Hiob 23, 1-7

· by predigten · in 11. So. n. Trinitatis, 18) Hiob / Job, Aktuelle (de), Altes Testament, Archiv, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 23 / Chapter 23, Kasus, Manfred Mielke, Predigten / Sermons

Die Verpackung vom Geschenk unterscheiden | 11. So. n. Trinitatis | 31.08.2025 | Hiob 23, 1-7 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

heute nähern wir uns der biblischen Person des Hiob. Wir hören von seinem schweren Schicksal, dem Besuch seiner Freunde und auch von dem Ruck, mit dem er sich auf Gott zubewegt und Gott sich ihm zuwendet.

Allerdings erzähle ich zuerst von einem Papagei, der seltsame Geräusche machen kann. Sein Käfig steht in der Wohnküche einer verstorbenen Alt-Bäuerin; zur Besprechung ihrer Beerdigung bin ich zu Gast. Mich irritiert aber der Papagei, denn er ahmt laut die Geräusche einer Kaffeemaschine nach. Vom Zischen des Dampfstoßes bis zum Blubbern des Anbrühens – unermüdlich und unüberhörbar. Kein Abdecktuch hilft; bloß gut, dass die echte Kaffeemaschine daneben ehrfürchtig schweigt. So wird es schwer, der Frau gut zuzuhören. Sie erzählt vom Leid in ihrer Ehe und vom Rat ihrer Schwiegermutter: „Chou de unnere Wech!“ – „Geh den unteren Weg!“ Dabei spüre ich, dass dieser Satz sie jedes Mal getroffen hat wie ein kochender Dampfstoß.

Der Jammer des biblischen Hiob ist größer. Noch bekommen wir sein Schicksal nicht im Detail erzählt, sondern sind unvermittelt Zuhörende eines Gesprächs mit seinen Freunden. Er antwortet ihnen im 23. Kapitel des Hiobbuches: „Auch jetzt besteht meine Klage im Widerspruch, Gottes Hand lastet schwer auf meinem Seufzen. Ach, wenn ich nur wüsste, wo ich ihn finden könnte, sodass ich zu seinem Richterthron gelangen könnte! Ich würde meinen Rechtsfall vor sein Angesicht bringen und ihm die Gründe nennen, die mich entlasten. Ich würde die Worte erfahren, die er mir antwortet, und darauf achten, was er mir zu sagen hat. Würde er dann mit ganzer Härte mit mir streiten? Nein! Er würde Rücksicht auf mich nehmen. Dort könnte einer aufrichtig mit ihm streiten, und ich für immer mein Recht durchsetzen…  Denn mein Fuß hielt sich auf seiner Bahn, ich blieb auf seinem Weg und bog nicht ab… Gott ließ mein Herz verzagen, der Allmächtige hat mich in Schrecken versetzt. Dennoch verstumme ich nicht vor der Finsternis, vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt.“ (23; 1-7,11,16f; Anm. 1)

Hiob sieht sein Verhältnis zu Gott so: „Auch jetzt besteht meine Klage im Widerspruch, seine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen.“ Das sind wohlgesetzte Worte, so wie alle Sätze, die er und seine Freunde Eliphas, Bildad und Zophar sagen. Ihre umfangreichen Seelsorgeversuche wurden sogar in Gedichtform aufgeschrieben; da ist jedes Argument wohlüberlegt.

Die aktuelle Kunstszene kennt das als „poetry slam“, als öffentlichen Wettstreit von Poeten und Poetinnen. In dieser Bühnensprache finden wir in der „VOLX BIBEL“ auch den Psalm 22. Darin lauten einige Reimverse: „Mann, Gott, mein Gott, warum hast du mich nur verlassen? Hast du mich vergessen? Kann es sein, dass meine Schreie verblassen? Gott, ich bete zu dir täglich, doch es scheint vergeblich. Die ganze Nacht liege ich wach und denke, nicht mal du verstehst mich. Die Leute vor uns hofften auf dich, sie haben dir vertraut. Und schien es noch so aussichtslos, du halfst ihnen aus allen Gefahren raus. Ich bin nur eine kleine Wurst, kein Mensch, eher ein Haufen Mist, alle Menschen lachen mich aus, werd von jedem Heinz gedisst. Sie kichern und reden – und sie verstehen mich gar nicht. Sie sagen: „Wenn Gott dich ganz toll findet, hilft er dir, sei nicht panisch!“ (2)

Mit diesem Rap klagt jemand, der noch eine Lebenswende von Gott erwartet. Seine Umgangssprache macht den Schrei seiner Seele so „sym-pathisch“. So wie bei Hiob; seine Freunde halten ihre beredsamen Monologe, ohne dass wir erfahren, warum ihm das Leid widerfuhr und woher es kommt. Diese offene Frage veranlasste die Bibelschreiber, das lange Innengedicht mit einem rasanten Erzähl-Mantel zu umhüllen. Damit geht die Bibel anhand von „Hiob“ daran, das menschliche Leid und das Phänomen „Satan“ grundsätzlich zu klären – den es für Hiob zwar nicht gibt, der aber leider funktioniert. Dafür leiht sich die Bibel das orientalische Narrativ, nach dem der Satan ein abgestürzter Engel sei, der sich selbst radikalisiert habe. Dennoch geht Gott eine Wette mit ihm ein, dass sein Hiob gottesfürchtig bleiben wird. Wie bei einem Fernsehkrimi: Wir wissen längst den Strippenzieher, aber die Kommissare tappen lange im Dunkeln.

Alles beginnt mit der Katastrophe, dass Hiobs Landgut in Flammen aufgeht. Seine Herden werden gestohlen, seine Knechte ermordet, seine Kinder kommen bei einem Wüstensturm ums Leben.

Zu den sozialen Verlusten kommt sein körperliches Elend. Er erkrankt ernsthaft und verletzt sich selbst mit einer Scherbe. Er hat sich schon kahlgeschoren und sein Obergewand zerrissen, noch bevor seine Freunde zu Besuch kommen. Die schweigen sieben Tage lang, dann beginnen sie, ihn zu trösten. Das tun sie auf höchstem Niveau, aber doch weit unterhalb einer Ermutigung. Ihre Ratschläge klingen, als ob seine Leiden Strafen seien für verborgene Sünden. Er müsse büßend den unteren Weg gehen. Gott prüfe ihn nur wohlwollend, um Schlimmeres zu verhüten. Sie wiederholen alles recht papageienhaft, bis er sie unterbricht: „Ihr seid allzumal leidige Tröster! Ihr habt mein Leid nur ausweglos gemacht!“ Auch Hiobs Frau beschleunigt seine seelische Vereinsamung. Sie empfiehlt ihm, vom Gott Israels abzuschwören. Aber er beharrt darauf, aus dessen Hand Beides, „Gutes wie Leides“ anzunehmen. Auch seinen Freunden bekennt er: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er sich über dem Staub erheben!“ Zu seiner mehrfachen Erschöpfung kommt das Schweigen Gottes. So klagt er: „Wenn ich nach Osten gehe, ist er nicht da, und nach Westen, bemerke ich ihn nicht.  Wirkt er im Norden, nehme ich ihn nicht wahr. Verbirgt er sich im Süden, sehe ich ihn nicht.“ Aber dann fügt er selbstbewusst an: „Er aber kennt den Weg, auf dem ich bin. Prüft er mich, gehe ich wie reines Gold hervor.“ Hiob will keine weitere Sterbebegleitung, er will als Gerechter anerkannt werden und so zu neuem Leben kommen. In seiner Seele brodelt es, doch wie soll der Druck aus dem Kessel entweichen? Nach 20 Kapiteln verkündet er: „Gottes Hand drückt mich schwer. Ach, dass ich wüsste, wie ich… zu seinem Thron kommen könnte! So würde ich… meinen Mund mit Beweisen füllen und seine Antwort erfahren… Dann würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich meinem Richter entrinnen!“

Hiob sagt sich, was Christine Brudereck (3) so sagt: „G’tt schweigt, und ich weigere mich, zurückzuschweigen!“ Was Hiob ausspricht, bringt ihn zum Handeln. Da er bei sich keine Ursache für sein Leid finden kann und keinen fremden Verursacher glauben kann, will er Gott zur Klärung seiner selbst provozieren. Dafür formuliert er die Schmähungen seiner Freunde um zu einer Klageschrift. Diese stemmt er über seinen Kopf und geht so auf Gott zu. Er trägt sie „wie ein Fürst seine Krone“. Er droht seinem Gott, ihm „ins Angesicht abzusagen“. Er soll ihn von Angesicht zu Angesicht segnen – oder verfluchen! Denn das biblische Wort „barach“ kann beides bedeuten, da stockt uns der Atem. So flüchtet sich Hiob „von Gott zu Gott“ und riskiert alles. Er ist ein „Gottesstreiter“ im Wortsinn des Namens „Isra-El“. Hiob ist mit Israel ein „Kämpfer für Gott“ und auch ein „Kämpfer mit Gott“. Der jüdische Theologe Schalom Ben-Chorin empfiehlt, dass Juden und Christen alles nur mit dem einzigen Gott durchkämpfen. Er dichtet: „Und suchst Du meine Sünde, flieh ich von Dir zu Dir… Von dir zu dir mein Schreiten, mein Weg und meine Ruh.“ (4)

Hiob flieht von Gott zu Gott – vom abgewandten Gott zum kompetenten Gott. Sein Einfordern der Gerechtigkeit Gottes ist stärker als die Verdunkelung Gottes. Hiob – als Israel – glaubt unerschütterlich, dass Gott die einzige Quelle ist für Alles und für Beides. Und das Wunder des jüdischen Glaubens gelingt: Gott faucht Hiob nicht weg mit seinem Feueratem, sondern nimmt ihn ernst. Dazu breitet er seine Schöpfungswunder vor ihm aus – mit ansteckender Begeisterung. Er lockt Hiob weg von seiner Ohnmacht hinein in das Panorama seiner Werke. Er zeigt ihm auch anhand der Dinosaurier Leviathan und Behemot, wie er mit dem Todestrieb und der Suizidgefahr umgeht. Gott beantwortet nicht alle seine Fragen, aber er beantwortet ihn als den Fragenden. Dazu hat Eva Zeller sich in Hiob hineinversetzt und notiert: „Als er nicht mehr wusste, wer seine Verteidigung übernehme sollte auf seinem Beschwerdegang; als er sich lieber die Zunge abbiss, als den Namen dessen zu nennen, der ihm eine Wunde nach der anderen geschlagen hat – da bedachte er, wo er gewesen war, als die Erde gegründet und ihr die Richtschnur gezogen wurde. Als dem Adler befohlen wurde, so hoch zu fliegen. Wo er denn gewesen war, als dem Krokodil seine Schuppen gesteckt wurden. Da meinte Hiob nicht mehr im Ernst, dass der Mond ihm Kusshände zuwerfen müsste. Er wurde vielmehr gewahr, dass der, der seine Seele betrübt, derselbe ist, dem nichts zu schwer wird, was er sich vorgenommen hat. Und der sich als letzter über dem Staub erheben wird und ihn aus der Erde auferwecken wird.“ (5)

Nie wieder wird Gott mit dem Satan so orientalisch schachern, vielmehr stellt er sich neu auf gegen das sinnlose Leiden seiner Geschöpfe; und sein Christus wird dazu ein neues Kapitel aufschlagen. Gott geht in das menschliche Leiden rein und umfängt das Opfer mit seiner Souveränität. Lange Wegstrecken im Tal der Schatten ließ er Hiob im Stich und tröstete ihn dann nicht mit Wattebäuschen, sondern mit Stecken und Stab, mit Abgrenzung und Orientierung. Reinhard Mey singt es als Poet: „Es kommt nicht der grimme Schnitter, es kommt nicht ein Feind. Es kommt – scheint sein Kelch auch bitter – ein Freund, der’s gut mit uns meint.“ (6)

Als Freund, der es gut meint, nimmt Gott den wahren Hiob wahr. Dass lässt ihn die Anklageschrift herunternehmen. Dass er ihn so anhört, reinigt seine Ohren von aller beschämenden Seelsorge. Hiob wurde vom „frommen Dulder“ zum „Rebell Gottes“, woraufhin Gott seine „Resonanzverweigerung“ (7) beendet und sich ihm authentisch stellt.

Hiob überlebt, und somit ist es eine Geschichte der Emanzipation, die Himmel und Hölle umfasst. Für uns ist es das Evangelium des Aufbäumens. Ein Geschenk des jüdischen Glaubens, und wir haben nichts Besseres zwischen unseren Buchdeckeln. Hiob ging nicht den unteren Weg, sondern probte den aufrechten Gang. Er war gewiss, dass uns Gott geschaffen hat inklusive des Rechts, ihn gegen sich selbst zu verklagen. Gott akzeptiert uns als „unverschämte Kläger/innen“, dann aber erfindet er uns neu, so, dass wir uns unseres Mutes nicht mehr schämen. Dabei geht die jüdische Bibel einen seltsamen Weg, wenn sie die hochdramatische Glaubenshilfe im Gedichtsteil mit einem orientalischen Narrativ ummantelt. Das beginnt mit Gottes Wette mit dem Satan im Jenseits und endet mit einer Idylle auf Erden. Hiob wird wieder superreicher Großbauer, die Freunde überschütten ihn mit Schmuck, und seine Töchter gelten als die schönsten Models der Welt. Ich denke, wir können die Verpackung vom Geschenk unterscheiden. Amen.

 

1) Übersetzung nach EfP; Alexander Fischer
2) Christina Brudereck: Trotzkraft, Essen, Text 28.
3) Martin Dreyer: DIE VOLX BIBEL, Verlag Pattloch und open source
4) nach Eva Zeller: Hiob; in: Sage und schreibe, Stuttgart 1971, S. 65f, gekürzt
5) eg 237
6) Reinhard Mey: Lass nun ruhig los das Ruder; „Dann mach’s gut“, 2013
7) Katharina Krause in EfP

Lieder:
I know that my redeemer liveth (Quincy Jones/The New Messiah)
Tears in heaven (Eric Clapton)
Hiobs Gebet (Ehepaar Frey)
EG 381: Gott, mein Gott, warum
EG 383: Herr, du hast mich angerührt
EG 361: Befiehl Du deine Wege

Zur Meditation: (von Nelly Sachs, im Original auf Ungarisch)

Hiob

O du Windrose der Qualen! Von Urzeitstürmen in immer andere Richtungen der Unwetter gerissen; noch dein Süden heißt Einsamkeit. Wo du stehst, ist der Nabel der Schmerzen. Deine Augen sind tief in deinen Schädel gesunken wie Höhlentauben in der Nacht, die der Jäger blind herausholt. Deine Stimme ist stumm geworden, denn sie hat zu viel Warum gefragt. Zu den Würmern und Fischen ist deine Stimme eingegangen. Hiob, du hast alle Nachtwachen durchweint, aber einmal wird das Sternbild deines Blutes alle aufgehenden Sonnen erbleichen lassen.


Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn (1988- 2011) und Ruanda (2001-2019). Musiker und Arrangeur.