Markus 3,31-35

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Die neue Familie Gottes | 13. So. n. Trinitatis | 14.09.2025 | Mk 3, 31-35 | Peter Schuchardt |

Die Gnade unsere Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

 

Liebe Schwestern und Brüder,

heute steht die Familie im Mittelpunkt. Und mit der Familie ist das ja so eine Sache. Sie ist der Ort, die Gemeinschaft von Menschen, in der wir aufwachsen und geprägt werden. Die Familie schenkt Geborgenheit und Schutz. Die Familie, das sind die Menschen, bei denen wir Hilfe suchen, wenn es uns nicht gut geht. Ich blicke mit meinen Konfirmanden oft in ihre Zukunft und frage sie: „Wer soll dir auf deinem Lebensweg helfen?“ Und nahezu alle antworten dann: „Meine Familie!“ Ich kann euch sagen: Es ist wunderbar, in einer Familie zu leben, die genau das tut, einander hilft und stärkt, die der Ort ist, wo ich geborgen bin. Doch Familie kann auch der Ort sein, wo ich von Kindesbeinen an verletzt und gedemütigt werde, wo ich Gewalt mit Worten und mit Schlägen erfahre. 90 % aller Fälle von sexuellem Missbrauch, von sexualisierter Gewalt findet in der Familie statt. Die Familie sollte der Ort sein, wo wir geborgen sind, sie kann aber auch zur Hölle werden.

Jeder und jede von uns hat eine Familie, sie ist das, was uns prägt. Sie ist die Gemeinschaft, in der wir bleiben, auch wenn wir erwachsen sind. Familie, das sind meine Wurzeln, das ist meine Herkunft und oft meine Gegenwart. Es ist toll, wenn deine Familie, deine Eltern und Geschwister dich durch ihre Liebe, ihre Ermutigung, ihre Erziehung für das Leben gestärkt haben. Und es ist bitter und grausam, wenn deine Eltern, deine Geschwister dich ohne Liebe erzogen haben, wenn sie dich klein gemacht und gedemütigt haben. Alles das gibt es. Es gibt auch Menschen, die haben sich von ihrer Familie losgesagt, die brechen manchmal von nu auf jetzt den Kontakt ab, es gibt schwarze Schafe und viele verlorene Söhne und Töchter, liebe Schwestern und Brüder. Und doch ist Familie auch immer mehr als die Erfahrungen, die wir gemacht haben. Mit dem Wort Familie ist auch immer die Sehnsucht verbunden nach einer guten, liebevollen Gemeinschaft, in der ich willkommen bin. Und diese Sehnsucht ist eine mächtige Kraft, liebe Schwestern und Brüder, das weiß ich aus vielen Gesprächen in der Klinik, in der ich als Seelsorger arbeite. Auch Menschen, die ihre Familie verloren oder verlassen haben, tragen diese Sehnsucht in sich.

Auch Jesus ist in einer Familie großgeworden. Wir kennen aus der Weihnachtsgeschichte seine Eltern Maria und Josef. Wir wissen, dass er Geschwister hatte, Schwestern und Brüder. Und er ist in einem Land und einer Kultur großgeworden, in der die Familie ganz wichtig war und ist. Das Alte Testament ist in seinem Anfang eine Familiengeschichte, denkt an Adam und Eva mit Kain und Abel, an Abraham und Sarah, an Josef und seine Brüder. In den 10 Geboten werden die Beziehung zu den Eltern im 4. Gebot besonders hervorgeheben: „Du sollst Vater und Mutter ehren, …“ In unserem Land lösen sich die Beziehungen in den Familien seit vielen Jahren auf und verändern sich. Mancher empfindet das als Befreiung, andere spüren eine Vereinsamung. Das Bild von Familie ändert sich, war es früher das traditionelle Vater-Mutter-Kinder-Bild, so ist das heute viel bunter, wir reden von Patchwork- und Regenbogenfamilien. Und das ist in Ordnung. Bei vielen Menschen, die aus dem orientalischen Raum zu uns kommen und mit uns leben, da merken wir: Die Familie hat dort einen anderen Stellenwert. Wir können sehen, wie wertvoll und wichtig dort die traditionelle Familie noch immer ist. Diese engen Familienbindungen hat auch Jesus erlebt, und er hat in ihnen gelebt. Ganz selbstverständlich ist er mit 12 Jahren mit Maria und Josef nach Jerusalem zum Passafest gegangen[1]. Doch schon da gibt es Verwirrung und Ärger. Denn Jesus bleibt einfach in Jerusalem, als alle anderen wieder nach Hause gehen. Maria und Josef suchen ihn drei Tage lang mit wachsender Sorge, ihm könne etwas passiert sein. Als sie ihn schließlich im Tempel finden und ausschimpfen, wundert sich Jesus. „Wisst ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“[2] Maria behält dieses Wort in ihrem Herzen, wie auch das, was die Hirten ihr damals bei der Geburt in Bethlehem über Jesus gesagt hatten.[3] So ist die Frage: „Wie ist das nun mit seinem Vater? Ist es Josef? Ist es Gott?“[4] wie auch die andere „Wer ist dieser Jesus?“ für das Markusevangelium die wichtigsten[5] und tauchen immer wieder auf.[6] Markus erzählt nichts über die Geburt Jesu und seine Kindheit. Er erzählt in seinem Evangelium, wie Jesus zu Johannes dem Täufer an den Jordan kommt und dort von ihm getauft wird. Dann geht Jesus zu den Menschen. Er heilt Kranke. Er ruft Menschen zu sich, seinen Jünger, und er erzählt von Gott. Jesus erzählt auf eine neue, andere Weise. Die Menschen sind fasziniert und kommen von überall her, um ihn zu hören, um von ihm geheilt zu werden. Mit jeder Heilung, mit jeder Predigt kommen mehr Menschen zu ihm. Die Nachricht „Dieser Jesus ist etwas Besonderes!“ breitet sich wie ein Lauffeuer aus, auch ohne Social Media. Auch seine Familie hört davon. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie hin und her überlegen: „Das ist doch unser Jesus, unser Bruder, mit dem wir aufgewachsen sind und gespielt haben. Der hat doch so lange ganz normal als Zimmermann hier in Nazareth gearbeitet. Und jetzt das: Herumwandern, von Gott erzählen, Menschen heilen … Was soll das?“ Für die Familie gibt es nur eine Antwort: „Jesus ist verrückt geworden!“[7] Ich erinnere mich an meine Mutter, die sich große Sorgen machte, wenn ich als Jugendlicher mit kaputter Jeans und langen Haaren herumlief: „Was sollen die Leute denn sagen?“ Weitaus mehr Sorgen als meine Mutter machen sich Jesu Mutter und seine Geschwister, so gehen sie los, um zumindest mal mit ihm zu reden, ja, am besten nehmen wir ihn gleich wieder mit nach Hause, nach Nazareth, vergessen die ganze Geschichte und hoffen, dass die Leute sie auch schnell vergessen. Ja, die Familienbande können auch einengen und fesseln, denn du bist ja immer ein Teil der Familie, und der Ruf der Familie darf nicht Schaden nehmen. Jesus bekommt davon nichts mit, er ist in einem Haus, die Menschen sitzen und stehen ringsum ihn herum ihn, sie können nicht einmal Brot essen[8], schreibt Markus, aber das ist nicht so wichtig, denn da ist dieser Hunger im Herzen der Menschen. Und den kann Jesus mit seinen Worten stillen. Und nun erzählt Markus: Inzwischen waren die Mutter und die Brüder von Jesus gekommen. Sie blieben draußen stehen und schickten jemand, der ihn rufen sollte. Aber die Volksmenge saß um Jesus. Sie sagten zu ihm: »Sieh doch, deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern stehen draußen. Sie suchen nach dir.« Aber Jesus antwortete: »Wer ist meine Mutter? Und wer sind meine Brüder?« Er blickte die Leute an, die rings um ihn saßen, und sagte: »Das sind meine Mutter und meine Brüder! Wer tut, was Gott will, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter.« (Mk 3, 31-35 BasisBibel) Das, was Jesus hier sagt und tut, das ist eine Revolution, eine völlige Umwälzung des Denkens und des Lebens. Denn die alte Familie, seine leibliche Mutter, seine Brüder und Schwestern, die sind für Jesus nicht mehr wichtig. Nein, es gibt eine neue, eine größere, viele weitere Familie. Und zu ihr gehören alle, die auf Jesus hören, die sich um Gottes Wort versammelt haben, die Gottes Willen tun. Markus beschreibt das Ganze sehr einfach und eindrücklich zugleich. Maria und die Geschwister Jesu kommen und bleiben draußen. Und sie bleiben wirklich draußen. Sie schicken einen anderen hinein als Boten: „Sag Jesus, dass wir da sind.“ Eigentlich verlangen sie nun die Höflichkeit, das 4. Gebot, der Anstand es einfach, dass Jesus sofort alles stehen und liegen lässt und hinaus zu seiner Mutter geht. Doch das tut er nicht. Nein, er fragt die Menschen, die um ihn herum sind: „Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Geschwister?“ Damit sagt er schon: es sind nicht die Menschen, die da draußen stehen und warten, dass ich rauskomme. Und nun guckt er die Menschen an, die um ihn herum sind, und sagt: „Das hier ist meine Mutter, das sind meine Geschwister, das ist meine Familie! Ihr seid meine Familie, denn ihr tut das, was Gott will.“ Für mich ist es wichtig: Diese Menschen tun eigentlich nichts. Sie sitzen nur da und hören zu. Mag sein, einige sind nicht besonders fromm, vielleicht ist der eine und andere auch einfach nur neugierig und hat sich gesagt: „Ich will mir diesen Mann aus Nazareth einmal anhören.“ Doch genau da ist das Entscheidende für Jesus. Sie sitzen um ihn herum und hören ihm zu. So entsteht diese neue Familie. Menschen versammeln sich und hören auf Jesus. Nun ist für Markus klar: Wer auf Jesus hört, der hört Gott. Diese neue, große, grenzenlose Familie ist also da, wo Menschen sich um Gott und sein Wort versammeln. Und da darf jeder und jede dazukommen. Doch kommen muss man schon, draußen stehen bleiben wie die leiblichen Verwandten Jesu, das bringt nichts. Aber wer immer sich auf den Weg zu Jesus macht, der gehört dazu, der gehört zur Familie Gottes. Und diese neue Familie hat andere Grundsätze, hier geht es anders zu als in den leiblichen Familien. Hier herrscht nicht ein Patriarch wie ein Despot, hier ist Gott selber unser liebender Vater. Hier wird Macht nicht benutzt, um den anderen zu unterdrücken, sondern um zu helfen. Hier hat jeder und jede Platz. Hier ist genug für alle da. Gottes Familie schenkt wahre Geborgenheit.

Natürlich weiß ich: Auch in der Kirche gibt es Missbrauch, Machtmissbrauch, Missbrauch von Geld, auch, und das ist wohl mit das Schlimmste, sexuellen Missbrauch. Das erschüttert Menschen immer wieder, weil sie doch ahnen: Hier, gerade hier bei euch in der Kirche, sollte es anders sein. Ich kann es mir nur so denken: Diese Menschen stellen nicht Gott in den Mittelpunkt, sondern ihr eigenes Machthabenwollen, ihre Geldgier, ihre sexuelle Gier. Doch gerade das zeigt mir, wie wichtig diese neue Gottesfamilie ist, in der alle Platz und Raum haben. Es zeigt mir, wie wichtig und wohltuend es ist, wenn Menschen sich um Gott herum sammeln, mit allem, was sie sind und haben und eben auch mit allem, was sie nicht sind und nicht haben. Wir erfahren nicht, wie Maria und die Geschwister Jesu auf dieses Wort reagiert haben. Doch später, nach der Auferstehung, sind sowohl Maria wie auch einige seiner Brüder in der Gemeinde, also bei den Menschen, die sich nun um den Auferstandenen herum sammeln, treffen und füreinander da sind. Seitdem reden wir in der Kirche auch davon, dass wir füreinander Schwestern und Brüder sind. Es mag sein, wir sind nicht durch Blutsverwandtschaft miteinander verbunden. Aber wir sind durch die Taufe miteinander verbunden. Sie macht uns zu Gottes Kindern und zugleich zu Geschwistern im Glauben. Und das gilt für alle. Die Herkunft, das Bankkonto, das Schulzeugnis, ob jemand viel oder wenig leisten kann: Alles das spielt vor Gott keine Rolle. Wichtig ist: Du bist da, wir sind da, und wir sind um Gott herum versammelt. Das ist das, was diese neue Familie Gottes, die neue Gemeinschaft, ausmacht. Und diese Gemeinschaft, die sich um Gott und sein Wort versammelt, das ist die Kirche. Seitdem Jesus dieses Wort gesagt hat, leben wir es der Welt vor: So geht Gemeinschaft. Und das ist wichtig. Denn unsere Gesellschaft zersplittert immer mehr in immer kleinere, rechthaberische kleine Gruppen. Und manche Jugendliche können davon erzählen, wie sie in der Schule, im Verein, in der Clique ausgegrenzt und gemobbt werden. Da heißt es nicht: Schön, dass du da bist! Da heißt es: Hau ab, du gehörst nicht dazu. Du bist zu dick, zu dumm, zu hässlich, oder noch einfacher und brutaler: Du bist nicht wie wir, darum gehörst du nicht dazu. Gott will darum mit uns ein Zeichen setzen für die Welt. Die Welt kann lernen, wie es geht, mit allen Unterschieden, die wir an uns und in uns tragen, eine gute liebevolle Gemeinschaft zu sein. Und wir können es als Kirche nur sein, wenn wir auf Gott hören, auf ihn sehen, und ihn in den Mittelpunkt stellen. Ich sagte zu Anfang: Heute steht die Familie im Mittelpunkt. Das stimmt so nicht. Denn eigentlich steht heute Gott im Mittelpunkt. Darauf sollen wir achten. So leben wir das, was Jesus Christus für uns gelebt hat: ein Leben voller Liebe, mit dem Blick für den, der unsere Hilfe braucht, und mit einem Herzen, das auf Gott hört. Denn für ihn, für Jesus, steht bei allem, was er sagt und tut, Gott, sein und unser Vater, im Mittelpunkt. In seinem Leben, in seinem Sterben, in seinem Auferstehen.

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

 

Liedvorschläge:
EG 412 So jemand spricht: „Ich liebe Gott“ (Wochenlied)
EG 221 Wenn wir wie Brüder beieinander wohnten
EG 265 Nun singe Lob, du Christenheit
HELM (Beiheft der Nordkirche Himmel, Erde, Luft und Meer) 78 In Christus gilt nicht Ost noch West
HELM (Beiheft der Nordkirche Himmel, Erde, Luft und Meer) 85 Herr, wi staht hier Hand in Hand (plattdeutsch)


Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).


Fussnoten:
[1] Lk 2, 41-52
[2] Lk 2, 49
[3] Lk 2, 19
[4] Mk 1,11
[5] https://www.die-bibel.de/ressourcen/efp/reihe1/13-nach-trinitatis-markus-3 , bes. Einführung Punkt 5 Besonderheiten: So liegt im christologischen Diskurs („Wer ist dieser?“ z.B. Mk 4,41) das Gravitationszentrum markinischer Theologie.
[6] Vgl. Mk 4,41 und 15,39!
[7] Mk 3, 21
[8] Mk 3,20