
Lukas 13,1-9
Mein Freund der Baum ist tot? | Buß- und Bettag | 20.11.24 | Lk 13, 1-9 | Markus Kreis |
6Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; 9vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Ganz so weit lässt es Jesus in seinem Gleichnis nicht kommen: „Mein Freund, der Baum, ist tot, er starb im frühen Morgenrot.“ klagte die Sängerin Alexandra Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Mit dem Tod der Pflanze droht Jesus in seinem Gleichnis nur. Was hat es mit dem Feigenbaum auf sich?
Ein Sprung aus Israel in den Süden der Pfalz, nach Kapellen-Drusweiler. Das ist ein Dorf, recht nahe am Elsass. Dort findet sich in fast jedem Weinberg ein Rosenstock am Anfang der Rebzeile. Das sieht zum einen gut aus, außerdem hatte es früher noch einen anderen Sinn. Der Rosenstock war eine Pflanze zum Anzeigen: nämlich von Krankheiten, die später die Weinrebe befallen würden – jedenfalls wenn der Winzer Gegenmaßnahmen ausließ statt einzugreifen. Der Rosenstock diente also als eine Art Teststäbchen, was das künftige Ergehen der Reben anging.
Mit dem Feigenbaum in Gleichnis verhält es sich ähnlich. Mit dem erstellt Jesus uns Menschen eine Art Testat. Das funktioniert wie bei einem Gentest. Der ist ein Typ von Test, der als Ergebnis eine Anlage zu einer Erkrankung aufweist. Aber manche bricht nur unter gewissen Umständen aus und wirkt akut. Ein Beispiel: Den einen Typ Diabetes hat man von Geburt an oder eben nicht. Zu dem anderen Typ Diabetes ist man nur veranlagt. Also je nachdem, wie man mit seiner Ernährung haushält, kann diese dann im Alter ausbrechen oder weiter ohne Wirkung still in einem ruhen.
Du bist veranlagt zu einem Leben ohne Gott, egal ob Du die entsprechenden Symptome zeigst oder ob sie dir fehlen. Jesus macht uns das als Testat anhand des Feigenbaums klar. Was Gott angeht, sind wir unfruchtbar. Weder lassen wir zu, dass er uns fruchtbar macht, dass er der Quellgrund ist, aus dem heraus unser Leben drängt und sich bildet. Noch sind die Früchte unseres Lebens dazu angetan, Gottes Lebensdrang zu stillen. Das klingt arg und übel. Zum Glück ist es nicht alles, was da zu sagen ist. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Himmelreichs lassen ein zweites verlauten. In uns steckt eine zweite Anlage: fruchtbar für Gottes Wirken als Quelle und Lebensziel zu sein. Genetisch gesehen mag das unmöglich sein, in gleicher Sache zwei Anlagen zu haben, die im Widerspruch stehen. Vor Gott verhält es sich gerade so: Wir sind trotzdem und zugleich fruchtbar für Gottes Wirken.
Aber Jesus spricht mit dem Gleichnis vom Feigenbaum von dieser einen Seite: Potentiell unfruchtbar für Gott. Und diese Möglichkeit wird leider Wirklichkeit. Was geschah damals? Einige Leute um Jesus haben ihm von der damals neuesten Kopfzeile berichtet: Menschenblut vermischt mit Opferblut! Pilatus hatte wohl einige Rebellen aus Galiläa beim Tieropfer im Tempel dingfest gemacht und gleich kurzen Prozess mit ihnen. Blut macht ja bis heute die Leute aufmerksam. Hätte sonst vor kurzem das Gaffen mit Strafe belegt werden müssen? Statt sich auf das Gaffen aus großer Distanz zu beziehen, spricht Jesus etwas anderes an: Nämlich die stillen Kopfzeilen, die einigen Leuten im Hirn rumgeistern. Und er äußert vernehmlich, was seiner Meinung nach da drin stille vor sich geht.
1Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. 4Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.
Was einen laut Jesus als unfruchtbar ausweist, ist ein bestimmtes Erklären und Berechnen von Gottes Wirken. Von welcher Faustregel, von welcher Schlagzeile lassen sich Menschen immer wieder leiten? Wenn einer sozial schief angeguckt wird, und dazu dann noch schwache Leistung bringt, gar zum Verlierer wird, oder schwer erkrankt oder stirbt, der muss etwas verbrochen haben! Würde er sonst dergestalt gestraft werden und enden? Wohl eher nicht! Dass diese Erklärung fragwürdig ist, das sieht man laut Jesus schon daran: Wenn einem aus Jerusalem, will sagen einem Normalo, oder gar einem sozial Beliebten das widerfährt, also schlechte Leistungen, Schmerzen oder Verlust oder gar Tod – dann hat er trotz allen Ansehens auch etwas verbrochen. Nur dass das eben halt heimlich und verborgen vor sich ging und so jetzt rauskommt. Viele Leute glauben halt, was sie glauben wollen statt das, was sie sollen.
Der Tod ist der Sünde Sold, heißt es an anderer Stelle. Ein recht bekannter Satz. Vielleicht versteht ihn Jesu so: Wer das Leiden eines Menschen so erklärt, der ist gottlos, der steht im Dienst der Sünde. Wer Verluste, Krankheit oder Tod so mitleidslos sieht, als eine von Gott verhängte Strafe, der ist in Wahrheit wider Gott, schwingt sich selbst zu einem auf. Wer so denkt, der liebäugelt und spielt mit seiner Anlage zum gottlosen Leben, da selbst sich zum Gott machend. Anscheinend tun Menschen das immer wieder. Und gegen dieses Verkennen hülfe wohl nur, den Baum komplett aus dem Boden zu hauen.
Erstaunlich, dass ausgerechnet diese Pflanze als Quelle verkrüppelter Fruchtbarkeit herhalten muss. Denn Feigenbäume sind biologisch gesehen äußerst fruchtbar. Sie pflegen nämlich drei Arten der Fortpflanzung und Fruchtbildung. Es gibt weibliche Bäume und männliche, die natürlich ausreichend nahe bei einander stehen müssen, damit das klappt. Ist eine Entfernung dafür zu groß, dann hilft die Feigenwespe. Sie erbringt den nötigen Tausch und Wechsel zwischen Männlein und Weiblein. Drittens kennt die Pflanze sogar eine Jungfrauengeburt, sie kann sich selbst befruchten. Vielleicht will das Gleichnis damit nur auf eine fruchtlose Fruchtbarkeit des Argen und Üblen anspielen. Denn solch gottloses Tun entsteht und wirkt in der Welt leider vielfältig. Die jüngere Zeit strotzt geradezu von Beispielen. Sehen wir nur auf uns Menschen des Westens, die um den Wandel des Klimas und die üblen weltweiten Folgen wissen. Und trotzdem vielfach wider besseres Wissen handeln. Oder leugnen, indem wir scheinbar plausible Gründe für unser widriges Tun absondern. Und selbst wenn wir das ernsthaft anders wollten, wäre das technisch nur äußerst schwierig und langwierig machbar, und alles Übrige nur unter massiver Einschränkung des genossenen Komforts im Alltag. Ja, gottloses Leben entsteht mit seinem argen Tun wie aus dem Nichts, ein Verhängnis. Es kennt eine eigene Jungfrauengeburt aus dunkler Hölle. Und die kann sogar wie eine vom Himmel herab erscheinen. Dem Leben feindlich, verborgen unter einer guten Gestalt. Das Arge und Übel verfügen über namenlose und unfassbare Macht, warum sonst hat Gott sich dieser in Jesu Namen widersetzt? Gottlos arges und übles Leben ist leider vielfältig fruchtbar, bringt sich hervor und pflanzt sich fort unter den Menschen, entsteht in neuer Form. So sehr, dass all seine Quellen, Flüsse und Folgen schwer zu fassen und zu benennen sind, um vom Abwehren ganz zu schweigen. Es wird schon in der Kirche kaum ein Konsens darüber zu finden sein, was sich an Argem und Übel in der Welt zeigt. Jede Zeit kennt da ihre eigenen Standards, die leider für dessen neue Formen blind sind. Zugestanden: Diese Standards z. B. in Form von Menschenrecht, Gesetz und Humor schwächen und hegen das Arge und Übel ein. Aber halt nur von einer Seite statt umfassend. Was dessen neue Formen und Auftritte angeht, ist ein Einhegen und Abschwächen schon viel weniger erfolgreich. Da muss man sich nur die Sympathien anschauen, die einigen Gestalten aus Politik und Wirtschaft in Europa und Amerika zufließen. Und mindestens außerhalb der Kirche, da werden manche sich an die Stirn tippen und das Arge und Übel als Rosen an der Kette bezeichnen und sagen: Da sind doch alles Probleme, die letztlich hausgemacht sind und die allein von Menschen guten Willens mit eigenen Mitteln bewältigt werden können. Wer mag das wissen?
Zum Glück steht der Feigenbaum auch für die Anlage zum Guten, zur Fruchtbarkeit für Gott, die in der Welt tatsächlich und letztendlich wirkt. Was führt zu diesem Glauben, der sehr oft quer zu allem steht, was wir wissen und kennen? Nach dem Lesen des Bibeltextes habe ich zu Anfang der Predigt gesagt: Ganz soweit lässt es Jesus in seiner Erzählung nicht kommen: „Mein Freund, der Baum, ist tot, er starb im frühen Morgenrot. Zwar droht Jesus mit dem Tod des Baumes im Gleichnis nur. Gleichwohl hat er später in seinem Leben damit ernst gemacht, bei sich selbst. Die Leute haben ihn ja verkannt und deshalb ein Fehlurteil gefällt: Feigenbaum! Unfruchtbar! Absensen! Nur um später erkennen zu müssen: In Wahrheit war Gott der Quellgrund seines Lebens. Und Jesu Leben gibt dem Lebensdrang Gottes auf Erden Raum und Zeit bis in alle Ewigkeit. Jesus ist als Mensch der fruchtbare Feigenbaum für Gott. Er wurde abgeschlagen und ist nicht nur neu gesprossen, sondern wurde sogar hoch versetzt zum Gärtner. Dem Gärtner Jesus sei Dank wissen wir, dass Gott uns und der Welt dies weitere Testat ausstellt. Da gibt es diese andere Anlage. Der Mensch hat es in der Welt in sich, ein fruchtbarer Feigenbaum für Gott sein. Denn Jesus hilft ihm, sich selbst zu versetzen, statt vor Gott ab zu hauen und abgehauen zu werden. Steht ihm bei, sich aus dem Dreckboden seines Lebens heraus zu winden. Um im guten Quellgrund zu wachsen und schöne Frucht zu bringen mit seinem Leben. Und das ist und wird schön und gut statt übel, arg und gottlos. Denn unser Freund der Baum ist tot und lebt und gedeiht. Amen.
—
Markus Kreis OStR
Neckarpromenade 17
D 68167 Mannheim
markus_kreis@web.de