
Epheser 2,17-22
Haus des Friedens | 2. Sonntag nach Trinitatis | 09.06.2024 | Eph 2,17-22 | Luise Stribrny de Estrada |
Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht,
hat uns Hoffnung und Zukunft gebracht.
Es gibt Trost, es gibt Halt
in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit. Amen.
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Mit meiner Gemeindepraktikantin Amelie besuche ich den „Hoffnungsgrund“. So heißt eine Flüchtlingsherberge in dem Dorf Sandesneben, das zu unserem Kirchenkreis gehört. An diesem Nachmittag treffen sich ältere und jüngere Frauen, die alle eine Fluchtgeschichte haben: Einige kommen aus Syrien, andere aus Afghanistan, wieder andere aus dem Iran. Eine Frau hat ihre beiden Kinder dabei, eine andere ist gerade 16 geworden und geht im Nachbardorf in die Schule. Einige können gut Deutsch, andere wenig, dann übersetzen die, die die neue Sprache schon beherrschen, für uns. Die Frauen tauschen sich aus, erzählen von ihren Kindern, geben sich Tipps, wo man besondere Lebensmittel kaufen kann oder wo es gebrauchte Kleidung gibt. Amelie kommt mit der Sechzehnjährigen ins Gespräch, die ihr auf Englisch von ihrer Flucht übers Mittelmeer erzählt. Amelie ist sehr bewegt. – Am Ende des Gemeindepraktikums wird sie mir sagen: „Das, was mich in diesen vier Wochen am meisten beeindruckt hat, war der Besuch im Hoffnungsgrund.“
Was ist der „Hoffnungsgrund“? Es ist ein großes altes Pfarrhaus, in dem Flüchtlinge unbürokratisch aufgenommen werden und dort ein Zuhause auf Zeit finden. Geleitet wird es von einem Ehepaar, das alle Menschen freundlich aufnimmt, egal, woher sie kommen und was für eine Geschichte sie mitbringen. Lexa und Johannes tun das, weil sie zutiefst davon überzeugt sind, dass Gott jeden Menschen liebt und dass in Gottes Augen jeder und jede gut ist. So lebt im „Hoffnungsgrund“ eine große Familie mit fünf Kindern aus Syrien neben einer jungen Frau mit ihrer Tochter aus Afghanistan und einem alleinstehenden Mann, der Kurde ist. Johannes und Lexa sorgen dafür, dass über Konflikte geredet wird und in ihrem Haus der Geist des Friedens herrscht.
Ähnliches haben die Menschen in Ephesus erfahren, die zur christlichen Gemeinde kamen und durch die Taufe aufgenommen wurden. Sie lernten eine neue Art kennen, miteinander umzugehen. Sie wurden nicht wie sonst in ihrem Alltag schief angesehen, weil sie nicht so viel Geld hatten, wie die anderen oder weil sie Frauen waren, denen abgesprochen wurde, über sich selbst zu bestimmen. In der christlichen Gemeinschaft gehörten sie dazu, ohne Wenn und Aber. Sie waren gleichsam in einen neuen Raum eingetreten. Sie lernten eine neue Art der Beziehungen kennen, die von Liebe getragen war: So wie Gott in Jesus Christus sie liebte, sollten sie sich auch untereinander lieben. Wichtig war die Einigkeit im Geist, die durch das Band des Friedens gewährleistet wurde (Eph. 4,1-6).
Hören wir jetzt den Abschnitt aus dem Epheserbrief im 2. Kapitel, der heute der Predigt zugrunde liegt (Eph. 2,17-22):
Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Mir stößt das Wort „Heilige“ auf – Ihnen vielleicht auch. Heilige, das sind doch in der katholischen Kirche Menschen, die Wunder getan haben und dafür verehrt wurden wie die Heilige Elisabeth, die den Bettlern Brot brachte, oder der Heilige Georg, der den Drachen tötete. Nicht sie sind im Epheserbrief gemeint. „Heilig“ sind in der Bibel die Menschen, die Gemeinschaft mit Gott haben und zu ihm gehören. Dann sind alle Christinnen und Christen Heilige, weil sie durch den Heiligen Geist, durch Taufe und Abendmahl mit Christus verbunden sind. Im Glaubensbekenntnis erinnern wir uns gegenseitig daran: Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige, christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen…
„Jesus Christus ist der Eckstein“ heißt es in unserer Bibelstelle. Der Autor benutzt hier die Metapher des Baus, des Hauses, um die christliche Gemeinde zu beschreiben. Der Bau wird auf den Aposteln und Propheten gegründet, der Eckstein, der alles trägt, ist dabei Jesus Christus. Das griechische Wort für „Eckstein“ hat zwei Bedeutungen: Es meint zum einen den Grundstein, der allem Halt gibt. Zum anderen bezeichnet es den Schlussstein eines Gewölbes, der von oben dafür sorgt, dass der Bogen nicht zusammenfällt. So oder so ist dieser Stein, also Christus, der, der alles zusammenhält.
Auf ihm und durch ihn wächst der ganze Bau der christlichen Gemeinde. Genau genommen passt die Idee vom Bau oder Tempel nicht zur Vorstellung des Wachsens. Ein Haus wird konstruiert und mit Händen und Werkzeugen von Menschen gebaut. Das Wachsen geschieht von selbst, durch Sonne, Regen und guten Boden. Pflanzen wachsen, Blumen, Sträucher und Bäume, wir können ein wenig dazu tun, aber letztlich haben wir es nicht in der Hand, ob das Samenkorn, das wir in die Erde legen, wächst oder nicht. Der Bau, von dem der Epheserbrief spricht, bekommt durch sein Wachsen etwas Dynamisches, Lebendiges, was ihn mir sympathisch macht.
Das setzt sich im nächsten Satz fort: „Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“ Wir werden erbaut zu einer Wohnung Gottes. Gott wohnt in uns, in seiner Gemeinde. Gott nimmt Wohnung bei uns. Brauchen wir dann überhaupt noch Kirchenbauten, fest gefügt aus Steinen? Wenn es Gott reicht, dass er in der Gemeinde wohnt, wenn wir alle zusammen sein Tempel sind und ihn beherbergen, dann könnten wir auf unsere Kirchen verzichten. Bei der Diskussion um Gebäudekonzepte, die wir zurzeit in vielen Gemeinden und Regionen führen, kann uns der Epheserbrief zeigen, was für eine Gemeinde wirklich wichtig ist: dass sie sich auf Jesus Christus gründet und dass sich die Menschen in der Gemeinde von Gottes Geist leiten lassen. Gott braucht keine Kirchen, um seinen Menschen nahe zu sein.
Wir werden nicht alle unsere Kirchen verkaufen oder abreißen. Es ist gut, sie zu haben, um großen Gottesdienste feiern zu können wie zu Weihnachten oder zu Konfirmationen. Aber wir brauchen nicht an allen Kirchen zu hängen, wir als Gemeinde können Gott auch woanders erleben: in einer Schulaula, im Wald, im Wohnzimmer, auf einer Wiese, am Meer oder in einer Badeanstalt. Durch Christus werden auch wir zu einer Wohnung Gottes erbaut. Entscheidend ist, dass wir Gemeinschaft haben, im Geist Christi.
In Ephesus leben Menschen in Gottes Wohnung zusammen, die sich das vorher nicht hätten vorstellen können: Wohlhabende und Bettler, Alte und Junge, Sklaven und Freie, Frauen und Männer. Keiner, keine ist überlegen, alle haben die gleiche Würde und die gleichen Rechte. Sie gehören zur christlichen Gemeinde, die sich von Jerusalem über Kleinasien bis nach Rom erstreckt. In ihr wachsen Menschen zusammen, die als Juden und Jüdinnen geboren wurden und solche, die vorher der Isis, dem Jupiter, der Diana oder dem Mithras gehuldigt haben. Aus Judenchristen und Heidenchristen, wie sie die Theologen um Paulus nennen, entsteht eine Gemeinde, in der die unterschiedliche Herkunft keine Rolle mehr spielt. „Ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“, schreibt Paulus (Gal. 3,28). Das hätten sie sich nicht träumen lassen, bevor sie Christen wurden!
Von einem Traum, der wahr wird, erzähle ich Ihnen zum Schluss: Es ist das „House of One“. Es ist ein Gotteshaus, das in Berlin entsteht. Unter seinem Dach wird es Gebetsräume für Juden, Christen und Moslems geben: Eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee. Zwischen allen drei Gebetsräumen entsteht ein Kuppelsaal, in dem Begegnungen möglich sind, in dem die Menschen diskutieren und voneinander lernen können. Das House of One wird auch ein Ort für Wissenschaft, für Kunst und Kultur sein. Juden, Christen und Muslime haben sich auf den Weg gemacht, um einen Ort des Friedens und der Verständigung zwischen den Religionen zu kreieren. Das House of One wird ein Ort sein, an dem wir lernen, in unserem „einen Welthaus“ gemeinsam zu leben, wie Martin Luther King in Berlin gesagt hat.
Dazu schenke Gott uns seinen Geist.
Amen.
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Anmerkung:
Den Hinweis auf das House of One habe ich dem Kapitel 2.Sonntag nach Trinitatis von S.Claaß in: Gottesdienst Praxis, Serie A, VI. Perikopenreihe, Band 3, Gütersloh 2024, S.49-56 entnommen.
Lieder:
Komm in unsre stolze Welt, EG 428
Ein feste Burg ist unser Gott, EG 362
Komm, sag es allen weiter, EG 225
Zieht in Frieden eure Pfade, EG 258
Zur Autorin:
Luise Stribrny de Estrada
Lübeck
E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de
Luise Stribrny de Estrada, geb. 1965, Pastorin der Nordkirche. Von 2001-2009 Pastorin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Mexiko. Seit 2009 Pastorin in Lübeck, zunächst in der St.Philippus-Gemeinde, die nach der Fusion im Jahr 2022 zur Gemeinde Marli-Brandenbaum gehört. Auf dem Weg zum Pfarrsprengel predige ich an diesem Sonntag zum ersten Mal in der Nachbargemeinde St.Christophorus.
Sitz im Leben: In unserem Kirchenkreis ringen wir um die Frage, welche Kirchgebäude wir in Zukunft noch brauchen und welche wir aufgeben können und müssen, um Kosten zu sparen.