
Markus 4,35–41
Geborgen in den Stürmen des Lebens | 4. So. v. d. Passionszeit | 09.02.2025 | Mk 4,35–41 | Peter Schuchardt |
Die Gnade unsere Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen
(Der Predigttext für heute steht in Mk 4, 35-41:
Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind! (Luther 2017)
(Anmerkung: Der Predigttext ist zugleich die Evangeliumslesung des Sonntags. Ich werde darauf bei der Lesung hinweisen und den Text nicht ein zweites Mal lesen))
Liebe Schwestern und Brüder,
ein langer Tag geht zu Ende. So viel hatte Jesus geschafft. So viel geredet und erzählt. In immer neuen Bildern und Gleichnisse hatte er den Menschen Gottes Reich, seine neue Welt nahegebracht. Viele waren gekommen, hatten seinen Worten zugehört. Aber nun schicken die Jünger die Menschen nach Hause. Im Herzen nehmen sie die Worte mit, wie Samenkörner, die nach und nach Früchte hervorbringen werden[1]. Doch nun wollen die jünger endlich Ruhe haben. Jesus schlägt vor: „Lasst uns ans andere Ufer fahren!“ Ans andere Ufer des Sees Genezareth. Der ist so groß, dass man ihn auch als Meer bezeichnet[2]. Jesus hatte von einem Boot aus zu der Menge gesprochen, er bleibt gleich darauf, die Jünger kommen dazu und rudern los. Endlich Ruhe, endlich die Füße ausstrecken und nichts tun. Jesus bleibt hinten im Boot, nimmt sich ein Kissen und schläft ein. Na klar, denken die Jünger, das hat ihn auch geschlaucht, jeder normale Mensch wäre kaputt und müde nach so einem Tag.
Das, liebe Schwestern und Brüder, ist der Ausgangspunkt für unseren heutigen Predigttext. Wir haben ihn eben als Evangeliumslesung gehört. Jetzt lassen wir die Jünger erst einmal weiterrudern und Jesus schlafen. Denn der heutige Sonntag ist eine Schnittstelle im Kirchenjahr. Das Kirchenjahr prägt ja immer noch unser Leben, selbst für die, die sich ansonsten nicht viel für Kirche interessieren. Die großen Feste wie Weihnachten Ostern, Erntedank rufen bei manchen die Erinnerung wach, dass das Leben viel mehr ist als Arbeiten, Essen, Einkaufen. Drei große Festkreise prägen das Kirchenjahr, der eine, der Weihnachtsfestkreis, ist gerade letzten Sonntag mit dem Fest Mariä Lichtmess zu Ende gegangen. Der große Osterfestkreis beginnt nun, er endet mit dem Pfingstfest. Und dann kommt die lange Zeit mit den Sonntagen der Trinitatiszeit bis zum Ewigkeitssonntag. So weit sind wir aber noch nicht, jetzt gehen wir auf das Osterfest zu, unser wichtigstes Fest. Im Zentrum steht die strahlende und fröhliche Feier der Auferstehung Jesu. Doch vorher begleiten wir den Weg Jesu durch das Leiden bis in den Tod mit unseren Gottesdiensten.
Der Evangelist Markus erzählt, wie Jesus predigt, Menschen heilt, in Gesprächen mit den religiösen Wortführern streitet und sie zurechtweist, Menschen einlädt, ihm nachzufolgen als seine Jünger. Das alles geschieht aus einer großen Vollmacht heraus. Diese Vollmacht beeindruckt und fasziniert die Menschen[3]. Darum strömen sie zu Jesus, wo immer er hinkommt. Und es geht dabei immer um die Frage: Wer ist dieser Jesus? Diese Frage taucht auch im Evangelium von Markus immer wieder auf[4]. Ist er ein normaler Mensch, der nach einem langen Arbeitstag einfach gerne die Füße von sich steckt und sich ausruht? Oder ein großer Weisheitslehrer? Ein faszinierender Prediger? Ein Wunderheiler? Jesus hat manche Kranken von ihren bösen Geistern befreit, die von ihren Gedanken und ihrem Herzen Besitz ergriffen hatten. Diese Dämonen wissen genau, wer Jesus ist: „Du bist Gottes Sohn![5]“ Die Menschen aber sind erst einmal nur fasziniert und möchten so viel es geht von ihm hören. Da sind die Dämonen weiter in ihrer Erkenntnis.
Und nun kehren wir zurück zu Jesus auf dem Boot, das über den See Genezareth gerudert wird. Denn nun ändert sich das Ganze dramatisch. Jesus schläft tief und fest, die Jünger erzählen sich, was sie von Jesus gehört haben. Für sie nahm Jesus sich ja immer besonders viel Zeit, um ihnen die Gleichnisse auszulegen[6]. Mit einem Mal aber kommt ein großer Wirbelwind auf – das passiert dort immer mal wieder. Dieser Wind aber ist so heftig, dass das Boot unterzugehen droht. Die Wellen schlagen ins Boot, es läuft voll. Wir hier an der Küste wissen, wie stark und zerstörerisch Stürme sein können. Wir wissen, dass im Herbst und Frühjahr regelmäßig heftige Stürme auftreten. Ich weiß, manche Touristen träumen davon, einmal bei einer richtig starken Sturmflut auf dem Deich zu stehen, um die Kraft des Sturmwindes am eigenen Leib zu spüren. Ich würde das niemals machen, weil ich weiß: Ganz schnell weht dich so eine heftige Sturmböe in die Nordsee. Und das ist lebensgefährlich. Und lebensgefährlich wird es jetzt auch für die Jünger auf dem See Genezareth. Das ist kein beeindruckendes Naturschauspiel, dass sie von ferne beobachten. Nein, sie sind diesen Naturgewalten schutzlos ausgeliefert. Wer von euch, liebe Schwestern und Brüder, schon einmal so einen Sturm auf hoher See erlebt hat, der ahnt, was die Jünger hier durchmachen. Ist das jetzt ihr Untergang?
In ihrer großen Not und Verzweiflung wecken sie Jesus auf. Denn der schläft weiter ganz seelenruhig hinten im Schiff auf seinem Kissen. Empört, ja, richtig sauer fahren sie ihn an: Meister, kümmert es dich gar nicht, dass wir hier untergehen? Ist es dir egal, dass wir gleich sterben? Wörtlich übersetzt heißt es nicht „Meister“, sondern „Lehrer“. Gelehrt hatte Jesus seine Jünger ja. In der Empörung steckt auch eine Ahnung: Vielleicht kann Jesus ja helfen. Vielleicht ist er ja mehr als ein Lehrer, der wunderschöne Gleichnisse über Gott und sein Reich erzählt. Denn ein Weisheitslehrer, ein Wunderheiler wird den Wellen und dem Wind nicht Einhalt gebieten können.
Jesus sagt den Jüngern in ihrer zornigen Empörung erstmal gar nichts. Er steht wortlos auf und bedroht Wind und Wellen: Schweig! Hört auf! (So hat er übrigens auch die bösen Geister angefahren bei seiner ersten Heilung![7]) Und der Wind und die Wellen legen sich. Es entsteht eine große Stille. Kein Jubel bricht aus bei den Jüngern, keine Hurra-Rufe, kein Dank, nur stummes Staunen. (So ergeht es auch Petrus, nachdem er mit Jesus den Fischzug seines Lebens gemacht hat)![8] Und nun erst fragt Jesus seine Jünger: „Warum habt ihr so große Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Jesus hatte ihnen doch so viel erzählt von der Liebe Gottes, die wie ein Samenkorn von Gott in unser Leben gesät wird, unablässig und reichlich. Aber noch ist nichts davon in ihren Herzen aufgegangen. Wenn Jesus von Glauben spricht, liebe Schwestern und Brüder, dann meint er immer unser Vertrauen zu Gott. „Wo ist euer Vertrauen zu Gott?“, fragt Jesus. „Wo ist euer Vertrauen zu mir?“ Vertrauen ist immer das Gegenmittel gegen die Angst. „Glaubt ihr“, fragt Jesus, „Gott ist nur ein Schönwettergott für Sonnenschein und fröhliche Tage? Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der ist doch auch dann bei euch, wenn es dunkel wird, wenn die Stürme des Lebens über euch hereinbrechen.“ Viele von euch, liebe Schwestern und Brüder, haben so einen Lebenssturm erlebt und durchgemacht. Krankheit, Trennung, der Tod des Partners, wenn das Leben so anders läuft, als du es dir gedacht hast, wenn du schuldig geworden bist an anderen. Das sind Stürme, die euer Lebensboot fast zum Kentern gebracht haben. Unser Glaube sagt: Selbst so ein heftiger Lebenssturm wird dich nicht von Gott wegwehen. Er ist da, selbst wenn du meinst, dein Schicksal interessiere Gott gar nicht, ja, wenn du meinst, der guckt gar nicht auf mich, der schläft. Jesus selbst wird bald den Weg durch Dunkelheit, Folter und Tod gehen. Er kann diesen Weg nur gehen, weil er weiß: Gott ist bei mir, was auch geschieht.
Die Jünger auf dem Boot sehen diesen Weg noch nicht. Sie sehen nur das glatte Meer und hören die große Stille. Und nun ergreift sie keine Freude, kein Jubel, kein Dank. Nun spüren sie ein Gefühl von Furcht, von fragender, staunender Ehrfurcht: „Wer ist dieser Jesus? Wie kann es sein, dass ihm Wind und Wellen gehorchen?“ Mit dieser Frage endet Jesus seine kurze Erzählung, denn für ihn ist die Antwort klar: Jesus ist Gottes Sohn. Er ist Gott selber, der in seinem Sohn zu uns kommt, der unser Leben teilt und sogar unseren Tod, der in den Lebensstürmen an unserer Seite ist, damit in uns das tiefe Vertrauen wächst: „Du, Gott, bist an meiner Seite.“ Dieses tiefe Vertrauen zu Gott ist das Heilmittel gegen die Angst. So oft greift sie nach uns und nimmt unser Herz gefangen. Doch das Vertrauen löst diese lähmende Fessel und macht uns frei. Dann können wir uns in unser Leben wagen, weil wir wissen: Gott ist da. Mögen die Wellen uns auch hin- und herwerfen, Gottes Liebe hält uns in all dem. Mit ihm werden wir die Stürme des Lebens überstehen. Selbst der letzte große Sturm, der alles zu enden scheint, der Tod, hat keine Macht gegen Gottes Liebe. Der große Liederdichter Paul Gerhardt nimmt Motive aus der Sturmstillung bei Markus auf beschreibt die Ewigkeit, die uns erwartet, so wunderbar:
Freude die Fülle und selige Stille
wird mich erwarten im himmlischen Garten.[9]
So können wir hoffnungsvoll und getrost in unseren Lebensbooten weiterfahren. Bis wir dann mit der allerletzten Fahrt an Gottes gutem Zielhafen ankommen.
Amen
Liedvorschläge:
EG 449 Die güldne Sonne 1-4+12
EG 171 Bewahre uns Gott
EG 366 Wenn wir in höchsten Nöten sein, 1-4
EG 361 Befiehl du deine Wege 1.2.4.6
Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de
Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).
[1] Mk 4, 26-29
[2] Mk 4,1
[3] Mk 1,21+27
[4] Mk 2,6; 2,16;
[5] Mk 3,11
[6] Mk 4,34
[7] Mk 1,25
[8] Lk 5, 8-9
[9] EG 449,12