Lukas 7,11-17

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16. Sonntag nach Trinitatis | 05.10.2025 | Lk 7,11-17 | Rasmus Nøjgaard |

Die Witwe aus Nain – die kleine Ostergeschichte

Die Auferstehung des Sohnes der Mutter darf man eine kleine Ostergeschichte nennen. Es ist jedenfalls eine Auferstehung. Nain ist eine kleine Nachbarstadt von Nazareth, und Jesus kommt auf seiner Wanderung zum Stadttor zusammen mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge. Die Begegnung mit dem Trauerzug auf dem Wege zum Stadttor muss Aufsehen erregt haben. Jesus sieht sofort die Trauer der Mutter, die ihren Sohn zum Grabe trägt, und wir erfahren, dass es ihr einziger Sohn ist, auch dass sie eine Witwe ist. Ihre Trauer ist mit anderen Worten zu verstehen, denn sie ist ganz allein gelassen und hat nichts, wovon und wofür sie leben kann. Ihre Sicherheit ist verschwunden, sie hat ehrlich gesagt alles verloren. Jesus sieht sie, und er muss ihren Verlust und das existenzielle Leid gekannt haben: Weine nicht mehr. Wonach er den toten Sohn auferweckt, der sich sogleich voller Leben zeigt und spricht.

Die folgenden Worte sind eigenartig: „Jesus gab ihn seiner Mutter“. Das Wunder hat offenbar den Sohn in die Verantwortung Jesu übertragen. Er konnte ihn seiner Mutter geben. Jesus hatte mit dem Wunder scheinbar die Macht über den Sohn übernommen, aber Jesus behält die Macht nicht für sich selbst, sondern überträgt sie der Mutter. Jesus gibt nicht nur dem Sohn das Leben zurück, sondern er rettet vor allem die Mutter von ihrem allumfassenden Fall. Auch die Mutter wird wieder aufgerichtet, da sie ihren Sohn wiederbekommt, ihre einzige Sicherheit. Die Erzählung handelt von der der Barmherzigkeit Jesu gegenüber denen, die alles verloren haben, sie bekommen die Hoffnung und das Leben wieder.

Die Erzählung von der Mutter aus Nain liegt genau ein halbes Jahr vor Ostern. Ein Jahr hat 52 Wochen, und dieser Sonntag liegt 26 Wochen vor dem Osterfest. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass die alte Perikopen-Reihe, die auf die frühe Kirche zurückgeht, diese kleine Ostergeschichte hierin gelegt hat, als eine Achse mitten im Kirchenjahr.  Erst viel später haben wir eine lange Trinitatis-Periode bekommen, die in einer anderen Weise eine Periode abschließt, die mit dem Advent und Weihnachten beginnt. Selbst in der neuen Achse mit der Geburt Jesu als Zentrum bekommen wir eine andere Halbjahres-Achse mit der Feier von Sankt Hans. Ursprünglich begann das Kirchenjahr nicht mit dem ersten Advent, denn in den ersten gut 600 Jahren begann es mit dem Ostertag. Dies ist der eigentliche Fixpunkt für ein Kirchenjahr, dies ist der eigentliche Horizont und Zentrum für das Verständnis des Evangeliums. Die Auferstehung setzt alles in Gang.

An diesem Sonntag sind wir am weitesten weg von der großen Erzählung der Hoffnung. Genau 26 Wochen, 6 Monate. Die Alten müssen gedacht haben, dass wir in dieser zunehmenden Finsternis eine Erinnerung an Ostern haben sollen. Hier in der zunehmenden Dunkelheit des Septembers sind wir am weitesten entfernt von Ostern, aber mit der kleinen Ostergeschichte von Nain haben wir einen Anlass, unsere gemeinsame Orientierung festzuhalten, Christi Tod und Auferstehung.

Heute können wir mit andren Worten in den Motiven Verdammnis, Tod, Verwandlung, Wiederaufrichtung, Leben, Hoffnung verharren. Jesus sieht die Trauer der Mutter, und hinter der Trauer sieht er ihre Verdammnis. Deshalb gebietet er dem jungen Mann aufzustehen, nicht nur um seiner selbst willen, sondern damit Jesus der Mutter das Leben zurückgeben kann. Sie gewinnt das Leben zurück und die Hoffnung auf eine Zukunft. Die Rolle des Sohnes ist nicht unähnlich der Rolle Jesu: So wie Jesus nicht für sich selbst auferstand, sondern für das Heil der Menschen, so steht der Sohn auf für das Heil seiner Mutter. Gemeinsam erhalten sie das Leben zurück und schöpfen wieder Hoffnung.

Hier auf dem Weg in die dunkle Zeit ist diese Erzählung eine kleine Gabe an uns alle. Es ist ein Geschenk, was wir bekommen, dass wir selbst die Möglichkeit der Verwandlung haben.  Die Verwandlung kommt jedoch nicht von innen, sondern von außen – und oft durch ein überraschendes Ereignis, das nicht kommen sahen. Die Witwe tut nichts selbst, denn sie ist niedergeschlagen von ihrem Verlust. Die Verwandlung kommt von außen. So wie Gottes Wort auch von außen zu uns kommt. Die Liebe Gottes begegnet uns, wenn wir das vertrauensvoll annehmen, und wir erhalten die Möglichkeit, dass wir Christus unsere Trauer und Klagerufe hören und unseren Schmerz mit uns tragen lassen. Die Gemeinschaft mit Gott beseitigt nicht Trauer und Schmerz, aber sie macht sie mehr erträglich, und vor allem begegnet uns Christus vertrauensvoll und gebietet uns, die Furcht und die Scham fortzuwerfen, denn bei Christus sind wir erkannt und vergeben und schon in Sicherheit.

Ich glaube, uns allen kann es so ergehen oder alle können erleben, dass alles Edge verschlossen sind, dass man Schachmatt ist. Wenn wir uns nicht aus unserer eigenen Situation befreien können. Das ist nicht, weil die Welt kleinlich ist oder uns keine Möglichkeiten zum Leben bietet, sondern weil wir selbst keinen Mut und keine Kräfte haben. Wir brauchen, dass jemand uns sieht, unsere Trauer teilt, insistierend anklopft und für uns die Barrieren durchbricht, so dass das Licht eindringt und uns zum Leben erweckt und uns die Hoffnung zurückgibt.

Die Erzählung von der Mutter aus Nain berichtet ganz grundlegend vom Wirken Gottes. Wir glauben, dass wir mit unserem Ernst, unserer Heiligkeit und unserem Streben nach dem guten Leben dem Willen Gottes entsprechen. Können wir uns darauf einigen zuzugeben, dass es gar nicht um unseren eigenen Glauben geht, sondern darum, dass Jesus an uns glaubt, dass es der Sohn Gottes ist, dass er es ist, der uns die Hand reicht und Barmherzigkeit zeigt, uns umarmt und trägt, er ist es, der zu uns redet, unsre Bahre berührt und uns zum Leben erweckt. Wir können uns nicht selbst verwandeln, so wie auch die Verwandlung der Schmetterlingslarven bedingt ist durch die rechten Umstände von außen wie Licht und Wärme. Es erfordert ein Licht von außen, ein erlösendes Wort, einen Blick der Liebe und eine fürsorgliche Hand.

Der Sinn dieser kleinen Ostergeschichte muss sein, uns zu erzählen, dass Jesus Christus barmherzig ist und unseren Schmerz sieht. Er will uns wieder erwecken, so dass wir wieder gemeinsam an der Freude teilhaben. Er will uns Hoffnung geben, dass wir leben können.

Kann man nicht sagen, dass dies die Summe des christlichen Lebens ist? Dass wir unser Leben mit Gott und Menschen teilen und Tauer und Freude miteinander teilen? Wir sind nie uns selbst überlassen und ganz verloren, denn Gott wurde Mensch, ist gestorben und auferstanden, um stets mitten unter uns zu sein. So wie er es für die Mutter aus Nain war. Amen.


Pastor Rasmus Nøjgaard
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