
Jesaja 55,1-5
Satt, wie es satter nicht mehr geht | 2. So. nach Trinitatis | 29.6.2025 | Predigt Jesaja 55,1-5| verfasst von Udo Schmitt|
(1. Es geht um Aufmerksamkeit)
Das Öffnen einer Bierflasche, das lustvolle Stöhnen einer Frau, der Jubel einer Menschenmenge nach einem Tor für die Heimmannschaft. Diese drei Geräusche am Anfang eines Radiowerbespots und sofort hören über 90% der Männer zu. Es geht um Aufmerksamkeit. Hamburger Marktschreier wie Wurst-Achim und Aal-Axel rufen, schreien, ohne Punkt und Komma und bringen es dabei locker auf 100 Dezibel. Sind also in etwa so laut wie ein vorbeifahrender LKW oder eine Motorsäge. Es geht um Aufmerksamkeit. Keiner soll sie überhören und vorübergehen. Das aber ist noch gar nichts im Vergleich zu einem orientalischen Basar wie etwa dem „Khan el-Kalili“ in Kairo. Da schreien sie nicht nur von allen Seiten, um in den engen Gassen ihre Ware anzupreisen, sie laufen einem nach, zupfen einem am Ärmel, wollen einem mit breitem Lächeln und vielen einladenden Gesten an ihren Stand lotsen: „Komm mein Freund, komm, hier kriegst du, was du brauchst. Stell dich nicht so an, Mann. Komm schon. Alles, was du willst. Und billig, ganz billig!“ Nicht jedermanns Sache, so viele wohlmeinende Zudringlichkeit. Aber es geht. Um Aufmerksamkeit. Hättet ihr gedacht, dass Gott auch so sein kann? Nein? Dann hört mal zu: TEXT (Jesaja 55,1-5)
(2. Die Seele in der Kehle)
Wer hätte das gedacht. Gott redet also wie ein Marktschreier auf einem orientalischen Basar: „Kommt her zu mir, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!“ so ruft er. Aus vollem Hals. Und genau um den geht es hier. Dazu muss man wissen, was „Hals“ im Hebräischen bedeutet. Im Deutschen kennen wir eine Menge Redewendungen: Jemandem um den Hals fallen. Den Hals nicht voll kriegen. Es schnürt mir die Kehle zu, ich habe einen Kloß im Hals, das Herz schlägt mir bis zum Hals vor Aufregung. Wer seinen Hals nicht retten kann, den kann es seinen Hals kosten (stammt übrigens aus 1. Chronik 12,19). Und wer zu viel von einem verlangt, ist ein Halsabschneider. Das alles kann man im Hebräischen auch so sagen. Aber die Hebräer gehen noch einen Schritt weiter: Meine „näfäsch“, sagen sie, also meine „Kehle“ ist betrübt bis an den Tod. Und wir übersetzen: Meine „Seele“ ist betrübt bis an den Tod. Und die Übersetzung ist richtig. Denn tatsächlich ist im Hebräischen nicht das Herz der Sitz der Seele, dort sitzt eher der Wille. Nein, bei ihnen sitzt die Seele in der Kehle. Meine „näfäsch“ ist also meine Kehle und meine Seele, kurz gesagt: ich bin es selbst. Meine Kehle: C’est moi. Meiner einer. Ich.
(3. Seelen-Durst-Löscher)
Wenn nun Gott auftritt wie ein Marktschreier, der Wasser anpreist. Dann will er Durst löschen. Das klingt in einem Land, das heiß und trocken ist und reich an Wüsten, schon einmal sehr positiv. Wasser bedeutet Leben. Und wenn wir in der Mitte Europas uns ärgern über den verregneten Frühling und die überflutenden Flüsse beklagen, wissen wir vielleicht auch nicht, was wir da reden und was für ein Segen das ist. Immer genug Wasser zu haben. Regen ist Segen. Wenn es nun Gott ist, der wie ein Marktschreier auftritt und Wasser anpreist. Dann will er nicht nur Durst löschen. Es geht nicht nur um Segen. Es geht auch um unsere Seelen. Er will unsere Sehnsucht stillen. Nach Leben. Gott ist der Seelen-Durst-Löscher: „Höret, so werdet ihr Leben!“
(4. Schaum für Brot)
Was lauft ihr Dingen nach, die nichts bringen? Was taucht ihr nach schätzen, die nichts taugen? Was tragt ihr euer sauer verdientes Geld hin und kauft dafür Brot, das nicht satt macht? Viele verkaufen euch Schaum für Brot. Wenn man Menschen heute fragt, dann geben sie sich gerne „aufgeklärt“ und „unabhängig“. Religion und „Kirche“? Sich dazu zu bekennen, ist nicht angesagt. Andererseits hat der Aberglaube Konjunktur. Es werden die absurdesten Dinge getan: Erdstrahlen abgewehrt, Feinstoffe vermessen, Wasserlinien ausgependelt, Energiequellen geöffnet und Schränke von rechts nach links verschoben, damit der „Drache“ unter dem Haus „wieder fliegen kann“. Rituale werden angeboten schamanisch oder keltisch oder fernöstlich und natürlich alle „uralt“. Ganz ehrlich? Ich halte das alles für Quatsch. Schaum statt Brot. Hier wird nur Geld gemacht mit der Dummheit der Menschen. Und ihrer Leichtgläubigkeit. Und ihrem Bedürfnis nach Spiritualität und Religion. Sie ahnen ja irgendwie doch, dass es da etwas gibt. Tief drinnen sehnen sie sich nach dem lebendigen Gott und seinem heiligen Geist. Aber in der Kirche danach suchen… das wäre ja irgendwie auch zu einfach, oder? „Höret, so werdet ihr Leben!“
(5. Jesus – Brot und Wasser des Lebens)
Ich will mit euch einen Bund schließen, sagt Gott. „Und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes“. Nun wer sind diese Heiden? Wir sind es! Wir waren Heiden, die nichts von dem lebendigen Gott wussten. Wir saßen im Finstern. In Jesus Christus ist uns ein Licht aufgegangen. In Jesus Christus, unserm Herrn und Bruder, sind auch wir zu Kindern und Geliebten Gottes geworden. Sind Miterben seines Bundes, seines Segens. Wenn wir auf Jesus Christus hören, dann sollen auch wir leben – hört ihr? –, leben und nicht sterben. Jesus ist es, der von sich sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten… Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Ich bin das Brot des Lebens“ (Johannes 6,35 + 47f). Und weiter sagt er: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matthäus 11,28). Und schließlich: „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Johannes 7,37f).
(5. Satt, wie es satter nicht mehr geht)
Diese Worte Jesu kennen wir nun schon sehr, sehr gut. Zu gut, um vielleicht die darin liegende Widersprüchlichkeit zu hören. Ein Mensch geht hin und sagt: Ich bin Brot. Ich bin Wasser. Ist das nicht Quatsch? Müsste es nicht heißen: Ich bin wie Brot, wie Wasser? (She’s like the wind…) Nein. Nicht „wie“ sondern „das“. Ich bin DAS Brot des Lebens, nämlich das, von dem Gott hier schon bei Jesaja sagt: Ich werde es für umsonst an die Völker der Welt, an die Heiden verschenken. Kommt her, kommt her alle, von überall her. Kauft, kauft ohne Geld, ihr kriegt es umsonst und geschenkt! Brot zum Leben, Wasser und Milch und Wein, damit ihr satt werdet. Kommt her, sättigt eure Kehlen, eure Seelen, euer Selbst! Mit Leben. Sättigt euch und werdet satt an Leben! Werdet satt, wie es satter nicht mehr geht. So satt, dass es euch zu jeder Pore wieder rauskommt, das Leben. Ströme lebendigen Wassers werden von euch fließen. Ihr werdet so viel Leben in euch haben, so viel Hoffnung, so viel Liebe, so viel Segen, dass es euch an allen Ecken und Enden wieder herauskommt.
Ist das nicht ein gutes Angebot? Wer will es ausschlagen? Wer will noch etwas Anderes suchen? Dahinein investiert euer Geld, eure Zeit, eure Aufmerksamkeit. Lauft nicht den Schaumschlägern und Spökenkiekern hinterher. Hört nicht auf die Angstmacher und Aufmerksamkeitsheischer! Lasst sie euch ruhig hinterherschreien bis sie heiser sind. Gott hat den längeren Atem. Den längsten von allen. Denn sein ist das Reich und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Liedvorschläge:
EG 168 Du hast uns, Herr, gerufen
EG 363 Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn
EG 610 Jesus hat seine Herrschaft bestellt
EG 659 Ins Wasser fällt ein Stein
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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.
Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)
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