
Philipper 4,4-7
18. Sonntag nach Trinitatis | 14. Oktober 2001 | Philipper 4,4-7 | Paul Kluge |
Freut euch im Herrn allezeit; nochmals will ich sagen: Freut euch! Lasst eure Freundlichkeit allen Menschen kundwerden! Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern in allem lasst im Gebet und Flehen mit Danksagung eure Bitten vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der alln Verstand überragt, wird eure Herzen und Sinne bewahren im Christus Jesus. (Zürcher Übersetzung)
Liebe Geschwister,
Paulus hatte viel Zeit: Man hatte ihn mal wieder gefangen gesetzt. Zum Aufruhr habe er angestiftet, lautete die Anklage. Der Prozeß stand noch aus, doch Paulus kannte die Gerichtspraxis bei Anklage wegen Anstiftung zum Aufruhr. Da wurde meistens nicht lange gefackelt, sondern schnell ein Todesurteil gefällt. Ein paar Zeugen waren für wenig Geld leicht zu finden. Mit schnellen Urteilen gegen angebliche Aufrührer verhinderten die Stadtoberen ein Eingreifen römischer Besatzungstruppen, zeigten sie ihre Treue und Ergebenheit gegenüber Rom. Paulus war sich ziemlich sicher, daß er zum Tode verurteilt werden würde, zum Tod am Kreuz oder durch wilde Tiere. Einen Prozeßtermin kannte Paulus nicht, und er wollte jeden Tag, jede Stunde für Briefe an die Gemeinden nutzen. Immerhin hatte man ihm das Schreiben erlaubt, und sein Mitarbeiter Timotheus durfte ihm nicht nur Essen und Trinken, sondern auch Schreibmaterial bringen.
Die Gefängniszellen befanden sich in den Mauern das Amphitheaters, und manches mal genoß Paulus es, einer Theateraufführung wenigstens zuhören zu können. Doch er wurde auch Ohrenzeuge von Gladiatorenkämpfen, hörte das Gebrüll wilder Tiere und das Gejohle der Zuschauer. Dann überkam ihn jedesmal Angst. Nicht Angst vor dem Tod war es – den Tod hatte Christus überwunden; nein, es war die Angst vor einem qualvollen, würdelosen Sterben. In solchen Augenblicken fühlte er sich nur schwach, und auch im Gebet noch aus den Psalmen fand er dann nur schwer Trost.
Vor wenigen Tagen nun hatten ihn einige Leute aus Philippi besucht. Die Gemeinde hätte von seiner Lage erfahren, und die wollten sie ihm ein wenig erleichtern. Wie hatte er sich darüber gefreut! Das Schiff, mit dem die Leute gekommen waren, lag noch einige Tage im Hafen, und Paulus wollte gleich ein Dankesschreiben mitgeben. Sein erster und vielleicht sein letzter Brief nach Philippi, an seine Philipper. An keine Gemeinde dachte er so gern wie an die von Philippi, seine erste Gemeinde auf europäischem Boden. Paulus erinnerte sich noch gut an sein erstes Auftreten dort. Am Flußufer war es, wo einige Frauen ihm zugehört hatten, und eine Frau hatte als erste die Taufe empfangen: Lydia, die Purpurhändlerin. Hatte dann Paulus und sein Gefolge in ihrem stattlichen Haus aufgenommen, hatte mit ihrem Geld geholfen, die Gemeinde aufzubauen und – so vermutete Paulus – mit ihrem Geld auch dafür gesorgt, daß er in Philippi so schnell aus dem Gefängnis entlassen wurde. Nun saß er schon wieder.
Paulus erinnerte sich, wie die Gemeinde in Philippi gewachsen war, wie sie durch ihr geschwisterliches, offenes Gemeindeleben für andere interessant geworden, wie es ihr gelungen war, den Glauben an Christus durchzuhalten und wie sie in Dankbarkeit für den neuen Glauben sich um notleidende andere Gemeinden gekümmert hatte. „Wenn alle Gemeinden so wären wie die Philipper,“ dachte Paulus, „dann könnte ich getrost abtreten. Doch wenn ich an Korinth denke: Da werde ich noch dringend gebraucht!“ Zorn über die Ereignisse in Korinth stieg in ihm auf, darum dachte er schnell wieder an die Philipper. Das machte er eigentlich immer so, wenn er sich über die Entwicklung in einer Gemeinde aufregte, daß er dann an Philippi dachte. Über die Gemeinde konnte er sich nur freuen. Und das wollte er ihnen auch schreiben, wollte ihnen damit Freude bereiten.. Das brauchten sie.
Es gab nämlich durchaus Reibereien in der Gemeinde, etwa zwischen Juden und Griechen. Aber bisher hatten sie immer wieder zueinander, einen gemeinsamen Nenner gefunden. Oder Lydia, die Purpurhändlerin: Sie hatte nicht nur Freunde in der Gemeinde. So viel sie auch für die Gemeinde und ihre Armen tat: Sie blieb die Reiche, die zudem noch ihre größten Geschäfte mit den Römern machte. Das aber sah man ihr nach, weil sie die eigene Gemeinde und die Muttergemeinde in Jerusalem förderte, auch sonst viel Gutes mit ihrem Geld und mit ihrem Einfluß bewirkte. Das waren in Philippi alles ganz normale Querelen und Kleinigkeiten im Vergleich zu manchen anderen Gemeinden.
Doch Paulus wußte auch, wie leicht aus Mücken Elefanten werden konnten, wie leicht eine kleine Unstimmigkeit zum veritablen Streit auswachsen konnte. Um das zu verhindern, wollte er die Gemeinde loben, ihr Freude bereiten. Denn das hatte er – nicht zuletzt durch die Philipper – an sich selbst erlebt: Wer sich freut, braucht sich nicht zu grämen. Was bedrücken könnte oder Streit verursachen, verliert an Gewicht, wenn man sich über anderes freuen kann. „Und es gibt so vieles, worüber wir uns freuen können,“ dachte Paulus und blickte durch das Gitter auf eine kleine Blume in einem Mauerspalt, „man muß nur die Augen offen halten – oder sie sich öffnen lassen. Und sie anderen öffnen.“ Doch er wußte auch und kannte es von sich selbst, wie leicht Menschen angesichts von Dunkelheiten den Blick für das Lichte verlieren, angesichts von Trübsal die Freude vergessen. Darum könnte man wohl nicht oft genug zur Freude auffordern, zur Freude über viele kleine Dinge des Alltags, vor allem aber zur Freude über das Größte, was passieren konnte: Die Erlösung aus dem Elend von Sünde und Gesetz, die Befreiung von Trieb und Zwang. „Wer das begriffen, wen das ergriffen hat,“ überlegte Paulus, „der hat allen Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Wie die Philipper: Schicken mir Unterstützung ins Gefängnis. Und wie sie mir Freude bereiten, können sie zu allen Menschen freundlich sein, ihnen Gutes tun. Können von dem abgeben und mit anderen teilen, was sie selber auch gut gebrauchen können. Müssen sich keine unnötigen Sorgen machen, weil sie sich umsorgt wissen.“
Paulus lachte auf, und es war ein bitteres Lachen. Er lachte über sich selbst: Hatte er doch, was die Philipper ihm gebracht hatten, sorgfältig verstaut. Damit er davon lange etwas habe. Jeden Tag wollte er ein wenig davon nehmen, ein paar Oliven, ein Stückchen Käse, ein paar getrocknete Feigen, ein Schlückchen Wein. „Da siehst du mal, wie tief das Sorgen in uns steckt!“ sagte er zu sich selbst, „und wieviel leichter es ist, vom Vertrauen zu Gott zu schreiben, als Gott tatsächlich zu vertrauen.“ Er nahm sich vor, in dem Dankesschreiben an die Philipper nicht zu vollmundig zu formulieren – schließlich wollte er sie erfreuen und nicht überfordern. Sie sollten zufrieden sein, zufrieden mit sich und der Welt. Dann konnten sie auch mit Gott in Frieden sein. Oder umgekehrt: Hatten sie Frieden mit Gott, waren sie auch mit sich und den anderen in Frieden. Gott aber hatte durch Christus Frieden geschlossen mit seinen Menschen. Darum war auch Freude möglich, Freude am Leben, Freude über Gott.
„Alles einzelne Gedanken, Stückwerk eben,“ ging es Paulus durch den Kopf, „man müßte das alles zusammen und als Einheit sehen und begreifen können. Dafür reicht unser Hirn aber nicht. Manchmal gibt es Momente, da meine ich, ich hätte es; doch wenn ich es dann aufschreiben will, zerfällt es in tausend Einzelteile, und alles ist wieder weg. Der Kopf ist vielleicht nicht der richtige Ort für den Glauben. Glauben als Ganzes kann man wohl nur intuitiv erfassen.“
Trotzdem: Paulus wollte nun seinen Brief an die Philipper schreiben, holte sein Schreibzeug und setzte sich ans Licht. Aus der Arena klang wieder Löwengebrüll und Volksgejohle. Wie lange würde er noch Zeit haben? Er wollte sich über jede Stunde freuen, die ihm blieb. Er wollte sie für Christus nutzen, wollte von der Freude, von der Dankbarkeit schreiben, die Christen für die Erlösung aus allem Elend, für die Befreiung von Sünde und Gesetz empfinden. Er wollte andere in ihrem Glauben stärken, und noch andere für den Glauben gewinnen, solange ihm dafür Zeit blieb.
Er schrieb den Brief nach Philippi in einem Stück herunter, die Worte flossen ihm in die Feder, denn sie kamen von Herzen. Wenn Timotheus nachher käme, sollte der den Brief mitnehmen und an Bord bringen.
Als Timotheus schließlich und später als üblich kam, wurde er von einem Aufseher begleitet. Das war ungewöhnlich, und Paulus erschrak. Erst recht, als der Aufseher die Zellentür öffnete. „Komm raus!“ befahl der Wärter. „Du bist frei.“ Paulus und Timotheus umarmten sich, Freudentränen flossen. „Lydia und die Philipper,“ flüsterte Timotheus, dann packten sie die Sachen des Paulus zusammen und gingen. So schön war das Leben schon lange nicht mehr gewesen. Amen
Gebet:
Wir haben, guter Gott, so viele Anlässe, uns zu freuen, so viele unscheinbare Dinge, die uns Tag für Tag begegnen. Manchmal nehmen wir sie einfach hin, und manchmal einfach nicht wahr. Dadurch entgeht uns mancher Grund, dir dankbar zu sein. Doch du weißt, wie wir sind, und wie gern wir uns ärgern und empören. Darum achten wir lieber auf das, was nicht gut und nicht schön ist – anstatt uns unseres Lebens und deiner Liebe zu freuen.
Wenn wir aber, guter Gott, die vielen Anlässe zur Freude wahrnehmen, dann können wir zu anderen Menschen freundlich sein, sie als Freunde behandeln und unsere Freude mit ihnen teilen. Dann können wir Fremdheit, sogar Feindschaft überwinden und deine Liebe zu uns Menschen weitergeben.
Damit, guter Gott, verbreiten wir deinen Frieden, obwohl wir ihn nicht begreifen. Denn dein Friede ist ein Friede mit denen, die deinen Willen nicht tun. Das, wir gestehen es, paßt uns nicht immer, wir sähen lieber die Übeltäter bestraft. Doch wenn du unsre Herzen und Sinne in Jesus, dem Christus bewahrst, läßt du uns auch mit denen Frieden schließen und halten, die sich von dir abgekehrt haben.
Guter Gott, dies bitten wir dich heute: Daß du uns davor bewahrst, die Freude über deine Liebe zu verlernen und die Dankbarkeit in unsrem Leben zu vergessen.
Lesung: Jes 12, 1 – 6;
Lieder: Die helle Sonn, EG 437, 1 – 4; Reimpsalm 47, 1 – 3; Freuet euch im Herren, EG 239 1 + 4; In dir ist Freude, 398, 1 + 2
Paul Kluge
Provinzialpfarrer im
Diakonischen Werk in der
Kirchenprovinz Sachsen e.V.