
Philipper 3,12-14
17. Sonntag nach Trinitatis | 7. Oktober 2001 | Philipper 3,12-14 | Dankwart Arndt |
(Vorbemerkung: Ich bleibe bei dem älteren – ‚Kleinod‘ ; Sieges-, oder Kampfpreis hört sich – zumal in diesen Tagen – für meine Ohren zu martialisch an.)
Ob man es „Kleinod“ heißt, wie die alte Übersetzung vorschlägt, oder „Siegespreis“,wie es genauer übersetzt heißen mag -dieser ‚Preis‘, dieses ‚Kleinod‘ ist jedenfalls sehr eigentümlich, – ganz anders als sonst Kleinodien sich darstellen, die in Schatzkammern und Museen zur Schau gestellt werden: Keine ‚kalte Pracht‘ – dieses Kleinod; vielmehr verbreitet es Wärme; dieser ‚Siegespreis‘ läßt sich nicht einfach ‚versilbern‘, vielmehr fordert er ständig die besten Kräfte eines Menschen heraus.
Dieses ‚Kleinod‘ läßt Sinne und Augen nicht gierig werden, vielmehr stillt es tief innen wohnende Sehnsucht; die Sehnsucht danach, genannt, erkannt, anerkannt zu werden, – die Sehnsucht danach, gewertet, geborgen, gehalten zu sein, einen unbedingten Halt für den ‚Lebensanker‘ zu finden, – einen ‚Ankergrund‘ im Transzendenten, in dem, was uns und unsere Möglichkeiten unendlich übersteigt.
Und in einer noch anderen Hinsicht stellt sich dieses’Kleinod‘ in sehr eigentümlicher Weise dar: Es läßt sich haben und entzieht sich dennoch; es ist versprochen, zugesprochen und doch nicht verfügbar; dieses ‚Kleinod‘ versetzt in eine ungeheure und doch beseligende Spannung: noch ist das Ziel nicht erreicht, noch ist der’Siegespreis‘ nicht gewonnen; noch ist der Kämpfer auf dem Weg, noch nicht vollkommen; und doch trägt ihn die Gewißheit voran – wie tosender Beifall von den Rängen des Stadions den Sportler voranträgt -, – die Gewißheit, für das Kleinod bestimmt zu sein; fest und gewiß ist das Vertrauen, für den Siegespreis bestimmt zu sein; groß ist das Zutrauen, das Kleinod – wenn schon noch nicht in der Hand zu halten, so doch – als eigenen Schatz betrachten zu dürfen.
Diese Spannung, in die das Kleinod versetzt, ist nicht eine unruhige Spannung, die einen zerreißen würde, oder eine lähmende Spannung, die zu nichts kommen ließe, sondern sie ist eine positive, eine ‚erfüllte‘ Spannung: sie ermuntert, sie ermutigt, sie stärkt alles gute Bemühen. Denn sie wurzelt in der alles andere überstrahlenden Gewißheit, für die ‚Berufung Gottes in Jesus Christus‘ bestimmt zu sein. Noch stärker unterstreicht der Apostel, was er meint, wenn er von ‚himmlischer Berufung‘ spricht: Er ist ergriffen von Jesus dem Christus selbst, von dem Gekreuzigten/Auferweckten. ‚Ergriffen‘ – fasziniert, bezaubert, gelockt von dem, was mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist; gereizt von dem und auf das hin, was sich in Jesus Christus ereignet hat unter den Menschen: Nähe Gottes.
‚Ergriffen‘ ist der Apostel. Das gibt und läßt Raum für eine freie Entscheidung, dem nun auch ’nachzujagen‘, was zugesprochen ist; ‚ergriffen‘ – das gibt und läßt die Freiheit, das zu ergreifen, von dem der Glaubende ergriffen ist. Denn nicht zwangsweise, nicht ‚aufgegriffen‘, schon gar nicht ‚abgegriffen‘ ist, wer ergriffen ist.
‚Ergriffen‘ in der Begegnung mit Wort und Verhalten Jesu Christi ist der Glaubende; er vernimmt den Ruf ‚von oben‘, die ‚himmlische Berufung‘. Sie erreicht den Menschen in dem Wort, das Jesus Christus als die geschehene und geschehende Nähe Gottes bezeugt. Dieses Wort entbindet Vertrauen – ein Vertrauen, das gewiß immer angefochten bleibt -, -Vertrauen in die Wahrheit des im Wort ergehenden Rufes. In solchem Vertrauen wird der Hörende, der Glaubende, der Vertrauende zunächst und zuvörderst gewiß, daß er erkannt, daß er – von Ewigkeit her – bei seinem Namen genannt und gerufen, – daß er gemeint ist.
Die ‚himmlische Berufung‘ ist nicht nur ‚himmlisch’im Sinn von ‚wunderbar‘, ‚herrlich, ‚beseligend‘,sondern sie erreicht den Hörer des Wortes unverdient, überraschend, befreiend; deshalb des Apostels mutige Absicht, ‚zu vergessen, was dahinten ist‘ an Irrtum und Irrweg, an bekannter und unbewußter Schuld, – was ‚dahinten ist‘ auch an hervorragenden Leistungen, an tadellosem Verhalten, an dem, was man ‚guten Ruf‘ heißt. Die ‚himmlische Berufung‘ macht die Zusage wirksam, daß der Glaubende getragen, geborgen, geliebt ist allein um seiner selbst willen und bedingungslos und voraussetzungslos. Nun steht in eben diesem Philipper – Brief, der so gewaltig und eindringlich von der ‚himmlischen Berufung‘ spricht, dieser Satz:“Was ihr gelernt und empfangen und gesehen habt, das tut …!“
‚Himmlische Berufung‘ zieht offensichtlich nicht von der Erde ab, läßt nicht abheben, schafft nicht einen Hans-guck-in-die-Luft, sondern bedeutet gleicherweise: der Glaubende – samt seinen Möglichkeiten und Kräften – ist nötig, ist wichtig, ist entscheidend für andere; wer die himmlische Berufung erfahren hat, wird damit auf gleichsam die ‚irdische Berufung‘ hin verpflichtet: Er soll den Ehlenden beistehen können; soll trösten, aufrichten, verbinden können, was auf Erden verletzt, niedergeschlagen, von Trauer erfüllt ist; wer die himmlische Berufung als Ruf zur ‚Treue zur Erde hört und empfängt und lernt, wird verpflichtet darauf, Schwachen aufzuhelfen, Hungrige zu speisen, Ratlosen beizustehen, Mühseligen und Beladenen ihre Lasten mitzutragen.
Je klarer, je deutlicher, je eindringlicher der Glaube seine himmlische Berufung, die nun eben zugleich auch die verpflichtende Einladung umfasst , der Erde die Treue zu halten, – je deutlicher also beide Seiten der himmlischen Berufung gehört und empfangen und gelernt werden, desto deutlicher spürt der Glaube: er ist noch nicht vollkommen; er ist noch auf dem Weg,; er ist noch angefochten, noch nicht am Ziel; noch nagt Unsicherheit; noch ist der Gehorsam nicht ganz, noch ist er nicht freier Gehorsam; noch ist das Gesetz nicht reine Freude; noch wollen Ängstlichkeiten die Oberhand gewinnen. Diese Erfahrung bewahrt den Glauben vor Überheblichkeit, vor dumpfem Stolz, vor ärgerlicher Rechthaberei, vor kriegerischem Übermut, vor gewalttätiger Intoleranz, vor der Versuchung, die eigene Erkenntnis für die ganze und volle und unangreifbare und nicht hinterfragbare Erkenntnis zu halten.
Freilich – auch das: der Glaube streckt sich aus und weiß, wohin; er kennt die Richtung; das Ziel steht ihm vor Augen: nämlich endgültig aufgehoben zu sein, in Ewigkeit geborgen, ungetrennt und untrennbar verbunden zu sein der Liebe, aus der und von der er leben kann; er will ganz ergriffen und völlig durchdrungen sein vom Zuspruch und Anspruch.
Ein eigentümliches Kleinod, das vor dem Glaubenden liegt, das ihn lockt und fasziniert. Es macht frei und froh bis in die Tiefen des Wesens. Es reizt, nicht abzulassen davon, nach diesem Kleinod sich auszustrecken und immer neu nach ihm zu greifen: eifrig – aber nicht gehetzt; mit aller Kraft – aber nicht getrieben von Angst; schwungvoll – aber nicht gejagt. Dankbar für das Wort, in dem die Berufung laut wird.
Amen
Dr. Dankwart Arndt
Pastor i.R.
Auf dem Breckels 1
24329 Grebin