
Josua 3:5-11
Erster Sonntag nach Epiphanias, 13.01.2019
Jetzt fahrn wir über’n See
Predigt zu Josua 3:5-11, verfasst von Udo Schmitt
Jetzt fahrn wir über’n See, über’n See
jetzt fahrn wir über’n – See
mit einer hölzern Wurzel,
Wurzel, Wurzel, Wurzel,
mit einer hölzern Wurzel,
kein Ruder war nicht – …
Da stand er also: Jehoschua ben Nun – Josua der Sohn des Nun – mitten im Jordan. Nach dem Tod des Mose hatte dieser junge Kämpfer aus dem Stamm Ephraim die Rolle des Anführers übernommen. Er hatte gegen Amalek, die Erzfeinde Israels erfolgreich gekämpft. Er hatte Mose auf den Gottes-Berg begleitet, als dessen Diener. Er war von Mose als Kundschafter ausgeschickt worden, Kanaan zu erkunden. Nun sollte er als dessen Nachfolger das tun dürfen, was jenem verwehrt geblieben war: Das Volk Israel in das Heilige Land zu führen.
War er dazu in der Lage? War er der Mann, der das kann? Das Land, das sie betreten sollten, das Land, das Joseph und Jakob einst verlassen hatten, es war ja nicht leer: Kanaaniter lebten da, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter – und weiß Gott, wer noch! Und gegen die alle galt es sich zu behaupten, sich durchzusetzen. War Josua nicht eine Nummer zu klein dafür? „Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel“, spricht Gott: „damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.“
Sollte es eine Legitimationskrise gegeben haben, hatte die sich erledigt, spätestens in dem Moment, als die Wasser des Jordan standen wie eine Wand. Das, was die Generation zuvor am Nil erlebt hatte, bei der Flucht aus Ägypten. Das geschieht 40 Jahre später hier am Jordan nun wieder. Mit Josua, dem Sohn des Nun. Sein Vater war eher unbekannt, wir kennen seinen Namen nur. Sonst nichts. Und von Josua wissen wir, dass er eigentlich Hosea hieß von Hause aus. Aber Mose hatte ihn umbenannt: Jehoschua soll jetzt dein Name sein. Das heißt: Gott hilft. Und so ist es. Mit Gottes Hilfe kann das Unmögliche gelingen. Die Lade steht im Fluss und die Wasser stehen still. Wie eine Wand. Und das Volk kann trockenen Fußes das Heilige Land betreten. Mögen da noch so viele Feinde sein, noch so viele Gefahren lauern: Gott hilft. Der Name ist Programm.
Und als wir drüben warn, drüben warn,
und als wir drüben – warn,
da sangen alle Vöglein,
Vöglein, Vöglein, Vöglein,
da sangen alle Vöglein,
der helle Tag brach – …
Das neue Jahr hat kaum begonnen, da sind die alten Fragen und Sorgen wieder da. Die Weihnachtstage, die Auszeit und das Luftholen – waren wieder mal viel zu schnell vorbei. Die Zeit zwischen den Jahren oder Rauhnächte, so hat man sie früher genannt, die 12 Tage zwischen Weihnachten und Epiphanias. „Zwischen den Jahren“ deshalb, weil der Mondkalender nur 354 Tage hat, im Gegensatz zum Sonnenjahr mit 365 Tagen. Das eine Jahr war also schon zu Ende, da hatte das andere noch nicht begonnen. Eine Zwischenzeit, in der die Zeit nicht zählte. Das müsste es auch heute noch geben. Eine Zeit zwischen den Zeiten.
Oder besser noch: Eine Stille und Ruhe – in mir. Auf dass die Welt sich weiterdreht und sich weiter um sich selber dreht. Und ich mittendrin, wie das Auge des Sturms, wie die Angel der Welt. Wie in so einem Film, wo eine Person auf einer sehr belebten Straße steht. Und stille steht. Und Menschen hasten vorbei. Sind schon wieder unterwegs zu ganz wichtigen Geschäften. Wollen nichts verpassen, keinen Spaß und kein Spiel. Lassen sich jagen und hetzen. Denn es ist alles zuviel. Und dann ein Mensch – mittendrin – und doch entrückt, enthoben und ganz leicht. Wie ein Fels im Strom. Wie eine Insel – und drumherum fließt es. So müsste man sein im kommenden Jahr: Dass all das, was an einem zerrt und zieht, einen doch nicht aus der Ruhe bringen kann. Dass der Friede, dem wir nachjagen sollen, wie es uns die Jahreslosung mitgibt, schon da ist. Nicht ein Ziel, dem wir nachjagen, wie ein Jäger dem Wild. Wie ein Läufer gegen die Uhr und gegen die anderen. Sondern – in mir. Frieden. Wenn ich ihn finden will, dann nur hier. Und nicht da. Nur nun – und nicht dann. Frieden. Zwischen den Zeiten.
Der Jäger blies ins Horn, blies ins Horn,
der Jäger blies ins – Horn.
Da bliesen alle Jäger,
Jäger, Jäger, Jäger,
da bliesen alle Jäger,
ein jeder in sein –…
Da stand er also: Jehoschua ben Joseph. Jesus, der Sohn des Joseph aus Nazareth. Johannes der Täufer hatte gerufen. Hatte es verkünden lassen in ganz Israel: Kommt zum Jordan, in die Wüste, auf die andere Seite des Flusses und fangt noch einmal ganz von vorne an. Dort wo alles begann, die Liebesbeziehung zwischen Gott und Volk. Als Israel noch jung war und kein Blut an seinen Händen hatte. Keine Götzen geehrt und keine Gebote gebrochen. Der Täufersagt: Kommt heraus aus dem Heiligen Land, kommt heraus aus dem Herrschaftsbereich des Alltags, kommt heraus aus den Machtverhältnissen, die euch den Blick verstellen für das, was wichtig ist und hört wieder auf den, der wirklich das Sagen hat. Gott ist nahe, der Heiland ist im Kommen. Steht nicht einfach so rum, sondern bereitet euch vor, steht ihm nicht im Weg, indem ihr immer nur das eure seht, steht ihm nicht im Weg, indem ihr nur euren Gelüsten und Geschäften nachgeht, sondern kommt raus und geht ihm entgegen, kommt raus aus dem Land kommt zur Besinnung und fangt noch einmal ganz von vorne an.
Da stand er also: Jesus. Und ließ sich taufen von Johannes. Ein Neuanfang. Hatte er das nötig? Johannes meint: Nein. Aber Jesus meint: Doch. Lass es geschehen! Sie alle sollen es sehen. Da stand Jesus, mitten im Jordan, und Gott spricht: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor der ganzen Welt. Seht: Das ist mein lieber Sohn.
Ein Neuanfang. Und was für einer! Damit sie wissen. Damit sie wissen, wie ich mit ihm gewesen bin, werde ich auch mit euch sein. Jehoschua, Gott hilft. Der Name ist Programm. Für uns, deren Namen aufgeschrieben sind. Für uns, deren Namen nicht vergessen sein werden. Die wir aus der Taufe und dem Glauben heraus leben. Aus der Taufe heraus leben, das heißt Frieden finden – auch in dem größten Trubel. Durchatmen – auch wenn der Sturm tobt. Stille werden. Auch wenn es mir die Sprache verschlägt. Und ich es nicht erklären kann. Und sich vor mir die Berge auftürmen. Und ich kein Land mehr sehe. Und zum Herrn flehe mit einem einzigen stummen Blick. Dann doch zu wissen. Zu wissen: Er ist da. Er sieht mich. Er hilft. Jehoschua. Jesus. Der zwischen den Zeiten steht und die Wellen der Fluten bannt, die über mir zusammenbrechen wollen. Er segne und bewahre uns und begleite uns auch in diesem Jahr.
Das Liedlein, das ist aus, das ist aus,
das Liedlein, das ist – aus.
Und wer das Lied nicht singen kann,
singen, singen, singen kann,
und wer das Lied nicht singen kann,
der fängt von vorne – an.
Anmerkung:
„Jetzt fahr’n wir übern See“, auch Hopfenpflückerlied genannt. Melodie und Text: Autor unbekannt. Angeblich aus Plan in Böhmen, 1884, „Wurzel“ ist übrigens eine Weid-Zille (woidzülln), ein Jagd-Kahn.
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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.
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Domprobst Udo Schmitt
Wülfrath (Düssel), Nordrhein-Westfalen, Deutschland
E-Mail: udo.schmitt@ekir.de