
EG 97 “Holz auf Jesu Schulter“
Predigtreihe „Passion im Lied“ | Karsamstag | 14. April 2001 | EG 97“Holz auf Jesu Schulter“ | Hilmar Menke |
Gemeinde singt EG 97, 1
Er schleppt sich den Berg hinauf. Der Balken auf seinen Schultern lastet schwer. Er bricht zusammen, wird aufgerichtet. Oben auf dem Berg ist ein anderer Balken aufgerichtet – senkrecht steckt er in der Erde. Bald werden die beiden Hölzer vereint sein. Bald wird die Last ihn nicht mehr drücken. Bald wird er am Kreuz hängen, Füße und Handgelenke durchbohrt. Die Last des Holzes ist von ihm genommen. Aber, welche Last liegt nun, immer noch auf ihm.
„Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.” (Jes 53, 4), so heißt es beim Profeten Jesaja.
„Von der Welt verflucht” – nicht das Holz, sondern er, der das Fluchholz trägt – den das Fluchholz trägt. Verflucht von von seinem Volk, dem er die Nähe ihres Gottes verkündete und seine Liebe – verflucht von den fremden Besatzern, die unberührt blieben von der Botschaft; verspottet von dm Machthaber, der den Königstitel über seinem Kopf anbringen ließ, von den Mächtigen seines Volkes, von den Gaffern und Neugierigen, die die Inschrift lasen – verspottet, verflucht sogar von dem Leidensgenossen. Die ganze Welt!
Unsere Krankheit, unsere Schmerzen und unseren Spott trägt er, trägt schwer an unserem Nicht-Verstehen.
Vom Kreuz schaut er uns an.
„Sieh, wohin wir gehn” – ja, wohin geht es mit uns? Geht es weiter mit uns wie bisher? Geht es weiter mit uns zu den Toten, in den Tod?
Wohin geht unsere Fahrt durch das Leben, wohin treibt unserer Erde, unsere Welt mit und ohne unser Zutun – durch unser Handeln und durch unser Unterlassen?
Werden weiter viele, viele Tausende Hungers sterben während in Europa Rinder, Schafe und Schweine – zur Nahrung bestimmt – getötet und vernichtet werden, vergraben, verbrannt. Welcher Fluch liegt unserer Welt, was hat diesen Fluch verursacht, wer ihn auferlegt?
Wird es weiter Unfrieden geben – nicht nur in den Gegenden unserer Welt, die wir „Krisengebiete” nennen, wo Krieg herrscht oder Bürgerkrieg? Werden bei uns weiter Menschen ausgegrenzt, verachtet, gejagt, sogar umgebracht, weil sie fremd sind und fremd aussehen? Wird weiter demonstriert werden gegen die Atommülltransporte – werden weiter Polizisten den Demonstranten gegenübergestellt? Werden wir weitergehen auf dem Weg zur „2/3 – Gesellschaft” im Gegenüber derer, die Arbeit haben und derer, denen vorgeworfen wird, sie suchten ja gar nicht mehr?
Herr, sieh wohin wir gehn – und erbarme dich unser. Kyrie eleison!
Gemeinde singt: EG 97, 2 und 3
„Die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht” – nicht nur die Menschen, von denen ich sprach, nicht nur die Tiere, die wir „Nutztiere” nennen – die ganz Erde, die wir ausbeuten wie so mancher Mensch und manches Tier ausgebeutet werden – die Wälder, die abgeholzt oder abgebrannt werden, die Meere, die man leerfischt und mit Abfällen des Wohlstands verdreckt und verseucht, die schützende Hülle um unserer Welt, die wir zerstören mit Abgasen, den Boden, in dem Minen vergraben werden…
„Wollen wir Gott bitten, daß auf unsrer Fahrt Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt” – für mich ist das mehr Frage als Feststellung.
Wie können wir so bitten, wenn wir nicht Frieden machen wollen – untereinander, mit unseren Mitgeschöpfen, mit unserer Welt? Wie können wir es wagen angesichts all der Kreuze, die nach dem Kreuz von Golgatha aufgerichtet wurden und werden.
Nur eine Hoffnung gibt es, daß wir so beten, so bitten dürfen – und nur eine Hoffnung, daß diese Bitte nicht abgewiesen wird, dies Gebet nicht ungehört verhallt: Weil der am Kreuz gesagt hat: „Es ist vollbracht!” – und weil sein Wort das Wort des Himmels ist, das Wort des Vaters, der Schöpfer ist und Erhalter, sein Vater, unser Vater.
Herr, sieh wohin wir gehn – und erbarme dich unser. Kyrie eleison!
Gemeinde singt: EG 97, 4 und 5
„Wollen wir Gott loben” – auch das für mich mehr Frage als Forderung. Gibt es nicht viele Menschen, die meinen, an allem sei Gott schuld!? „Wie kann Gott das zulassen?!” – wie oft höre ich dies wörtlich, dem Sinn nach – wie oft denke ich selber so, klage, klage an.
Mißverständlich das Lied, das wir singen, an dieser Stelle: „denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu” – als ob es eine Macht außerhalb des Menschen wäre, die uns der Vernichtung zutreibt – das Schicksal oder die Natur, die Vorsehung oder Gott selber.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir – wir Menschen – jagen die Erde mit allem, was darauf ist und lebt, auf den Abgrund zu. Seit die ersten Menschen der Versuchung nicht widerstehen konnten ist das so – seit die ersten Menschen meinten, sie brauchten Gott nicht, sie könnten selber werden, selber sein wie Gott – von niemandem abhängig und daher auch niemandem verantwortlich außer sich selbst. „Sündenfall” – weil der Mensch herausfällt aus der Verbindung mit Gott. Und aus diesem Fall wird der anscheinend unaufhaltsame Sturz in den Abgrund der Vernichtung, der Dunkelheit, der Leere, des Todes.
„Wie kann Gott das zulassen?!” – das bekommt einen ganz anderen Klang auf diesem Hintergrund: Wie kann Gott den Menschen weiter am Leben erhalten trotz alledem?. Wie kann er verhindern wollen, daß wir in den Abgrund stürzen? Wie kann der Mann am Kreuz sagen „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.”?
Wenn es Grund und Anlass zum Zweifeln gibt, dann sicher hier – angesichts des Gerichts Gottes, das nichts übersieht und streng die Sünde beim Namen nennt – und trotzdem nichts ist als Gnade. Und wir: Gerichtet aber nicht verurteilt.
Herr, sieh wohin wir gehn – und erbarme dich unser. Kyrie eleison
Auf Jesu Schulter lastete das Kreuz, das Fluchholz – wir sahen ihn gehen zu seiner Hinrichtung, wir sahen ihn leiden und wir sahen ihn sterben am Baum des Todes. Nun ist er begraben – und für die Seinen sind begraben auch alle ihre Hoffnungen, die sie auf ihn setzten, all ihre Sehnsucht. Nichts ist ihnen geblieben als Trauer und Verzweiflung – das letzte Wort hat der Tod – und sein Zeichen ist das Kreuz, der Baum des Todes.
Seit alters wird das Kreuz Jesu Christi immer wieder so dargestellt, daß es Blätter treibt, Äste und Zweige hervorbringt, Blüten trägt und Früchte – als Baum des Lebens.
„Es ist vollbracht” heißt eben nicht: Alles ist zuende. Wir wissen und bekennen: Der Gekreuzigte ist der Auferstandene. Gott hat ihn nicht im Tode gelassen. Karfreitag ist gewesen und Ostern wird sein. Die Finsternis, die über die Welt gekommen ist wird dem Licht Gottes weichen. Das Beben, das die Welt erschüttert ordnet sie zugleich neu – was wir Leben nennen geht auf den Tod zu – aber Gott ruft aus den Toten und schenkt das wirkliche, das wahre Leben.
Kyrie eleison – Herr, erbarme dich unser. Sieh wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, laß uns auferstehn.
Gemeinde singt: EG 97, 6
Hilmar Menke, Superintendent in Cadenberge