
Markus 5,20-26; Römer 6,3-11
6. Sonntag nach Trinitatis | 27.07.25 | Markus 5,20-26; Römer 6,3-11 (dänische Perikopenordnung) | Von Tine Illum
Erneut befreit zu uns selbst
Es gibt einen guten Zorn – und es gibt böse Versöhnung. Ich finde, das sollten wir laut sagen.
Denn worum geht es hier? Um Nettigkeit? Oder um Therapie? Nach dem Motto: „Vergib nun lieber ihm oder ihr, das wäre für dich am besten“. … „Versuche nun, den zu verstehen, der sich an dir vergangen hat – sie, die dich gemobbt hat …“. Ist Zorn immer etwas Böses? Soll die Gerechtigkeit unter den Teppich gekehrt werden um des lieben Friedens willen?
Würden wir einer Frau, die verprügelt und voller Angst ins Krisenzentrum kommt mit ihren verschreckten Kindern, dass sie ihrem Mann nicht böse sein soll, sondern sich mit ihm versöhnen soll? Die Wahrheit ist ja leider, dass man das viel zu oft gesagt hat. Und das hat Menschen für ihr ganzes Leben zerstört. Oder sollten wir zu Bruce Springsteen und Taylor Swift sagen, dass sie sich an das Singen halten und nicht in Politik einmischen und ihre Stimme nicht den Unterdrückten widmen und die Tyrannen kritisieren sollen?
Oder sollen wir all denen, die an den kleinen weißen Leichensäcken mit Kindern sitzen, die erschossen wurden, als sie Essen holen wollten: „Ihr dürft nicht wütend sein. Es ist auch nicht leicht, Soldat für die Besatzungsmacht zu sein?“ Haben wir nicht genug Beispiele dafür erlebt, dass Menschen wegsehen, während Tyrannen ihr tödliches Spiel treiben?
Nichts tun ist auch handeln.
Wir hören in Wirklichkeit oft, dass Jesus zornig wird. Und auch wenn die Episoden ganz unterschiedlich sind, so haben sie das gemeinsam, dass es immer darum geht, dass lieblos gehandelt wird. Der Zorn richtet sich gegen die, die ihre wirtschaftliche und religiöse Macht ausnutzen. Oder gegen die, die nur das Ihre im Sinn haben. Tische werden umgeworfen und Leute werden „Heuchler“ genannt …
Und immer, wenn wir die Taufe feiern, hören wir, dass Jesus zornig wurde, weil die Jünger die Kinder weghalten wollten.
Das tun, was Jesus will, kann Zorn bedeuten – weil Gewalt und Unterdrückung und üble Nachrede die Macht gewonnen haben. Ihr redet so viel über Gerechtigkeit, sagt Jesus immer wieder. Aber die Gerechtigkeit Gottes übertrifft Regeln und Systeme. Es geht um das Leben der Liebe.
Es geht darum, gut zu sein ohne Grund. Jedenfalls ohne einen anderen Grund als den, dass ihr selbst von der Gerechtigkeit lebt, die Liebe ist und Güte.
Das hörten wir auch – etwas verwickelt – in einem der Briefe des Paulus. Hier sagt er, dass die Vergebung Gottes verschmolzen ist mit dem Tod und der Auferstehung und dem Leben Christi. Die Gerechtigkeit Gottes ist Vergebung. Da ist eine Verwandlung geschehen, und so sollen wir von uns selbst und einander denken, „lebend für Gott in Christus“. Das Leben sollen wir leben.
Zugleich wissen wir auch – und haben immer gewusst – dass Güte es schwer hat. Wenn die Güte dann nicht da ist, dann muss man sich an das Zweibeste halten: Gesetz und Gerechtigkeit. Das wusste man auch, als man vor fast 800 Jahren das alte Jütländische Gesetz schrieb:
„Gäbe es kein Gesetz im Lande, dann hätte der am meisten, der sich am meisten aneignen könnte. Deshalb muss das Gesetz allen gerecht werden, dass die Rechtsinnigen und Friedlichen und Unschuldigen ihren Frieden haben können und die Ungerechten und Bösen sich fürchten vor dem, was im Gesetz geschrieben ist, und deshalb nicht das Böse tun, was sie im Sinn haben“.
Es ist gut, dass man im Lande ein Gesetz hat, das dafür sorgt, dass der Stärkste nicht tun kann, was er will. Dass man nicht – nur weil man ein großes Heer hat oder sich auf einen Mythos beruft, der einem Privilegien zuerkennt – über dem Gesetz erhaben ist. Dass man nicht, bloß weil der Stärkste ist, am meisten verdient oder versteht – seinen Willen auf Kosten anderer bekommt. Gut, dass es einen Zorn gibt, der jemanden eingreifen lässt, wenn die Schwachen unterdrückt werden.
Es ist keine christliche Tugend, dem Unrecht und der Misshandlung den Rücken zuzukehren – ob es nun um einzelne Personen oder Nationen geht. Und das Gebot, nicht zornig zu werden, sich nicht dafür verwenden, Tyrannen an der Macht zu halten – weder in der Schulklasse noch in unseren Familien, im politischen Spiel – oder wo wir nun sehen und spüren, dass Unterdrückung und Gewalt am Werk sind. Christliche Ethik kann niemals bedeuten, dass man wegsieht, wenn andere unterdrückt werden – weil ich nicht zornig sein will, mich nicht einmischen will und der Meinung bin, die Leute sollen sich doch vertragen.
Kann man aber dann überhaupt etwas mit dem anfangen, was Jesus heute sagt?
Lasst uns wieder auf das Stück aus einem Brief eingehen, den wir am Beginn des Gottesdienstes gehört haben. „Du bist ja getauft“, sagt Paulus – „du lebst vor Gott in Christus“. Du bist eins mit ihm. Diese Einheit ist das, was Gott seine Gerechtigkeit nennt, Und die ist eigentlich völlig ungerecht, wenn das nach unseren normalen Gedanken über Gerechtigkeit beurteilt. Aber nun sagt Gott also, dass es so ist: Ich liebe dich- und ich tue das, was meinem Wesen entspricht – das bedeutet, dass du in das Leben hinein geliebt wirst, das Christus lebt. In seinen Tod und seine Auferstehung. Und das hat kein Ende. Die Liebe überwindet alles.
Das muss ich wissen.
Denn i.ch habe viel schlimmere Dinge gesagt als „Tor“ oder „Idiot“.
Und was ich gedacht habe, ja das ist noch schlimmer gewesen.
Und ich war furchtbar wütend auf diesen und jenen.
Ich verstehe so gut die, die in einem Gebet sagte:
„Der Zorn wohnt in mir,
ein riesengroßes Tier mit stählernem Pelz
und Klauen, die in meinem Herzen graben“.
Immer wieder muss ich so zu mir sprechen. Als der, der nicht das tut, was Gott haben will, was nicht gerecht und gut ist. Als jemand, der so unerträglich wütend wird. Und dem es so schwerfällt, sich mit anderen zu versöhnen und zu vergleichen – vielleicht am meisten denen, denen ich selbst wehgetan habe.
Und zugleich muss ich mich selbst sehen als den, dem gesagt wird: Wenn ich am elendsten bin, am feigsten oder unversöhnlich, trennt mich das nicht von Christus. Daran erinnere ich mich vielleicht am besten, wenn ich ganz einfach daran denke, dass ich getauft bin – und dass ich vor Gott in Christus lebe.
In diesem Leben – dem Leben als getauft – lebe ich mitten in der wirklichen Welt und nicht in einer Phantasiewelt, wo es das Böse nicht gibt oder wo es leichte Lösungen und ein einfaches Leben ohne Leiden gibt.
Das ist jedoch nie eine Welt, die sich selbst und den Mächten überlassen ist, die alles verzerren und zerstören, was gut ist. Niemals eine Welt in einem mutlosen Warten, stets eine Welt in freudiger Erwartung. Das ist stets eine Welt in Hoffnung.
Eine deutsche Frau hat von dieser Hoffnung geschrieben. Es nützt nichts, sagt sie, von einer Landschaft jenseits der Tränengrenze zu träumen oder davon, dass man von allem bösen verschont wird oder dass alles perfekt ist … das alles einfach ist. So ist das Leben nicht. Es ist voll von Situationen, als denen wir nicht einfach einen Ausweg finden oder eine Lösung.
Eines ihrer langen Gedichte endet mit dem Wunsch, dass wir „stets mehr verwundet und geheilt, stets erneut befreit zu uns selbst“ leben mögen.
Befreit zu uns selbst. Befreit. Wir haben einen Platz hier in der wunderbaren und furchtbaren Welt. Gut, weil wir jeden Tag aufstehen dürfen – verwundet, geheilt, frei, befreit.
Hier sollen wir leben als Menschen, die glauben, dass wir vor Gott in Christus leben. Wir sollen leben und handeln aus der tiefen Versöhnung, die mit dem Zeichen des Kreuzes auf unser Gesicht und unsere Brust geschlagen ist. Ohne einen anderen Grund als den, dass wir selbst eben davon leben: Hoffnung, Befreiung, Versöhnung, Barmherzigkeit. Amen.
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Pastorin Tine Illum
DK-6091 Bjert
Email: ti(at)km.dk