
Matthäus 16,13–19
Pfingstliche Perspektive | Pfingstmontag | 09.06.2025 | Mt 16,13–19 | Martina Janßen |
Pfingstliche Perspektive „There is a crack in everything that’s how the light gets in“ (Leonard Cohen)
Lesung Matthäus 16,13-19: 13 Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? 14 Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. 15 Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? 16 Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! 17 Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. 19 Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“
I. Erst ein paar Wochen ist es her, dass Kirche in den Medien auf der ganzen Welt so präsent wie schon lange nicht mehr war. Viele Menschen haben die Wahl des Papstes mitverfolgt. Sie wurde live in den Medien kommentiert und analysiert: Warum hat das Konklave gerade diesen Papst ausgewählt? Welche Kompetenzen weist er auf, welche dunklen Flecken gibt es vielleicht in seiner Vergangenheit? Welchen Namen gibt er sich? Man ist sich schnell einig. Leo XIV ist der moderate Reformer, der polyglotte Pragmatiker, der globale Vermittler und Versöhner, der die Kirche, besser noch: gleich die ganze Welt retten kann. Ich habe das gespannt mitverfolgt und mich ab und an gefragt: Vielleicht werden da zu viele Hoffnungen in dieses Amt gelegt, zu viele Erwartungen an diesen Menschen gestellt? Die Zukunft wird es zeigen. Die Geschichte der Päpste ist voller Überraschungen. Auch die von Petrus, der in der katholischen Kirche als erster Papst gilt. Was macht Petrus aus, was qualifiziert ihn? Warum hat Jesus gerade ihn als Fundament der Kirche erwählt?
II. Jesus baut seine Kirche auf Petrus. Nomen est Omen. Der Name ist Programm. Das ist bis heute bei Päpsten so. Leo XIV knüpft mit seinem Namen an Leo XIII an und stellt sich in dessen Tradition. 1891 hat sich Leo XIII in seiner Enzyklika „Rerum novarum“ („Über die neuen Dinge“) mit den Auswirkungen der industriellen Revolution auf Menschenwürde, Arbeit und Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Etwas Ähnliches will auch der neue Papst. Angesichts der digitalen Revolution und KI will er der christlichen Soziallehre Gehör verschaffen. Der Name eines Papstes ist fast schon ein Kurzprogramm. Das war auch bei Petrus so. Petrus kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Fels“. Paulus nennt ihn Kephas (Gal 2); das ist das aramäische Wort für „Fels“. Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen. Das passt. Ein Fels passt. Kirche braucht starke Menschen, tragende Fundamente, guten Grund. Also – Name gut, alles gut? Schön wäre das. Doch Petrus ist nicht nur Fels, nicht nur Funktion, nicht nur Fundament. Er ist Mensch, Simon bar Jona, Simon, Sohn des Jona, der Fischer. Und dieser Simon Petrus ist weit davon entfernt, 100% professionell und perfekt zu sein. Ganz im Gegenteil: Petrus ist nicht gerade eine feste Burg, nicht wirklich ein Fels in der Brandung. Eher sandiger Boden, schwankendes Schilf. Petrus hat sich nicht im Griff, schlägt einem Soldaten das Ohr ab, als dieser Jesus verhaften will. Im Sinne Jesu ist das nicht. Dass Petrus zu Gewalt greift, heißt Jesus nicht gut und tadelt Petrus deswegen (Joh 18,10-11). Aber mangelnde Impulskontrolle ist nicht das einzige Problem. 100% loyal und mutig ist Petrus auch nicht. Als alle Jünger bei der Verhaftung Jesu vor den Soldaten fliehen, flieht Petrus mit (Mt 26,56), verleugnet Jesus dreimal, ehe der Hahn zweimal kräht (Mk 14,66-71), obwohl er vorher vollmundig das Gegenteil behauptet hat (Mk 14,29-31). Furchtsam und kleinmütig ist er, vertraut nicht auf Jesu Wort (Mt 14,22-33), braucht eher festen Boden unter den Füßen und Sicherheit. Manchmal fehlt ihm auch der Durchblick. „Satan“ wird er von Jesus genannt, weil er nicht versteht, dass Jesus leiden muss (Mk 8,33). Auch mit seinem Selbstvertrauen ist es nicht immer weit her. Petrus bezeichnet sich selbst als sündigen Menschen, als Jesus ihn zum Menschenfischer beruft (Lk 5,1-11). Ein kurzer Blick in die Biographie von Petrus zeigt: Petrus ist weder Heiliger noch Held, er hat nicht immer eine reine Weste, da gibt es auch dunkle Flecken. Doch genau auf diesen Simon Petrus baut Jesus seine Kirche, ihm vertraut er die Menschen an: „Weide meine Lämmer“ (Joh 21,15-17). Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben. Auch andere Schwache werden von Jesus stark gemacht. Paulus, der große Weltapostel, ist auch nicht besser als Petrus. Schwach in der Rede ist er, sagen seine Gegner (2 Kor 10,10), mit einer geheimnisvollen Krankheit geschlagen (2 Kor 12,7), immer im Streit mit seinen Gemeinden und seine Gefühle hat er – ganz im Widerspruch zum antiken Männlichkeitsideal: echte Männer weinen nicht – auch nicht im Griff, wenn er bekennt: „Dies schrieb ich euch aus großer Bedrängnis und Angst des Herzens unter vielen Tränen.“ (2 Kor 2,4).
III. Gottes Bodenpersonal ist menschlich, allzu menschlich; es sind schwache, kranke und kleinmütige Menschen, die das Fundament der Kirche sind. Die, auf denen Gott seine Kirche baut, sind nicht immer mutig, stark und beherzt, die sind auch mal mutlos, schwach, denen rutscht schon mal das Herz in die Hose. Das ist tröstlich. Das fasziniert mich immer wieder bei allen Selbstoptimierungsdiktaten, von denen auch Kirche nicht frei ist. Wir sind ja alle menschlich, allzu menschlich. Doch diesen Gedanken darf man aber auch nicht ausnutzen oder falsch verstehen. Ein „Wir sind doch alle kleine Sünderlein“ ist keine Entschuldigung dafür, dass so mancher Hirte ein Wolf im Schafspelz ist. Sünde bleibt Sünde und ist von Schwäche zu unterscheiden. Gerade angesichts der Missbrauchsthematik kann das nicht oft und eindringlich genug betont werden, sonst wird die bittere Diagnose wahr, die der Dichter René Char formuliert hat: „Das Verhängnis des Gläubigen ist die Begegnung mit seiner Kirche. Uns zum Nachteil, denn von nun an wird er nie wieder vom Grunde her brüderlich sein.“ Dann wird Pfingsten zu Anti-Pfingsten, zum Wirken des unheiligen Geistes, der nicht von Gott kommt.
IV. Jesus nimmt schwache Menschen nicht nur an, sondern baut auf sie. Auf verwundbare, hilflose Helden mit gebrochenen Biographien. An Petrus und Paulus zeigt es sich. Das wird nichts kaschiert, manipuliert oder zensiert, da wird aber auch nicht kapituliert. Der Lyriker und Pfarrer Kurt Marti hat einmal einen wunderbaren Satz formuliert (Zärtlichkeit und Schmerz, 1981, 130): „Jesus lehrt, den Mitmenschen realistisch anzunehmen, so wie er ist, und ihn dennoch in der Perspektive seiner Möglichkeiten, d.h. in Hoffnung, zu sehen.“ So hat Jesus Petrus gesehen, so hat er ihm die Kirche anvertraut. Dass Jesus ihn für stark hält, macht Petrus selber stark; dass Jesus Petrus große Dinge zutraut, stärkt sein eigenes Selbstvertrauen. Und dann passiert es – Petrus mit den dunklen Flecken hat helle Momente. Es ist Petrus, der erkennt, wer Jesus ist, der jenen Geistes-Blitz hat, der ihn tiefer sehen lässt als die anderen Jünger. Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn.Es ist Petrus, der den Auferstandenen sieht (1 Kor 15,5); es ist Petrus, der zu Pfingsten mächtig predigt (Apg 2,14-36), der Menschen heilt und auferweckt (Apg 3,1-26; 9,32-43), der die Lämmer weidet und der Fels ist. Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Immer wieder wächst Petrus über sich und sein Scheitern hinaus. Nicht von sich aus tut er das. Jesu hoffnungsvoller Blick ist es, der in Simon bar Jona Petrus, den Fels der Kirche sieht, der alles in Petrus wirkt; der Geist ist es, der aus Petrus das Beste herausholt und den Schwachen stark macht: Denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Gottes Geist macht aus einer Möglichkeit eine neue Wirklichkeit. Aus Hilflosen werden Hoffende, aus Zögernden Zupackende, aus Trauernden Träumende.
Diese Perspektive wünsche ich mir für unsere Kirche: Im Geist einander ansehen und annehmen, „realistisch aber dennoch in der Perspektive der Möglichkeiten, d.h. in Hoffnung“. Das ist eine pfingstliche Perspektive. Nicht immer wird das voll und ganz gelingen, nicht immer ist da ein Brausen, „plötzlich vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm“ (Apg 2,2), manchmal weht vielleicht nur ein laues Lüftchen; nicht immer ist alles hell und licht und unsere Rede ist nicht immer vollmundig und voller Kraft wie „Zungen, zerteilt und wie von Feuer“ (Apg 2,3). Doch manchmal blitzt er auf, jener „helle Streifen aus Licht“. Manchmal passiert es: Ein Geistes-Blitz schlägt ein mitten in unser Scheitern, in unsere Brüche, in unsere Fragen und öffnet uns für das, was möglich ist – „there is a crack in everything that’s how the light gets in“ (Leonard Cohen).
Der helle Streifen aus Licht
manchmal gleitet er durch die Gedanken.
Verwandelt die Schwere
die eben noch auf den
Bewegungen lag und den Blick
so niederdrückte.
Dann warte nicht, zeig
das Versprechen, geh
mit offenem Gesicht:
einer, der lächelt in der Wüste,
einer, der sich bewegt, als folgte er
einer vorausfliegenden Freude.
Der helle Streifen aus Licht
reicht vom Kopf übers Herz in die Hand und
will weiter von Mund zu Mund
von Herz zu Herz, von Hand zu Hand.
will Lust zärtlich weitergeben und
zärtlich dem Schmerz begegnen.
Du, Menschenkind, weißt nicht,
Wie es kam.
(Heinz Kattner „Heiliger Geist“, Loccumer Brevier, 2001, 128)
Amen
PD Dr. Martina Janßen
Hildesheim
Martina Janßen, geb. 1971, Privatdozentin für Neues Testament (Universität Göttingen), Pastorin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers