
Johannes 19,16-30
Von den Menschen am Kreuz | Karfreitag | 18. April 2025 | Joh 19,16-30 | Ralf Reuter |
Johannes steht dicht am Kreuz. Neben ihm Maria Magdalena. Etwas versetzt die Mutter von Jesus. Und noch die Schwester der Mutter und Maria, die Frau des Klopas. Gebannt schauen sie auf Jesus. Die ganze Zeit haben sie ihn begleitet, spüren seine Autorität. Ja, sind eingenommen von diesem Menschen, der da als Gott am Kreuz hängt. Sie durchschauen nichts, verstehen nichts, sind in einen anderen Zustand versetzt, gefangengenommen von diesem göttlichen Geschehen.
Jesus selber bindet sie ein in das Zukunftshandeln Gottes. Immer hat er ihnen gesagt, ich werde von euch gehen, dahin, wo mein Vater ist. Auf diesen Abschied hat er sie vorbereitet. Doch im Ernstfall ist alles neu. Wie in jeder Nachfolge. Jetzt, in diesem Augenblick seines Gehens, wird er zu ihnen reden. Vom Kreuz aus, erhöht in aller Erniedrigung. Er macht das persönlich. Einen ruft er heraus, dem der beispielhaft sein Erbe anvertraut. Es ist Johannes.
Ob sich die anderen zurückgesetzt fühlen? Maria Magdalena, die ihn heftig liebt? Die immer in seiner unmittelbaren Nähe ist, von Ort zu Ort zieht? Sie wird Johannes in der Auferstehung überholen. Sie wird es sein, dem der auferstandene Jesus zuerst begegnet, und sie wird es dann zuerst den anderen sagen. Das weiß sie noch nicht. Jesus wird es wissen. Vielleicht spricht er deshalb Johannes an. Doch wir wissen es nicht genau. Nicht immer sind diejenigen, die zuerst bestimmt werden, auch die Wirkungsvollsten.
Er verweist seine Mutter an Johannes. Siehe, das ist dein Sohn. Eine der tiefsten menschlichen Bindung überhaupt, Mutter und Sohn. Sie geht jetzt weg von ihm und über auf einen anderen. Zu ihm sagt er: Siehe, das ist deine Mutter. Was wird die Mutter denken? Schon in der Ankündigung der Geburt ihres Sohnes wurde sie gewarnt, ihn nicht wirklich besitzen zu können. Sie wird sich als ein Werkzeug fühlen, ausgeliefert einem Gott, der über sie verfügt. Und die Schwester und die andere Maria stehen daneben und staunen.
So wie hier Jesus spricht, ist er mit sich im Reinen. Er hadert nicht, weiß sich mit Gott einig. Und setzt so seine Nachfolge ins Werk, auf Golgatha, wie manche Sterbende vom Bett aus zu ihren Kindern die Dinge regeln. Wer das einmal in der eigenen Familie erlebt hat, wird es nie vergessen. Wo die Mutter, der Vater, vollkommen authentisch ist, nicht mehr gebunden an diese Welt, nicht mehr taktierend, klar sprechend, schon wie aus einer anderen Welt.
Johannes und seine Mutter, ihre Schwester, die andere Maria und Maria Magdalena sind jetzt zu einer Familie geworden. Das Göttliche ordnet das Menschliche. Es geht nicht nach Abstammung oder Geschlecht, auch nicht ob jung oder alt. Im Szenario des Kreuzes werden wir aneinander gewiesen. Das ist deine Mutter, das ist dein Sohn, und wir können ergänzen, siehe, das ist deine Tochter, dein Vater, deine Schwester, dein Bruder.
Dieses Zusammengehören spüren selbst die Soldaten. Es sind vier Männer. Sie teilen untereinander seine Kleider auf. Doch das Unterkleid ist aus einem Stück gewebt. Es sträubt sich in ihnen, dies zu zerschneiden, so würfeln sie um seine Kleidung. Der Herrschaftsbereich von Jesus kann nicht gestückelt werden, er ist ganz, in einem Stück, wie seine Kirche, die eine christliche Kirche. Hier wird uns ganz anders mit unseren Teilkirchen. Mögen es auch verschiedene Traditionen geben, so gehören wir im Namen von Jesus Christus immer zusammen.
Mit dem Kreuzestod ist Gottes Werk erfüllt und der Geist von Jesus Christus geht auf die ihm Nachfolgenden über. Auf seine Familie wie auf seine Kirche in der Welt. Im Kreuz ist schon die Auferstehung enthalten. Aus der Potenz, dem Konzentrat des Kreuzes, dem Urstoff, kristallisiert sich alles Licht der Welt. Er ist dieses Licht, Jesus Christus, der menschgewordene Gott, der auch uns in seine Nachfolge ruft, wie Johannes und Maria Magdalena und die Mutter, ihre Schwester und Maria.
Ob wir das je ganz verstehen werden, wie Gott sein Werk in seinem Sohn vollbringt? Vom Kreuz aus, dem dunkelsten Punkt des Seins? Wie dieses Geschehen zum strahlenden Tag des Glaubens wird? Ich glaube, wir können es spüren, ganz unmittelbar, an jedem neuen Morgen, den er uns schenkt, bis hinein in den himmlischen Morgen. Wie er mit diesem Licht bei uns ist und in dieser Welt. Gerade da, wo es finster ist, oder zum Verzweifeln. Ja, ich glaube, Gott ist größer und stärker als jeder Tod.
Pilatus hat diesen Jesus als einen König wahrgenommen. So ein Mensch kann nur ein König sein. Schon bei der Gefangennahme, der Verurteilung und dem Gang nach Golgatha tritt er als Herrscher auf. Er ist der Leidende und doch der Handelnde, der Verhöhnte und darin der Erhöhte. Das Kreuz wird zum Thron. Deshalb lässt Pilatus über das Kreuz schreiben, der König der Juden, und bleibt dabei. Seine Herrschaft ist religiöser Art. Deren Machtbereich über Zeit und Raum hinausgreift, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Karfreitag begegnen wir in Jesus Christus diesem menschenfreundlichen Gott des Lebens. Feiern mit ihm am Kreuz, umkränzt vom Licht der Auferstehung. Es ist kein Ort der Furcht mehr, in der Niederlage steckt der Sieg. Nur so konnte uns das Johannesevangelium dieses Geschehen überliefern und uns erzählen von den Menschen unter seinem Kreuz.
Von Johannes, der wie wir in die persönliche Nachfolge gerufen wird. Wie seine Mutter, die eine neue Familie erhält. Zu der auch die Schwester gehört und die andere Maria. Und Maria Magdalena, die ihn liebt und dem Auferweckten als erste begegnet. Und wie sein Licht abstrahlt auf Pilatus, auf die vier Soldaten und wohl selbst noch auf die, die mit ihm zu beiden Seiten gekreuzigt werden.
Dieser Jesus Christus geht zum Vater, verspottet, erniedrigt, gekreuzigt. Ein König ist er, gottgleich, nicht von dieser Welt und doch für diese Welt. Seine Sendung kommt zum Ziel, ihn dürstet, er nimmt den Essig, als Lamm Gottes. Es ist vollbracht. Die Vollendung der Offenbarung. Da fallen Karfreitag und Ostern in eins, und auch Himmelfahrt und Pfingsten sind enthalten. Im Kreuz vereinen sich die Linien des Lebens, hier sind wir mit Gott verbunden, sind berufen und beauftragt. Als das, was wir längst sind, seine Familie, seine Kirche, seine Welt.
Pastor Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de
Ralf Reuter, Pastor der Ev.-luth. Weststadt- und Westdörfer-Kirchengemeinde Göttingen sowie der Region Göttingen-West und gelegentlich als Pastor für Führungskräfte im Kloster Loccum und sonst
Der Auslegung liegt eine ältere Predigt von mir zugrunde. Geschöpft habe ich aus dem Kommentar zum Johannesevangelium von Jean Zumstein, besonders aus der Auslegung auf den Seiten 715-728.