
Lukas 14,25-35
Die Liebe macht keine Kompromisse | 2. Sonntag nach Trinitatis | 09.06.2024 | Lk 14,25-35 (dänische Perikopenordnung) | Leise Christensen |
Wenn die ersten Nachrichten auftauchen, dass nun die Band Rolling Stones in Kopenhagen auftritt, pflege ich geduldig Schlange zu stehen im Netz, um Karten zu kaufen. Letztes Mal dachte ich, ich sollte mir teure Sitzplätze sichern, nachdem ich reichlich bedrängt und geschubst und belästigt worden war bei etlichen Konzerten, die ich am selben Ort besucht hatte. Gedacht, getan. Am Tage vor dem großen Konzert, wo mein Mann unsere Plätze gefunden hatte, auch die freundlich begrüßt hatte, die einige Stunden neben uns sitzen sollten, da geschah es, wir waren schockiert. Das nette Ehepaar, das die Plätze neben uns einnahm, hatte für den kühlen Sommerabend den selbstgestrickten Umhang in stark gefärbtem Nylongarn sowie eine große Thermoskanne von zwei Litern mit niedlichen Blumenmotiven und einer Pumpenfunktion im Verschluss mitgebracht, nicht unähnlich dem, was wir beim Kirchenkaffee benutzten. Ein Konzert mit the greatest rock´n roll band in the world, wie sie sich zu nennen pflegen, dazu ein selbstgestrickter Umhang und eine Thermoskanne kirchlichen Zuschnitts. Während der damals fast 70-jährige Mick Jagger stöhnte, sich wand und schrie durch sein Programm hindurch, in seinem desperaten Versuch, einem 17-jährigen zu gleichen, saßen wir fein da und tranken Kaffee, den die Nachbarn auf den Plastiksitzen so großzügig mit uns teilten, mit dem Umhang auf den Knien. Da war etwas, was nicht zusammenhing. Da waren einige vorgefasste Meinungen über Stone-Fans, die nicht richtig der Wirklichkeit entsprachen. Da war etwas mit Sex, Drogen und Rock ’n‘ Roll, das sich nicht auf die Sitzplätze übertrug, wo das Stärkste, mit dem wir in Berührung kamen, die koffeinhaltigen Tropfen des Kaffees waren. Da war etwas mit Idee und Realität, was nicht zusammenpasste.
Denselben Eindruck, dass die Dinge nicht so zusammenpassen, wie wir das erwarten, kann man sehr wohl haben, wenn man das Evangelium für diesen Sonntag liest. Das Rockkonzert mit buntgefärbtem Umhang in Nylon – Jesus und eine Forderung zu hassen. Das hängt nicht zusammen, aber nichtsdestoweniger steht es da. Wir sollen unsere Nächsten hassen, unsere Ehepartner, Kinder und Geschwister, ja unser ganzes Leben hassen. Und das gar an einem Tag, wo wir das schönste Baby zur Taufe getragen haben, hoch geliebt von seiner Familie. Eine Sache ist, dass es sich oft so verhält, dass wir in der Tat unsere Familie hassen oder jedenfalls meinen, dass wir das tun. Wie oft hat nicht eine Teenage-Tochter gerufen, dass sie Vater und Mutter und den kleinen Bruder hasst, und ist so in schönster Weise der Forderung Jesu nachgekommen, die zu hassen, die einem am nächsten stehen! Aber kann es wirklich richtig sein, dass die Vorstellung Jesu von einem Jünger, der in wahrer Nachfolge lebt, nach dem Bild eines zuweilen unmöglichen Teenagers mit einem Ring in den Augenbrauen dargestellt wird, der Nase und dem Bauchnabel, Tätowierung an den Beinen und einem ungewöhnlich schrägen Mund-Zug geschaffen ist, nur weil der Abfalleimer entsorgt werden soll? Soll das Nachfolge Christi sein? Offenbar ist das der Fall, dass Jesus die Sache so darstellt. Trotz all dem Guten, was man über die Familie sagen kann, muss man zuweilen im Stillen dem alten dänischen Professor P.G. Lindhardt Recht geben, wenn er sagte: „Familie, das ist der Krieg aller gegen alle“. Das ist zwar untypisch gesagt, etwas weinerlich, etwas boshaft – aber es ist vielleicht auch – eingesehen im Stillen – etwas wahr… Das ist wirklich ein giftiger, empfindlicher und wohl auch streitvoller Ort, die Familie. Das ist der Ort, wo wir lieben, aber das ist auch der Ort, wo wir die härtesten Urteile über die anderen fällen, die Urteile, gegen die man nicht an eine höhere Instanz appellieren kann – eine schlechte Mutter, ein abwesender Vater, eine lieblose Ehe und was wir sonst noch beklagen können. Bald beginnen die Sommerferien, und das kann auch eine Belastung für die Familie sein. Nun sollen alle glücklich und froh sein und dasselbe wollen, aber… Nicht selten kann man sich sehr wohl zurückwünschen zu seinem friedlichen Schreibtisch am Arbeitsplatz. Ich habe diesen Eindruck, aber das bleibt ungesagt, weil es auch tabuisiert ist, davon zu sprechen. Es geht also zu wie mit den Aussagen Jesu, es ist wie wenig nuanciert. Könnte Jesus nicht einfach sich mehr in der Mitte bewegen und nicht so ultimativ formulieren? Könnte er wenigstens nicht etwas vorsichtiger sein? Denn es ist ja schwer, so absolut zu sein in seinen Aussagen – wir sind zurzeit gegen Russland, aber wir würden es dennoch sehr bedauern, wenn wir kein Gas mehr bekommen und das Benzin allzu teuer wird. Wir sind aufgewachsen mit nationalen Kompromissen verschiedener Art, und im Grunde meinen wir wohl, dass dies der vernünftigste Ausgang ist in Fragen dieser Welt.
Was sollen wir also anfangen mit diesem kompromisslosen Zugang Jesu zum Dasein? Ja, die Familie kann schwierig sein, nein, es ist nicht erholsam, mit der Familie Ferien zu machen, ja, fast die Hälfte aller Ehen werden geschieden, und würden wir nicht alles noch schlimmer machen, wenn wir auf alle Kompromisse verzichteten z.B. im Freundeskreis, indem wir unbeugsam an unseren Meinungen festhalten, in der Familie, indem wir immer auf das verweisen, wo etwas faul ist in den Beziehungen, am Arbeitsplatz, indem wir uns immer bedingungslos an die Regeln halten? Fahren wir nicht in Bezug auf andere ehrlich gesagt am besten, wenn wir nur etwas nachgiebig und flexibel sind, kompromissbereit? Also Jesus, was sollen wir mit dem heutigen Evangelium anfangen? Alles, glaube ich. Denn wir wissen doch im Grunde, dass wir manchmal standhaft sein müssen. Manchmal müssen wir uns entscheiden, koste es, was es will. In der offenherzigen Liebe muss man sich entscheiden. Deshalb glaube ich auch, dass wir alle im Grunde sehr wohl wissen, dass Jesus Recht hat, auch wenn es so provozierend klingt. Wir wissen aus unserem eigenen Leben, dass es unzählige Situationen gibt, wo wir nicht wanken dürfen, sondern uns entscheiden müssen, auch wenn uns das etwas kostet. Die Zwischenposition der Neutralität kann durchaus gewählt werden, wo es nur darum geht, ob wir für Bayern München oder Borussia Dortmund sind. Aber in den entscheidenden Augenblicken im Leben, da ist von uns eine klare Antwort gefordert, da sind wir gezwungen, klar Stellung zu beziehen.
Und hier legt Jesus den Finger direkt auf einen wunden Punkt, denn das mit Gott und mit dem Christsein, das ist nicht nur ein sonntägliches Freizeitinteresse zwischen 10 und 11 Uhr, nein, das betrifft das Leben an allen Ecken und Enden. Das ist schlechterdings eine Lebenseinstellung, die alles im Dasein bestimmt. Und nein, mir geht es nicht darum, jemanden zu radikalisieren oder für irgendeinen heiligen Krieg zu rekrutieren. Ich will vielmehr die Frage stellen: Was ist in eben dieser Situation das Richtige, das man tun soll? Wofür entscheidest du dich? Was sagst du? Was tust du? Was machst du aus deinem Leben – aus deiner Zeit, deinem Geld? Gibst du nach aus Furcht, siehst du weg, hörst du weg angesichts von Unrecht? Denkst du, dass es in Ordnung war mit dieser Thermoskanne mit Schraubverschluss in deinem Leben, auch wenn es eigentlich um Rock ’n‘ Roll geht? Hältst du ein, stehst du fest, stellst du dich der Auseinandersetzung, bezahlst du den Preis, bleibst du konsequent – für das, woran du glaubst? Und nein, ich weiß es sehr wohl – das tut niemand von uns, ich tue es jedenfalls nicht – jedenfalls nicht immer (ich war ganz zufrieden mit dem Kaffee) – aber das tat Jesus selbst, er wählte die Wahrheit und die Liebe und die Gerechtigkeit und die Ehrlichkeit – auch wenn es ihm das Leben kostete an einem Kreuz. Er tat das für solche lauen und halbherzigen Typen wie dich und mich – er tat dies um uns den Weg zu zeigen, um uns zu zeigen, dass die Liebe keine Kompromisse mit der Wahrheit macht. Die Liebe glaubt alles, hofft alles, erträgt alles. Amen.
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Pastorin Leise Christensen
DK 8200 Aarhus N
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