Josua 1,1–9

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Schwellen | Neujahrstag | 01.01.2025 | Jos 1,1–9 | Martina Janßen |

I. „So mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gebe.“ (Jos 1,2) Bei einem solchen Auftrag konnte selbst dem mutigsten Mann schon mulmig werden. Josua steht am Jordan. Etwas Neues beginnt, in seinem eigenen Leben, in der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Findet er in all dem Neuen seinen Ort? Josuas Blick fällt auf die andere Seite des Flusses, das verheißende Land. Dorthin soll er sie führen. Eine große Aufgabe, von Gott selbst gegeben. Davor hat Josua Respekt. Denn das Volk zu lenken, wird nicht leicht sein. Mose ist tot, die Trauer groß. Würden sie jetzt ihn akzeptieren? Kann er einem Vergleich mit Mose standhalten? Selbst als Mose sie führte, waren sie schwierig, hartnäckig und halsstarrig. Dieses ewige Murren. Aber damals sind sie ja auch durch die Wüste gezogen, da kann man schon mal mürrisch werden. Die Fleischtöpfe Ägyptens weit hinter sich, das verheißene Land, all die blühenden Landschaften, in denen Milch und Honig fließen, noch in ferner Zukunft. Nur der Hunger war da, und die Mühen, die Müdigkeit. Da war alles Murren menschlich, allzu menschlich. Doch nun ging es ja auf ins verheißene Land. „Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe.“(Jos 1,3) Das klingt gut und darauf haben sie immer gehofft, aber ganz so leicht wird das wohl auch nicht werden. Schließlich leben die Kanaanäer ja dort. Die würden nicht einfach zur Seite treten und Platz machen, wenn Josua und das Volk kommen, das wird kein Durchmarsch und keine friedliche Aufteilung von Land, mit offenen Armen werden sie nicht empfangen werden und das Feld wird man nicht für sie räumen. Doch es gibt ja einen Plan, sie haben ja Gottes Gesetz als Kit und Kompass. Aber daran halten sie sich ja auch nicht immer, das hat die Vergangenheit allzu deutlich gezeigt; sie tanzen doch immer aus der Reihe. Statt allein auf Gott haben sie auf Götzen gesetzt und ums goldene Kalb getanzt. Wird Josua es schaffen, dieses Volk zu lenken, ihm Heimat und Frieden zu geben? Wird er dem allem gewachsen sein oder wird ihm alles über den Kopf wachsen? All das steht im Raum – da, wo Josua an der Schwelle, am Ufer des Flusses, steht, fast erstarrt angesichts der Größe dieses Augenblicks, der sein Leben verändert. „So mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk.“ (Jos 1,2). Ist die Aufgabe zu groß für seine Schultern? Josua schließt die Augen, hört in sich hinein, hört den Fluss, hört auf sein Herz. „Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser“ (Gen 1,2). Sei getrost und unverzagt“ (Jos 1,6.9). Vorsichtig setzt Josua einen Schritt vor den anderen. Es geht.

II. „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ (Hilde Domin). Margit streicht über die Karte ihrer Freundin, zieht mit ihrem Zeigefinger die Linien der vertrauten Schrift nach. Die tröstende Karte hat sie ihr heute Morgen bei der Umarmung in die Hand gedrückt. „Viel Glück, meine Liebe“. Das hat Margit aber auch bitter nötig. Ihre kleine Welt ist gewaltig ins Wanken geraten. Von einer Sekunde auf die andere hat ihr die Verdachtsdiagnose den Boden unter den Füßen weggezogen. Was trägt mich, wer hält mich jetzt? Margit wartet auf das Ergebnis der letzten, der entscheidenden Untersuchung, all das ist kaum zu ertragen. Das Licht im Wartezimmer lässt die Gesichter um sie herum fahl aussehen, sie mag niemanden anschauen und starrt auf den Boden, bis sich das Muster des Linoleums in ihre Netzhaut eingebrannt hat. Wie wird das alles weitergehen? Margit streicht über die Karte, dreht und wendet sie. Sie hat Angst. Welche Tür sich wohl öffnen wird? In welchen Raum wird sie treten? Vielleicht ist ja alles doch nicht so schlimm und sie kommt mit einem Schrecken davon und alles geht so weiter wie bisher. Sie will möglichst lange warten. Jede Sekunde ist eine Sekunde mehr Hoffnung. Doch sie ist ungeduldig. Jede Sekunde brennt. Sie will es endlich wissen. Was erwartet mich, was kommt auf mich zu? Ihr Name wird aufgerufen, die Tür von Behandlungsraum 6 öffnet sich. Margit drückt die Karte an ihre Brust und steht auf. Egal wie das jetzt ausgeht, ich muss da jetzt reingehen, über diese Schwelle gehen. Als sie die Tür hinter sich schließt und dem Arzt entgegentritt, liegt ihre Hand einen kurzen Moment länger als sonst auf der Türklinke, so als wolle sie sich festhalten.

III.„Halt mich ganz fest, du. Lass mich bloß nicht fallen“. Jule lacht. Er trägt sie doch tatsächlich über die Schwelle. Das hätte sie nie gedacht, so romantisch hätte sie ihn nie eingeschätzt. „Dass du das machst – mich auf Händen tragen und mir hoffentlich auch die Welt zu Füßen legen! …Hab dich lieb.“ Per lächelt. „Ich übe nur für später.“ Wie meint er das denn jetzt? Es ist ihre erste gemeinsame Wohnung. Ein entscheidender Schritt. Morgen kommen die Umzugswagen. Heute wollen sie etwas feiern, die leeren Zimmer in Gedanken gestalten, „heiter Raum um Raum durchschreiten“ (Hermann Hesse) und den Zauber des Anfangs bewusst erleben. Draußen ist es dunkel. Das erste Mal Licht anschalten, aus dem Hellen ins Dunkle schauen. Wie sieht ihre Straße nachts aus? Das Muster des Kopfsteinspflasters im Laternenlicht ist Jule schon jetzt vertraut, die erleuchteten Fenster aus dem Haus gegenüber winken wie warme, einladende Sterne. Ja, hier wird sie glücklich werden. Jule legt die Arme um sich, als wolle sie sich umarmen. Hier wird sie glücklich mit Per werden. Auf einmal ist etwas zu hören, erst leise, dann lauter: „Ihr“ Kennlernlied. Dass Per auf diese Idee kommt! Jule lächelt. Wie süß. Was er wohl noch in petto hat? Jule folgt der Musik, öffnet vorsichtig die Tür, bleibt ruckartig auf der Schwelle stehen: Auf dem Boden ein Herz geformt aus gefühlt 1000 Teelichtern, Per mittendrin; schlaksig wie immer und ein wenig unsicher ist er dabei, auf die Knie zu gehen. Fast schon kitschig, aber 100% magic. Bevor er sie fragen kann, sagt sie „ja“, stürmt in seine Arme und hält ihn fest, ganz fest, gefühlt für immer und ewig. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“ (Hermann Hesse).

IV. Ein neues Jahr fängt an. Eigentlich ein ganz normaler Tag und doch eine Zäsur, eine Schwelle. In der Morgenluft liegt noch der Pulverdampf vom Feuerwerk; der Weihnachtsbaum neben mir beginnt zu nadeln. Ich fühle: etwas Neues beginnt. Die Tage werden wieder länger. Das Alte habe ich immer noch im Gepäck. Vieles möchte ich mitnehmen, ebenso vieles hinter mir lassen. Was erwartet mich? Ich habe Pläne und bin doch auch bereit mich überraschen zu lassen. Wie oft wird es mir in diesem Jahr gelingen, über mich hinauszuwachsen und an wie vielen Tagen werde ich nur mühsam durchs Leben stolpern und nach Halt suchen? Im vergangenen Jahr bin über viele Schwellen getreten, durch viele Türen gegangen, habe viele Räume durchschritten, oftmals heiter, das „Gehen ein Tanz, das Wort ein Gesang“ (Michel Houellebecq). „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ (Hilde Domin). Doch so eine leichte Luftgängerin war ich nicht immer. Manchmal wäre ich gerne an der Schwelle stehengeblieben, vor Angst gelähmt oder vor Schreck erstarrt, aber auch dann hat etwas mich in Gang gesetzt und mich über die Schwelle getragen. Nicht mein Mut, meineStärke, meine Beherztheit, sondern eher Vertrauen auch da, wo ich mir selbst nicht trauen oder mir nichts mehr zutrauen kann. Vertrauen in den, den ich nicht fassen, aber auf den ich mich verlassen kann und der auch mein „Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“ (Rainer Maria Rilke). Dieses Vertrauen beflügelt mich, denn wie tief der Abgrund, wie reißend der Fluss, wie groß die Angst auch sein mag: Ich falle nicht ins Bodenlose, wenn ich falle. In diesem Glauben habe ich im letzten Jahr gelebt, geliebt, gelitten, bin von Raum zu Raum, über Schwelle und Schwelle geschritten. Das wird auch dieses Jahr so sein, daran glaube ich ganz fest. „Glauben ist das Finden eines Du, das mich trägt.“ (Joseph Ratzinger). Vielleicht finde ich nicht immer und sofort, aber das Suchen ist der erste Schritt. Mit der Suche beginnt es. Und dann wird es gehen. „Sei getrost und unverzagt“ (Jos 1,6). Denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“ (Jos 1,9)

Amen


PD Dr. Martina Janßen

Hildesheim

dr.martina.janssen@evlka.de

mjansse@gwdg.de

Martina Janßen, geb. 1971, Privatdozentin für Neues Testament (Universität Göttingen), Pastorin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers

Hesse, Hermann, Die Gedichte, Frankfurt am Main 1977, 676.

Houellebecq, Michel, Suche nach Glück, Reinbeck 2003, 133.

Domin, Hilde, Nur eine Rose als Stütze, Frankfurt am Main 1978, 53.

Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum, München 1968, 53.

Rilke, Rainer Maria, In einem fremden Park. Gartengedichte, Frankfurt am Main/Leipzig 1995, 75.