2. Korinther 12,1–10

· by predigten · in 08) 2. Korinther / 2 Corinthians, 5. So. n. Trinitatis, Aktuelle (de), Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 12/ Chapter 12, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons, Winfried Klotz

‚Wo Menschenkraft ausgeht, geht Gottes Kraft ein‘ | 5. Sonntag nach Trinitatis | 30.6.2024 | 2.Kor 12,1-10 | Winfried Klotz |

1 Ihr zwingt mich dazu, dass ich mein Selbstlob noch weiter treibe. Zwar hat niemand einen Nutzen davon; trotzdem will ich jetzt von den Visionen und Offenbarungen sprechen, die vom Herrn kommen.

2 Ich kenne einen mit Christus verbundenen Menschen, der vor vierzehn Jahren in den dritten Himmel versetzt wurde. Ich bin nicht sicher, ob er körperlich dort war oder nur im Geist; das weiß nur Gott.

3-4 Jedenfalls weiß ich, dass diese Person ins Paradies versetzt wurde, ob körperlich oder nur im Geist, das weiß nur Gott. Dort hörte sie geheimnisvolle Worte, die kein Mensch aussprechen kann.

5 Im Blick auf diese Person will ich prahlen. A Im Blick auf mich selbst prahle ich nur mit meiner Schwäche. (12,5-6) 11,16.30 A) Wörtlich mich rühmen.

6 Wollte ich aber für mich selbst damit prahlen, so wäre das kein Anzeichen, dass ich den Verstand verloren hätte; ich würde ja die reine Wahrheit sagen. Trotzdem verzichte ich darauf; denn jeder soll mich nach dem beurteilen, was er an mir sieht und mich reden hört, und nicht höher von mir denken.

7 Ich habe unbeschreibliche Dinge geschaut. Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, hat Gott mir einen »Stachel ins Fleisch« gegeben: Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde. Gal 4,13-14; Ijob 2,6-7; Num 33,55

8 Dreimal habe ich zum Herrn gebetet, dass der Satansengel von mir ablässt.

9 Aber der Herr hat zu mir gesagt: »Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.« Jetzt trage ich meine Schwäche gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft an mir erweisen kann. Phil 4,13; Jes 40,29-31; (Gnade) Röm 5,2S

10 Darum freue ich mich über meine Schwächen, über Misshandlungen, Notlagen, Verfolgungen und Schwierigkeiten. Denn gerade wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

Eine sehr persönlich Auseinandersetzung zwischen dem Apostel und Missionar Paulus und der jungen christlichen Gemeinde in der Hafenstadt Korinth begegnet uns in unserem Predigtwort. Im Gegensatz zu der manchmal geäußerten Meinung, dass die Lage der christlichen Gemeinde damals in der urchristlichen Zeit besser war, jedenfalls was das Miteinander, die Gemeinschaft und den Glaubensstand betrifft, erfahren wir hier – natürlich aus der Sicht des Paulus – dass es gewaltig knirschte.

Um die Probleme besser zu verstehen, müssten wir eigentlich den 2. Korintherbrief ab Kapitel 10 lesen; da schon beginnt die Verteidigungsrede des Paulus, sein Werben um Verständnis und Annahme, seine Kritik an anderen Missionaren, die nicht nur seinen Dienst als Apostel und Gründervater der Gemeinde in Korinth in Frage stellen, sondern aus Sicht des Paulus auch einen anderen Jesus predigen. „Ihr lasst es euch gefallen, wenn jemand kommt und euch einen anderen Jesus verkündet als den, den ich euch gebracht habe. Ihr lasst euch gerne einen anderen Geist geben als den, den ihr zuerst empfangen habt, und nehmt eine andere Gute Nachricht an als die, die ihr von mir gehört habt.“ So Paulus im 11. Kapitel (V. 4). Wir könnten meinen, Paulus ginge es nur um seine Person, er könne nicht ertragen, dass nach ihm auch andere Prediger nach Korinth kommen und guten Anklang in der Gemeinde finden. Seine Sorge um die Gemeinde greift aber tiefer; was da von diesen „Überapostel“ – so nennt er sie – verkündet wird, führt weg vom Zentrum, weg vom gekreuzigten Jesus. Im 1. Korintherbrief betont der Apostel für seine eigene Verkündigung: „Ich hatte mir vorgenommen, unter euch nichts anderes zu kennen als Jesus Christus, und zwar Jesus Christus, den Gekreuzigten.“ (1. Kor. 2,2) Nur im gekreuzigten Christus versöhnt Gott die Welt mit sich (5,19), nur in der Verbindung mit ihm geschieht die Befreiung zur Gotteskindschaft. Paulus sieht im Dienst der Überapostel eine große Gefahr für die christliche Gemeinde in Korinth: Was sie predigen und lehren, erscheint wie ein Aufstieg auf eine höhere Stufe des Christseins, ist aber in Wirklichkeit ein Weg in die Unfreiheit. Er schreibt: „Ihr duldet es, wenn euch jemand unterdrückt, euch ausbeutet und einfängt, euch verachtet und ins Gesicht schlägt.“ (11,20) Ihre Verkündigung kreiste weniger um den Messias Jesus als um die eigene Person. Sie sind begabte Redner mit einem Hang zum Narzissmus. Ihnen gegenüber ist Paulus eine schwache Figur, ein nicht sonderlich guter Redner und dazu noch ein Mensch mit einer Einschränkung, einer Behinderung oder Krankheit. (Gal. 4,13-14; 1. Kor. 2,3)

Paulus und die Korinther – über mehrere Seiten unserer Bibel führt der Apostel seine Mahn- und Werberede. War das nötig, hätte nicht ein kurzes Statement gereicht? Ist das Liebe zur Gemeinde auf Seiten des Paulus, oder eher Zeichen seiner Schwäche? Wir schauen aus einem großen Abstand zu und sind doch da und dort angesprochen, weil wir um Spannungen und Auseinandersetzungen in der heutigen Gemeinde wissen. Und um die manchmal unlösbare Verbindung von inhaltlichen und persönlichen Themen in einem Konflikt. Zudem wissen wir nicht, wie es zwischen Paulus und den Christen in Korinth weiterging. Ich vermute, dass sie ihn aus einem Abstand heraus wieder als ihren Gründervater entdeckt haben; dass seine Briefe dann ganz neues Gewicht bekamen. Jedenfalls sind sie uns bis heute überliefert. Und sie haben Gewicht, nicht nur weil sie aus den Anfängen der christlichen Gemeinde berichten, sondern weil sie ungeschönt die Anfechtbarkeit des Lebens als Christ/in spiegeln. Auch wir leben nicht in einer heilen Welt christlicher Gemeinden, ohne Irrtum, ohne Verkehrtheit, ohne Sünde. Auch wir sind manchmal leicht zu täuschen, fallen auf die herein, die schön daherreden. Und übersehen die, es sich viel kosten lassen, dass Jesus unter uns Gestalt gewinnt. Die Wenigsten von uns werden, wie Petrus zu Jesus, sagen können: „Du weißt, wir haben alles stehen und liegen lassen und sind dir gefolgt.“ (Mk. 10,28) Aber Christen erkennt man nicht am Glaubensbekenntnis, sondern daran, dass sie in der Spur Jesu gehen; das geht nicht ohne verlassen und führt immer wieder in Schwierigkeiten.

Jedenfalls war der Apostel Paulus ein Diener Jesu, der es sich hat viel kosten lassen; er berichtet widerwillig, durch die Propaganda der anderen und ihren Einfluss in der korinthischen Gemeinde gezwungen, was es ihn gekostet hat, Jesus zu dienen. Ich zitiere daraus:

„Ich rede jetzt wirklich wie ein Verrückter: Womit andere prahlen, damit kann ich auch prahlen. 22 Sie sind echte Hebräer? Das bin ich auch. Sie sind Israeliten? Das bin ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams? Das bin ich auch. 23 Sie dienen Christus? Ich rede im Wahnsinn: Ich diene ihm noch viel mehr! Ich habe härter für Christus gearbeitet. Ich bin öfter im Gefängnis gewesen, öfter geschlagen worden. Häufig war ich in Todesgefahr. 24 Fünfmal habe ich von den Juden die neununddreißig Schläge bekommen. 25 Dreimal wurde ich von den Römern mit Stöcken geprügelt, einmal wurde ich gesteinigt. Ich habe drei Schiffbrüche erlebt; das eine Mal trieb ich eine Nacht und einen Tag auf dem Meer.“ (11,21b-25)

Ob das die Korinther davon überzeugt hat, dass Paulus ein von Jesus berufener und gesandter Apostel ist? Für die Christen in Korinth musste, das ergibt sich aus dem Fortgang seiner Mahn- und Werberede, noch etwas dazukommen. Ein vollmächtiger Bote Jesu muss nicht nur engagiert und leidensfähig sein, er muss auch besondere geistliche Erfahrungen haben. Ein Teil der Christen in Korinth war süchtig nach besonderen geistlichen Erlebnissen. Das Mindeste war, dass man Gott in anderen Sprachen loben konnte. Manche meinten sogar, jetzt schon Zugang zur Welt der Auferstehung zu haben. (1. Kor. 15,12) Bewundert und angesehen waren die, die von einer Himmelsreise zu erzählen wussten. Den von Paulus als Überapostel bezeichneten Predigern in Korinth hing die Gemeinde an den Lippen, wenn sie von ihren himmlischen Erfahrungen berichteten. Die Christen in Korinth bewunderten diese Leute, für sie waren das richtige Apostel, denn sie hatten schon jetzt Zugang zur himmlischen Welt. Paulus dagegen fehlte diese Qualifikation; seine Predigt von der Versöhnung mit Gott durch den gekreuzigten Jesus war für die Korinther nur eine Vorstufe des Glaubens.

Aber Paulus kennt sehr wohl solche ekstatischen Erfahrungen. „Ich kenne einen mit Christus verbundenen Menschen, der vor vierzehn Jahren in den dritten Himmel versetzt wurde.“ (V. 2) Er redet von sich in der dritten Person, denn diese Widerfahrnisse sind nicht handhabbar, vermittelbar, dem eigenen Glaubenskonto gutzuschreiben; sie sind und bleiben fremd. Paulus stellt besondere Erfahrungen nicht in Frage, aber sie sind nicht Inhalt seiner Predigt, denn das würde ihn in den Vordergrund und den gekreuzigten Jesus in den Hintergrund stellen. Die rettende Botschaft von Jesus würde entwertet. Für Paulus persönlich haben ekstatische Erfahrungen Bedeutung, sie sind Stärkung auf seinem manchmal sehr angefochtenen Glaubensweg, sie bleiben aber Geheimnis zwischen Jesus und ihm. Von besonderen Erfahrungen berichten bringt in die Gefahr, Gottes Gnade klein und das eigene Ego groß zu machen. Und – besondere geistliche Erfahrungen und Fähigkeiten sind noch nicht Ausweis christlicher Integrität; wichtiger ist, in vertrauendem Gehorsam in der Spur Jesu zu gehen. (Mt. 7,21-23) Deshalb hält Paulus fest: „Für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.“ V. 5b)

Stimmt Paulus damit dem Urteil der Korinther zu: Du bist schwach, nicht besonders redegewandt, und zudem körperlich eingeschränkt, kein vollmächtiger Apostel? (Gal. 4,13-14) Dir fehlt es an Charisma! Die, die uns jetzt predigen, sind stark, ja wir selbst übertreffen dich. Du hast den Anfang bei uns gemacht, jetzt aber bewegt sich unser Christsein nicht mehr auf Kinderniveau, wir sind weit darüber hinaus. (vgl. 1. Kor. 3,1-3) Paulus aber sieht etwas anderes; er nimmt bei den Christen in Korinth eine gefährliche Überheblichkeit wahr, so als gäbe es ein Drüber-Hinaus über die Gnadenbotschaft vom für uns gekreuzigten und auferstandenen Jesus.

Hält Paulus seine Schwäche für eine Stärke, gehört es zum Christsein, dass man seinen Kopf unter dem Arm trägt, eine Leidensmine aufsetzt und möglichst schnell die böse Welt hinter sich lassen möchte? Nein, er verklärt seine Schwäche nicht; sie ist ihm nicht willkommen, sondern ein Dorn im Fleisch, ein Satansengel, der ihn mit Fäusten schlägt. Er schreibt:

„Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, hat Gott mir einen »Stachel ins Fleisch« gegeben: Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde. Dreimal habe ich zum Herrn gebetet, dass der Satansengel von mir ablässt. (V. 7-8)

Dass Paulus dreimal um Befreiung von seinem Leiden gefleht hat, zeigt deutlich, diese Schmerzen sind ihm nicht willkommen. Er kann sie nicht leichten Herzens in sein Christenleben integrieren. Es geht um eine schwere, notvolle Einschränkung seines Lebens, die trotz gläubigen Gebets ihm nicht abgenommen wurde. Aber er hat eine Antwort bekommen: „Der Herr hat zu mir gesagt: ‚Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft‘“. (V. 9) Auf diesem schweren Weg hat Paulus gelernt, dass die Not seines Lebens ihn davor bewahrt, überheblich zu werden.

Schauen wir noch einmal genauer auf das Wort des Herrn: „Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft“. Das ist kein geistliches Gesetz in der Art: Werde schwach, dann bist du stark und vollmächtig in Glauben und Dienst für Jesus. Paulus wurde einen Weg geführt, den er nicht gehen wollte; er konnte die Not weder abschütteln noch weg beten. So wie die himmlischen geistlichen Erfahrungen ihn überwältigten, so auch die Dunkelheit seiner leiblichen Schmerzen. Wir dürfen das nicht leichthin überlesen: Wir verknüpfen gerne Christsein mit erfülltem Leben und verwechseln das mit Wohlergehen; auf seinem Weg als Apostel erlebt Paulus das Gegenteil von erfülltem Leben, von Wohlergehen. Sein Weg in der Spur Jesu ist ein Kreuzweg! Ich behaupte nicht, dass das immer so sein muss; aber es ist nicht ungewöhnlich, wenn uns auf dem Weg hinter Jesu her Widerstände begegnen, sei es aus uns selbst, von innen oder von außen.

Entscheidend ist: Paulus blieb nicht ohne Erhörung seines Flehens. Jesus, der Herr, hat geantwortet. Viele meinen, Gebet sei nur eine meditative, innere Einkehr; Paulus habe auf diese Weise sich selbst eine Antwort gegeben, sich mit seinen Schmerzen versöhnt. Das ist ein Holzweg. Wer in der Not kein Gegenüber hat, dem er /sie sich loslassen kann, muss zugrunde gehen. Jesus, der lebendige Herr, ist unser Gegenüber, dem wir uns loslassen können.

Jesu Antwort an Paulus ist eine Aufforderung, im Hinschauen auf IHN den Weg zu gehen. Es ist ein Weg des Gebets. Allein oder in Gemeinschaft zuversichtlich zum gegenwärtigen Herrn Jesus zu beten und zu flehen ist ein Privileg. (Mt. 18,19-20) Auf diesem Weg wird aus Schwachheit Stärke, denn es ist ein Weg in der Gegenwart des auferstanden Herrn.

Einer meiner Großväter hat immer wieder um ein Überwinderleben gebetet; ich habe das als Kind nicht verstanden. Heute weiß ich, wir überwinden nicht deshalb, weil wir geistlich wachsen und stark werden, sondern weil Jesus bei uns Gestalt gewinnt, groß wird. Während die Christen in Korinth den Weg eigener geistlicher Größe gehen wollten, ein Weg der Raum ließ für eine Beliebigkeit der Lebensgestaltung (12,21), ringt Paulus darum, dass Christus Gestalt gewinnt bei seiner Gemeinde.

Paulus resümiert: „Jetzt trage ich meine Schwäche gern, ja, ich bin stolz darauf, weil dann Christus seine Kraft an mir erweisen kann. Darum freue ich mich über meine Schwächen, über Misshandlungen, Notlagen, Verfolgungen und Schwierigkeiten. Denn gerade wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ (V. 9b-10) Sich an Gottes Gnade genügen lassen bedeutet betend anzunehmen, was das Leben schwer macht; es bedeutet aber auch, Jesus, mein Herr, steht neben mir und bringt mich durch! Auf diesem Weg geschehen Wunder. Die Botschaft von dem Gott, der in Jesus rettet und versöhnt, wird glaubwürdig verkündigt. Hier geschieht, was nach meiner Erinnerung Luther einmal geschrieben hat: ‚Wo Menschenkraft ausgeht, geht Gottes Kraft ein‘. Amen.

Winfried Klotz, Pfr. i. R. Bad König/ Odenwald; verh. 3 erwachsene Kinder und ein Enkelkind – ganz neu! Theol. geprägt von Otto Michel und Hans J. Iwand, Mitglied Pfarrgebetsbund.