Johannes 6, 47-51

· by predigten · in 04) Johannes / John, Aktuelle (de), Antje Roggenkamp, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 06 / Chapter 06, Kasus, Lätare, Neues Testament, Predigten / Sermons

Predigt über Joh 6, 47-51 am Sonntag Lätare in St. Albani, Göttingen: Hungrig sein?! Wunde Punkte

47 Amen, amen, ich versichere euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Vorfahren, die in der Wüste das Manna gegessen haben, sind gestorben. 50 Hier aber ist das wahre Brot, das vom Himmel herabkommt. Wer davon isst, wird nicht sterben. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herab gekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er ewig leben. Dieses Brot, das ich ihm geben werde, ist mein Fleisch: ich gebe es hin für das Leben der Welt.

Liebe Gemeinde, hungrig sein, das ist das Motto, das über dieser Predigt zum Thema Wunde-Punkte steht. Unsere Reihe soll uns auf wunde Punkte aufmerksam machen, Aspekte und Gedanken, die wir mit Jesu Passion verbinden. Dabei trifft uns der Text, den ich gerade gelesen habe, in einer Zeit, in der sehr vieles im Umbruch ist. Die Welt ist aus den Fugen geraten, jedenfalls, die Welt so wie wir sie kannten. Und in einer Situation, in der fast täglich weitere Steine aus dem alten Fundament herausgelöst werden, imponiert sich hier jemand von oben her als Brot des Lebens. Indem er mit dem Leben dieser Welt in Beziehung tritt, beeinflusst er auch unser Leben. Inwiefern aber kann der Lauf der Dinge durch den, der von sich selber sagt, ich bin das lebendige Brot verändert werden?

Unser Leben in dieser Welt: Wir sind gewohnt, die Aussage vom Brot des Lebens immer schon auf eine religiöse Sprachwelt zu beziehen. Aber was bedeutet das in einer Zeit, in der sich der amerikanische Präsident im Oval Office als irdischer Messias inszeniert? In der das MAGA-Getöse alles andere übertönt? Und in der selbst Tür und Angel-Gespräche auf die weltpolitische Situation Bezug nehmen können? Konnte man am Anfang noch irgendwie hoffen, dass diplomatische Gespräche in friedlichere Gefilde für die Ukraine oder den Gazastreifen führen könnten, so wissen wir inzwischen, dass die Forderungen der verschiedenen, Macht beanspruchenden Akteure nicht oder nur um den Preis der Aufgabe unserer Ordnungen und Wertvorstellungen erfüllbar sind. Und da empfinde – ich zumindest – es schon fast als eine gewisse Erleichterung, wenn wir von einzelnen Handlungen hören, in denen wenigstens ein kleiner Wider- oder Aufstand sicht- und hörbar wird. Allerdings, kein von oben kommender Einspruch wie etwa „Ich bin das Brot des Lebens“ oder „Ich gebe es hin für das Leben der Welt“. Und trotzdem bin zumindest ich hungrig danach, mehr über die junge Anwältin zu wissen, deren Kündigung viral ging, mehr über den Chefredakteur der einen Signal Chat veröffentlichte in Erfahrung zu bringen, aber auch mehr über die protestierenden Bürger, die sich vorm Rathaus in Istanbul, einem vermeintlichen Profiteuer des weltpolitischen Chaos zu widersetzen suchen.

Was aber ist hier das Brot des Lebens? In der Wüste, auf seiner Flucht aus Ägypten, war das Volk Israel ähnlich zerrissen, wie wir es heute sind. Die alte Ordnung war dahin, eine neue noch nicht in Sicht. Und vor allem, es gab keine Nahrung mehr. Die Israeliten marschierten durch die Wüste, Tag für Tag, und sie hatten trübsinnige Gedanken, denn der eigentliche Grund ihres Aufbruchs war schon lange vergessen. Sie murrten gegenüber ihrem Anführer und sie klagten über den, der ihnen die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit eingestiftet hatte. Der reale Hunger ließ sie ihr ursprüngliches Hungrig sein vergessen. Und auch die Anhänger Jesu werden im Umfeld unserer Perikope als hungrig beschrieben, aber anders als die Israeliten in der Wüste: Als die Leute merkten, dass Jesus nicht mehr da war, wo er am Abend zuvor mit ihnen gegessen hatte, stiegen sie in Boote, die aus Tiberias gekommen waren, und setzten nach Kafarnaum über. Und obschon sie gerade erst erlebt hatten, dass durch Jesu Dankesgebet fünf Gerstenbrote und zwei Fische hinreichten, um eine riesige Menschenmenge zu sättigen, hörten sie nicht auf, ihn als Wundertäter nachhaltig zu bedrängen. Ist es da erstaunlich, dass Jesus das Ansinnen abweist, durch weitere Brotvermehrung ausreichend Nahrung für alle zu beschaffen?  Denen, die ihm unaufgefordert nach Kafarnaum gefolgt sind, hält er fast entnervt entgegen: „Was Gott euch durch die Wunder sagen will, das wollt ihr nicht verstehen!“

Es wäre nun ein Leichtes, sich über jene – auch moralisch – zu erheben, von denen der Verfasser des Evangeliums sagt, dass sie Jesus physisch bedrängen. Aber, wenn schon sie, die Jesus real erleben konnten, nicht begreifen, was es mit dem Brot des Lebens auf sich hat, wie können dann wir die Worte „vom Brot des Lebens“ verstehen? Als uns beiläufig sättigendes, „wirkliches“ Brot im Sinne einer wie auch immer gearteten (un)eigentlichen Rede? Dann könnte man die Vorgänge der letzten Wochen, den vereinzelten Widerstand gegen despotisch-diktatorisches Verhalten religiös deuten, – aber man muss das nicht. Es scheint eher nötig, diese Worte noch einmal ganz anders zu verstehen und sie in einen Zusammenhang mit anderen vergleichbaren Ausdrücken zu rücken: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, „Ich bin der wahre Weinstock“ oder „Ich bin das Licht der Welt“. Diese Ich-Bin-Worte, die es in dieser Verdichtung nur im Johannesevangelium gibt, summieren nicht einfach verschiedene Eigenschaften Jesu additiv. Sie zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie den Blick auf eine andere Wirklichkeit richten: Es geht nicht um ein physisches Überleben oder um die Möglichkeit, vereinzelten Widerstand gegen politische Vorgänge religiös zu deuten. Was durch Tod und Auferstehung Jesu neu in die Welt gekommen ist, erweist sich als christlich-nachösterliche Wahrnehmung unserer Wirklichkeit und all dessen, was darüber hinaus geht.

In zeitgenössischer Perspektive richtet sich der Fokus auf jenen, wohl in Ephesus wirkenden Verfasser des Johannesevangeliums, der Menschen adressiert, die den Messias – immer noch – als kommenden Propheten erwarten, der ein irdisches Friedensreich mit sich bringt. Denn die Menschen, die damals um Jesus waren, verstanden seine Botschaft nicht. Die einen, weil sie immer noch weitere Wunderzeichen verlangten, die anderen, weil sie seine Worte für vermessen hielten, – obschon oder gerade weil er jeden irdisch-weltlichen Machtanspruch von sich weist: „Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“. – Und Jesus? Auch wenn ihn die einen wie die anderen gründlich missverstehen, bleibt er bei seiner ursprünglichen Strategie. In immer neuen Wendungen wiederholt er seine erstaunliche Botschaft: „Ich bin das Brot des Lebens“, „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herab gekommen ist.“ Oder: „Dieses Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch: ich gebe es hin für das Leben der Welt.“ Und wir fangen zaghaft an, seine Worte zu begreifen: Mit allem, was er ist und hat, tritt dieser besondere Menschen für uns Menschen ein, gibt er sich ganz und gar hin, um auch unsere Welt zu retten. Aber wie ist das nun genau zu verstehen? Vor allem dann, wenn die Worte mehr sein sollen als eine bloße religiöse Formelsprache?

Zunächst politisch betrachtet: Wir haben es im Moment schwer mit selbstbezüglichen Parolen. Es sind zu viele Diktatoren, Despoten oder von einer Mehrheit gewählte Präsidenten unterwegs, als dass man noch das Zutrauen haben könnte, dass sich notwendige Veränderungen durch ein abschreckendes Gleichgewicht der Kräfte irgendwie einpendeln lassen könnten. In der Ukraine, aber auch in Gaza und Syrien steht Vieles auf dem Spiel. Und was unsere Welt in dieser Situation am wenigsten braucht, ist eine selbstherrliche Machtförmigkeit, die mit finanziellem Eigennutz, persönlichem Eigeninteresse und generationeller Verantwortungslosigkeit einher geht. Oder positiv formuliert: Nur Personen, die uneigennützig agieren, wird es gelingen, dauerhaft Frieden zu stiften. Nur Menschen, die von ihrem eigenen Vorteil absehen, werden interesselos zum Wohle aller handeln können. Nur Politikern, die sich ihrer globalen Verantwortung bewusst sind, wird man zuhören, wenn sie Veränderungen des eigenen Verhaltens einfordern. Allerdings, in dem ich mir diese Einsichten vor Augen führe, bekomme ich Zweifel daran, dass sich der Lauf der Dinge in unserer Welt wirklich nachhaltig verändern lässt. Und gleichwohl: Angesichts der verzwickten politischen Lage, erinnere ich die ersten Zeilen eines längeres Gedicht, das ein Pfarrer und Theologe, Reinhold Niebuhr, mitten im zweiten Weltkrieg verfasste. Seine Bitte um die Weisheit der rechten Unterscheidung kann auch aktuell helfen, die eigene Perspektive auf den Lauf der Dinge zu verändern: „Herr, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und Weisheit, um den Unterschied zwischen beidem zu erkennen.“

Sodann individuell verstanden: Die Passionszeit erinnert uns nicht nur daran, wie diese Welt, mit der Jesus gerungen hat, seine Worte vom Brot des Lebens, zurückgewiesen hat. Sie macht uns dabei auch bewusst, welche Verletzungen und Wunden uns ganz persönlich hungrig machen: Beste Freundinnen, die plötzlich nichts mehr miteinander zu tun haben wollen, Liebespaare, deren Gefühle füreinander erloschen oder gar in Hass aufeinander umgeschlagen sind und alles, was man sich sonst noch so an Begleitumständen von Ehe-, Familien- oder Beziehungskrisen vorstellen kann: dauerhafte Entfremdungen, Lügen und Betrügen, verlorenes Vertrauen. Was aber hilft, wenn der eigene Hunger nach liebevoller Zuwendung oder Versöhnung nicht oder nicht mehr gestillt werden kann? Für den einen ist es ein Tagebuch, in dem man seine wütenden, frustrierten oder traurigen Gedanken niederschreiben kann, für andere sind es Gespräche, in denen dritte Personen einfühlsam oder gar verständnisvoll agieren. Und uns Christen ist nachdrücklich die Möglichkeit eröffnet, uns im Gebet, an jenen zu wenden, der zu uns mit seinen eigenen Worten spricht: „Hier aber ist das wahre Brot, das vom Himmel herabkommt. Wer davon isst, wird nicht sterben.“

Das Brot des Lebens: ein Himmmelsgeschenk: Wir feiern heute den Sonntag Laetare, einen Freudentag mitten in der Passionszeit, so etwas wie ein kleines Ostern. Und auch wenn der Hunger nach Frieden und Gerechtigkeit ein Hunger ist, der in diesem Leben nicht gestillt werden kann, ist spätestens jetzt nicht mehr zu übersehen, was Jesus als Brot des Lebens von jedem sich selbst verherrlichenden Schurken trennt:  Er schenkt uns das Brot des Lebens –  nicht Speisen des Überlebens, er ist das wahre, lebendige, sättigende Brot – keine leere Versprechung. Vom Himmel herab gekommen, mimt er nicht den selbstsüchtig-egozentrischen Superhelden, sondern gibt als Brot des Lebens, alles, was er hat und ist, für die Seinen hin. –

In der Fastenzeit praktizierte man früher auch das Augenfasten. Der Altar wurde verhüllt, Kelche und Patene gut verschlossen, zwischen Aschermittwoch und Gründonnerstag blieb der Chor- oder Altarraum verhüllt. Durch den verdeckten Altar sollten die Menschen mit allen Sinnen spüren, was ihnen fehlt, wenn sie auf das Brot des Lebens verzichten müssen. Und was das jetzt für uns bedeutet? Wir stehen noch mitten drin in der Passionszeit, bis zum Karfreitag ist es noch ein wenig hin. Das Brot des Lebens bleibt auch uns bis zur Feier des letzten Herrenmahls am Gründonnerstag entzogen. Wenn wir bis dahin kein Abendmahl feiern, dann geschieht dies, damit wir an Ostern so richtig hungrig sind, damit es uns dürstet nach der Gemeinschaft mit dem, der von sich sagt, ich bin das Brot des Lebens. Bis es soweit ist, erinnern wir uns an ihn als Gemeinde, die Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst zusammenkommt, um jene Gemeinschaft, die uns das Brot des Lebens schenkt, vorweg zu nehmen. Dabei geht es dann nicht pompös, sondern ruhig und gelassen zu, heute am Sonntag Laetare in stiller, verhaltener, aber umso intensiverer (Vor-) Freude.

 Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus, Amen

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Mögliche Lieder:

EG  91, 1-3.5-6  Herr stärke mich dein Leiden zu bedenken 

EG 85, 1-4 O Haupt voll Blut und Wunden.

EG 396, 1-3.6 Jesu meine Freude (Wochenlied)   

EG 86, 1,6-8  Jesu, meines Lebens Leben …