
1. Timotheus 1, 12-17
Eine geniale Idee bzw. Befreit – Berufen – Loben | 3. So. n. Trinitatis | 06.07.2025 | 1. Tim. 1, 12-17 | verfasst von Berthold W. Haerter
Liebe Gemeinde
Morgen werden wir zu unseren Gemeindewanderferien in die Berge reisen. Unsere Reise- und Wanderleiterin bekam von der Bahn Bescheid, dass der von uns gewählte Zug überfüllt sei. Wir sollten doch eine Stunde später fahren. Kein Problem. Mit dem E-Mail hat sie uns letzte Woche alle benachrichtigt. Dieses E-Mail – eine geniale Erfindung unserer Zeit und eine geniale Idee, dieses zu nutzen.
Der 1. Timotheusbrief, aus dem wir soeben hörten, benutzt auch eine geniale Idee der damaligen Zeit, dem 1. Jahrhundert n.Chr.: Das Briefe schreiben. Wahrscheinlich wurde dieser Brief aus der Stadt Ephesus gesendet. Dort hat einmal der bekannte Missionar Paulus gewirkt. Wohlgemerkt, er hatte dort gewirkt. Zwischen 80 und 100. n. Chr., als der Timotheusbrief entstand, war Paulus schon verstorben.
Die Verfasser und Verfasserinnen des Briefs an Timotheus, benutzten Paulus als Absender. Das bewirkt, dass man ihren Brief ernst nahm, las und weiterreichte. «Oh, ein Brief von Paulus», dachten die Empfangenden, «den müssen wir unbedingt allen vorlesen.» Eine geniale Idee war das, und dazu Timotheus als Adressaten. Timotheus war ja ein bekannter Mitarbeiter des Paulus. So bekam der Brief Gewicht. Auch der 1. Timotheusbrief half, dass viele kleine christliche Gemeinden zu einer Kirche zusammenwuchsen. Einer Kirche, die sich auf Jesus Christus als Zentrum des Glaubens beruft, so, wie wir es auch als Reformierte Kirche tun.
Die Verfasser*innen sorgten sich damals um das, was auch uns immer wieder beschäftigt. Es beschäftigt jede und jeden Einzelnen. Es beschäftigt die Kirche. Wie glaubt man? Wie glaubt man richtig? Was ist der Inhalt unseres Glaubens? Was kann man tolerieren, akzeptieren, diskutieren und wo muss man klar Nein sagen, z.B. wenn eine Kirche bewusst einen Angriffskrieg unterstützt?
Töten, um mehr Macht zu haben im Gegenüber zum Gebot der Nächstenliebe – da hat Jesus eine klare Position, die er im Auftrag von Gott vertritt.
Die Verfasser damals wollten die Bedeutung Jesu hervorheben und am Beispiel des Paulus deutlich machen, wie zentral Jesus ist. Sie schreiben unter dem Namen von Paulus:
«Ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mir die nötige Kraft gegeben hat. Denn er hat mir sein Vertrauen geschenkt und mich in seinen Dienst genommen. Dabei habe ich ihn früher verhöhnt und verfolgt und mich voll Überheblichkeit gegen ihn gestellt.»
Die Lesenden und Hörenden des Briefes, dachten sofort: Typisch Paulus. Er beginnt mit einem Dank. Und er nimmt Bezug auf seine eigene Glaubensgeschichte. Wir kennen das Sprichwort: «Die oder der ist vom Saulus zum Paulus geworden». Paulus, ehemals Saulus, so erzählt die Bibel, hat die ersten Christen verfolgt. Auf dem Weg nach Damaskus, hat er dann ein Erlebnis mit Jesus.
Paulus wird zu einem begeisterten Christen, der anderen von seinem Glauben erzählt. Er wirkt so authentisch, dass andere sich auch für Jesus öffnen. Paulus bewirkt Wunder und gründet Gemeinden.
Die Verfasser*innen des Timotheusbriefes wollen, dass sich die Lesenden daran erinnern, ja, sich begeistern lassen. Alle jungen Christinnen und Christen hatten ja damals den gleichen Weg gemacht.
Sie waren keine Christ*innen durch Geburt oder Kindstaufe, sondern wurden später bewusst erst zu diesen.
Und jetzt kommen wir ins Spiel. Haben wir so eine nichtchristliche Vergangenheit wie Paulus? Wohl die Wenigsten. Aber wir haben unterschiedliche Zeiten des Glaubens erlebt. Zeiten, in denen wir wenig bis gar nichts mit ihm anfangen konnten, und Zeiten, wo uns der Glaube immer wichtiger wurde.
Da haben wir biblische Geschichten als Kind gehört, waren von Simson oder König David begeistert oder von Maria und dem reisenden Paulus. Dann hat unser Glaube sich verändert. Wir stellten Fragen, wurden unsicher, zweifelten. Und nun, im Erwachsenenalter, stellen wir hoffentlich immer noch Fragen, aber wir merken auch wie Glaube uns tragen kann. Mir geht es zum Beispiel so: Seitdem wir die Erwachsenenbildungsreihe zu Jesus gemacht haben, gewinnt er als gelebter Glaube aber auch als Befreier und Freiheit Schenkender für mich immer mehr Bedeutung.
Und genau das wollen die Verfasser des 1. Timotheusbriefs erreichen. Die Christ*innen in den vielen, oft sehr kleinen Gemeinden, oft am Rande von grossen Städten sich versammelnd, in einem Privathaus, wie es unser Bild andeutet, diese neuen Christ*innen sollen sich der Bedeutung von Jesus Christus bewusstwerden. Sie schreiben im Namen von Paulus:
«Aber er hat mir [Paulus] sein Erbarmen geschenkt. Denn ungläubig, wie ich war, wusste ich nicht, was ich tat. Ja, unser Herr schenkte uns Gnade über alle Maßen. Mit ihr schenkte er uns den Glauben und die Liebe, die aus der Verbundenheit mit Christus Jesus erwachsen.»
Auf einmal erzählt der Brief nicht nur vom Weg des Paulus, sondern nimmt uns mit hinein. Wir sollen unser Leben selbst anschauen und überlegen, was heisst der Glauben für mich: Jesus schenkte uns die Gnade, Gott als Lebenshilfe entdeckt zu haben. Denn wir entdecken seine Liebe zu uns im Alltag immer wieder neu, und wir entwickeln einen neuen dankbaren Blick auf das Alltagsgeschehen.
Ein kleines Beispiel: Unsere inzwischen erwachsene Tochter sucht eine Wohnung in Luzern, ihrem neuen Arbeitsort. Immer wieder ruft sie uns an. Sie erzählt, wie sie schöne kleine Wohnungen angeschaut hat, aber immer nur Absagen bekomme. Sie ist enttäuscht. Ich meine ungefähr: «Aus eigener Erfahrung weiss ich, es kommt eine Lösung und Gott wird sie Dir ermöglichen. Gib nicht auf, bleib dran.» Drei Tage später ruft sie an und meint: «Du, ich habe die Wohnung bekommen, die ich wollte. Ich hatte erst eine Absage bekommen. Jetzt kam die Zusage.»
Man kann das als Zufall bezeichnen. Man kann aber auch das sehen, was im 1. Timotheusbrief so heisst: «Ja, unser Herr schenkte uns Gnade über alle Maßen.»
Gott schenkt uns Zuwendung, nicht verdientes Glück, eine echte, uns stark machende Freude. Gott ermöglicht uns Dinge, die zumindest wir als Glaubende nicht als selbstverständlich wahrnehmen.
Der Brief betont aber Jesu Bedeutung noch klarer, eindeutiger. Wieder lassen sie Paulus sprechen:
«Christus Jesus ist in diese Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Und ich selbst bin der erste unter ihnen. Aber gerade deshalb hat er mir sein Erbarmen geschenkt. Denn Christus Jesus wollte an mir als Erstem beispielhaft seine ganze Geduld zeigen. Sie gilt allen, die künftig zum Glauben an ihn kommen und dadurch das ewige Leben empfangen.»
Jesus wird hier klar beschrieben. Kirchen, die den Angriffskrieg gegen ein Nachbarland unterstützen, oder Gemeinschaften, die Präsident*innen unterstützten, die autoritär bis diktatorisch gegen das eigene Volk und andere vorgehen, die selbstverliebt und selbstherrlich sind und die Menschen als nationale Retter feiern, diese christlichen Gruppen leben nicht wie Jesus es will, nicht in Nächstenliebe, nicht in Offenheit gegenüber allen. Sie sündigen.
Der Bibeltext heute sagt: Aber Jesus kam als Retter. Er will retten, auch aus Egozentrik und Egoismus, bis heute. Jesus rettet bis heute, wie er Paulus rettet, aus erbarmen als Menschenfreund, als andere Liebender, als anderen Verständnis Entgegenbringender.
Jesus rettet auch uns immer wieder, wenn wir genau den Weg des Paulus nicht nur einmal, sondern immer wieder neu beschreiten, indem wir Jesus Christus Raum in unserem Denken und Handeln geben. Wir sollten uns im Denken und Handeln immer wieder fragen: Was würde Jesus dazu sagen?
Letzthin bin ich bei einem Telefonat richtig wütend geworden. Ich fand die Art und Weise des Vorgehens so unmöglich. Dazu kamen noch Vorwürfe. Ich wollte jegliche weitere Zusammenarbeit, es ging um unsere drei Gemeinden als Nachbarn, absagen. Dann fiel mir zum Glück rechtzeitig ein, warum wir telefonierten. Es ging um uns als Christinnen und Christengemeinschaft. Es ging darum, Menschen zu ermöglichen, Glauben zu leben und zu erfahren, es ging um die Taufen am Pfingstsamstag am See.
Geduld, heisst es in unserem Brief, hat Jesus. Er zeigt sie an uns. Also wurde auch ich barmherziger und geduldiger. Irgendwie hat Jesus, Gottes Geist, mich da in meiner Wut rechtzeitig gebremst.
Liebe Gemeinde,
Es ist genial, wenn der Glaube uns erreicht. Es ist grossartig, wenn wir durch den Glauben zum Guten verändert werden. Glaube wird so zur Befreiung und Glaube versichert uns durch Jesus Christus: Es gibt eine Auferstehung bei Gott.
Ich bemerke:
Glauben an Gott, Jesus, seinen Geist, erreicht und verändert mich immer wieder neu, und Sie hoffentlich auch. Und offensichtlich braucht Gott uns, dass wir, jede und jeder auf seine Weise diesen Glauben leben und weitergeben. Wir werden gebraucht, ob nun 0 (Taufe), 14, 20, 65, 70, 80, 90 Jahre oder noch älter.
Wenn man das versteht und verinnerlicht, so meint der 1. Timotheusbrief, dann kann man nur noch eines: Gott loben. So schreiben die Autor*innen:
„Dem ewigen König, dem unvergänglichen, unsichtbaren und einzigen Gott gebührt die Ehre. Er regiert in Herrlichkeit für immer und ewig. Amen!“
Dieses «Gott loben», macht für uns stellvertretend nun der ökumenische Kirchenchor, wenn er auf Suhaeli singt: Utukufu ni wa Mungu. «Ehre sei Gott in der Höhe. Hosianna im Himmel. Wir werden im Himmel singen». AMEN
Berthold W. Haerter
Pfarrer der Ev.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich seit 1993
Oberrieden
Berthold.haerter@bluewin.ch