Lukas 14,16-24

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2. Sonntag nach Trinitatis | 29.06.25 | Lukas 14,16-24 (dänische Perikopenordnung) | Von Poul Joachim Stender |

Wenn wir am Fest im Reich Gottes teilnehmen wollen, dann müssen wir die Einladung annehmen.

Grauer Star, Grüner Star. Es gibt unter uns viele verschiedene Sichtprobleme. Grundtvig schreibt in seinem dänischen Adventslied „Blühen wie ein Rosenhag“[1] vom „schwarzen Star“ (V. 4), von dem wir befreit werden sollen, und er bezieht sich hier mit dem schwarzen Star auf die Blindheit, die die mächtigen Kräfte Gottes heilen sollen. Abgesehen von den verschiedenen dezidierten Augenkrankheiten sind ein Drittel der Dänen entweder kurzsichtig oder weitsichtig. Es gibt auch eine Augenkrankheit, die Tunnelsicht heißt. Man sieht die Welt als sähe man sie durch einen Tunnel. Die periphere Sicht ist verschwunden. Man kann nicht sehen, was an den Seiten ist. Das dürfte sehr unangenehm sein. Zurzeit ist es als habe eine Art mentale Tunnelsicht die Dänen befallen. Das können wir z.B. an der Debatte über das Klima sehen. Aus irgendeinem Grund ist man so sehr auf das Klima konzentriert und auf die Frage, was man tun kann, um das Leben der Erde zu verlängern, dass man dann nichts anderes mehr im Blick hat. Es ist fast so als sehnte man sich nach einem Leben, wo uns gesagt wird: „Das muss ich tun, um ein guter Mensch zu sein. Das darf ich nicht tun, um ein guter Mensch zu sein“. Die periphere Sicht ist verschwunden. Man beurteilt nicht mehr, ob das, was für das Klima unternommen werden muss, nützlich ist oder nicht, ob es wissenschaftlich bewiesen ist oder nicht, ob es unserer Wohlfahrtsgesellschaft schadet oder ob es das nicht tut. Man hat nur eines im Kopf. Weg mit den roten Steaks, keine Flugreisen, keine Umweltverschmutzung, kein Missbrauch der Ressourcen in der Welt. Manchmal drängt sich der Gedanke auf, dass die kommenden Terrorhandlungen nicht nur von radikalisierten Moslems ausgehen sondern auch von radikalisierten Veganern, die schon Botschaften vertreten haben wie die, dass Fleischverzehr genauso schlimm ist wie Pädophilie.

Im heutige Gleichnis Jesu von dem Mann, der zu einer Festmahlzeit einlädt, begegnen uns viele Personen, die an einer heftigen mentalen Tunnelsicht leiden. Da ist ein Mann, der die Einladung zum Fest ausschlägt, weil er gerade einen Acker gekauft hat. Er kann nichts anderes sehen als den blöden Acker, den er gerade gekauft hat. Er erinnert an richtig viele Menschen, die viel besitzen. Sie sehen, was sie haben. Aber sie sehen nicht mehr. Erst wenn sie sterben müssen, begreifen sie, dass all das, was sie zusammengerafft haben, keine Bedeutung hatte.

Da sind auch einige andere Personen in dem Gleichnis, die sich durch ihre Tunnelsicht bemerkbar machen. Einer hat sich fünf Ochsen angeschafft und schlägt die Einladung zum Fest aus, weil er sich um seine Ochsen kümmern muss.  Er ist das Bild für alle die, die stark an ihrer Arbeit interessiert waren und nicht anderes als dies im Sinn hatten. Die australische Krankenschwester Bronnie Ware, die viele sterbende Menschen interviewt hat, erzählt, dass die meisten vor ihrem Tod bereuten, zu viel gearbeitet zu haben. Aber natürlich sollen wir alle hart arbeiten, wenn Dänemark weiter ein gutes Land sein soll. Wir sollen dabei nur auf den Tunnel-Effekt achten. Es gibt im Leben anderes als die Arbeit.

Eine besonders interessante Person mit Tunnelsicht ist der, der geheiratet hat und nur seine Geliebte im Blick hat. Er ist ein seltenes Phänomen. In der Wirklichkeit sind wir nicht besonders fixiert auf unseren Ehepartner oder Geliebten. Es sei denn, es geht um deren Fehler.  Ich mag diese biblische Person durchaus, der seine Ehefrau so sehr liebt. Aber dafür haben wir dann Tunnelsicht, wenn es um unsere Kinder geht. Das erleben die dänischen Volksschulen, Kindergärten, Freischulen und weiterführende Schulen. Eltern kommen dauernd und verlangen, dass man sich besonders um ihre Lieblingskinder kümmern soll. Nur selten geht es um das Gemeinsame – was allen dient.

Einige Religionen haben auch eine starke Tunnelsicht. Wenn man in seinem Glauben nur an seinen eigenen Gott denkt und vergisst, dass es andere gibt, hat man seine periphere Sicht verloren und wird für eine Umgebung mehr oder weniger zu einer Gefahr. Es gibt auch christliche Gruppierungen, die unter Tunnelsicht leiden. Jesus ist alles. Und er ist auch alles. Aber man muss beachten, wie das christliche Kreuz aussieht. Da ist ein Strich, der von Gott herabgeht zu uns, damit wir unseren Blick auf ihn richten, auf das Himmlische, auf die Ewigkeit. Aber da ist auch ein Querstrich am Kreuz. Und das ist die periphere Sicht. Es ist wichtig, dass wir die Menschen sehen, mit denen wir zusammenleben, und die Welt, zu der wir gehören. Tun wir das nicht, dann werden wir fanatische, intolerante, unerträgliche Christen mit starker Tunnelsicht.

An und für sich kann man die Leute gut verstehen, die in dem Gleichnis die Einladung zu einem Fest ablehnen. Feste können oft sehr anstrengend sein und sind es auch. Man muss sich gut anziehen, das ist nicht bequem. Man hat dann vielleicht eine langweilige Tischdame für sieben Stunden, man muss freundlich sein, lächelnd und gesprächig. Und man kommt allzu spät ins Bett. Es ist angenehmer, zuhause zu bleiben vor dem Fernseher in Jogging-Kleidung mit einer Portion aufgetauter Fleischklöße mit Curry vor sich. Heute gibt es Leute, die Einladungen zu Festen wegen ihrer Tunnelsicht ablehnen. Zum Beispiel die, die so sehr an Motion und rechter Kost interessiert sind, dass sie es nicht wagen, eine Einladung zu einem Fest anzunehmen, weil es vielleicht zu fettes Essen gibt, weil man genötigt ist, Alkohol zu trinken und sonst viel früher ins Bett geht. Ich denke, die Zukunft wird zeigen, ob da viele Menschen sind mit Klima-Tunnelsicht, die eine Einladung zu einem Fest ablehnen, weil sie nicht riskieren wollen, rote Steaks zu essen und in einem Raum zu sitzen, der von umweltschädlichen Gasen geheizt wird, und vielleicht einen Tischherren haben, der mindestens fünf Mal im Jahr in der Welt herumfliegt.

Die Pointe im Gleichnis Jesu ist nicht, dass das Leben ein großes Fest ist. Wir wissen sehr wohl, dass das nicht stimmt. Das Leben ist hart – und manchmal auch schön. Aber dennoch sollen wir an dem Leben teilnehmen, zu dem Jesus uns einlädt, zusammen sein mit den Menschen, zu denen wir im Guten wie im Bösen gehören, und so unsere periphere Sicht erweitern, so dass wir nicht schließlich der Tunnelsicht verfallen, in der wir auf uns selbst sehen, auf unseren Besitz und unsere Arbeit. Und zugleich besteht eine Pointe in dem Gleichnis Jesu auch darin, dass uns nach unserem Tod ein Leben im Reich Gottes erwartet, das zu dem Fest wird, nach dem wir uns im ganzen Leben gesehnt haben. Aber scheinbar erfordert das ein Ding, damit wir teilhaben können an diesem jenseitigen Fest. Wir müssen ja sagen zur Einladung von Jesus Christus. Und wenn ich als Pastor nun anfange zu behaupten, dass wir alle ins Reich Gottes kommen, egal was wir tun, was wir sagen und wie sehr wir dagegen sind, ja dann leide ich an der üblichen volkskirchlichen Tunnelsicht, wo Christus zu einem übertoleranten Gott wird, der nichts von uns verlangt. Irgendetwas sagt mir, vielleicht ist es meine periphere christliche Sicht: Wenn wir am Fest im Reich Gottes teilnehmen wollen, dann müssen wir die Einladung annehmen.

Gott befohlen. Amen.

Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
pjs(at)km.dk

[1] Dänisch ”Blomstre som en rosengård”, Dänisches Gesangbuch Nr. 78, deutsche Überersetzung im Deutsch-dänischen Kirchengesangbuch Nr. 78.