
Johannes 16,16-22
Hoffnung ist Realitätssinn | Jubilate | 11.05.2025 | Joh 16,16-22 (dänische Perikopenordnung) | Elof Westergaard |
Jesus sagt: „Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden.“
Der heutige Predigttext ist ein Auszug aus der Abschiedsrede Jesu an seine Jünger, die wir im Johannesevangelium finden. Es sind Worte über Tränen, Klage, Trauer – und über Freude. Er spricht über das menschliche Leben – und über die Hoffnung.
Die Szene ist der bevorstehende Abschied Jesu. Jesus weiß, dass er bald sterben wird, und er möchte seine Jünger darauf vorbereiten. Er spricht zu ihnen, um ihnen gute Worte und Wegweisung mitzugeben.
Wir hören Jesu Worte heute im Jahr 2025 im Licht von Ostern und seiner Auferstehung – und damit im Licht der christlichen Hoffnung. Und wir hören sie in einer unruhigen Zeit, in der Kriege toben und Despoten sich stärken.
Was sagt Jesus nun in diesem kleinen Abschnitt seiner Abschiedsrede?
Auf der einen Seite sagt er etwas ganz Banales, aber Wahres: Kein Mensch bleibt im Leben von Trauer, Tränen und Klage verschont. Sie gehören zum Menschsein dazu.
Auf der anderen Seite betont Jesus zugleich, dass Trauer, Weinen und Klage nicht das Letzte sind. Sie werden abgelöst von der Freude. Die Freude ist das Kommende und das Bleibende.
Um seine Botschaft zu veranschaulichen, benutzt Jesus das Bild der Geburt: Die Erfahrung einer Mutter, die den Schmerz der Geburt durchlebt – und danach die Freude über ihr neugeborenes Kind. Wenn das Kind auf der Welt ist, überstrahlt die Freude den Schmerz. Jesus sagt dazu:
„Wenn eine Frau gebären soll, so hat sie Angst, denn ihre Stunde ist gekommen; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.“
Jesus nimmt den Schmerz des Menschen ernst, aber er weist zugleich auf das Freudige im menschlichen Miteinander hin – zwischen Mutter und Kind – und auf das Kommende, das Verheißene, das uns durch Gottes Barmherzigkeit geschenkt ist.
In seiner Abschiedsrede spricht Jesus von seinem eigenen Abschied, seiner bevorstehenden Hinrichtung. Doch seine Worte deuten gleichzeitig auf die Bedeutung der Gegenwart, der Gemeinschaft – im Hier und Jetzt – während er mit seinen Jüngern spricht und wir seine Worte hören.
Es ist offensichtlich, dass es Jesus nicht gleichgültig ist, dass es jemanden gibt, zu dem er sprechen kann. Er spricht ganz direkt in die allgemeine menschliche Erfahrung der Unvermeidbarkeit von Schmerz und Trauer – und mit allem, was er sagt und tut, verweist er auf die Gegenwart und das Kommen der Hoffnung.
Jesus trägt die Hoffnung vor sich her, wenn er sagt: „Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“
Das ist die große Stärke der christlichen Botschaft: dass sie mit Jesu Leben und Worten die menschliche Existenz wirklich ernst nimmt.
Hier ist Realitätssinn. Hier wird der menschlichen Not und dem Leiden nicht ausgewichen. Doch dieser Realismus ist immer auch von einem Gespür für die Öffnungen, Risse, ja die Wege durchdrungen, die Gottes Liebe und Gnade sichtbar machen.
In einer unruhigen Welt ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir das Sonntag für Sonntag hören.
Amen
Bischof Elof Westergaard
Korsbrødregade 7, DK-6760 Ribe
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