
Johannes 5,17-29, Hesekiel 37,1-14
Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres (24. Sonntag nach Trinitatis) | 10.11.2024 | Johannes 5,17-29, Hesekiel 37,1-14 (dänische Perikopenordnung) | Thomas Reinholdt Rasmussen |
Die Toten sollen die Stimme Gottes hören
Wenn sich das Jahr seinem Ende zuneigt, überwältigt uns der Herbst. Der Herbst mit seinem fallenden Laub und der Kälte am Morgen. Es wird härter und kälter. Das Leben des Sommers rückt immer ferner und das Jahr neigt sich dem Ende zu.
So ist es auch mit dem Evangelium. Wenn wir dem Herbst entgegengehen, wird der Ton im Evangelium immer gröber und direkter. Das Evangelium klingt nach Abschied und dem Leben, das gelebt ist.
So auch mit dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium für diesen Sonntag. Nach einer klaren Aussage darüber, dass Vater und Sohn zusammenhängen und dass die Macht des Sohnes die Macht des Vaters zum Ausdruck bringt, und dass es deshalb der Allmächtige ist, der in den Worten Jesu von Vergebung und Erneuerung spricht, da spricht das Evangelium von den Toten, die die Stimme Gottes hören werden.
Das ist das entscheidende Wort: Die Toten werden die Stimme Gottes hören.
Der Kern des Evangeliums
Vielleicht ist dieser Satz in Wirklichkeit der Kern des Evangeliums. Nun werden die Toten das Wort Gottes hören. Das geschieht jetzt. Die Toten, das sind die, die nicht aus eigener Kraft im Evangelium sein können. Wie die Frauen, die am Ostermorgen zum Grabe kommen mit Salben und Gefäßen, um den geliebten Verstorbenen zu besuchen.
Sie waren gleichsam tot, denn sie hatten keinen Glauben daran, dass Christus auferstanden war. Im Gegenteil. Sie glaubten, dass der Tod gesiegt hatte und dass Jesus nun kalt und tot im Grabe lag. Dass es Herbst geworden war für all das, was sie im Leben zusammen mit ihm erfahren hatten.
Aber die Toten hörten Gottes Wort.
Ihre Erfahrung der endgütigen Macht des Todes stieß auf Widerspruch im leeren Grab. Jetzt geschah es, die Toten hörten Gottes Wort. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Da hörten die – schon – Toten Gottes Wort.
Der Bericht vom Ostermorgen, wo die Frauen ohne Glauben an die Erneuerung Gottes zum Grabe kommen, ist eine Kernbotschaft. Das ist ein Bericht, der uns erzählt, dass es gar nicht auf ihren Glauben ankommt, denn den haben sie nicht. Es kommt nicht an auf ihre Einstellung, denn die war nur auf den Tod gerichtet. Es kommt an auf Gottes Wort. Das Wort, das von den Toten aufersteht und zu uns spricht, die schon auf dem Weg dahin sind.
Es ist somit eine grundlegende Hoffnung, dass Gott die Toten ins Leben rufen kann. Dass Gott neu machen kann, wo wir nur Altes und Totes sehen. Dass Gott den Abschied des Jahres zu einer Erneuerung erwecken kann. Dass wir an einen Gott glauben, der alles neu macht.
Wenn diese Hoffnung nicht da ist, dann haben wir die Erzählung von dem leeren Grab am Ostermorgen im Grunde nicht gehört. Dann sind wir wie die Frauen, die sich ohne Hoffnung zum Grabe begeben. Aber nun ist Christus auferstanden. Nun ist es verkündet. Nun gibt es eine lebendige Hoffnung.
Der Prophet Hesekiel
Manchmal kann es uns gehen wir dem Propheten Hesekiel, der von dem Herrn in ein Tal voll mit toten Knochen geführt wurde. Die Knochen sind ganz vertrocknet und über das ganze Tal verstreut. Das ist wie unser Leben, oder vielleicht der Eindruck von unserer Kultur, die wie trockene Gebeine ist, die nicht leben können. Vielleicht sogar wie die Kirche, in der wir leben. Sehen wir nur die toten Gebeine, und hören wir nicht Gottes Wort?
Der Herr aber fragt Hesekiel, ob er glaubt, dass diese Gebeine wieder lebendig werden können. Glaubt er das? Und Hesekiel muss antworten: „Herr Gott, das weißt nur du!“ Das ist die Antwort des Zweifels und des Missmuts, denn das ist im Grunde keine Antwort, sondern fast ein stiller Ruf um Hilfe.
Und was ist die Antwort des Herrn an Hesekiel? Das er weissagen soll, dass die ausgetrockneten Gebeine Gottes Wort hören werden!
Er soll Gottes Wort predigen. Gottes Wort predigen gegen die ganz handgreifliche Hoffnungslosigkeit und die Toten. Darum geht es.
Wie ist es wohl Hesekiel ergangen, als er diese Antwort erhielt? Dass er verkündigen und weissagen soll? Gegen den harten Tod?
Das Wort Gottes, das lebendig macht
Da stand Hesekiel, und da stehen wir. Wir können nichts anderes als das Wort sprechen, das uns gegeben ist, dass Christus auferstanden ist, und dass wir auch im Tode von diesem Wort leben sollen. Anders kann es nicht sein.
Die Toten sollen die Stimme Gottes hören.
Und die, die hören, sollen leben. Denn der Sohn, der das Wort spricht, hat die Macht, die ihm der Vater gegeben hat, und das Leben des Vaters ist dem Sohn gegeben, und der gibt es uns.
Es ist der allmächtige Herr über Leben und Tod, der zu uns Toten sagt: Du bist mein. Da steht Macht hinter den Worten, denn das ist nicht nur eine Absichtserklärung. Das ist ein Wille. Der Wille Gottes, der über alles verfügt, was geschieht. Der Gott, der Leben leben lässt und Leben sterben lässt, nennt uns durch einen eigenen Sohn seine Kinder.
Da werden wir – die Toten – leben, wenn das Wort trifft, wie das Wort die toten Gebeine im Grafe traf. Da werden die Toten Gottes Stimme hören, und wir werden leben.
So können wir mitten in den fallenden Blättern des Herbstes und dem Gefühl, dass sich das Jahr dem Ende zuneigt, Gottes Stimme an uns durch das Wasser der Taufe und Wein und Brot im Abendmahl hören, und du bist mein. Du gehörst mir, sagt der Herr. Du gehörst mir im Leben und im Tod. Amen.
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Bischof Thomas Reinholdt Rasmussen
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