
Lukas 10,38-42
15. Sonntag nach Trinitatis | 08.09.2024 | Lk 10,38-42 (dänische Perikopenordnung) | Eva Holmegaard Larsen |
Martha und Maria
Martha und Maria – sind das zwei Frauentypen? Oder nur zwei Weisen des Menschseins?
Sie sind zwei Schwestern, und sie wohnten zusammen, und sie waren Freunde Jesu. Wie verstehen wir die Situation zwischen den beiden? Die eine ist praktisch und erdnah, die andere mehr spirituell und geistig. Das ist der unmittelbare Eindruck. Eine klassische Aufteilung zwischen der Arbeit mit der Hand und mit dem Geist.
Aber vielleicht auch nur der Unterschied zwischen der großen und der kleinen Schwester. Eine besorgte und verantwortungsvolle große Schwester – oder auch ein Bruder – gegenüber den kleinen Geschwistern, die mehr unbesorgt sind.
Wir können schnell eine Satire machen über die klassische weibliche Märtyrerin, die in der Küche herumkramt mit den Töpfen und sauer darüber ist, alles selbst machen zu müssen, aber jederzeit Hilfe ablehnen würde, weil kein anderer das tun kann, was sie macht.
So eine kennen wir. Wir kennen sie auch in uns selbst. Wir kennen die überanstrengten Typen, die anderen Schuld zuweisen, die immerzu aus der Haut fahren und es nicht ertragen können, dass andere offenbar das ganze viel ruhiger angehen lassen und nicht überall Probleme sehen.
Setz dich doch hin, Martha. Die Beine hoch – wir kriegen schon alles hin! Aber für die überforderten Marthas wirkt die entspannte Ruhe der anderer fast wie eine Provokation. Wenn man da ist, wo Martha sich befindet, ist es so als wäre die ganze Welt von Egoisten bevölkert, die an nichts anderes denken als sich selbst. Als Frau soll sie allein für alles sorgen und für alles verantwortlich sein.
Hat sie darin nicht auch Recht? Was wäre die Welt ohne Marthas, die die Dinge am Laufen halten? Da sitzen die beiden ja – Jesus und die kleine Schwester Maria, dabei das gute Essen von Martha zu verzehren und den Wein zu trinken, den sie eingeschenkt hat. Sie sitzen in ihrer schönen Stube an dem Tisch, den sie gedeckt hat, mit ihrem schweren Hinterteil weich ruhend auf den Kissen, die sie entstaubt hat.
Martha besteht darauf, dass man erst etwas leisten muss, um dann genießen zu dürfen. Das habe ich ja auch oft in meiner Kindheit gehört. Und Müßiggang ist aller Laster Anfang.
Zu der müden, vollbeschäftigten Martha sagt Jesus nun: Liebe Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not, Maria hat das gute Teil erwählt.
Was meint er damit? Bedeutet das, dass man genießen darf, bevor man etwas leistet? Oder dass Müßiggang vielleicht Anfang alles Guten ist? Was ist das einzig Notwendige, und was ist der gute Teil?
Vielleicht sollen Martha und alle wir anderen daran denken, dass alles seine Zeit hat. Zeit, Martha zu sein, und Zeit, Maria zu sein. Zeit, aktiv zu sein und tätig, und Zeit, sich hinzusetzen und zu empfangen.
Zeit, in Bewegung zu sein und Zeit für Ruhe. Zeit, rastlos zu sein und auf die Zukunft ausgerichtet, Zeit, still zu sein, reflektierend und rückschauend. Zeit, nach vorn zu blicken und weiterzukommen, und Zeit, sich in seine Erinnerungen zu verlieren. Eine Zeit, Martha zu sein, und eine Zeit, Maria zu sein.
Das ist Lebensweisheit, ich habe sie aus dem Buch des Predigers im Alten Testament – wo steht, dass alles unter dem Himmel seine Zeit hat.
Im Laufe des Tages, im Laufe der Woche ist Zeit für alles. Und im Laufe des Lebens ist da die Zeit, fortzukommen in der Welt und alles zu gewinnen, und eine Zeit, sich zurückzuziehen und anderen etwas weiterzugeben. Eine Zeit, jung zu sein, und eine Zeit, alt zu sein. Eine Zeit zu blühen und eine Zeit, Frucht zu bringen.
Ich höre das heutige Evangelium darin, dass Jesus Martha zur Ruhe einlädt. Für Martha ist die Zeit gekommen einzuhalten. Deshalb stoppt er sie eben dort, wo sie vor einem Zusammenbruch steht – wo sie sich im Kreis um sich selbst dreht wie eine Zentrifuge, wo sich alles hinab in ein dunkles Loch bewegt.
Jesus ruft die müde, geschäftige, frustrierte Maria zur Ruhe, wo man sich selbst und einander hören kann – und ja, Gott hören kann. Hör zu, Martha. Blicke auf und höre! Und sieh auf das, was um dich geschieht.
Siehe z.B. deine Schwester! Wir können uns vorstellen, dass Martha alles fahren lässt, was sie in den Händen hat, die Küche Küche sein lässt und sich zu Maria setzt und sich die Zeit nimmt, mit ihrer kleinen Schwester zu reden und ordentlich zu fragen, wie es ihr geht.
Es ist so wichtig, Geschwister zu haben, und wichtig, einander daran zu erinnern, dass wir etwas Wertvolles gemeinsam haben. Was haben wir von einander, wenn wir nur herumlaufen und Stress und Unzufriedenheit ausstrahlen.
Und wie sollen andere an uns Freude haben, wenn wir immer unzufrieden sind? Unzufriedenheit steckt an. Wie sollen Jesus und Maria nur einen Mundvoll von dem Essen herunterkriegen, das mit passiver Aggressivität auf den Tisch geworfen wird. Dann können wir ja genauso gut hinausgehen und eine Würstchenbude finden, wenn es darum geht.
Und was hat Maria von ihrer fleißigen und tatkräftigen Schwester, die sie nur heruntermacht als untauglich mit all ihrer Tüchtigkeit. Das erinnert Maria ja nur an all das, was sie selbst nicht ist oder kann.
Jesus ruft Martha zur Ruhe, zu der Ruhe, die uns als Menschen zusammenbringt und von uns selbst wegbringt in die Gemeinschaft. In die Liebe, in die Natur, in die Musik, in die Herzen anderer Menschen.
Jesus ruft Maria hinein in den großen Zusammenhang und richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Leben, das ihr geschenkt ist und das sie in all ihrem besorgten Stress nicht sieht.
Laufen wir nicht immer herum mit einer Sehnsucht, hinter all das zu kommen, was hinter allem steht, und das zu spüren, was größer ist und ewig – den tiefen Sinn. Laufen wir nicht alle umher mit einem Gefühl, dass es Gott gibt – und dass er von sich hören lassen wird im hohlen Echoraum des täglichen Kreislaufs, wo wir nichts anderes hören können als unser eigenes atemloses Seufzen und Stöhnen.
Denn da muss mehr sein. Mehr als unser Stress und unsere Ambitionen. Das Leben muss etwas anderes und mehr sein als die Erfüllung unserer Wünsche, nur damit wir uns noch mehr wünschen.
Was ist der Sinn des Ganzen? Die Menschen suchen nach Sinn und klopfen am Dach des Himmels, um eine Antwort zu finden. Wofür arbeiten wir? Was ist der Sinn all unserer Kämpfe? Warum sollen wir uns anstrengen? Worum sollen wir Ambitionen haben?
Martha fängt sehr gut eine Stimmung ein, die wir so gut kennen – dass man plötzlich betroffen wird und denkt: Warum tue ich das hier? Wozu das ganze? Dieses schleichende Gefühl, dass alles egal ist. Es macht schließlich keinen Sinn.
Ist Martha in dieser Situation? In diesem Fall will Jesus sie daran erinnern: Ja, wir leben und schuften los, für uns selbst, für unsere Familie und für die Gesellschaft. Aber wir arbeiten auch für Gott.
Wir arbeiten für die von Gott geschaffene Welt, dafür Gottes Ziel mit der Welt zu verwirklichen, das darin besteht, die Kreativität und Freude weiterzuführen, aus denen alles entsprang.
Gott schafft und erhält, segnet und verwandelt die Welt. Im Lichte der Liebe und des guten Willens, die ewig bestehen werden. Und in diesem Prozess sind wir zu Mitarbeitern berufen. Wir arbeiten zusammen mit Gott, und Gott arbeitet durch uns.
Das ist die tiefe Würde in all unserem Fleiß und unserem Streben. Das ist die Berufung der Arbeit – ob du nun Burger servierst bei McDonalds oder Reinemachefrau bist, Busfahrer oder Autor, oder ob du für deine Schwester und ihrem gemeinsamen Freund kochst – wie Martha.
Wenn Maria dennoch die ist, die den guten Teil gewählt hat, indem sie sich Jesus zu Füßen setzt und zuhört – so deshalb, weil sie nach außen hört, während Martha nichts anderes kann als sich um sich selbst zu drehen.
Maria hat sich dort hingesetzt, wo sich ihre Welt erweitert und wo sie sich ihrer Sehnsucht hingibt nach Antwort von dort – sie ergibt sich der Sehnsucht des Glaubens. Wenn Martha dasselbe tun würde, würde sie vielleicht ihr arbeitsreiches Leben mit anderen Augen sehen – und sehen: Wenn wir leben, lieben, arbeiten und kämpfen mit all dem, mit dem wir zu kämpfen haben – so leben wir bei Gott und haben teil daran, Gott und das, was er mit uns will, zu ehren.
Siehe hinauf über die Töpfe, hinaus aus dem Fenster in den großen Raum draußen unter dem Himmel. Ich glaube, das ist vielleicht die gute Botschaft in der Erzählung von Martha und Maria.
Alle sollen den Ruf spüren aus der Tiefe und der Höhe – und vielleicht mehr froh werden. Amen.
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Pastorin Eva Holmegaard Larsen
Nødebovej 24, Nødebo, DK-3480 Fredensborg
E-mail: ehl(at)km.dk