
Josua 2, 1-21
Der rote Faden | 17. Sonntag nach Trinitatis | 12.10.2025 | Josua 2, 1-21 | Berthold W. Haerter |
«Denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde» Josua 2, 11b
Es wird der gesamte Predigtabschnitt während des Gottesdienstes aus der BasisBibel gelesen. Dazwischen singen wir Strophen aus dem Lied «Befiehl Du Deine Wege»
Liebe Gemeinde
Wenn Sie jemanden erklären sollen, warum wir Schweizerinnen und Schweizer besonderen Wert auf unsere Freiheit, unsere Basisdemokratie, unsere Unabhängigkeit von anderen Mächten legen, wie würden Sie das machen? Würden Sie eventuell auf Schillers Wilhelm Tell zurückgreifen? Natürlich nicht nur der Geflügelten Worten wegen, wie: «Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt», das ja sehr aktuell ist. Oder da schwört man auf dem Rütli: «Wir sind ein einzig Volk von Brüdern (und Schwestern), in keiner Not uns trennen und Gefahr.». Das hoffen wir alle. Und da formuliert Schiller treffend: «Dem Mutigen hilft Gott.»
Schiller hat die Schweizerinnen und Schweizer mit ihren eigenständigen, durch die Berge geprägten Charaktereigenschaften besonders treffend erfasst. Goethe hatte ihn gut informierte und Schiller hatte zuvor intensive Studien zur Schweizer Geschichte und Geografie gemacht. Wilhelm Tell wurde Schillers «populärstes Bühnenstück» (Safranski) und stellt unseren Freiheitswillen eindrücklich da. Dies, obwohl:
- Schiller nie in der Schweiz war und
- Die Geschichte, die um 1308 spielt, und die Schiller Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Bühne bringt (mit Goethe 1804), nie so stattgefunden hat.
Ähnlich verhält es sich mit der wunderschönen Erzählung von Rahab und den israelitischen Kundschaftern. Wir müssen uns fragen: Warum ist diese Geschichte in das Buch Josua gekommen? Als man das Material sammelte und zusammenfügte, dass an die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten erinnerte, sowie an die 40 Jahre in der Wüste und dann an den Übergang über den Jordan nach Jerichow, da waren das alles inzwischen heroische Erzählungen. Man fügte diese Geschichten zusammen, überarbeitete, redegierte und stellte verschiedene Erzählungen nebeneinander, passte sie einigermassen an, wie wahrscheinlich auch bei unserer Geschichte. Im 1. Jahrtausend vor Christus fügte man die Geschichten, die im Jahrtausend davor einmal geschehen waren, zusammen, zu einer grossen Geschichte des Volkes Israel vom Einzug ins gelobte Land.
Und dann war da unsere Geschichte. Die Geschichte von Rahab. Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat sie nie so stattgefunden. Sie will nämlich nicht eine Historizität, ein Geschehnis beschreiben, wie auch Schillers Tell nicht. Es ist archäologisch seit Jahrzehnten nachgewiesen, dass es die befestigte Stadt Jerichow beim Einwandern der Israeliten gar nicht so gab, wie beschrieben, mit Stadtmauern, und Toren, einem König usw.. Geographisch ist die Geschichte sehr gut recherchiert, wie bei unserem Tell. Eigentlich geht es in der Geschichte auch nicht darum, dass eine kanaanitische Frau, eine Bewohnerin von Jerichow ihre Haut und ihre Familie retten will.
Die Geschichte will Jahrhunderte später erklären, warum eine Grossfamilie der kanaanäischen Ureinwohner*innen, mitten unter den Israeliten lebt und sich nach ihrer Urahnin Rahab benennen. Wie geht das, fragte man sich, wo doch alle Bewohner des gelobten Landes ausgerottet werden sollten, laut anderen Zeugen? Aber da gibt es diese Rahabiten unter uns. Sie sind mit uns damals nicht aus Ägypten eingewandert. Sie lebten schon immer um Jerichow und glauben doch an unseren Gott. Das verstehen wir nicht. Und dann hatte man dieses Rahab – Material und fügte es zusammen. Alle verstanden.
Haben Sie gemerkt, diese Geschichte hat viel Gemeinsames mit unserem Wilhelm Tell Mythos. Es sind Geschichten, die etwas Gegenwärtiges mit einer Geschichte aus der Vergangenheit, erklären wollen. Und das geschieht so gut, dass man nur staunt und an der Erzählung an sich Freude hat, ja die Geschichte in sich wertvoll für uns ist. Es ist eine schöne Geschichte, detailfreudig, etwas, durch die hebräische Erzählweise, hin und her hüpfend. Man sieht ihr an, dass verschiedene Schriftsteller, sie verändert und ihren Wünschen entsprechend angepasst haben, auch, damit man später die Stadt Jerichow mit Pauken und Trompeten einnehmen kann.
Der rote Faden aber ist ein ganz anderer. Dass, was die Geschichten zusammenhält, alles miteinander verbinden, ist sehr biblisch, sehr christlich. Uns wird hier ein rettender und barmherziger Gott erklärt. Uns wir gezeigt, wie die Anhäng*innen eines Glaubens an Gott oder Jahwe, das gleiche tun, sie sind barmherzig und retten.
Wunderbar ist das auf dem Bild dargestellt aus dem 14. Jahrhundert, das sie vor sich haben. (Rahab rettet, Handschrift des 14. Jahrhunderts, im Besitz der Nationalbibliothek Florenz, aus: Herbert Haag, Dorothee Sölle, u.a.: Grosse Frauen der Bibel in Bild und Text, 108) Da lässt Rahab die beiden Kundschafter am Seil über die Stadtmauer hinab. Die Wanderstöcke liegen schon unten. Kräftig, robust, stark, wirkt Rahab. Eher ängstlich sieht der eine Kundschafter aus, der zusammen mit dem anderen auf dem Holzbalken am Seil hängt. Und dann raten die beiden Rahab. «Du sollst diese Schnur aus rotem Faden an das Fenster binden.» (Jos 2, 17) Rahab vertraut ihnen und macht es. (21). Später wird sich dieses Vertrauen positiv auszahlen.
In dieser Geschichte kommt der rote Faden aber auch im übertragenen Sinne vor, so, wie Goethe ihn erstmals definiert hat. Der rote Faden verbindet und hält das Ganze zusammen, meint er in den Wahlverwandtschaften (Goethe: Die Wahlverwandtschaften. 2. Teil, 2. Kapitel, Schluss). Wenn Sie einen Vortrag oder Predigt hören, dann freuen Sie sich, wenn Sie den roten Faden der Geschichte erkennen. Sie können es sich besser merken. Goethe behauptet von der englischen Marine: «Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durch geht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören.“ (Goethe: Ebenda)
Der rote Faden ist fein, manchmal kaum sichtbar, aber doch wichtig, auch in unserer Erzählung. Inhaltlich ist der rote Faden in dem Satz zusammengefasst. «Denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde» Josua 2, 11b Rahab spricht ihn und wird somit zur ersten nichtjüdischen Gläubigen. Deshalb wohl auch, finden wir Rahab in der Ahnenreihe Jesu als eine von 3 Frauen. (Matt 1,5) Rahab als Vorfahrin Jesu! Und der Hebräerbrief, bezeichnet Rahab als eine vorbildlich Glaubende. (Hebr. 11, 31)
Rahab spricht hier in einer Glaubensüberzeugung, die wir gern mit ihr teilen würden. Angesichts unserer Weltenlage zweifeln wir immer wieder an Gott als Herrn oben im Himmel und hier unten auf Erden. Wir fragen Gott an! Wir sind uns unsicher, ob Gott wirklich noch hier ist oder sich eher in den Himmel zurückgezogen hat. Und doch kommen wir immer wieder zu ihm, da wir niemanden anderen diese Fragen des Warums stellen können. Kein Politiker kann uns die derzeitige katastrophale Weltlage sinnreich erklären. Manche verdienen damit, viele machen ihre Politik damit, viele wollen auch uns beeinflussen, indem sie versuchen uns ideologisch auf die eine oder andere Seite zu ziehen.
Rahabs Weltlage war ähnlich dramatisch wie die unsrige. Aber sie beobachtet, denkt, und sucht den roten Faden und geht aufs Ganze nach ihrer Erkenntnis: Da ist nur einer der uns retten kann in allem, Gott. Das ist ihre Schlussfolgerung. Der Glaube gibt ihr Sicherheit und sie kann handeln.
Das tut mir gut. Es lässt mich weiter Fragen an Gott stellen und doch immer wieder aus dem Vertrauen heraus im Jetzt handeln. Wie sagt Wilhelm Tell: «Dem Mutigen hilft Gott.»
Diese Geschichten von Rahab und Wilhelm Tell, es sind mutmachende Geschichten. Sie laden ein, Glaubenserfahrungen selbst im Leben immer wieder zu suchen. Die Geschichten laden ein, den roten Faden, den Gott durch mein Leben spinnt, immer wieder zu suchen und zu entdecken. So kann auch immer wieder aus dem «euer» von Rahab: «Denn der Herr, euer Gott, …» ein «unser» werden. «Denn der Herr, (euer) unser Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf der Erde» Josua 2, 11b
AMEN
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Aus den Fürbitten:
Unser Gott,
wir danken Dir für die Geschichten, die Du uns schenkst,
die wir analysieren, hinterfragen können.
Geschichten, die uns Geschichte und Menschen näherbringen, Dinge verständlich machen.
Geschichten, die aber auch Aussagen haben, die uns im Leben weiterhelfen.
Unser Gott,
mutig sein und mutig Dir zu vertrauen,
darum bitten wir Dich.
Du kannst Dinge sich ändern lassen, auch zum Positiven.
Darum bitten wir Dich.
Wir bitten Dich um Liebe, dass Menschen erkennen,
dass Macht zum Wohl möglichst vieler eingesetzt wird.
Wir bitten Dich um Verständnis,
dass Menschen nicht unter Krieg leiden, sie nicht verfolgt werden, nicht fliehen müssen,
sondern friedlich zu Hause und mit ihren Nachbarn zusammenleben können.
Schenke uns Glauben und lass uns handeln
Aus Glauben, aus Barmherzigkeit, aus Liebe.
In der Stille kommen wir mit unseren Anliegen zu Dir…
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Berthold W. Haerter
Seit 1993 Pfarrer der Reformierten Kirche Zürich
Oberrieden am Zürichsee
Berthold.haerter@bluewin.ch