
Johannes 20,11-18a
Begegnung Jesu mit Maria Magdalena | Ostersonntag | 20. April 2025 | Joh 20,11-18a | Johannes Lähnemann |
Liebe Gemeinde!
Wir feiern Ostern. Wir feiern die Botschaft: Der Tod hat verloren! Das Leben siegt!
Überlegen wir einmal: Wo und wie ist uns diese Botschaft einmal besonders eindrücklich begegnet? Vielleicht denken wir an einen Osternachtgottesdienst, wo in der dunklen Kirche ein Licht angezündet wird, weitergereicht wird und dann den Raum mit zunehmendem Strahlen erfüllt. Hat vielleicht jemand unter uns sogar einem orthodoxen Ostergottesdienst, wo um Mitternacht das Osterlicht entzündet wird und dann durch den ganzen Kirchenraum der Ruf erschallt: Christos aneste – Alethos aneste: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“
Ich habe dazu eine besondere Kindheitserinnerung. Mein Bruder Martin und ich – er 10, ich 12 Jahre alt, verbrachten die Osterferien im Pfarrhaus unserer Großeltern im Dorf Schellerten bei Hildesheim. Am Ostersonntag früh ergriffen wir beide unsere Flügelhörner, ließen uns den großen Kirchenschlüssel in die Hand drücken und gingen über den Kirchplatz hinüber zur Kirche. Wir durchquerten den alten Friedhof – mit Gräbern für die alten Dorfbewohner, aber auch kleinen Kindergräbern mit Engelfiguren auf dem Grabstein, und mit der Tafel für die im Krieg Gefallenen, darunter auch mein Onkel Hans-Georg, jedes Grab ein Todesschicksal, und doch verbunden mit Zeichen der Auferstehungshoffnung. Wir drehten den großen Schlüssel im Tor des 600 Jahre alten Kirchturms und stiegen mit unseren Instrumenten die Treppen hinauf bis zu den großen Glocken, dann darüber über Leitern in die enger werdende Turmspitze. Zwei Luken nahmen wir heraus, hielten die Trichter hinaus und bliesen „Christ ist erstanden“ über das Dorf, diesen einzigartigen Osterruf, der uns seit dem Mittelalter überliefert ist. Unten die Erinnerung an Sterben und Tod, hier oben die Botschaft vom neuen Leben!
Es ist die immer wieder überraschende, neue Botschaft. Aber: Wer kann sie glauben?! Angesichts all des Sterbens in der Welt: Ist das nicht eine unglaubliche Überzeugung, fern der Wirklichkeit? Wer von uns hätte nicht die Todesbilder vor Augen, die uns bedrängen können: die Bilder von Leiden und Sterben – bei Menschen, die uns nahe sind, und bei Menschen in der Ferne, von deren Not und Tod wir täglich hören: in den Kriegsgebieten in der Ukraine, im Gaza-Streifen, im Südsudan und in Ostkongo, in Katastrophengebieten, in den Flüchtlingslagern?
Aber in der Osterbotschaft wird genau das behauptet: dass der Tod verloren hat und dass das Leben siegt. Und das gehört zur Mitte unseres christlichen Glaubens!
Alle vier Evangelien – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – münden in Erzählungen, die schildern, dass der gekreuzigte, der schmerzvoll gestorbene Jesus lebt. Es sind erstaunliche, „unglaubliche“ Geschichten. Wir können sie nicht wie in einem Geschichtsprotokoll auflisten. Einen genauen Ablauf kann man nicht rekonstruieren.
Aber: In allen 4 Evangelien bilden die Ostererzählungen den Abschluss, den Höhepunkt der Jesusgeschichte. Und in allen Evangelien wie auch in den Briefen des Paulus wird deutlich, dass die Jüngerinnen und Jünger die Botschaft, dass der gekreuzigte Jesus lebt, zuerst selbst nicht glauben konnten. Sie mussten zu der Erkenntnis erst gegen die Erfahrung von Karfreitag, gegen die Ausweglosigkeit und Verlassenheit, in der sie sich vorfanden, gewonnen werden. Wichtig für uns ist auch: Jede der Ostererzählungen hat eine besondere Botschaft, eine besondere Ermutigung, einen besonderen Trost: Denken wir nur an die beiden Jünger, die auf dem Weg nach Emmaus von Jesus begleitet werden. Jesus holt sie aus ihrer Trauer heraus, indem er ihnen seinen Weg als den Weg Gottes deutet; und am Ende erkennen sie ihn dann plötzlich. „Brannte nicht unser Herz in uns auf dem Wege, als er mit uns redete“, müssen sie da sagen.
Eine besonders schöne Geschichte ist die Erzählung von Maria Magdalena im Johannesevangelium im Kapitel 20. Diese Erzählung ist unser heutiger Predigttext. Ihm wenden wir uns jetzt zu.
Wir begeben uns einmal mit Maria Magdalena hinein in den Garten mit dem Grab Jesu und fragen, was ihre Erfahrung ausmacht und was sie auch für uns, unser Leben und unseren Glauben bedeuten kann.[1]
Zunächst der Text dieser Erzählung:
(11) Maria aber stand draußen beim Grab und weinte. Während sie nun weinte, beugte sie sich vor zum Grab (12) und sah da zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen beim Kopf und einen bei den Füßen, wo der Leib Jesu gelegen hatte. (13) Und die sagten ihr: „Frau, warum weinst du?“ Sie sagte ihnen: „Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo man ihn beigesetzt hat.“ (14) Nachdem sie das gesagt hatte, wandte sie sich um, zurück, und sah da Jesus stehen, und wusste nicht, dass es Jesus war. (15) Jesus sagte ihr: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Weil sie meinte, es sei der Gärtner, sagte sie ihm: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sage mir, wo du ihn beigesetzt hast, sodass ich ihn holen kann.“ (16) Jesus sagte ihr. „Maria!“ Sie wandte sich um und sagte ihm auf Hebräisch: „Rabbuni“ – Das heißt: Lehrer. (17) Jesus sagte ihr: „Halt mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zum Vater aufgestiegen. Geh aber zu meinen Brüdern und sage ihnen: „Ich steige hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, meinem Gott und eurem Gott.“ (18) Maria aus Magdala ging und meldete es den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen“, und dass er ihr das gesagt hatte.
Wenn wir Maria Magdalena begleiten bei dem, was sie hier erlebt, können wir mit ihr vier Schritte gehen, die ihre Erfahrung ausmachen:
Am Anfang steht die tiefe Trauer über den Verlust Jesu, des geliebten Lehrers, der Gottes Liebe zu allen gebracht hat. Sie weint, sie sucht ihn, sie ist ratlos. Dann wird sie in ihrer Trauer angesprochen, mit ihrem Namen. Jesus selbst holt sie daraus. Es folgt das Staunen über das neue, ganz andersartige Leben und Dasein Jesu. Und am Ende geht es darum, dass sie die Lebensbotschaft weitersagt.
1. Das Erste ist die Trauer: „Maria stand draußen am Grab und weinte“. Sie ist wie selbstverständlich am Grab Jesu. Sie leidet am Verlust des Menschen, der die Lebensbotschaft Gottes gebracht hat. Im Weinen Marias kann sich die Gemeinde wiedererkennen, an die der Evangelist Johannes sein Evangelium richtet. Es war eine bedrängte Gemeinde. Jesus hat im Johannesevangelium die Bedrängnis seinen Jüngern schon in seinen Abschiedsreden angekündigt: „Weinen und Klagen werdet ihr; aber die Welt wird sich freuen“. In der Nachfolge Jesu gibt es immer wieder auch Bedrängnis, Verzagtheit, Anlass zur Trauer. Das wird nicht übersprungen. Und so wird Maria am Ort ihrer Trauer abgeholt und weitergeführt. Aber wird sie auch das erfahren, was Jesus versprochen hat: „Ihr werdet traurig sein, aber eure Trauer soll in Freude verwandelt werden“? (Joh 16.20)
Zunächst bleibt bei Maria noch die Ratlosigkeit. Sie hat das Verlangen, wenigstens dem Leib des Herrn Würde und Ehre zu geben. Wer einen lieben Menschen verloren hat, weiß, wie wichtig es ist, dass der Abschied würdig gestaltet wird, dass der Verstorbene nicht einfach verschwunden ist, dass es einen Erinnerungsort gibt, zu dem man gehen kann, oder dass Erinnerungszeichen da sind, die etwas von der früheren Verbundenheit sichtbar machen. Darum ist ja auch die Kriegsgräberfürsorge bei uns so eine wichtige Arbeit.
Die Engel im Grab fragen Maria: „Frau, warum weinst du?“ Sie antwortet: „Man hat hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo man ihn beigesetzt hat.“ Doch Marias Ratlosigkeit bleibt. Die Engel geben ihr keine Antwort.
Anders als in den anderen Evangelien soll es im Johannesevangelium Jesus selbst sein, der sich Maria als der Lebendige zeigt.
2. Damit kommen wir zur Mitte unseres Bibeltextes. Es ist eine Szene, die die fundamentale österliche Wandlung schildert, die der Ratlosigkeit ein Ende setzt.
Maria wird angesprochen, von niemand anderem als Jesus selbst, der auf einmal im Garten ist. Maria wendet sich um und sieht ihn, erkennt ihn aber nicht, sondern meint, es sei der Gärtner. Jesus spricht sie an, wie die Engel sie angesprochen haben: „Frau, warum weinst du?“ Und er setzt hinzu: „Wen suchst du?“
Angesprochen werden: Das ist ein erster Schritt, in der Trauer abgeholt zu werden, mit ihr nicht allein zu bleiben. Maria wiederholt ihre Frage, geprägt von ihrer Ratlosigkeit, aber auch mit einer kleinen Hoffnung: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sage mir, wo du ihn beigesetzt hast, sodass ich ihn holen kann.“ Sie möchte für den Verstorbenen noch einen letzten Liebesdienst leisten.
Aber dann kommt die Wende, mit einem Wort nur, aber es ist das entscheidende Wort, das Wort, das die Fragen beantwortet und der Ratlosigkeit ein Ende setzt.
Jesus spricht sie mit ihrem Namen an: „Maria“. Sie hört die Stimme, und es fällt wie Schuppen von ihren Augen. Angesprochen mit dem eigenen Namen: Im Rahmen des Johannesevangeliums erinnert das an das 10. Kapitel des Evangeliums, das vom guten Hirten handelt: Der gute Hirte ruft seine Schafe bei ihrem Namen und sie folgen ihm, da sie seine Stimme kennen. Wer mich liebevoll mit meinem Namen anredet, der achtet mich, für den bin ich wichtig. Wie jetzt Maria so von Jesus angesprochen ist, erkennt sie ihn und wendet sich ihm zu. Und wieder ist es nur ein Wort, das alles ausdrückt, was Maria in diesem Moment erkannt hat: „Rabbuni“ sagt sie auf Hebräisch: „Lehrer!“ Der, der sie gelehrt hat, der ihr das Lebenswort Gottes gebracht hat, ist lebendig. Sie braucht keinen Leichnam mehr zu suchen!
Aber da ist noch mehr geschehen als die Wiederbelebung eines Leichnams – wie es etwa bei der Auferweckung des Lazarus war, von der auch im Johannesevangelium erzählt wird. Für Lazarus ist es ja nur eine Rückkehr in das irdische Leben.
3. Damit sind wir bei dem Dritten, was uns diese Geschichte zeigt: dem Staunen über das neue Leben, das nicht mehr durch den Tod begrenzt ist.
Jesus kehrt nicht in das irdische Leben zurück. Sondern er steht nun dafür, dass der Tod grundsätzlich verloren hat, dass das Leben siegt. Jesus ist kein am Kreuz Gescheiterter und Erledigter, sondern als der Herr lebendig gegenwärtig. Deshalb kann und soll Maria ihn nicht wie ihren irdischen Lehrer festhalten, sondern als den verkündigen, der nun für alle bei Gott lebt, der gegenwärtig ist im Heiligen Geist. Dabei ist Jesus kein anderer als der, der hier auf der Erde gelebt hat: In ihm ist Gott selbst in das irdische Leben hineingekommen. In seinem irdischen Leben hat er Gottes Liebe gezeigt, besonders den Verlorenen, Verlassenen, Kranken. An der Seite der Schwachen und Bedrängten ist er selbst den Weg ins Leiden hineingegangen bis zum Kreuzestod. Ostern bedeutet: Dieser irdische Liebesweg ist nicht vergangen, sondern er ist Gottes Liebesweg für die ganze Welt.
4. Diese Erfahrung kann man nicht für sich behalten. Und damit sind wir beim Vierten: Die Botschaft vom lebendigen Christus muss weitergegeben, weitererzählt werden. Dass die Frauen die ersten Osterzeugen sind und dass Maria die Botschaft den Jüngern sagen soll, zeigt, welch wichtige Rolle die Frauen, die Jüngerinnen Jesu, in der frühen Gemeinde gehabt haben. Maria Magdalena ist in der Ostererzählung bei Johannes mehrfach die Erste: die Erste am Grab, die sieht, dass der Stein weggenommen ist, die Erste, die Jesus nach seinem Tod begegnet. Und sie ist die Erste, die die Botschaft vom neuen Leben Jesu weitersagt.
Wie kann die Osterbotschaft in unser Leben hineinleuchten? Ich habe dazu ein Kunstwerk vor Augen, das in Goslar über meinem Schreibtisch hängt. Es ist klein auf dem Liedzettel abgebildet, den ich Ihnen mitgebracht habe. Die Künstlerin Rika Unger, die es aus gerissenem Papier gestaltet hat, nennt es „Großes Licht und kleine Sonnen“. Wir sehen, wie das Licht von Ostern den Stein zerreißt, der vor dem Grab gelegen hat, und wie es das Kreuz überstrahlt, das im Hintergrund noch zu sehen ist. Und es zeigt, wie von dem großen Osterlicht – rechts im Bild zu sehen – kleine Sonnen hinein gehen in das Geflecht menschlichen Lebens, in dem es auch immer wieder Kreuze gibt, wie also die Botschaft weitergegeben wird und weitergeht und es an vielen Stellen hell machen kann, auch wo es dunkel ist. Maria hat damit angefangen, die Jünger haben es aufgenommen und weitergetragen, es ist gewachsen in die ganze Welt hinein und hat ungezählten Menschen Trost und Kraft geschenkt im Einsatz für das Leben, aber ebenso in Not und Todesangst. Auch Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis ist sein Bote gewesen, wenn er im Advent 1944 dichtet: „Lass still und warm die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gesetzt“. Mutter Teresa hat das Licht in den Slums von Kalkutta angezündet, Martin Luther King mit seinem Traum von einer Welt, in der Feindschaft und Hass überwunden werden. Die Botschaft ist lebendig bei den ehrenamtlichen Helfern in unseren Hospizen, bei den Freiwilligen, die Flüchtlinge im Mittelmeer retten, bei den Missionsärzten, die Menschen in Seuchen- und Infektionsgebieten helfen. Sie richtet sich gegen die, die Tod und Umweltzerstörung für ihren Profit und für ihren Machtmissbrauch in Kauf nehmen. Sie stärkt alle, die sich einsetzen für die Bewahrung des Lebens auf unserer Erde. Sie will bei uns sein, wenn uns selbst Dunkel und Lebensangst bedrängen.
Wir brauchen diese Botschaft, jeder und jede von uns an unseren Orten und auf unseren Wegen:
„Christ ist erstanden“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden“.
Prof. em. Dr. Johannes Lähnemann, Goslar, johannes.laehnemann@gmail.com
Johannes Lähnemann (geb. 1941) hatte von 1981-2007 den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Ev. Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Er lebt im Ruhestand in Goslar. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Interreligiöser Dialog, Interreligiöses Lernen, Religionen und Friedenserziehung. Er ist Mitglied der internationalen Kommission Interreligious Education der Bewegung Religions for Peace (RfP) und Leiter der Arbeitsgruppe Interreligiöse Bildung-Friedenspädagogik bei Religionen für den Frieden Deutschland.
Seine Autobiografie ist erschienen unter dem Titel „Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität.“ Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017.
Die Predigt wird im zweisprachigen Gottesdienst (Deutsch – Italienisch) in der methodistisch-waldensischen Gemeinde in Luino / Lago Maggiore gehalten.
Liedempfehlungen: EG 99: Christ ist erstanden; EG 112: Auf, auf, mein Herz, mit Freuden; EG 116: Er ist erstanden, Halleluja!
[1] In der Auslegung folge ich vor allem Klaus Wengst: Das Johannesevangelium. Neuausgabe, Stuttgart 2019.= Theologischer Kommentar zum Neuen Testament Bd. 4, bes. S. 550ff.