
Matthäus 1,18-25
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Predigtreihe „Maria“ 17. Sonntag nach Trinitatis, 15. Oktober 2000 Matthäus 1,18-25 Dorothea Zager |
Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.I. Liebe Gemeinde, seinen Partner zu verlassen – was heute zu tage mit Sicherheit häufiger geschieht als zur Zeit der Eltern Jesu –, dafür gibt es viele Gründe. Das Ende der Liebe kann leise kommen, schleichend wie ein Nebel. Man entfremdet sich, man entfernt sich voneinander, man wird einander überdrüssig – ein langsames Verlassen, ein innerer Exodus, ehe man nach Außen etwas merkt. Oder es gibt ein plötzliches Ende. Ein schmerzliches Zerreißen alles Vertrauten. Das Ende durch Untreue. Da leuchtet plötzlich die Erkenntnis auf: da ist etwas Anderes, etwas Fremdes zwischen uns getreten. Wie ein Schwert zerteilt es die, die sich einmal liebten. Ehebruch heißt nicht ohne Grund: Fremd-Gehen. Weil Fremdes in das Vertraute eindringt. Verzeihen oder gar Neuanfang ist gerade bei der Untreue ganz besonders schwer. Wie sollte es auch gehen, das Fremde, das zwischen uns getreten ist, wieder wegzubekommen? Es ist nicht wieder wegzudenken. Die alte Vertrautheit, das unerschütterliche Vertrauen kehren nie wieder. Sie können nicht wiederkehren. Jedenfalls nicht ganz. Landläufig sagt man dann: Narben werden bleiben! Trennung ist meist die Folge. Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Die Geschichte von Maria, die – noch gar nicht verheiratet – bereits ein Kind unter dem Herzen trägt, das nicht von Josef ist, und die Geschichte von Josef, der ihr trotzdem verzeiht und sie heiratet, rührt uns an. O Du gehorsame, demütige Maria, die Du weder gefragt wirst, ob Du das Kind, das Dir als göttliches angekündigt wird, überhaupt willst, noch gefragt wirst, ob Du unter diesen Umständen Deinen Josef überhaupt noch heiraten willst. Du demütige Maria, von der noch nicht einmal geschildert wird, wann und wie und mit welchen Gefühlen Du Deinem Josef von der unerwarteten Schwangerschaft erzählt hast! Und Du, gehorsamer, großmütiger Josef, der Du Dich überzeugen lässt von einem einzigen Traum, einer einzigen Nacht und der Du dann auch noch neun Monate enthaltsam lebst, damit Deine Maria Jungfrau bleibt. Welch eine Geschichte! Eine demütige Maria; ein großmütiger Josef. Und ein Gott, der alles im Griff hat, selbst die Gefühle eines frischverliebten, jungen Paares. Denn es gibt viele Gründe, den Partner zu verlassen. Es gibt aber auch Gründe, nicht zu gehen. Nur dass das Bleiben von einem Engel befohlen wird, das ist selten. II. Liebe Gemeinde, wir kommen nicht umhin, es ehrlich und deutlich auszusprechen: Diese Geschichte ist eine fromme Legende. Konstruiert und erdacht von Männern des Glaubens, um ein ganz wichtiges, ja für sie unerlässliches Moment im Werden und im Leben Jesu Christi deutlich zu machen: Der hier Erwartete, der hier Geborene steht weit über allem menschlich Gezeugtem, über allem menschlich Geborenem. Er ist ein Gottwesen, ein Heiliger – geheiligt durch seine Zeugung, die eben keine menschliche Zeugung war. Wer vom heiligen Geist gezeugt ist, ist Gott näher als ein von Menschen Gezeugter. Dem Evangelisten Matthäus war die Gottessohnschaft von größter Wichtigkeit. Eben gerade hatte er noch alle Geschlechter aufgezählt, aus denen Jesus hervorgehen sollte, vierzehn von Abraham bis David, vierzehn von David bis zur babylonischen Gefangenschaft und von dort vierzehn Generationen bis Christus, um damit die Davidssohnschaft zu begründen. Und nun bedarf es schon einiger Anstrengung, daneben auch noch die Gottesssohnschaft zu begründen, nämlich mit der Jungfrauengeburt. Liebe Gemeinde, jeder, der mit offenen Augen und wachen Geistes die Bibel liest, erkennt die Spannung, die zwischen der einen Deutung liegt, der genetischen Herkunft Jesu, und der Schilderung der wundersamen Weise seiner Lebensentstehung in ein und demselben Evangelium. Es ist eine fromme Legende. Und am Rande bemerkt: Es ist auch nicht die einzige! Die griechischen Mythen erzählen, auch Perseus sei von einer Jungfrau geboren. Von Danae, die von Zeus durch herabfließendes Gold zur Mutter wurde. Oder Herakles, das Jungfrauenkind der Alkmene. Ja, selbst von Platon wurde erzählt, seine Mutter Amphiktione sei Jungfrau gewesen und er sein Sohn Apollos. Geistesgrößen, mythische Halbgötter, Herrscher und Gebieter, von vielen erzählt man sich wundersame Entstehungsgeschichten. Und alle haben das eine Ziel: Deutlich zu machen: Hier entsteht ein Mensch von übermenschlicher Kraft und Klugheit, ein Mensch von göttlicher Natur und göttlichem Geiste. Darum bei Matthäus auch der Bezug auf die Propheten, auf Jesaja, der genau einen solchen übermenschlichen Gottessohn angekündigt hatte: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Darum also auch der Name: „Immanuel“: Gott mit uns. Gott bei uns. Gott mitten unter uns in diesem Menschen. Es sei also dahingestellt, wie viel Wahres dran ist an der frommen Legende von der demütigen Maria und dem großmütigen Josef. Es mag offen bleiben, was daran Historie ist und was Legende. Das ist oft so bei biblischen Geschichten. Viel wichtiger ist die Antwort auf die Frage: Warum wird erzählt, dass Josef bei Maria blieb? Warum wird eigens ein Engel bemüht, dem Josef im Traum die ganze Sache zu erklären? Ihn von der Wundersamkeit des ganzen Geschehens so zu überzeugen, dass er 1. Marias Schwangerschaft nicht öffentlich werden lässt und Maria damit vor der Verurteilung als Ehebrecherin schont, dass er 2. sie nicht heimlich wegschickt, dass er 3. dem zu erwartenden Kind den von Gott vorgesehenen Namen Jesus gibt und schließlich 4. dass er Maria nicht berührt, ehe das Kind geboren ist? Wozu diese Mühe? Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus. Maria und Josef sollten nicht entzweit werden. Ein Kind aus einem Ehebruch treibt immer einen Keil zwischen zwei Liebende. Es ist und es bleibt ein fremdes Kind. Und der, der in diesem Kind lebt, wird stets als der Störende präsent sein. Niemals ist er ganz wieder wegzudenken aus dem Leben eines Paares, aus dem Leben einer Familie. Der Dritte steht dazwischen wie eine unsichtbare Wand. Vertrautes aber verbindet. So auch bei Josef und Maria. Beide stammten aus dem jüdischen Volk. Beide waren großgeworden im Glauben an den allmächtigen Gott der Väter; waren großgeworden mit der Hoffnung aller Juden, dass eines Tages der Davidssohn, der Gottessohn kommen, dem Volk alle begangenen Sünden vergeben und ein neues Reich des Friedens und der Gerechtigkeit gründen würde. Diese Hoffnung verband auch die beiden jungen Menschen Josef von Nazareth und seine Verlobte Maria. Und dass das Kind, das sie nun erwarteten – gleich wie wundersam oder natürlich dessen Entstehung im Mutterleib auch war – dass dieses Kind die Erfüllung all dieser Verheißungen sein sollte, das konnte die beiden Liebenden nur noch mehr miteinander verbinden, ihre Vorfreude auf das gemeinsame Kind nur noch steigern. Die Hoffnung des Volkes Israel lag auf diesem Kind, diesem Mann Jesus von Nazareth. Für seine Eltern war allein das entscheidend – was immer auch die spätere Christenheit an Legenden bildete um seine wundersame Zeugung und Geburt. III. Kann uns diese Geschichte also völlig gleichgültig sein? Sollten wir ab jetzt also über alle Stellen in der Bibel hinweglesen, bei denen es um die demütige Maria und den großmütigen Josef geht? Ganz sicher nicht. Denn die Hoffnung, die wir auf diesen Mann Jesus von Nazareth gesetzt haben, diese Hoffnung verbindet uns über Jahrhunderte hinweg mit Maria und Josef, seinen Eltern, mit den Hirten auf dem Felde, mit den Weisen aus dem Morgenland, mit den Propheten und den Urvätern Israels. Sie alle hofften und hoffen auf das Reich Gottes unter uns. Und nichts verbindet Menschen mehr miteinander als eine gemeinsame Hoffnung und ein gemeinsames Ziel: eine Welt, in der Friede und Gerechtigkeit wohnen und „Gott mit uns“ ist. In Jesus Christus ist uns diese Welt ein ganzes Stück nähergekommen. Amen. Liedvorschläge: EG 3,1-6: Gott heiliger Schöpfer EG 8,1-6: Es kommt ein Schiff EG 10,2-4: Mit Ernst, o Menschenkinder EG 14,3-6: Dein König kommt in niedern Hüllen EG 20,1-8: Das Volk, das noch im Finstern wandelt EG 153,1-5: Der Himmel, der ist EG 154,1-5: Herr, mach uns stark Zu Problematik der Jungfrauengeburt ist sehr erhellend zu lesen: Dieter Zeller, Christus unter den Göttern. Zum antiken Umfeld des Christusglaubens, Stuttgart 1993, S. 99 ff. Dorothea Zager, Wachenheim |
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