausibles Deutsch zu übertragen.
Und das ist ihm auch gelungen. Er hat in relativ kurzer Zeit das Neue Testament übersetzt. 1522, im September, erschien es gedruckt – in der Sprache, die wir bei allem Sprachwandel letztlich bis heute noch sprechen. Wenn Sie mich verstehen, lesen, was ich schreibe, hören, was ich sage, dann geht das durchaus auf die, ja diese Übersetzung der Bibel zurück. Die Leute, die hierzulande aus der Kirche austreten, benutzen die Sprache, die Luther mit der Bibel und für die Bibel geschaffen hat.
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Das zweite: Wir klagen heute, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen trotz aller Bemühungen nicht so richtig vorankommt, obwohl sich in der letzten Zeit doch Einiges, wirklich Beachtliches getan hat. Wir haben kürzlich den 1. Mai gefeiert. An der Spitze der Gewerkschaften in Deutschland steht seit zwei Jahren eine Frau. Zuvor leitete 16 Jahre lang Angela Merkel als Bundeskanzlerin das Geschick unseres Landes. Dem gegenwärtigen Bundeskabinett gehören sieben Ministerinnen an, und immerhin drei der deutschen Bundesländer, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland, haben eine Regierungschefin.
Das alles ist von dem Rollenbild, das uns Friedrich Schiller am Übergang zum 19. Jahrhundert vor Augen stellt, sehr weit entfernt. Sie erinnern sich? Ich zitiere einige Verse aus dem „Lied von der Glocke“: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben, und pflanzen und schaffen, […], das Glück zu erjagen. Der Mann mehrt Besitz und Wohlstand, er ist erwerbstätig. Die Frau aber ist zuständig für Haushalt und Kinder: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise, […] und reget ohn‘ Ende die fleißigen Hände, […], und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer, und ruhet nimmer.
Die Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern ist klar geregelt. Zu überzeugen vermag sie immer weniger. Sie schafft Abhängigkeiten. Wir Heutigen wünschen uns eine gleichberechtigte Partnerschaft in gegenseitigem Respekt, mit der Option auf Chancengleichheit. Wer das Leben der Frauen strikt auf den häuslichen Bereich reduziert, spricht ihnen im Grundsatz über diesen hinausreichende Fähigkeiten ab. Zugleich setzt er ihren Möglichkeiten Grenzen.
Im 20. Jahrhundert kam dafür das Schlagwort von den „drei K‘s“ auf: Kinder, Küche, Kirche (respektive, im Milieu des gehobenen Bürgertums, anstelle der Kirche „Kammermusik“). Konservative oder sich konservativ gebende Wertvorstellungen favorisieren das damit skizzierte Bild noch immer. Mit dem Leben der meisten Menschen indes hat es wenig gemein. Das galt schon im 19. Jahrhundert. Und so sind die Akzente, die die evangelische Kirche, ausgehend von einer Initiative des Pfarrers Theodor Fliedner und seiner Frau Friederike, dem entgegensetzte, aller Rede wert.
Fliedner nahm die soziale Not nicht nur von Frauen, sondern allgemein in der Gesellschaft wahr – Armut, mangelnde Bildung, Straffälligkeit, fehlende Gesundheitsvorsorge, vor allem die völlig unzureichende Betreuung von Kranken –, und begegnete dem mit gezielten diakonischen Projekten wie der Einrichtung von Schulen und der Ausbildung von Lehrerinnen, auch für die Kleinsten, speziell aber, 1836, mit der Gründung der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth bei Düsseldorf, die jungen Frauen mit einer professionellen Ausbildung in der Krankenpflege die Möglichkeit der Berufs- und Erwerbstätigkeit eröffnete. Erste Vorsteherin des Diakonissen-Mutterhauses wurde Friederike Fliedner, nach ihrem Tod dann Fliedners zweite Ehefrau Caroline. Sie leitete die Diakonissenanstalt und die Schwesterngemeinschaft insgesamt 40 Jahre lang.
Die Idee einer Professionalisierung der Krankenpflege und der sozialen Arbeit zieht bald weitere Kreise. 1859 gründete die letzte Königin von Hannover aus der Erbschaft ihrer Großmutter Henriette eine Stiftung für den Bau eines Diakonissen-Mutterhauses nebst einem Krankenhaus; auch hier wird die Leitung einer Oberin anvertraut. In Oberschlesien errichtet Eva von Tiele-Winckler 1890 auf dem Sitz ihrer Familie den „Friedenshort“, ein Haus für Waisenkinder, bedürftige Alte und Gebrechliche. 1893 erfolgt die Gründung einer evangelischen Schwesternschaft, der sie selber als Oberin vorsteht. 1913 gründet sie die weltweit erste gemeinnützige GmbH im Bereich der Diakonie.
Ähnliche Initiativen in anderen Städten und Regionen mögen hier unerwähnt bleiben. Ich zitiere lediglich Eva Tiele-Winckler, die, auf den Beginn ihrer Arbeit zurückblickend, bemerkte: „Das Wichtigste in jener Zeit war, dass ich anfing, Gott Unmögliches zuzutrauen.“
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Ja, und das dritte – greift vielleicht noch weiter: Es greift in den Bereich der Weltgeschichte aus.
Es gab den Kalten Krieg. Deutschland war davon sehr betroffen. Mitten durchs Land ging ein Riss. Er trennte die Deutsche Demokratische Republik im Osten vom Westen, der Bundesrepublik. Zwischen diesen beiden deutschen Staaten gab es einen Zaun, eigentlich ein tief gestaffeltes Befestigungssystem, damit keiner aus dem Osten in den Westen fliehen konnte, und viele, die es probiert haben, sind dabei zu Tode gekommen.
Dann aber passierte etwas ganz Merkwürdiges. Die DDR hatte vierzig Jahre lang existiert, als aus zunächst kaum beachteten Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche – der größten und ältesten Kirche in der Innenstadt und weithin bekannt, weil Johann Sebastian Bach hier seine großen Werke uraufgeführt hat – mehr wurde.
In der Nikolaikirche in Leipzig also trafen sich Christen, um für den Frieden zu beten. Es waren wenige. Mit der Zeit wurden es mehr. Es wurden so viele, dass die Kirche gefüllt war. Schon bald gab es keinen Platz mehr. Und die Leute kamen weiter. Was machten sie da? Sie warteten vor der Kirche, bis der Gottesdienst zu Ende war und die, die ihn gefeiert hatten, aus der Kirche herauskamen. Dann gingen sie in die Kirche. Es fand ein zweiter Gottesdienst statt. Und die, die im ersten Gottesdienst gewesen waren, warteten, bis auch dieser beendet war. Dann gingen sie alle gemeinsam auf die Straße. Sie demonstrierten, ruhig, friedlich. Damit war die Staatsmacht überfordert. Erich Honecker, der Staatsratsvorsitzende, erklärte später, man habe mit vielem, man habe mit allem gerechnet, aber nicht mit so etwas.
Auf die Demonstrierenden wurde nicht geschossen. Warum hätte auch geschossen werden sollen? Hätte jemand geschossen, wenn er auf der einen Straßenseite stand und auf der anderen vielleicht seine Freundin? Oder seine Frau, vielleicht die Mutter seiner Kinder oder seine Mutter, beide Frauen vielleicht?
Die SED, also die staatstragende Partei der DDR, geriet ins Trudeln. Sie agierte hektisch. Mitten in diese Hektik hinein fiel eine Pressekonferenz, auf der mitgeteilt wurde, es gebe nun ein Reiserecht. Ab wann? Ab sofort. Verblüffung in Ost und West! Die im Osten zögerten zunächst, gingen dann aber an die Grenze, sie wollten in den Westen. Die Grenzposten wollten sie erst nicht hereinlassen, doch dann ließen sie ein. So kam es zum 9. November 1989, zum Fall der Mauer, zum Ende der DDR. Und in der Folge löste sich der gesamte Ostblock auf. Ein Staat fiel nach dem anderen. Als erste erklärten die Baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit. Es folgten Armenien und Georgien, dann die Ukraine, Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan, Kasachstan usw.
Ja, Gebete in der Kirche…
Wir feiern Pfingsten. Gottes Geist ist Hilfe oder, wie Luther sagt, ein Tröster, einer, der die Situation verändert, voranbringt. Lassen wir uns heute wie allezeit vom ihm trösten! Amen
Ulrich Nembach
Liedvorschläge:
EG 366, 1-4. 5
EG 365, 1-3. 8
EG 362,1-4