
Josua 2,1–21
Von Zeichen und Grenzen | 17. Sonntag nach Trinitatis | 12.10.2025 | Predigt zu Josua 2,1–21 | verfasst von Christoph Kock |
- Zwei Versprechen
Friedrich stand vor der Tür. Dann drehte er sich um. Der Abschied fiel ihm schwer. Seine Frau hielt den Jungen an der Hand. Peter sah seinen Vater an. Tränen rollten seine Wangen hinunter. „Ich will nicht, dass du gehst!“ Friedrich wollte es auch nicht. Aber der Führer hatte Krieg befohlen. Friedrich hatte Angst. Um seine kleine Familie. Um sein Leben. „Versprich mir, dass du wiederkommst!“, verlangte Peter. Friedrich schluckte. Ob er Marie und Peter wiedersehen würde? Seine Frau stand da wie gelähmt und brachte kein Wort hervor. Dann flitzte Peter ins sein Zimmer und kam mit einem Teddy zurück und hielt ihn seinem Vater hin: „Hier. Bruno passt auf dich auf.“ Friedrich nahm den Teddy, ging vor Peter in die Hocke und sah seinen Sohn an: „Danke. Wenn ich wiederkomme, bekommst du ihn zurück.“ Ein Abschied bei Kriegsbeginn. Ein gefordertes Versprechen, das der Vater kaum geben kann. Und ein Teddy als Zeichen der Verbundenheit.
Rahab stand auf dem flachen Dach ihres Hauses. Die Nacht verbarg die Stadt, die hier an der Mauer endete. Zwei Männer warteten auf sie. Als sie in ihr Haus gekommen waren, hatte Rahab gleich erkannt, wer sie waren. Feinde, die den Ort ausspionieren wollten. Als die Soldaten ihres Königs auftauchten, hatte sie die beiden kurzer Hand auf dem Dach versteckt, dann den Suchtrupp auf eine falsche Fährte gesetzt. Von einem Moment zum anderen hatte sie diese Entscheidung getroffen. Um ihre Familie zu retten. Sie war sich sicher, dass die Feinde siegen und ihre Stadt fallen würde. Deshalb hatte sie die einen versteckt und die anderen getäuscht. Jetzt verlangte sie von den beiden Männern ein Versprechen, bevor sie sie gehen ließ. Sie sollten ihr schwören, sie und die ihren zu bewahren, so wie sie die Kundschafter bewahrt hatte. Sie wollte ein Versprechen und ein sicheres Zeichen. Sie bekam beides. Eine Frau mit Weitblick. Ein eingeforderter Schwur des Feindes. Und ein rotes Seil als rettendes Zeichen.
- Versprochen ist versprochen
Rahabs Geschichte überliefert das Buch Josua im zweiten Kapitel:
1 Josua aber, der Sohn Nuns, sandte von Schittim zwei Männer heimlich als Kundschafter aus und sagte ihnen:
Geht hin, seht das Land an, auch Jericho.
Die gingen hin und kamen in das Haus einer Hure, die hieß Rahab, und kehrten dort ein.
2 Da wurde dem König von Jericho angesagt:
Siehe, es sind in dieser Nacht Männer von den Israeliten hereingekommen, um das Land zu erkunden.
3 Da sandte der König von Jericho zu Rahab und ließ ihr sagen: Gib die Männer heraus, die zu dir in dein Haus gekommen sind; denn sie sind gekommen, um das ganze Land zu erkunden.
4 Aber die Frau nahm die beiden Männer und verbarg sie.
Und sie sprach:
Ja, es sind Männer zu mir hereingekommen, aber ich wusste nicht, woher sie waren.
Und als man das Stadttor schließen wollte, da es finster wurde, gingen die Männer hinaus, und ich weiß nicht, wo sie hingegangen sind. Jagt ihnen eilends nach, dann werdet ihr sie ergreifen.
6 Sie aber hatte sie auf das Dach steigen lassen und unter den Flachsstängeln versteckt, die sie auf dem Dach ausgebreitet hatte.
7 Die Verfolger aber jagten ihnen nach auf dem Wege zum Jordan bis an die Furten, und man schloss das Tor zu, als sie draußen waren.
8 Und ehe die Männer sich schlafen legten, stieg Rahab zu ihnen hinauf auf das Dach
9 und sprach zu ihnen:
Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat; denn ein Schrecken vor euch ist über uns gefallen, und alle Bewohner des Landes sind vor euch feige geworden.
10 Denn wir haben gehört, wie der HERR das Wasser im Schilfmeer ausgetrocknet hat vor euch her, als ihr aus Ägypten zogt, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordans getan habt, wie ihr an ihnen den Bann vollstreckt habt.
Und seitdem wir das gehört haben, ist unser Herz verzagt und es wagt keiner mehr, vor euch zu atmen; denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.
12 So schwört mir nun bei dem HERRN, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass auch ihr an meines Vaters Hause Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, 13 dass ihr leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.
14 Die Männer sprachen zu ihr:
Tun wir nicht Barmherzigkeit und Treue an dir, wenn uns der HERR das Land gibt, so wollen wir selbst des Todes sein, sofern du unsere Sache nicht verrätst.
15 Da ließ Rahab sie an einem Seil durchs Fenster hinab; denn ihr Haus war an der Stadtmauer, und sie wohnte an der Mauer.
16 Und sie sprach zu ihnen:
Geht auf das Gebirge, dass eure Verfolger euch nicht begegnen, und verbergt euch dort drei Tage, bis zurückkommen, die euch nachjagen; danach geht eures Weges.
17 Die Männer aber sprachen zu ihr:
So wollen wir den Eid einlösen, den du uns hast schwören lassen: 18 Wenn wir ins Land kommen, so sollst du dies rote Seil in das Fenster knüpfen, durch das du uns herabgelassen hast, und zu dir ins Haus versammeln deinen Vater, deine Mutter, deine Brüder und deines Vaters ganzes Haus. 19 So soll es sein: Wer zur Tür deines Hauses herausgeht, dessen Blut komme über sein Haupt, aber wir seien unschuldig; doch das Blut aller, die in deinem Hause bleiben, soll über unser Haupt kommen, wenn Hand an sie gelegt wird. 20 Und wenn du etwas von dieser unserer Sache verrätst, so sind wir frei von dem Eid, den du uns hast schwören lassen.
21 Sie sprach:
Es sei, wie ihr sagt!,
und ließ sie gehen. Und sie gingen weg. Und sie knüpfte das rote Seil ins Fenster.
III. Glauben geht an Grenzen
Entscheidendes spielt sich in dieser Geschichte an den Rändern ab. An der Stadtmauer. In einem Bordell. Im Mittelpunkt steht eine Frau, zu der man besser öffentlich Abstand hält. Zugleich gilt sie sowohl in jüdischer als auch in christlicher Tradition als erste heidnische Frau, die sich zum Gott Israels bekennt. „Der Herr, euer Gott ist oben im Himmel und unten auf der Erde“, sagt sie. Rahab kennt diesen Gott mit Namen, so wie sich Gott dem Mose vorgestellt hat. Dass es nur diesen einen Gott gibt, sagt sie nicht, aber es liegt nahe. Ob sie selbst an diesen Gott glaubt, ist heute umstritten. Dessen Macht erkennt sie an und handelt entsprechend. Sie nutzt die Gelegenheit, angesichts der bevorstehenden Eroberung ihrer Stadt sich selbst und ihre Familie zu retten. Ihr Glaube hat sie gerettet, heißt es jedenfalls im Hebräerbrief (Hebr. 11,31). Sie gehört zu den vier Frauen, die im Stammbaum Jesu erwähnt werden. Eine Frau an prominenter Stelle, die als Ausländerin und Hure außen vor war. Gott hat es dem Christus ins Stammbuch geschrieben: Glauben geht an Grenzen und manchmal darüber hinaus. Das ist ungewohnt und überraschend. Jesus hat es lernen müssen, in der Begegnung mit der Ausländerin, die sich von ihm beleidigen lässt, um ihre Tochter zu retten.
- Die Sprache der Gewalt
Das Buch Josua erzählt die Geschichte einer gewalttätigen Landnahme. Die Israeliten erobern das von Gott versprochene Land und Gott verlangt, dass sie ihre Feinde auslöschen. In Jericho und anderenorts. Damit die falschen Götter verschwinden, die die Feinde anbeten. Blutige Abgrenzung. Heiliger Krieg. Angst und Schrecken. Die Bibel enthält Texte des Terrors. Gottgebotenes Töten? Historisch ist es anders gewesen. Jericho ist nicht erobert und zerstört worden. Die Archäologie spricht da eine andere Sprache: Nach und nach haben sich die israelitischen Stämme angesiedelt, sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischt. Und doch erzählt die Bibel diese Geschichte in der Sprache der Gewalt. In der eigenen Erinnerung verschwinden die anderen durch das Schwert. Warum geht der eigene Anspruch auf das Land mit solch grausamen Fantasien einher? Eine offene Frage und nach wie vor ein gefundenes Fressen für Fundamentalisten.
Die Sprache der Gewalt klingt in Rahabs Worten bedrohlich an und doch läuft hier manches anders. Es wird gefährlich, aber keiner stirbt. Rahab sorgt dafür, indem sie die Späher versteckt und die Soldaten auf eine falsche Fährte setzt. Es ist schon grotesk: Josua schickt zwei heimliche Kundschafter aus und die beiden gehen in ein Bordell. Das fällt auf. Sie kommen kaum zum Spionieren, weil sie sich von Rahab verstecken lassen müssen. Ein militärisches Fiasko. Als die Soldaten Rahab auf die fremden Männer ansprechen, kontert sie gekonnt, dass natürlich Männer bei ihr ein- und ausgingen. Die beiden Fremden seinen natürlich längst wieder weg. Ihr Haus sei schließlich ein Bordell und kein Hotel.
Die Heldin ist eine Hure und heißt Rahab. Sie bekommt das Versprechen, das sie verlangt, und ein Zeichen. Das rote Seil, mit dem sie den Kundschaftern zur Flucht verholfen hat. Sie soll es an ihr Fenster knüpfen. Das wird sie retten. Alle anderen in Jericho werden sterben. Im Buch Josua hat die Gewalt nur eine kurze Pause.
Und doch: Eine, die nicht dazugehört hat, wird in Israels Geschichte zu einer zentralen Figur. So unterbricht der Glaube die Sprache der Gewalt, weil er an Grenzen geht. Eine Atempause, in der aufleuchtet, dass es auch ganz anders sein kann. Das Zusammenleben der Verschiedenen, eigenes und fremdes miteinander verknüpft. Der Glaube an den einen Gott, dessen Segen allen Völkern gilt. Andere werden an dieser Stelle weitererzählen, diesen Moment weitertragen. Allen zum Trotz, die Gewalt im Sinn haben und sie Menschen antun. [1]
- Zeichenhaft
Rahab verlangt einen Schwur und bekommt dafür ein Zeichen. Beziehung braucht Zeichen: Etwas, was sich sehen, anfassen, begreifen lässt. Ein Teddy, ein rotes Seil. Eine handfeste Erinnerung an ein gefordertes oder gegebenes Versprechen.
Nicht jedes Versprechen lässt sich halten. Eine schmerzliche Erfahrung. Verbunden mit Narben auf der Seele. Ob Friedrich aus dem Krieg zurückgekommen ist? Selbst wenn, die Frage ist dann wie. Viele Väter kamen als Fremde zurück. Weil sie töten mussten. Weil sie Erfahrungen ausgesetzt waren, über die nur die wenigsten reden konnten. Weil sie mit den Folgen ausgeübter und erlittener Gewalt allein bleiben. So ist Krieg. Daran kann ein Teddy nichts ändern.
Aber auch gehaltene Versprechen sind mitunter höchst problematisch. Als im Buch Josua von der Zerstörung Jerichos und dem Tod derer erzählt wird, die in dort wohnen, heißt es: „Rahab aber, die Hure, samt dem Hause ihres Vaters und allem, was sie hatte, ließ Josua leben. Und sie blieb in Israel wohnen bis auf diesen Tag, weil sie die Boten verborgen hatte, die Josua gesandt hatte, um Jericho auszukundschaften.“ (Jos 6,25) Das rotes Seil markiert nur einen sicheren Ort im Inferno der Gewalt. Ob das für Rahab reicht, die dem Gott Israels vertraut und ihr eigenes Volk verraten hat? So betrachtet macht sie eine tragische Figur. Ob das für Gott reicht? Das bezweifle ich.
Beide Zeichen deuten auf Rettung und weisen darüber hinaus. Es wird nicht reichen, dass ein Vater zurückkommt. Es wird nicht reichen, dass nur eine Frau mit ihrer Familie bewahrt wird. Es muss anderer Geschichten geben. Vor allem dann, wenn Gott ins Spiel kommt. Rahabs Geschichte deutet das an. An der Grenze. Ein kostbarer Moment.
Baustein für die Begrüßung (mit Mt 15,21–28 als Lesung):
In diesem Gottesdienst stehen zwei Frauen im Mittelpunkt: Eine Frau fordert Jesus heraus, lässt sich von ihm beschimpfen, weil sie alles für ihre Tochter tut. Eine Frau erkennt die Zeichen der Zeit und setzt auf den Gott Israels, um zu überleben. Zwei Geschichten gehen an Grenzen. Ausgrenzung und Gewalt haben darin Pause. Ein kostbarer Moment.
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Pfarrer Dr. Christoph Kock
Wesel
E-Mail: christoph.kock@ekir.de
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Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.
[1] Vgl. Alexander Deeg/Andreas Schüle, 17. Sonntag nach Trinitatis (Reihe I): Jos 2,1–21; in: dies., Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte. Exegetisch und homiletisch-liturgische Zugänge, Leipzig ‚52021, 409–415. Daran anknüpfend verweist Julia Koll darauf, dass die Landnahme-Erzählungen nicht nur von nationalistischen jüdischen Kreisen zur Legitimation ihrer Identitätspolitik herangezogen würden, sondern auch in der christlichen Kolonialpolitik gewaltlegitimierende Wirkung entfaltet hätten; Julia Koll. dies., Blutrote Archen, GPM 79 (438–444), hier 438.